Patrick Watson

In Deutschland muss ich Schnitzel essen.

Patrick Watson über das Singen mit Publikum, ein Album als musikalisches Tagebuch und homogene Städte

Patrick Watson

© patrickwatson.net

Mr. Watson, mich hat auf einem Ihrer Konzerte vor zwei Jahren beeindruckt, wie Sie sich a cappella singend durchs Publikum gedrängelt und mitten im Saal auf einen Stuhl gestellt haben, um Ihr Publikum zu dirigieren. Wie schwer ist es, Menschen zum Singen zu bringen?
Watson: Unter diesen Umständen ist das ziemlich einfach. Das schöne an diesem Moment mitten im Publikum ist, dass Du eine Konzerthalle in einen viel intimeren Ort verwandeln kannst, fast wie in ein Wohnzimmer.

Wo singt das Publikum am besten?
Watson: Tokio hat mich da sehr überrascht. Die Iren singen gut. Die Franzosen singen auch sehr schön, aber ein bisschen schüchterner. Und die Deutschen grölen mehr. Sie singen, wie ein Seemannschor.

Um kurz ein Missverständnis Ihrer Biografie zu klären, laut Internet sind Sie entweder in Kalifornien oder in der Nähe von Montréal geboren…
Watson: Geboren wurde ich in Kalifornien, aber wir sind nach Kanada gezogen, als ich ein Jahr alt war. Mein Vater war Pilot und kam viel herum. Meine Schwester ist zum Beispiel in Deutschland, in der Nähe des NATO-Stützpunktes geboren, wo er damals stationiert war. Es war ein kleiner Ort, in der Nähe der Schweiz. Bei Köln vielleicht?

Köln liegt zwar nicht direkt neben der Schweiz, aber bei Köln gibt es den NATO-Stützpunkt Geilenkirchen…
Watson: Ich weiß nicht so genau, ich muss das meinen Vater mal fragen. Meine Mutter hat sehr oft Schnitzel für uns gemacht und jedes Mal, wenn ich in Deutschland bin, muss ich Schnitzel essen und dann kommt es mir so vor, als hätte meine Mutter für mich gekocht. Dieser Zwang ist geradezu lächerlich. Jedenfalls, als ich geboren wurde, war dieser Vagabunden-Teil der Karriere meines Vaters schon so gut wie vorbei.

Wie wichtig war der Ort, wo Sie aufgewachsen sind für Ihre musikalische Entwicklung?
Watson: Ich bin in Hudson, einem kleinen Ort in der Nähe von Montréal aufgewachsen. Woran ich mich vor allem erinnere, ist das Singen in einer kleinen Kirche, dort auf dem Land und an Spaziergänge, alleine durch die Wälder. Jeden Tag bin ich 45 Minuten mit der Bahn zur Schule gefahren. Man konnte in der offenen Tür sitzen und seine Beine nach draußen im Fahrtwind baumeln lassen und dabei mit dem Walkman Musik hören. Ich habe da viel Crosby, Stills, Nash & Young gehört. Das ist gute Eisenbahn-Musik. (lacht)

Wie ist aus Ihnen selbst ein Musiker geworden? Haben Ihre Eltern Ihnen Klavierunterricht aufgezwungen?
Watson: Nein, überhaupt nicht. Der Leiter des Kirchenchors, in dem ich gesungen habe, hat mich gefragt, ob ich Klavier lernen möchte und er hat mir einen Lehrer besorgt, der mir dann klassischen Unterricht gab. Später habe ich in der Schule mit Jazz angefangen und dann nach und nach alle möglichen Stile ausprobiert.

Sind in der traditionell sehr vitalen Musikszene von Montréal eigentlich auch Einflüsse der indianischen Ureinwohnerkultur zu spüren?
Watson: Nein, die Ureinwohner sind sozusagen von der Landkarte gestrichen worden. Das ist eine sehr traurige Geschichte. Sie rotten in ihren Reservaten vor sich hin und es gibt nicht wirklich eine Kommunikation mit der modernen Welt.

Stark dürfte hingegen der französische Einfluss gewesen sein.
Watson: Ja, klar. Montréal liegt in der überwiegend französischsprachigen Provinz Québec. Ich bin auf eine französische Schule gegangen.

Sie sind sozusagen zweisprachig aufgewachsen?
Watson: Ja, und es ist auch dabei geblieben. Meine Frau ist Französin und wir unterhalten uns ständig in einer Mischung aus Englisch und Französisch.

Zitiert

Wenn du einen Singer-Songwriter-Song schreibst, orientierst du dich am besten an jemandem, wie Bob Dylan.

Patrick Watson

Sie sind verheiratet? Haben Sie Ihren Ring fürs Interview abgelegt?
Watson: (Lacht). Nein, wir sind nicht verheiratet. Aber spätestens seit wir ein Kind haben, ist es Zeit, meine Freundin auch meine Frau zu nennen, oder? Ein gemeinsames Baby ist viel stärker, als es jeder Ring sein könnte.

Fühlen Sie sich in der Familie trotzdem manchmal wie ein „Großer Vogel in einem kleinen Käfig“? So heißt einer der Songs auf Ihrer neuen Platte.
Watson: Nein, überhaupt nicht. Man kann das zwar durchaus auch als Metapher auf das Familienleben verstehen, aber ich muss da bei weitem nicht so viel kämpfen, wie der Vogel in dem Song. Wirklich anstrengend waren eher die Tourneen mit der Band in den letzten zweieinhalb Jahren. Nach einer Weile verliert das Leben auf der Tournee den Reiz, den es zu Anfang für einen gehabt hat. Aber mein kleiner Junge motiviert mich jeden Morgen aufs Neue.

Wie hat sich Ihr Blick auf die Welt durch die Tourneen verändert?
Watson: Die Welt ist nun ein viel kleinerer Ort für mich. Es geht beim Reisen jetzt nicht mehr so sehr darum, Neues zu entdecken, an Orte zu kommen, an denen wir noch nie waren. Es ist viel mehr schön, gute Freunde auf der ganzen Welt zu haben, ob auf Island oder in Berlin. Diese Freunde immer wieder zu sehen, mit ihnen zu essen, macht für mich jetzt den Wert des Umherreisens aus. Das liegt aber auch sicher daran, dass die Orte, wo wir unsere Konzerte geben, sich bei weitem nicht so voneinander unterscheiden, wie ich es erwartetet hatte. Wir sind zwar auf der ganzen Welt unterwegs, aber in gewisser Weise bewegen wir uns immer in der gleichen, relativ homogenen Stadt.

Unterscheiden sich die Menschen voneinander eher, als ihre Architektur?
Watson: Ja, das macht auch den großen Spaß des Reisens aus. Zusätzlich haben wir als Band noch das Glück, dass wir keiner speziellen Szene angehören. In einer Stadt kommen eher Indie-Rock-Fans zu unseren Konzerten, in der nächsten dann eher experimentierfreudige Musikliebhaber.

Auf „Wooden Arms“ ist nun auch der Einfluss moderner Komponisten, wie Philip Glass und Steve Reich zu hören, deren minimalistische Musik international erfolgreich ist. Liegt in der Minimal-Music auch für Sie ein Schlüssel, um auf der ganzen Welt verstanden zu werden?
Watson: Nein. Es ging mir eher darum, sich für jede musikalische Sprache an den jeweils besten Vorbildern zu orientieren. Wenn du einen Singer-Songwriter-Song schreibst, orientierst du dich am besten an jemandem, wie Bob Dylan. Wenn Du etwas modernes Klassisches mit Geigen machen willst, hörst du dir nicht an, wie Paul McCartney versucht hat, ein Oratorium zu schreiben, sondern studierst Leute wie Philip Glass. Es geht mir nicht darum, woher etwas kommt, oder wie erfolgreich es ist. Ich will einfach nur das Beste vom Besten.

Trotz der sich weltweit immer ähnlicher werdenden Städte klingt „Wooden Arms“ mit seinem Reichtum an Instrumenten und Klängen, wie das Tagebuch eines Musikers, der zwei Jahre lang um die Welt getourt ist.
Watson: Das ist es bis zu einem gewissen Grad auch. „Fireweed“, den ersten Track, haben wir in Island aufgenommen, was ihm musikalisch auch anzuhören ist. Er beginnt sehr sphärisch, ein Chor summt…

„Beijing“ haben Sie nahe liegender Weise in Peking aufgenommen?
Watson: Nein, das ist nun einer von den Songs, die ich zuhause geschrieben habe. Ich machte mir eines Morgens einen Kaffee und hatte so einen Tagtraum, der allerdings vom Reisen handelte. Ich wünschte mir, nach Peking gehen zu können, so wie man in dem Film „Being John Malkovich“ durch einen kleinen Schacht in einem New Yorker Büro im Kopf von John Malkovich landen kann. Über diesen Traum habe ich dann den Song geschrieben.

Was ist mit dem Titelsong „Wooden Arms“?
Watson: Den Text habe ich in Kroatien geschrieben, als ich in einem dieser überwältigenden Wälder dort unterwegs war. Die Musik kam dann in Frankreich dazu, innerhalb von zwei Stunden hatten wir den Song fertig.

Aber bei „Traveling Salesman“ ist die Analogie zum Leben eines Musikers auf der Straße nicht zu leugnen.
Watson: Das stimmt. Trotzdem wurde er eher inspiriert von der alten TV-Serie „Twilight Zone“, die ich mir unterwegs auf meinem Laptop oft angesehen habe. (lacht) Aber „Big Bird in a Small Cage“ erzählt wirklich eine wahre Geschichte aus dem Tourleben. Wir waren in Vietnam und besuchten einen Musiker, der zuhause hunderte von Vogelkäfigen hatte. In einem kleinen Käfig saß ein ziemlich großer Vogel und ich fragte den Musiker, warum machen sie das? Und er sagte nur: Große Vögel in kleinen Käfigen singen lauter.

Ihr Song „The Great Escape“ wurde in der TV-Serie „Grey’s Anatomy“  zur Untermalung einer Szene benutzt, in der Angehörige die Opfer eines Fährunglücks identifizieren mussten. Wie geht es Ihnen, wenn Ihre Songs in so einem anderen Kontext auftauchen?
Watson: Das ist natürlich eine sehr tragische Szene, aber generell macht mir so was nichts aus. Bei „The Great Escape“ muss ich vielmehr immer daran denken, wie er entstanden ist. Ich bin eines Nachts zuhause aufgewacht, habe mich nur in Unterhose an mein Klavier gesetzt, eine Flasche Whiskey daneben, und dann habe ich den Song einfach aufgenommen. Wenn ich diesen romantischen Song höre, und daran denke, unter welchen Umständen er entstanden ist, dann gibt mir das einen richtigen Kick. (lacht)

Der 1979 geborene Kanadier Patrick Watson hat sich mit seiner nach ihm selbst benannten Band als einer der originellsten Singer-Songwriter der letzten Jahre etabliert. Seine Popballaden und Indie-Rocksongs weisen vielseitige Einflüsse aus Jazz und mehr

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