Madame Kaas, Sie treten beim Eurovision Song Contest für Frankreich an – was braucht ein Interpret, was braucht ein Song, um den Grand Prix zu gewinnen?
Kaas: Tja, wenn man die Antwort wüsste, wäre das natürlich leicht. Auf jeden Fall Selbstvertrauen.
Als ich von France Televisions gefragt wurde, ob ich für Frankreich singen würde, war ich erst mal ein bisschen überrascht. Aber dann habe ich mir gedacht: Ich bringe meine Musik jetzt schon 22 Jahre zu den Menschen in verschiedene Länder, da übernehme ich gerne die Aufgabe als Botschafterin des französischen Chanson. Ich repräsentiere bei der Eurovision unser Land mit einem Lied ("Et s’il fallait le faire"), das ich liebe, das ich auch für mein Album ausgewählt habe. Es repräsentiert das Traditionelle des französischen Chansons verbunden mit einer gewissen Modernität.
Wie wichtig ist der Text für den Grand Prix?
Kaas: Der ist schon wichtig. Aber in den verschiedenen Ländern werden sie ihn eh nicht verstehen. Insofern ist spielt er nur für die frankophonen Länder eine Rolle.
Letztes Jahr hat der Franzose Sébastien Tellier beim Grand Prix teilweise auf Englisch gesungen, wofür er in seiner Heimat stark kritisiert wurde…
Kaas: Es singen ja viele auf Englisch statt auf ihrer eigenen Muttersprache. Ich denke, der Interpret soll es so machen, wie er es fühlt. Dieser Druck von außen ist immer ein bisschen übertrieben, da muss man vor allem an sich und an den Song glauben und versuchen, den so gut wie möglich zu interpretieren. Die Kritik kommt dann sowieso, ganz egal ob man nun auf Englisch singt, ob man gewinnt oder verliert.
Ich persönlich kann meinen Song „Et s’il fallait le faire“ viel besser auf Französisch interpretieren, die Emotionen kann ich viel besser in dieser Sprache rüberbringen. Das auf Englisch zu singen könnte ich mir nicht vorstellen.
Ist Tempo wichtig für einen Grand Prix-Song?
Kaas: Also, es stimmt, dass man manchmal beim Grand Prix diese Energie sucht, dieses etwas Kommerziellere, dass man ein bisschen mitwippen kann.
Aber ein französisches Lied, das ist halt auch Melancholie. Wenn man in anderen Ländern über französische Musik redet, spricht man oft von Melancholie, Liebe, Romantik. Die Leute verbinden damit nicht etwas Schnelles.
Ich liebe das Verruchte und Verrauchte der 20er und 30er Jahre.
Und wie wichtig ist Erotik?
Kaas: Nicht so wichtig, würde ich sagen. Dieses Verkleiden, da fehlt den Interpreten auch manchmal der gute Geschmack.
Andererseits, wenn man heute ein Album rausbringt, da zählt eben nicht nur die Musik, sondern auch das Video, das Drumherum. Deshalb bin ich nicht dagegen, wenn sich jemand in Szene setzt. Aber der Grand Prix ist kein Schönheitswettbewerb und es sollte vor allem um die Lieder gehen.
Ihre neue CD „Kabaret“ ist ein sehr intimes Programm, wie transportiert man diese Intimität live, in Hallen mit Tausenden Zuschauern?
Kaas: Naja, so groß sind die Hallen ja nicht. Und ich denke, man kann mit Licht, Projektionen und Bühnenbild schon viel machen und diese Intimität kreieren. Sicher ist es live ein bisschen weniger intim als auf dem Album. Aber ich hoffe, die Atmosphäre kommt trotzdem zustande.
"Kabaret" ist auch eine Hommage an die 20er und 30er Jahre, haben Sie eine persönliche Sehnsucht nach dieser Zeit?
Kaas: Ich liebe das Verruchte und Verrauchte dieser Zeit, die Schwarz-Weiß-Filme mit Marlene Dietrich und überhaupt die Frauen, mit ihrer Stärke und Selbstständigkeit. Die auf der einen Seite sehr fatal wirken, auch sehr arrogant, die ziemlich frech waren, die keine Angst hatten, Erotik zu zeigen und die sich auch getraut haben „Nein“ zu sagen. Das war eine männliche Seite, die man damals haben musste. Das hat die Frauen irgendwie unantastbar gemacht, deshalb sind sie für uns solche Heldinnen und Diven geworden.
Funktioniert diese Haltung heute auch noch?
Kaas: Heute ist es anders. Ich glaube, wenn man heute als Frau diese Arroganz zeigen würde, und so sehr die männliche Seite rauskehren würde, hätte man es schwer. Man kann seine Stärke natürlich zeigen, aber diese Arroganz kann sich glaube ich niemand mehr leisten.
Wie wichtig ist Lebenserfahrung für eine Sängerin, für die Stimme?
Kaas: Sehr wichtig. Man singt die Emotionen mit 40 einfach anders als mit 20. Egal, ob das jetzt Dinge über Liebe sind oder andere Texte. Man kennt die eigene Stimme besser und das, was man im Leben erlebt hat, kann man irgendwie in den Worten spüren. Wenn man im Leben Verletzungen erhalten hat, dann sind die vielleicht verheilt, aber die Narben sind auf jeden Fall noch vorhanden. Und ich glaube, das spürt der Zuhörer in der Interpretation.
Sie stammen ursprünglich aus der Region Lothringen – welche Eigenschaft an Ihnen ist typisch deutsch, welche typisch französisch?
Kaas: Vielleicht habe ich meinen Willen und meinen Perfektionismus von den Deutschen und die Sensibilität von meinem Vater, der Franzose war. Wobei ich eigentlich glaube, dass die Eltern den eigenen Charakter viel mehr prägen als das Land, in dem man aufwächst.