Paul Kuhn

Der Jazz ist fertig.

Paul Kuhn über Swing-Talent und Sparsamkeit, das Touren mit 85 und warum er den Jazz als abgeschlossene Geschichte betrachtet. In Gedenken an Paul Kuhn veröffentlichen wir zu unserem Gespräch vom Februar 2013 auch den vollständigen Audio-Mitschnitt.

Paul Kuhn

© Frank Kleinschmidt

Herr Kuhn, Sie sind 85 Jahre alt und gehen noch immer auf Tour. Ist das anstrengend?
Paul Kuhn: Eigentlich nicht. Ich glaube, wenn die Leute sagen, dass eine Tournee anstrengend ist, liegt es daran, dass sie nicht frühzeitig ins Bett gehen. Ich gehe auch nicht direkt nach dem Konzert ins Bett, aber man muss auf Tour schon ein bisschen haushalten mit den Kräften. Im Allgemeinen ist es nicht so anstrengend, nur das Drumherum, die langen Autofahrten.

Audio:


Vollständiger Audiomitschnitt des Interviews mit Paul Kuhn, aufgezeichnet im Februar 2013.


Sie gehen also nach wie vor mit einer Leichtigkeit auf die Bühne?
Kuhn: Das kommt drauf an, das ist ein bisschen eine Formsache. Im Prinzip spiele ich sehr gerne Klavier. Dennoch gibt es auch mal Tage, wo ich sage: „Ach, Kinder, heute habe ich keine Lust.“ Das kann vorkommen, sollte aber bei unseren Konzerten nicht gerade passieren.

Einer der bekanntesten Jazz-Standards trägt den Titel „It don’t mean a thing, if it ain’t got that swing“. Wie übersetzen Sie das?
Kuhn: Was das bedeutet? Mit anderen Worten: Sie wollen eine Erklärung für Swing haben?

Zum Beispiel.
Kuhn: Tja, die gibt es nicht. Ich habe das oft versucht, ich werde auch oft danach gefragt, was ist der Swing? – Es ist ein bestimmtes musikalisches Gefühl, wie man die Rhythmik auffasst, von Stücken, die damals geschrieben worden sind. Es ist eine Sache des Timings. Man spielt etwas lazy, faul, nicht gehetzt, sauber ‚in time‘, aber eben auch nicht so exakt, dass man sagt: Das ist perfekt. So eine Mischung aus legerem und genauem Spiel.

Wer hat Ihnen denn beigebracht zu swingen?
Kuhn: Swing ist eine Sache, die man entweder hat, oder man hat sie nicht. Ich habe diese Musik immer geliebt, da war ich noch halbwüchsig, da war Swing-Musik in Deutschland noch als „Negergedudel“ verschrien. Mich hat Schlagermusik, mit Schlagzeug, Bass usw. inspiriert, das hat mir Spaß gemacht. Dann habe ich gemerkt, dass es Tanzmusik gibt und Jazz gibt, wo die Leute improvisieren, wo dir was einfallen muss oder sollte – das ist eine Kunstform.

Swingen ist Talent?
Kuhn: Ja, das kann man nicht lernen. Es gibt bestimmt sehr viele Mütter, die sagen „mein Sohn, oh, der spielt so schön, und improvisiert“ – aber das ist nicht dasselbe. Jazz ist eine Kunstform, die besteht seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts, 1890 gab es frühe Ragtime-Sachen, und da fing das an, eine interessante Musik zu werden, die sich immer weiterentwickelt hat.

In der SFB-BigBand, die Sie geleitet haben, gab es sowohl schwarze als auch weiße Musiker. Haben Sie da bezüglich des Swing Unterschiede festgestellt?
Kuhn: Unterschiede gibt es schon, das ist aber nicht unbedingt eine Qualitätssache. Es gibt fabelhafte weiße Swing- und Jazz-Musiker und eben auch fabelhafte Schwarze. Mir gefallen die Schwarzen immer ein bisschen besser, weil man spürt eben doch: Es kommt dorther. Diese Musik kommt von den Schwarzen. Unsere Volksmusik sind Lieder wie „In einem kühlen Grunde“ und ich behaupte, dass der Jazz die Volksmusik der Schwarzen ist. Die haben im Allgemeinen – es gibt natürlich Ausnahmen – ein Gefühl dafür, wie so etwas sein muss. Eben diese bestimmte Lässigkeit und Genauigkeit in einem, was eigentlich ja gar nicht geht, was sich gegenseitig ausschließt.

Welche BigBand swingt denn heute?
Kuhn: Ich weiß gar nicht, was es heute an BigBands gibt, keine Ahnung. Populär ist im Moment keine, nicht das ich wüsste. Die swingendste Band, die es gegeben hat, war die von Count Basie. Das war ein richtiges Swing-Orchester, total schwarz, bis auf den Schlagzeuger, da war ein paar Jahre ein Weißer dabei. Thad Jones hatte auch eine fabelhafte Band, das war die letzte große Band, die mir gefallen hat. Aber das liegt schon viele Jahre zurück. Ich kümmere mich ja nicht so darum, was heute populär ist, Jazz ist ja auch nicht populär in dem Sinne. Wobei es drauf ankommt, was man unter Jazz versteht.

Ist zum Beispiel Diana Krall Jazz?
Kuhn: Ja, schon. Man kann sich natürlich streiten: Muss Jazz immer so sein, dass man es nicht mehr hören kann, überhaupt nicht erklären kann? Jazz ist doch eine fröhliche Angelegenheit, eine schöne Improvisation, die swingt – und swingen tut sie, die Diana Krall.

Sie sind heute kein Jazz-Polizist?
Kuhn: Nein, wieso das denn?

Sie sagten mal: Je älter ich werde, desto penibler werde ich in meiner Musik.
Kuhn: Ja, aber das betrifft mich persönlich, mein Klavierspiel. Man wird älter und älter und bestimmte Dinge laufen immer noch nicht so, wie man sie gerne hätte. So ganz einfach ist es ja doch nicht, mein Instrument zu beherrschen. Wenn man etwas spielen möchte, technisch aber nicht in der Lage ist – da werde ich immer penibler und sparsamer mit der Technik. Das ist manchmal gut, denn wenn man zu viel Technik benutzt wird es auch oft zu voll. Es kommt nicht auf die Menge der Töne an, da muss man im Laufe der Zeit dahinter kommen.

Spielte Sparsamkeit eine entscheidende Rolle für Sie, auch bei den vielen Arrangements, die Sie geschrieben haben?
Kuhn: Ja, das ist sehr wichtig. Die meisten Arrangeure schreiben zu viel. Man kennt all die gängigen Phrasen, die hat man hundert mal gehört, dieselbe harmonische Bewegung von A nach B… – das hat so einen Bart. Es gibt nichts Neues. Es ist natürlich nicht so leicht, etwas Neues zu finden, was von Bedeutung ist, oder von Schönheit.

Zitiert

Swing ist eine Sache des Timings. Man spielt etwas lazy, faul, nicht gehetzt, sauber 'in time', aber eben auch nicht so exakt, dass man sagt: Das ist perfekt.

Paul Kuhn

Sie meinen, es ist schwierig, den Jazz weiterzuentwickeln?
Kuhn: Ich glaube, dass der Jazz in gewisser Weise fertig ist. Er ist entstanden in den Jahren bis zu den 60ern – und alles, was jetzt noch kommt, da ist nichts Neues. Nach Charlie Parker kam nichts Neues. Bei dem haben die Leute noch alle gedacht: „Was ist denn das? Wer spielt denn da? Das ist ja unglaublich, was der macht!“ Nicht weil er technisch so neu war, sondern weil das vom Komponieren her neu war. Er hat Phrasen gespielt wie keiner vor ihm, die waren einmalig, man musste auch eine große Technik haben, um das zu spielen, die hatte er. Und alle Alt-Saxophonisten leben heute noch von Charlie Parker. Was kommt denn danach? Ich behaupte, dass der Jazz fertig ist. Eine Kunst wie die Klassik, wie Bach, Beethoven, Haydn und Mozart, eine abgeschlossene Geschichte, die sich auch nicht ändert. Man hört das und findet es nach wie vor ganz toll, dass es so etwas gibt.

Das heißt, heute geht es vor allem um das Interpretieren von Jazz?
Kuhn: Könnte man fast so sagen.
Sicher gibt es immer welche, die mal hier und da den Kopf rausstrecken, wo man mal eine tolle Aufnahme hört, sich fragt, was spielen die da für eine Rhythmik… Interessant war zum Beispiel „Take 5“. Da dachte man beim ersten Hören auch: „Oh, was ist das?“ Selbst heute noch, wenn wir mit Band oder mit dem Trio „Take 5“ spielen, geht ein „Aaaaah“ durch den Raum. Die einfachen Leute begreifen, dass da irgendwas Neues drin war, dass es eben nicht vier Viertel waren, sondern fünf.

Wie gefällt Ihnen Till Brönner, erfindet der nicht neue Sachen?
Kuhn: Till Brönner spielt hervorragend Trompete, er hat seine großen Vorbilder, von Miles Davis angefangen und alle Stilsorten des modernen Jazz in sich aufgenommen und spielt frei von der Leber weg. Neues spielt er nicht.

Fehlt es sozusagen an Jazz-Erfindern? Oder ist im Jazz einfach alles fertig erzählt?
Kuhn: Gute Frage. Es gibt sicher noch ein paar Geschichten zu erzählen. Aber ich höre keine. Allerdings, jemand wie Jean Toots Thielemanns, das ist ein großer Musiker, der passt in diese Linie mit Charlie Parker. Denn was er spielt hat keiner vorher gespielt.

Welches Jazz-Konzert hat Ihnen in letzter Zeit gefallen?
Kuhn: Da gab es lang nichts. Wir haben Till Brönner in St.Moritz gehört, der war dort mit vier fünf internationalen Leuten, das war gut, Modern Swing, aber schön gespielt.

Das heißt, auch wenn der Jazz fertig ist, haben Sie die Hoffnung, dass es weiter swingt?
Kuhn: Oh ja, natürlich. Die guten Musiker spielen ja immer noch so, nun vielleicht nicht ganz so, also wie Charlie Parker gespielt hat, vor 60 Jahren.
Wenn ich sage, dass der Jazz fertig ist, dann meine ich das nicht negativ, ich meine nur, dass diese Form… Was soll da noch kommen? Wir können dafür kein Mandolinen-Orchester aufmachen, das ist nun mal kein Jazz. Jazz bedeutet auch bestimmte Instrumente, die sich dafür eignen. Jazz ist für mich Rhythm und Wohlklang. Ein Fagott würde ich mir im Jazz-Chorus nicht anhören wollen, weil es einfach nicht passt.

Haben Sie schon mal etwas von Electroswing gehört?
Kuhn: Ja. Das muss furchtbar sein.

Warum das?
Kuhn: Weil das eine Maschine ist, eine maschinelle Geschichte, wo man keinen Einfluss mehr drauf hat. Man stellt bestimmte Dinge ein, dann macht es toktoktok, dazu eine Figur takatak. Dann haben wir eine eckige Musik, ein Viereck, ein „Square“, ein Zickendraht, wie wir damals gesagt haben. Also kurz vorm Marsch.

Manch einer lernt durch Electroswing aber nun zumindest die alten Aufnahmen kennen, zum Beispiel Peggy Lee’s Version von „Why don’t you do right“, die für einen Electroswing-Hit verwendet wurde.
Kuhn: Das ist aber kein Grund das so zu spielen, das ist doch albern. Peggy Lee habe ich nicht kennen gelernt wegen diesem „bischbischbisch“ – sondern weil sie gut gesungen hat.

Die Leute haben heute einen anderen Musikhorizont.
Kuhn: Ja, mag sein. Ein bisschen kleiner.

Schwelgen Sie viel und gerne in Erinnerungen?
Kuhn: Hier und da gibt es schon Momente im Leben, wo man eine gute Zeit hatte, wo man schöne Musik gemacht hat. In Berlin hatte ich eine schöne Zeit, ich hatte 12 Jahre eine sehr gute Band, gute Jazz-Musiker, auch wenn wir nicht viel Jazz machen konnten, weil im Radio musste man sich ja in alle Richtungen bewegen.

Swingt Berlin?
Kuhn: Das kann ich nicht sagen. Was swingt schon?
Ich habe einmal vor vielen Jahren George Shearing in New York getroffen, er spielte mit seinem Quintett ein Konzert und danach kamen wir ins Gespräch. Er sagte: „You know Paul, I thought, that America is a swinging Country – but it’s not.“ Er hat gejammert, denn in dem Laden, wo er auftrat, kamen die Leute zum Essen hin, die meisten haben überhaupt nicht zugehört.
Das habe ich auch immer wieder festgestellt: Es sind immer nur die Jazz-Fans, die mit Vollblut dabei sind, die stehen da und sagen zu ihrem Nachbarn: „Halt mal die Klappe, lass mich mal zuhören.“ Jazz ist halt keine Tanzmusik. Man kann sich rhythmisch danach bewegen, aber es ist keine Tanzmusik, wenn man das genießen will, muss man zuhören.
Wissen Sie eigentlich, warum George Shearing aufgehört hat, Klavier zu spielen? Er sagte „ich kann mich nicht mehr hören.“

Für Sie gibt es ja kein Aufhören mit dem Klavier, oder?
Kuhn: Nein, überhaupt nicht. Ich werde immer weiter spielen, weil es mir Spaß macht. Und vielleicht findet man doch mal etwas Neues.

Halten Sie die Finger täglich fit?
Kuhn; Ja, ich übe halt, nicht stundenlang, aber ich spiele jeden Tag.

Gibt es eine Persönlichkeit, die Sie in all den Jahren besonders beeindruckt hat?
Kuhn: Ja, das gibt es schon (überlegt lange). Quincy Jones. Wir haben uns immer so mit Handschlag begrüßt, das knallte richtig… Der hat sich auch nicht verrückt machen lassen von der sogenannten Jazz-Polizei, er hat so viel kommerzielle Musik gemacht und sich einen Teufel darum geschert, ob das der Jazz-Polizei gefallen hat oder nicht.

Waren Sie mal von sich beeindruckt?
Kuhn: Nein, um Gottes Willen, warum das denn?

Sie haben Musik geschrieben, arrangiert, Bands geleitet, unzählige Platten veröffentlicht…
Kuhn: Aber Das ist mein Beruf. Musiker. Ich schreibe sehr gerne, nur jetzt nicht mehr da ich nicht mehr gut sehen kann. Aber ich habe mich in der Musik immer sehr wohl gefühlt. Alles was gut gemacht ist… Egal was es ist, es muss immer gut sein. Jede Art von Musik muss gut gemacht sein.

Und eine Tour wie jetzt, ist das für Sie auch Arbeit, oder doch eher Spaß?
Kuhn: Es ist Arbeit, aber diese Arbeit macht Spaß. Man hat das Bedürfnis, das richtig swingend gut zu machen. Und das ist mein Leben.

 

Paul Kuhn wurde am 12. März 1928 in Wiesbaden geboren und spielte als Kind Akkordeon. Mit 10 bekam er Klavierunterricht, später studierte er am Wiesbadener Konservatorium und kam 1939 erstmals mit Jazz-Musik in Berührung. Während des Krieges spielte mehr

3 Kommentare zu “Der Jazz ist fertig.”

  1. hp mueller |

    rip paulchen :-( kann jemand dem mann am klavier noch ein bier bringen? wie es aussieht bis zum tod am klavier gesessen. interessantes und außergewoehnlich langes gespraech, danke planet interview!

    Antworten
  2. piscator |

    it doesn’t mean a thing if it ain’t got that swing

    hut ab: mit 85 nimmermüde und noch auf tour. happy birthday, paul!

    Antworten
    1. Hans-Peter Lienhard |

      Lieber Paul

      Ich freue mich immer wie ein Kind, wenn ich höre Du kommst in die Schweiz und bringst Deine Kumpels mit. Dann muss ich immer unbedingt Karten haben. Ich bin Fan von Dir seit den 60igern. Dabei habe ich nie den Eindruck gehabt, dass der Jazz fertig ist. Auch Kleinigkeiten, die dem Durchschnittlichen Höhrer nicht unbedingt auffallen müssen, können neu sein. Auch Du machst in fast jeden Konzert kleine Retuschen die neu sind, weil es eben nicht wie gehabt klingt. Lieber Paul mach weiter so ich freue mich schon auf Dein nächstes Gastspiel!
      Herzlichst Hans-Peter

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