Paul, kommt die Verwechslung, dass man dich als DJ und nicht als Live-Act bezeichnet, noch häufig vor?
Paul Kalkbrenner: Ja. Das stört mich aber immer weniger. Sollen die Leute es doch nennen, wie sie wollen. Ich bin da nicht beleidigt, aber es ist halt schon etwas anderes. Ich habe das jahrelang allen genau versucht, zu erklären, was da der Unterschied ist. Da verwende ich heute keine Energie mehr drauf.
Gibt es noch andere falsche Vorstellungen, Klischees bezüglich deiner Musik, die du gerne widerlegst?
Kalkbrenner: Wir sind jetzt auf Tour eine Riesenproduktion, inzwischen wissen die Leute auch, dass das alles Hand und Fuß hat. Aber letztes Jahr war das noch anders: Da gab es welche, die dachten, dass wir mit Neonklamotten aus dem Tourbus steigen, voll auf Drogen sind und drei Stroboskop-Leuchten in die Halle hängen. Das haben wir schön widerlegt. Ansonsten, was gibt es denn noch Klischees über mich?
Vielleicht hast du mal etwas über dich gelesen.
Kalkbrenner: Nein, damit habe ich glücklicherweise aufgehört. Das darf man sowieso nicht machen, im Internet Sachen über sich selber lesen, das ist nicht gut.
Auch nicht Meinungen zu deiner Musik?
Kalkbrenner: Nein. Ich denke, das hat jetzt so ein Level erreicht, wo ich es eh nur noch selber am besten weiß. Früher habe ich neue Sachen immer meinem Kollegen Sascha Funke vorgespielt, ihn gefragt, „wie findest du das, wo will das hin?“ – Aber mittlerweile kann mir da keiner mehr helfen, das kann ich nur ganz alleine wissen, ob das gut ist oder nicht.
Und die Publikumsmeinung?
Kalkbrenner: Da sehe ich bei Itunes vier von fünf Sternen. Früher waren es fünf, aber ab einer bestimmten Größe ist es normal, wenn es s nur vier Sterne gibt. Jetzt kommen ja auch Leute dazu, die „Buh“ machen und nur einen Stern geben, insofern nivelliert sich das.
Beeinflusst die Publikumsmeinung deine Musik?
Kalkbrenner: Im Studio nein. Da hast du ja als Künstler verloren, wenn du dasitzt und denkst: „Wie könnte das dem und dem gefallen?“ Damit sollte man sich bei der Produktion nicht befassen.
Und live?
Kalkbrenner: Live ist es eigentlich wie eine Einbahnstraße, das fließt wie bei einer Predigt von oben nach unten. Aber natürlich gibt es da auch so eine… „Interaktion“ wäre glaube ich übertrieben, aber ein gewisser Austausch findet schon statt.
Doch keine Einbahnstraße?
Kalkbrenner: Also das, was manche Top-DJs schaffen, in einem 300Leute-Klub das zu spüren und dann die richtige Platte zu ziehen, das gibt es bei mir nicht. Das entscheide immer noch ich selber.
Aber ändert sich dein Live-Set nicht dadurch, wie die Leute reagieren?
Kalkbrenner: Das ist durchaus möglich, geschieht aber unterbewusst, mir fällt das oft gar nicht auf. Ich habe vor zwei Tagen in Luxemburg gespielt, da kamen so Sachen zusammen, mehrere neue Songs, ich habe mich auf unbekanntem Terrain bewegt – aber wenn es dann rockt kommt auch manchmal das Tier raus. Das kommt aber nicht von alleine, das muss ich mir selber erarbeiten.
Was ist denn „das Tier“?
Kalkbrenner: Das ist der, der eben nicht nur dasteht und mit dem Kopf wackelt, sondern der sich mit einer Hand unten am Tisch festhalten muss. Das Tier halt. Und das Tier kommt immer nur raus, wenn improvisiert wird.
Wird deine Arbeit anstrengender, je mehr Leute zuhören?
Kalkbrenner: Bei einem großen Festival 60 oder 90 Minuten runterzureißen ist kein Hit. Aber drei Stunden live, das kostet Kraft.
Ich meinte das auch im übertragenden Sinn. Es hören generell sehr viele Leute deine Musik – ist das auch eine Last?
Kalkbrenner: Nein. Das kann eine Last werden, aber ich beschäftige mich mit dem öffentlichen PK nicht so doll.
Aber du siehst doch zumindest auf deiner Facebook-Seite die Zahl 1.5 Millionen Menschen, die „gefällt mir“ geklickt haben.
Kalkbrenner: Ja, das wird mir zugetragen. Der Administrator schreibt mir dann eine Mail „Herzlichen Glückwunsch, 1,5 Millionen“ – Da sage ich: Super. Schöne Sache.
In welchem Verhältnis steht das zu dir?
Kalkbrenner: Also, wenn man das wirklich runterrechnet auf das menschliche Dasein wahrscheinlich in gar keinem Verhältnis. Das ist ja das Beeindruckende aber auch das Beängstigende bei Facebook: Das, was es so mächtig macht, passiert von ganz alleine. Du musst nur eine kleine Karotte oben reinwerfen.
Promotion zum Beispiel, Listen vervollständigen usw., das passiert alles von selbst. Es ist wie vom Himmel gefallen der beste und direkteste Vertriebsweg, nämlich direkt zu den Leuten, die sich schon mal geoutet haben und gesagt haben: „Find ich gut.“ Das hätte ich nie gedacht, dass man mal so dicht dran sein kann am potentiellen Käufer und Kunden. Krass.
Du bist ja ohnehin dein eigener Chef, unabhängig von einer großen Plattenfirma, wie es bei vielen Techno-Musikern der Fall ist.
Kalkbrenner: Naja, wenn Sony kommt und ein gutes Angebot hat, fallen viele auch um. Mit Lützenkirchen, das war doch auch scheiße. Einmal Parisen und du wirst durchgedudelt – da musst du echt aufpassen.
…Scooter-Remix inklusive.
Kalkbrenner: Von „Drei Tage wach“ gab es einen Scooter-Remix? – ah ja… Also, genau. Es ist hier bei mir groß, es ist auch kommerziell, weil wir doch auch einen Haufen Geld verdienen – aber solche Sachen versuchen wir halt immer noch außen vor zu lassen, damit es wenigstens ein bisschen Hand und Fuß hat.
Ich möchte nochmal auf das Popularitäts-Ding zurückkommen. Als Norman Cook unter dem Namen Fatboy Slim zum Weltstar wurde sagte er mal in einem Interview, nicht er kontrolliere das Phänomen Fatboy Slim sondern das Phänomen kontrolliere ihn. Inwieweit kannst du das nachvollziehen?
Kalkbrenner: Ich kann das durchaus nachvollziehen, das wird stärker in dem Maße wie man das vermischt, die öffentliche Person und die persönliche. Das ist sowieso ganz gefährlich. Als Künstler hast du sofort verloren, wenn du oben stehst und dir tatsächlich einbildest, dass die da jetzt alle so jubeln, weil du persönlich so ein toller Kerl bist. Da ist es schon vorbei.
Ja, auch auf mein Leben hat dieses PK-Ding natürlich unübersehbare Einflüsse. Aber es kontrolliert mich nicht, nee…
Hast du dir das mit dem „tollen Kerl“ denn früher mal eingebildet?
Kalkbrenner: Nein, das ist mir noch nicht passiert. Das ist die Essenz von dem Lernen darüber: You lose track in dem Moment, wo du dich selber mit dem Ding verwechselst, was alle kennen. Mich selber kennen die meisten ja nicht.
„Zu mir kommen die, die arbeiten gehen und dafür sorgen, dass der Laden läuft.“
Kalkbrenner: Ach … (winkt ab)
Hab ich dich falsch zitiert?
Kalkbrenner: Man kann wiederholen, was ich mal gesagt habe und damit trotzdem unkorrekt sein.
Das hat mit der Gegenbewegung zu tun. Ich mache um 23 Uhr Konzert und um 2Uhr ist Schluss. Jeder, der dann noch feiern gehen will, kann das ja gerne machen. Aber vielleicht wollen die Leute dann auch nach hause gehen, mal wieder mit der Freundin vögeln und nicht noch um 11 Uhr morgens vor dem übernächsten After-Hour-Laden stehen.
Spielst du deswegen auch nur freitags und samstags?
Kalkbrenner: Wir sind jetzt zwar auf Tour wie eine Rockband, ich verwahre mich aber dagegen, 16 Tage am Stück zu spielen. Sondern das muss so sein, wie wir das aus dem Techno-Bereich kennen, auch wenn es jetzt bei uns so konzertmäßig ist. Mein Team findet das auch gut so.
In dem Zitat von vorhin kam für mich jedenfalls ein wenig raus, dass du keine Lust auf ein Dauerfeierei-Publikum hast…
Kalkbrenner: Ja, das ist entweiht worden. Das ist so wie mit dem Sendeschluss, den es früher im Fernsehen gab. Der Moderator sagte, „jetzt ist Sendeschluss“ und dann kam ein Testbild. Mit den Partys war das früher genauso. Mal ging eine Party bis um 9 Uhr, im Berliner „E-Werk“ vielleicht bis 12, vielleicht sogar bis 14 Uhr – aber dann war es auch zu Ende. Heute kennt die Party gar keinen Anfang und kein Ende mehr und ist somit entweiht. Ich will mir da jetzt nicht groß „Gegenbewegung“ auf die Fahne schreiben. Aber wir zeigen hier schon, wie man es eben auch machen kann. Lieber etwas kompakter, zusammen mit meinem Bruder Fritz machen wir auch fünf bis sechs Stunden volles Rohr. Ist doch besser, oder?
Durch die „Entweihung“ wird es belanglos?
Kalkbrenner: Ja, so DDR-mäßig, alle sind gleich, aber ganz kurz über der Grasnarbe, es gibt wenig Ausreißer.
Mir haben Leute irgendwann gesagt, wegen des Films und so, „du bist jetzt so kommerziell, entfernst dich von coolen Sachen“. Aber wenn ich darüber nachdenke, mein Berlin-Konzert in der Wuhlheide: Das war cool! Da waren Leute aus Berlin und dem Umland, die dahingehen wollten um Techno zu hören und halt nicht so wie im Berghain. Wenn Türsteher Sven dort die Tür aufmacht, böse guckt und 200 spanische Erasmus-Studenten pissen sich in ihre kurzen Hosen, diese Leute, die nach dem Berghain fragen, die die U-Bahn im Minutentakt ausspuckt… – eher andersherum wird ein Schuh draus. Bei mir ist das echt more real.
Techno hat früher Menschen aller Couleur zusammengebracht.
Kalkbrenner: Das ist verloren gegangen.
Als Künstler hast du sofort verloren, wenn du oben stehst und dir tatsächlich einbildest, dass die da jetzt alle so jubeln, weil du persönlich so ein toller Kerl bist.
Warum?
Kalkbrenner: Es ist immer mehr in Subgenres zerfallen. Und vieles ist nur noch Style.
Eine bekannte Zeitung schrieb, ich würde da wirklich zum Nullpunkt gesellschaftlicher Normalität streben. Ja, Techno ist für alle da. Bei mir muss man nicht erst eine bestimmte Coolness vorweisen, um meine Musik gut finden zu dürfen. So etwas gibt es bei mir nicht, das ist auch eine der beschissensten Sachen überhaupt. Ich habe mich selber ja auch jahrelang hinter diesem Klientelismus versteckt. Wenn ich früher nur 200 Platten verkauft habe, dachte ich: „Mehr Leute verstehen das nicht, das ist so cool, sophisticated und underground, dass das keiner versteht.“ Das war unsere Ausrede.
Mit Face-Control kannst du also nicht mehr viel anfangen?
Kalkbrenner: Ich habe es mal bei einer eigenen Veranstaltung im Weekend erlebt. Ich bin einfach nur runter zum Eingang um zu gucken, wie der Einlass läuft und sehe, wie die Easyjet-Raver, gerade erst gelandet, noch mit Bordkarte in der Tasche, die gar nicht wissen, wer da oben spielt, reingelassen werden, während die beiden Typen aus Lübben mit Basecap und Carlo Colucci-Pulli – die mich noch als „Paul db+“ kennen – leider draußen blieben müssen. Da habe ich keine Lust drauf. Das ist hier mein Konzert und wer 18 ist darf hier rein.
Sind deine Auftritte jetzt eigentlich Konzert oder Party?
Kalkbrenner: Das ist ein Konzert. Und das finde ich auch gut so. Meine Musik ist auch prädestinierter als andere Spielarten von Techno um so präsentiert zu werden. Ich fühle mich damit auch besser, wenn ich in der Konzert-Location stehe und meinen Produktionsleiter dabei habe, der für jedes Problem eine Lösung hat.
Du hast dich mal als „Dienstleister“ bezeichnet.
Kalkbrenner: Das bin ich auch. Das ist der einzige Grund, warum man hier mit Taschen voller Geld nach hause geht. Weil jeder Einzelne sich für 40 Euro ein Ticket gekauft hat.
Der Begriff „Dienstleistung“ ist dir nicht zu unromantisch?
Kalkbrenner: Nein, absolut nicht. Das ist ja das Schlimme, wenn man Arts und Crafts so auseinander nimmt. Zum Beispiel ein Maler, der irgendeinen Unsinn malt, der erst zu Kunst wird, wenn man eine Stunde auf Interpretationsebene darüber redet, der sich damit über Dachdecker und Fliesenleger hinwegsetzt, die ihre Sachen auch sehr virtuos machen. Da habe ich viel eher so einen Handwerker-Stolz, wenn ein guter Track fertig ist. Na klar habe ich musikalische Talente und spüre so einen Funken. Aber damit am Ende ein Song draus wird, den auch andere Leute sich anhören können – das ist alles Handwerk.
Stichwort 40 Euro – für welches Konzert hast du selbst zuletzt so eine Summe ausgegeben?
Kalkbrenner: Ich glaube ich war noch nie auf einem Konzert.
Wie jetzt?
Kalkbrenner: Ich höre keine Musik, ich bin ja kein Musikhörer. Ich war noch nie auf einem Musikkonzert.
Glaube ich nicht.
Kalkbrenner: Nicht ein einziges Mal.
In deiner Jugend doch sicher.
Kalkbrenner: Nein. Ich höre Techno seit ich 14 bin. Ich habe noch nie ein Musik-Konzert besucht. Vielleicht bin ich mal bei einem Festival zu einer anderen Bühne hingegangen, aber zu einem Konzert in Berlin? Nein, nie. Ich bin sozusagen nicht interessiert an Musik. Das ist keine Ignoranz, sondern… – da lese ich lieber etwas Spannendes.
Ich mag volle Hallen, aber ich mag nicht in dem Pulk stehen. Das habe ich schon sehr früh gemerkt. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass ich sehr früh den Ort auf der anderen Seite vom Zaun gewählt habe.
Und ein klassisches Konzert hast du auch nie besucht?
Kalkbrenner: Doch, in der Berliner Philharmonie war ich öfter. Auch letztes Jahr, kurz vor Weihnachten, weil Beethovens Siebte kommt ja nur ganz selten. Die spielen immer nur die Neunte und die Fünfte.
Der zweite Satz ist ja recht bekannt.
Kalkbrenner: Ja (summt die Melodie) wo Beethoven das komponiert und seinem Fürsten vorgespielt hat und der immer sagte: „Rewind!“
Ganz geil ist auch Gustav Mahlers Zweite, mit 70 Mann Chor, das ist so krass, richtig laut.
Hört man deswegen auf deinem Album „Icke Wieder“ auch Streicher und Trompeten?
Kalkbrenner: Nein. Das sind alles so Versatzstücke, weil ich immer sehr viel mit Samples arbeite. Beim Großteil der Sounddateien auf meiner Festplatte weiß keiner mehr, was das eigentlich mal war. Ich kann mittlerweile quasi alles aus allem machen. Wichtig ist die Erfahrung, es geht nichts über die Erfahrung.
In „Des Stabes Reuse“ hört man zum Beispiel diese sonderbar wuchtigen Beats. Was ist das, was klingt da?
Kalkbrenner: Ich weiß es nicht genau. Es könnte sein, dass das etwas aus dem Fernsehen ist, irgendwas Abgesampletes, eine Werbung. „Und wenn Sie jetzt bestellen, kriegen Sie zu den Hits der 60er noch die Hits der 80er dazu“.
Das ist alles mögliche, in einer komischen Qualität. Wäre das aufgefiltert, würde man erkennen, dass da total hart und roh verschiedene Tonhöhen einfach so aneinandergeschnitten sind. Wenn ich dort alle Effekte runternehmen würde, würde sich das nach einer Kakophonie von Schnipseln anhören. Dann wird es von mir aber zugefiltert – und dann poliere ich das glatt mit vielen Effekten, Distortion…
Also du sitzt am Fernseher und samplest?
Kalkbrenner: Oft ist es so, dass ich Sachen mache, die sich – bevor ich mit meiner Drechselmaschine rangehe – nach total rauschendem, unsauberem, out of sync- zusammengeschnittenem Scheiß anhören. Was die Musik so organisch macht ist die Erfahrung, das ist nicht mal mehr anstrengend. Ich weiß, was ich machen muss, damit das so zu einem Brei verrührt wird.
Was bei „Des Stabes Reuse“ am lautesten ist, ist ja nicht die Spur sondern die Verzerrung von der Spur. Ich mache sehr viel mit Effekten. Manchmal sind auf einer Spur, wo nur ein Clap drin liegt, 20 Audio-Effekte in Reihe geschaltet. Die Ausgangsqualität des Samples spielt da keine Rolle.
Hilft dir der Zufall bei der Arbeit im Studio?
Kalkbrenner: Seltener. Früher war – wie bei jedem jungen Produzenten – der Zufall der beste Begleiter. Das kennt ja jeder, im Studio sitzen und 17 Stunden auf irgendwelchen Drum-Maschinen rumdrücken, und Sachen entdecken „oh hier, das ist aber geil…“
Auch heute gibt es bei mir noch unvorhergesehene Sachen, aber es entwickelt sich mehr in die Richtung dass ich mich hinsetze und das mache, was ich mir vorgenommen habe. Etwas zielgerichteter – und auch sehr effizient.
Und du bist nicht durch andere Musik inspiriert, weil du ja kaum Musik hörst wie du sagst…
Kalkbrenner: ….nee, und die Musik kommt auch nicht von irgendeinem Sonnenuntergang, den ich letztes Jahr in Indien gesehen habe, sondern die kommt vom verfickten Arbeiten, beim Dasitzen und sein Handwerk tun. Da kommt das Beste bei raus.
Was ist die beste Studiozeit?
Kalkbrenner: Ab 17, 18 Uhr.
Ist man in deiner Branche zwingend Nachtmensch?
Kalkbrenner: Nein. Ich selber bin bloß so. Selbst wenn ich mal um 10 Uhr wach bin, ich kann mit der Tageszeit nicht wirklich etwas anfangen. Ich weiß nicht so richtig, was ich da machen soll.
Ich schlafe oft bis 12 Uhr, Studiozeit ist dann so von 17 bis 2 oder 3 Uhr. Das ging bei „Icke Wieder“ drei Monate – und jetzt bin ich mindestens ein Jahr nicht im Studio.
Bist du zufrieden mit dem Album?
Kalkbrenner: Es war das Maximum was ich aus diesen drei Monaten rausholen konnte. Vier von fünf Sternen, würde ich sagen. Ich habe auch nicht den Anspruch zu sagen, „mein neues Album ist epochemachend, eine Ära einläutend.“ Nein, das ist einfach ein Release, das sich einreihen soll in die anderen Alben.
Du benutzt zur Produktion deiner Tracks die Software Ableton, die sich in den letzten Jahren sehr weit verbreitet hat. Mal ganz banal gefragt: Was ist der Unterschied zwischen dir und jemand, der jetzt gerade anfängt, auch mit Ableton Musik zu machen, also technisch gesehen auf der gleichen Grundlage?
Kalkbrenner: Derjenige hat sich wahrscheinlich noch nicht die Frage gestellt: „Wie wird ein Künstler aus mir und nicht nur ein Typ mit ’nem Laptop unterm Arm?“
Man muss es füllen mit etwas. Die Demokratisierung der Produktionsmittel hat ja auch dazu geführt, dass ein Haufen Schund entsteht. Weil jeder dachte, dass er jetzt Musik machen kann. Schon früher haben viele Leute Hobby-Sachen gemacht, aber in dem Moment, wo man sich selber einredet oder davon überzeugt ist, dass das auch die anderen hören sollen, muss man sich auch messen lassen.
Ich denke, dass viele Produktionen so belanglos oder überflüssig sind, liegt nicht daran, dass sie einfachst produziert oder nur perkussiv sind, sondern eher daran, dass derjenige, der das produziert hat… Vielleicht kann er mit seiner Sprache total toll über Themen reden oder ein Bild malen, aber er hat mit seiner Musik nichts zu sagen. Wäre mir das hier mit 20 passiert, ich hätte noch gar nicht den Inhalt, die Substanz gehabt, um das auszufüllen. Man muss erstmal ein bisschen was erlebt haben. Wenigstens ein bisschen was.
Aber könntest du es formulieren, was du mit der Musik sagst?
Kalkbrenner: Manchmal sagen die Leute: Es sind alles verschiedene Titel, aber sie transportieren immer dasselbe.
Es hat ein bisschen mit Traurigkeit zu tun, da sind bestimmte Eindrücke, die kommen so von ganz weit her. Vielleicht ist meine Musik das, was ich als Kind so an Kinderliedern von meinen Eltern vorgesungen bekam, dazu die Pioniermärsche, Nationalhymnen, die ich immer toll fand, Musik die ich im Radio gehört habe, wo ich neun oder zehn Jahre alt war. Das hat mich viel mehr geprägt als Kraftwerk. Niemand, der Techno macht, wurde von Kraftwerk geprägt, das ist alles Gelaber.
Mich haben Sachen geprägt, von denen ich damals dachte, dass ich sie gar nicht mag. Zum Beispiel war ich nie ein großer Bob Marley-Fan, weil dieses ganze Ragga und filzige Haare war nie mein Ding. Heute denke ich manchmal, dass die Strophen bei mir ganz tief drin sind. Auch Depeche Mode… Damals war man ja entweder Depeche Mode oder Modern Talking. Ich hatte einen Modern Talking-Anstecker und fand dementsprechend Depeche Mode doof. Aber ohne es zu wissen, haben mich bestimmte Songs von Depeche Mode mehr beeinflusst, als ich das wahr haben wollte. Viele Dinge passieren vollkommen unbewusst. Das kannst du gar nicht steuern.
Und Pionierlieder spielen auch eine Rolle?
Kalkbrenner: Ja, na klar. (fängt an zu singen) “Spaniens Himmel breitet seine Sterne“… antifaschistische Lieder. Oder „Von all unseren Kameraden war keiner so lieb und so gut, wie unser kleiner Trompeter, der ein lustiges Rotgardistenblut war“. (lacht)
Das findet sich heute verdrechselt in Paul Kalkbrenners Musik?
Kalkbrenner: Definitiv viel mehr als alles, was ich mit einer bewussten Attitüde a la „Ich höre jetzt das, weil ich jetzt so bin, weil ich mich von anderen abgrenzen will“ aufgenommen habe.
Und das konserviere ich am besten, in dem ich selber relativ wenig Musik höre. Das kommt so von ferne her. Das ist traurig, transportiert so eine Art Melancholie, dass das Leben vorbei geht, dass die Zeiten, das Glück, dass alles verweht.
Warum glaubst du, bist du mit deiner Musik überhaupt so erfolgreich, weltweit?
Kalkbrenner: Weil da oben einer steht, dem die Leute folgen würden.
Verstehe ich nicht ganz, wie meinst du das?
Kalkbrenner: Wäre ich ein Null-Charismatiker, mit derselben Musik, wäre das definitiv nur halb so erfolgreich, das denke ich schon. Das hat auch mit dem Film zu tun, dass jeder denkt, den Paul so ein bisschen zu kennen, weil man hat ihn ja schon mehrfach sprechen hören, aus nächster Nähe im Close-Up.
Und musikalisch?
Kalkbrenner: Was soll ich da sagen… Wahrscheinlich weil das alles so organisch ist.
Ich habe es inzwischen oft erlebt, dass bei mir die Leute Songs feiern, die sie nicht kennen. Und das ist das größte Lob. Wenn Leute irgendwo sitzen, einen Song hören, den sie noch nie gehört haben, aber dir sagen können: „Das kann nur von dem sein, weil sich das so anfühlt.“ Das ist das größte Kompliment, das ich als Künstler kriegen kann.
Du bist gut in Harmonien, würde ich sagen…
Kalkbrenner: Aber vieles bei mir hat oft nicht mal eine exakte Tonhöhe. Weil ich mit einem Sample anfange, das dann mit Resonatoren einfärbe, dann kriegt es einen bestimmten Klang….
Du wendest also keine Kirchentonarten an… (Paul Kalkbrenner ging in seiner Jugend auf eine Musikschule, lernte Trompete, eine Szene in „Berlin Calling“ zeigt ihn auf einer Orgelbank, Anm. d. Red.)
Kalkbrenner: Nein. Ich habe inzwischen auch die Komplementärtonarten vergessen. Es gibt Sachen, die ich zusammenpacke, wo mir nur die jahrelange Erfahrung hilft. Gerade mit dem Equalizer, dem kraftvollsten Tool überhaupt, packe ich Dinge zusammen, die per se dissonant zueinander sind.
Und wenn man dann ein Programm geschenkt kriegt, mit dem man 20 Equalizer hintereinanderschalten kann… Du glaubst es nicht: In jedem Kratzer ist so viel Bass!
Gab es in den letzten Jahren Erlebnisse, wo du deinen Erfolg auch beängstigend fandest?
Kalkbrenner: Ja, immer wenn ich den Text von „Sky and Sands“ komplett über Oberkörper tätowiert sehe.
Das passiert oft?
Kalkbrenner: Das habe ich schon mehrfach gesehen, tätowiert, in Portugal, drei Leute, sogar nicht ganz richtig geschrieben.
Warum ist das beängstigend?
Kalkbrenner: Es ist nicht beängstigend, aber irritierend, weil ich selber das nicht so wichtig nehme. Ich finde es schön, dass der Song Menschen berührt hat, in intimsten Momenten, ich selber habe das aber nicht so gemeint und Fritz hat den Text unter anderen Umständen geschrieben.
Das ist glaube ich die wichtigste Erkenntnis, dass die meisten Dinge, die mit diesem PK passieren, dass ich die weder steuern noch beeinflussen kann.
Es gab Einiges an Diskussionen über deinen Auftritt bei der Bundeswehr in Afghanistan. Missversteht man dich, wenn man den Auftritt als politisches Statement sieht?
Kalkbrenner: Es gab am Anfang einen Artikel in der taz, wo sich jemand Unsinn aus den Fingern gesaugt hat… Ich habe das in den Interviews zum Album schon klarstellen können, dass ich zwischen den Soldaten, die dort ihren Einsatz schieben und dem Mandat trenne. Und wenn da jemand sauer ist: Nicht auf die Armee sauer sein, weil die hat sich nicht selbst dort hin geschickt, sondern auf den Volksvertreter, den man selbst alle vier Jahre ins Parlament wählt. Und wenn 90 Prozent bei Straßenumfragen gegen den Einsatz sind, da frage ich mich, warum nicht Gregor Gysi im Kanzleramt sitzt. Die Leute, die von uns gewählt werden, verlängern diesen Einsatz seit 10 Jahren mit mehr als 90-prozentiger Mehrheit nach vier Jahren.
Könntest du dir Politik in deiner Musik vorstellen?
Kalkbrenner: Nein. Sicher könnte ich Fritz mal einen Song singen lassen über Waldsterben und Robbenbabys, Kinder in Afrika – alles, was gut ankommt. Aber das ist doch alles Quatsch. Das würde die Musik verschandeln. Tanzmusik hat nicht den Gehalt, um solche Botschaften wirklich glaubhaft transportieren zu können.
Ich denke auch, viele Dinge in meinem Leben haben gereicht, weil ich noch nie was gegen etwas gemacht habe. Ich habe noch nie einen Anti-Song gemacht, ich habe nie eine künstlerische Anstrengung gegen irgendwas unternommen.
Wir sprachen vorhin über die „Gegenbewegung“…
Kalkbrenner: Aber die Gegenbewegung ist ja eigentlich für etwas, nämlich für auch-mal-wieder-früher-Raven. Es ist ja ok, wenn es ein bisschen später wird, aber wenn die Party erst dann startet, wenn die ganze Nacht schon wieder vorbei und der nächste Tag schon wieder da ist – ich verstehe das nicht. Da habe ich schon als Jugendlicher drunter gelitten, wenn wir in meinen Berliner Lieblingsclub E-Werk wollten – vor drei Uhr nachts sind wir nicht losgegangen. Was soll das? Im Sommer wird es da schon wieder hell.
Viele mögen die Atmosphäre, die manche After-Hours einfach haben.
Kalkbrenner: Das kann ich verstehen, aber ich bin von meiner Art, von meinem Habitus her nicht der Typus dafür. Eher kurz und knackig als lang und keta ohne Ende.
Das Tolle bei einem Konzert ist, dass danach nichts mehr ist, dass es ein klar definiertes Ende hat. Sobald der letzte Ton verklungen ist bleiben da nur noch die leeren Bierpullen und die zertretenen Becher. Das finde ich schön, in der Flüchtigkeit des Moments ein wenig Ewigkeit zu finden.
Das Interview entstand im Oktober 2011 in Erfurt.
„Niemand, der Techno macht, wurde von „Kraftwerk“ geprägt.“ Na, das sage mal den wirklichen Innovatoren des Genres. Die werden sich bedanken.
Solch eine nachweisliche falsche Antwort über „Kraftwerk“ von einem Profi zu hören, ist schon peinlich. Das Interview ist ja mittlerweile Jahre alt. Er weiß wohl selbst jetzt, dass das Quatsch war. Frage gerne auch nach bei Derrick May, Westbam, Moby, Carl Craig, Juan Atkins, Kevin Saunderson, Sven Väth …