Paul Rachman

Hardcore war die Musik der jugendlichen Angst.

Regisseur Paul Rachman über seinen Dokumentarfilm "American Hardcore", die Anfänge von Hardcore in den USA, den Do-It-Yourself-Gedanken und das Fehlen einer politischen Musikbewegung in den USA

Paul Rachman

© Kinostar

Paul, wie bist du in Kontakt mit Hardcore Punk gekommen?
Rachman: Ich kam zum Hardcore als College-Student an der Universität von Boston. Mein Zimmerkollege Alec Peters, der Manager der Band Gang Green, war der lokale Hardcore-Promoter. Mein erstes Konzert war in der „Gallery East“, eigentlich eine kleine Kunstgalerie. Dort sah ich Gang Green, The FU’s und The Freeze. Die Musik klang für mich wie echte Musik, das mochte ich daran. Zwei Wochen Später habe ich mir eine Super 8 Kamera gekauft und angefangen die Bands zu filmen.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Punk Rock und Hardcore Punk Rock?
Rachman: Hardcore ist ein Ergebnis der 1977er Punk Rock Bewegung. American Hardcore ist diese Art von Punk Rock, aber neuinterpretiert von zornigen, genervten Kids aus den amerikanischen Vorstädten. Es war die „amerikanische“ Art Punk Rock zu machen.

Warum hatte die Präsidentschaft von Ronald Reagan einen so starken Einfluss auf die Entwicklung von Hardcore
Rachman: Die Wahl von Ronald Reagan kennzeichnete das Ende der sozialen Bewegungen der sechziger und siebziger Jahre. Reagan war der Feind von Subkulturen und progressivem Gedankengut. Als Kids wollten wir nicht Teil seiner „Neuen Ideen“ sein. Diese waren ein Rückschritt in die schlechten, spießigen Tage der 50er Jahre.

Die Politik von George W. Bush ist auch sehr umstritten. Gibt es aktuell eine vergleichbare Musikbewegung?
Rachman: Nein. Es gibt zwar gute Bands und gute Musik, aber keine radikalen Gedanken, die damit zusammenhängen. Es gibt in den USA keine politische Musikbewegung.

Warum nicht?
Rachman: Frag’ die Kids von heute, die wissen es auch nicht.

Wie bist du eigentlich mit Steven Blush, dem Drehbuchautor des Films zusammengekommen?
Rachman: Steven Blush und Paul Rachman kennen sich seit den frühen achtziger Jahren. Beide kamen aus unterschiedlichen Städten, aber waren in die Hardcore Szene involviert. Sie zogen nach New York und blieben in Kontakt. Nachdem Steven Blush sein Buch „American Hardcore: A Tribal History” beendet hatte, haben wir den Film zusammen gemacht.

Wie war die Zusammenarbeit zwischen euch beiden?
Rachman: Stevens Buch war das erste, das dieses verlorene Stück der Rockgeschichte in einen historischen Kontext gesetzt hat. Die Grundidee des Films war dann, eine Erweiterung des Buches mit neuen Interviews zu machen, kombiniert mit einem aufregenden Soundtrack, seltenen Archivfotos und Filmmaterial. Es ist eine sehr nahe Darstellung des Lebens der Bandmitglieder. Es ist ihre Geschichte.

Wie bist du an das ganze Material gekommen?
Rachman: Viele Bilder und Videos habe ich in den frühen 80ern selber gemacht. Außerdem habe ich eine Menge Material in Rumpelkammern gefunden. Bis zum Film waren sie verloren und vergessen.

Zitiert

American Hardcore ist Punk Rock, aber neuinterpretiert von zornigen, genervten Kids aus den amerikanischen Vorstädten. Es war die „amerikanische“ Art Punk Rock zu machen

Paul Rachman

Wie hat sich die Musik in den USA verbreitet?
Rachman: Wir verfolgen die Geschichte von ihren Wurzeln in den Vororten Südkaliforniens und ihrer Ausbreitung durch Bands wie Black Flag, Circle Jerks and TSOL. Hauptsächlich hat sich Hardcore auch deshalb so ausgebreitet, weil die Fans so begeistert an der Sache dran waren und sich verpflichtet fühlten die Flamme nicht verlöschen zu lassen. Im Film versuchen wir diese Ausbreitung durch Karten nachzuzeichnen.

Ein Hauptthema von Hardcore ist Gewalt. Sowohl in der Musik, als auch in den Texten. Gegen wen richtet sich diese Gewalt?
Rachman: Gute Frage. Hardcore war die Musik der jugendlichen Angst. Zorn und Testosteron kamen hinzu. Die Intensität der Musik hat das Ganze aufgefüllt. Zorn und Wut waren breit gestreut und richteten sich gegen Autoritätssymbole, wie Polizei, Eltern, Bosse und so weiter.

Es gab aber doch auch Gewalt und Prügeleien auf den Konzerten und zwischen unterschiedlichen Hardcore-Szenen?
Rachman: Die Gewalt innerhalb der Szene halte ich für übertrieben. Es war eher eine Rivalität, ähnlich wie beim Sport: Pride with violence.

Welchen Einfluss hatte Hardcore auf folgende Musikergenerationen?
Rachman: Das Vermächtnis von Hardcore ist Stagediving, Slamdancing und aggressive Bandleader. Am wichtigsten ist aber der Do-It-Yourself-Gedanke: Unabhängige Plattenlabels und Netzwerke. Heute sind Rockbands nicht wie Van Halen und Led Zeppelin, sondern wie Bad Brains und Black Flag.

Hardcore Punk wurde weitgehend von der Musikindustrie und den Medien ignoriert. Wie konnte sich die Musik denn überhaupt verbreiten?
Rachman: Trotz Ignorierung durch den Mainstream, war Hardcore eben die Musik einiger Leute. Die Verbreitung gelang durch die genannten Do-It-Yourself Methoden. Dazu gehörten Fanzines, Mund-zu-Mund Propaganda und Flyer. Noch mal: Der begeisterte Fan war der Schlüssel zum Erfolg. F. Ab Mitte der 80er Jahre löste sich das Ganze mehr und mehr auf. Wie kam es dazu?
Rachman: Die Leute waren irgendwann einfach ausgebrannt. Es war sehr hart, 24 Stunden lang Hardcore zu sein. Zumindest sagen das die Musiker im Film.

Was ist denn heute noch übrig?
Rachman: Die Musik überdauert. Es gibt immer noch gute Hardcore-Platten und es wird sie auch immer geben. Aber die Verhältnisse und die Fan-Basis ist heute anders. Es ist keine Bewegung mehr.

Wie würdest du einem 15-jährigen Jugendlichen jetzt erklären was damals abgegangen ist?
Rachman: Hardcore war für Kids, von Kids und über Kids. Es war eine Do-It-Yourself Atmosphäre und Einstellung aus den Vororten der USA. Es war eine amerikanische Rock’n’Roll-Marke. Hardcore war die erste Rockmusik, die nicht von der Black Music geklaut hat. Es ging nicht um Schwarz gegen Weiß, und Hardcore hat auch nicht etwas aus einer anderen Kultur weggerissen, wie eigentlich jeder von Eric Clapton bis Eminem.

Einer der meistgenannten Sätze der Punk-Musik ist: „Punk’s not dead.“ Im Film sagt ein Bandmitglied: „Punk is dead.“ Inwiefern teilst du diese Auffassung?
Rachman: Punk Musik ist nicht tot, sie lebt weiter. Aber Punk Rock als revolutionäre politische und soziale Bewegung ist tot. Die Gründe heute ein Punkrocker zu sein unterscheiden sich von den Gründen 1977 oder 1980 ein Punkrocker zu sein. Es gibt ja auch heute noch Blues, Jazz und klassische Musik, ohne das dieses Musikrichtungen heute noch eine Bewegung wären. Die Hauptfigur in Nick Hornbys “High Fidelity” stellt permanent Musiklisten für alle möglichen Stimmungen zusammen.

Was sind deine Top5-Hardcore Songs?
Rachman:
Bad Brains: Pay to cum;
Black Flag: Nervous Breakedown;
Minor Threat: Filler;
MDC: I remember;
SS Decontrol: Boiling point.

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