Berlin, Anfang August 2010. Als ich das Büro von Peter Hahne im Hauptstadtstudio des ZDF betrete, hat der bekannte Moderator noch den Telefonhörer in der Hand. „Ich kann das Wort „Urlaub“ nicht mehr hören“ sagt er und legt auf. Gerade hat ihm ein angefragter Talkgast für seine Sendung „Peter Hahne“ abgesagt – es ist Ferienzeit. Doch Hahne wirkt keinesfalls verärgert, begrüßt einen freundlich mit festem Händedruck und nimmt sich dann viel Zeit, um einmal ausführlich über seine Arbeit und seine Ansichten zum Verhältnis Medien-Politik zu sprechen.
Herr Hahne, Sie sagten vorhin, Sie könnten das Wort „Urlaub“ nicht mehr hören – weil sich viele potentielle Gesprächspartner für Ihre Sendung in eben diesem befinden. Wie sieht es denn bei Ihnen aus in Sachen Erholung?
Hahne: Ich habe mich gestern mal einen ganzen Tag ausgeklinkt und hab eine schöne 75km-Tour mit dem Rad durch den Spreewald gemacht. Das ist richtig Natur pur, man kann unterwegs irgendwo essen, alles schön zünftig, es landen echte Störche, schnappen nach echten Fröschen, abends sitzt man im Biergarten…
…und niemand spricht Sie an, „Sie sind doch der vom ZDF…“ ?
Hahne: Doch, das geschieht schon, jetzt in der Urlaubszeit ist der Tourismus dort schon hellhörig.
Und dann?
Hahne: Manchmal bekommt man dann zu Ohren, was man denn eigentlich für einen schrecklichen Beruf habe. Warum ich das alles mitmache, „können Sie da nicht mal einschreiten?“ Viele Leute unterscheiden ja schon nicht mehr: Was ist bloße Nachricht und was hat man selbst überhaupt gemacht? Die glauben, ich selbst hätte die Renten nicht erhöht, anstatt dass ich nur darüber berichte.
Kein Wort des Lobes?
Hahne: Doch, das auch, aber damit muss ich ja jetzt nicht kokettieren.
Allgemein ist es schon so, dass sie manchmal erschrecken, welches Bild von unserem Berufsstand unter den Leuten herrscht. Da wird auch nicht mehr unterschieden zwischen seriös und Boulevard… Egal ob im Zug, im Flugzeug oder im Biergarten, es kommt eigentlich nie vor, dass jemand sagt: „Was für ein toller Beruf!“ oder „Journalisten sind die allerbesten.“
Dann sprechen wir mal über Ihren Beruf. Ihr Arbeitsplatz ist Berlin-Mitte, fünf Gehminuten vom Reichstag entfernt. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Politikern beschreiben?
Hahne: Ich bin schon ganz dicht dran bin, sonst bekäme man keine Informationen, keine Hintergrundinformationen – aber auch nie ganz nah. Ich würde mich zum Beispiel nie mit einem Politiker duzen, es muss immer auch der Abstand bleiben, dass man sich kritisch begegnen kann. Es darf nie zu einer Kumpanei werden.
Ein ‚Du’ ist gefährlich?
Hahne: Ich duze mich mit keinem. Aber ich bin sowieso ein bisschen vorsichtig mit der Duzerei. Weil ich denke, Hierarchie muss sein am Arbeitsplatz, es muss genug Distanz bleiben zum Gegenstand der Berichterstattung – und das ist für mich nun mal die Politik.
Aber treffen Sie sich mit Politikern nur am Arbeitsplatz oder auch mal außerhalb der Studioumgebung?
Hahne: Man verabredet sich mal zum Frühstück oder zum Mittagessen, um an Informationen ranzukommen. Andererseits kommen Sie in Berlin zum Teil auch gar nicht drumherum, überall, ob in der Waldbühne oder bei Classic Open Air, Sie haben ja überall Politiker.
Und die Mittagessen laufen unter ‚Arbeitsgespräch’?
Hahne: Es ist Usus, dass man sich ab und zu mit Politikern verabredet, um einfach mal off the record, vertraulich zu sprechen über Strategien, politische Inhalte, dass man auch auf dem neuesten Stand ist. Was aber nicht bedeutet, dass man sich mit dem Politiker, mit dem man da gerade sitzt, so verbündet, dass man anschließend nur noch positiv über ihn berichtet.
Würden Sie Ihr Verhältnis zu Politikern als respektvoll bezeichnen?
Hahne: Als interessiert und distanziert. Ich glaube, das sind die beiden Pole. Man muss genug Distanz haben, um auch kritisch sein zu können, aber man muss Interesse haben, sowohl für das Fachgebiet als auch für die Person.
Wie beurteilen Sie allgemein das Verhältnis der Medien zur Politik in der Hauptstadt im Moment?
Hahne: Ich sehe schon einen gravierenden Unterschied zwischen der Bonner und der Berliner Republik. Berlin ist schneller, schriller, exotischer, das Tempo ist wesentlich größer. Das liegt daran, dass alle maßgeblichen Medien hier vor Ort sind, in- und ausländisch. Die Jagd nach der schnellsten Information, nach der schnellsten Schlagzeile nach der größten Exklusivmeldung… Dieser Konkurrenzdruck unter den Medien hat das Tempo in der Politik deutlich erhöht.
Es gibt immer mehr Informationssendungen und Talkshows in denen sich immer mehr Politiker äußern, auch dadurch ist das ganze wesentlich schneller und lauter geworden. Ich habe kürzlich mit Klaus Bölling darüber gesprochen, früherer Regierungssprecher, Intendant von Radio Bremen, der sieht das ganz genauso. Das ist eine verheerende Situation.
Wie erleben Sie als Journalist dieses Tempo?
Hahne: Ich wünschte mir schon manchmal, dass ich mehr Zeit zum recherchieren habe und nicht den Druck habe nach dem Motto „ich will auch vorne dran sein, mit meiner Meldung“. Denn durch die Beschleunigung droht vieles an Recherche und an ruhigem Nachfragen und Nachdenken, etwas lieber nochmal gegenchecken, als dass man es sofort rausbläst – das droht wirklich zu unterbleiben.
Wie könnte man dem entgegenwirken?
Hahne: Vielleicht braucht es da diese Schock-Geschichten, einen Präzedenzfall, wo man zu schnell gewesen ist, wo man dann feststellt, dass man falsch gelegen hat und sich sagt: Das darf uns nicht nochmal passieren. Das könnte im Fall der Vorverurteilung des Duisburger Oberbürgermeisters passieren, wenn sich herausstellt, dass die Stadt alles richtig gemacht hat und die Polizei ihre Wagen vor die Notausgänge gestellt hat. Das sind Dinge, da ist man immer relativ schnell bei der Hand und es entwickelt sich gleich eine ganze Lawine…
Ich würde ja genauso auch der Politik ein Stück Entschleunigung wünschen. Das würde nämlich zu mehr Gelassenheit und weniger Gereiztheit führen, was wir heute deutlich merken am Umgangston der Politiker untereinander.
Wolfgang Clement beispielsweise sagte uns kürzlich, dass die Politik in den 80er Jahren „noch sehr viel ruhiger, langfristiger arbeitete und dachte.“ Teilen Sie diese Auffassung?
Hahne: Ja, es ist eindeutig so. Wenn gleich irgendein Referentenentwurf in einem Ministerium hochstilisiert wird als endgültiger Regierungsbeschluss… Dann geht es ja los, erst reagiert die Opposition, dann reagieren irgendwelche Verbände, die Nachrichten überschlagen sich – und zum Schluss haben die Zuschauer den Eindruck, das sei alles schon Realität, dabei war es nur ein x-beliebiger Entwurf.
Also, heute wird zu schnell eine Nachricht produziert, die schrill und vielleicht skandalös wirkt und die dann so einen Rattenschwanz von Emotionen nach sich zieht. Da kann ich nur sagen, da wünschte ich mir eine Entschleunigung. Das würde für den Journalismus bedeuten, dass ich besser und sauberer recherchieren kann und für die Politik, dass manches Gesetz ohne die Hektik wahrscheinlich substanzieller wäre – und der Bundespräsident seine Unterschrift nicht verweigern müsste, weil es vor der Verfassung keinen Bestand hat.
Gibt es Hauptstadtjournalisten, denen Sie Machtgelüste unterstellen würden?
Hahne: Das ist ein beliebter Vorwurf. Aber ich finde, da wird auch viel reingeheimnist. Natürlich gibt es Fälle, die knallharte Korruption sind, Vorteilsname, wo man sich zu Reisen mitnehmen lässt und es werden Gefälligkeitsberichte erwartet. Dass da manche schwach werden, das gibt’s, so wie es in jedem Beruf schwarze Schafe gibt. Das ist aber die absolute Ausnahme.
Ich erlebe die meisten Kollegen – selbst diejenigen, die sie sich mit vielen Politikern duzen, ein Parteibuch haben oder ihre politische Überzeugung im Privaten sehr offen deutlich machen – die erlebe ich in ihrer Berichterstattung überraschend distanziert. Da wird oft ein Vorurteil hochgeschürt.
Aber dann schaut man sich das Titelbild des „Spiegel“ an auf dem erst Joachim Gauck der bessere Bundespräsident ist und dann werden Merkel und Westerwelle gezeigt, mit der Aufforderung „Aufhören!“
Hahne: Bei dem was sich die Regierung im Augenblick leistet, ist der Spiegel halt zu dem Schluss gekommen: Wir fassen das in einem Wort zusammen, Aufhören!
Auch da glaube ich, dass die Macht der Medien viel geringer ist als sie meist eingeschätzt wird. Wenn sie diese Macht hätte, wäre ein Franz-Josef Strauss nie so lange in führenden Ämtern gewesen, Helmut Kohl hätte nie 16 Jahre überlebt, ein Helmut Schmidt auch nicht. Die Große Koalition ist x-mal totgeschrieben worden, oder Rot-Grün damals im ersten Jahr, Schröder und Fischer waren der „rot-grüne Hühnerhaufen“ und es hieß, die halten nur noch ein paar Monate durch.
Doch beim Rücktritt Horst Köhlers spielten die Medien vermutlich schon eine Rolle. Oder nehmen wir den Fall der Beerdigung von in Afghanistan getöteten Soldaten, die Angela Merkel erst besuchte, nachdem die Bild-Zeitung sie für ihr nicht geplantes Erscheinen kritisierte…
Hahne: Bei Horst Köhler wissen wir ja immer noch nicht, was die wahren Gründe sind. Vielleicht war es eben wirklich die Zuspitzung „Horst Lübke“, also der Vergleich mit einem dementen Bundespräsidenten. Das hätte mich auch geschmerzt, wenn ich Bundespräsident wäre.
Dann gibt es in den Zeitungen wiederum vieles, was als Meinungsmache verurteilt wird, aber oft die Meinung der schweigenden Mehrheit wiedergibt. Dass die Regierung im Augenblick nicht gut dasteht, dafür brauche ich nicht den Spiegel mit „Aufhören“, das sagen mir selbst treue Schwarz-Gelb-Wähler. Und dass eine Kanzlerin an das Grab in Afghanistan gefallener Soldaten gehört, das sagt mir mein Gefühl und das meiner Nachbarn – da brauche ich nicht erst in die Zeitung zu gucken.
Der Autor Tom Schimmeck hat im Juni in seinem fiktiven Text „Ein Akt nationaler Notwehr“ beschrieben, wie „Pressegeneräle nach der Machtergreifung der Leitmedien ihr Programm erläutern“, u.a. mit den Worten: „Wir hatten Rot-Grün, Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb heruntergeschrieben. Jetzt mussten wir selbst ran.“ – Sehen Sie in so einer Satire nicht einen wahren Kern?
Hahne: Ja, da ist ein wahrer Kern, so wird ja manchmal auch kommentiert, nach dem Motto: Am liebsten würden wir es selbst machen.
Aber, um selbst zu übernehmen bräuchten Sie ja eine Kampagnenfähigkeit, im Sinne von: die Journalisten stehen zusammen. Das gibt es Gott sei Dank in unserer Medienvielfalt nicht. Nehmen Sie den Fall Kachelmann: Der ist wahnsinnig in die Öffentlichkeit gezerrt worden, eine Kampagne, eine Vorverurteilung hat es aber nicht gegeben.
Kachelmann ist ein Wettermoderator, Joachim Gauck hingegen war Kandidat für das Bundespräsidentenamt – und für ihn gab es sehr gut sichtbar eine Kampagne, redaktionsübergreifend.
Hahne: Ja, das stimmt. Aber Gauck stand für mich in dem Moment eher stellvertretend für das Bejubeln der Volksentscheide.
Journalistische Nachhaltigkeit findet höchstens noch an irgendwelchen Jahrestagen statt.
Wie meinen Sie das?
Hahne: Die Volksentscheide werden in den Kommentaren ja plötzlich hochgeschrieben. Anstatt dass man die Frage stellt: Was ist das eigentlich für eine Politik, die so versagt, dass der Bürger glaubt, er müsste es selbst in die Hand nehmen?
Dadurch, dass Politiker ihre Funktion nicht mehr ausüben, schreien die Leute nach Bürgerentscheiden und nach Querdenkern. Da ist das Ansehen der Politiker offenbar so verlottert, dass man es keinem mehr zutraut, aus einer Parteikarriere heraus Bundespräsident zu werden. Dabei hat es das immer gegeben, bei niemandem so extrem wie bei Weizsäcker und Rau. Und darüber hat sich damals niemand aufgeregt.
Ich glaube, dass das im Fall Gauck so kumulierte, ist weniger die Kampagnenfähigkeit der Medien, als der desolate Zustand der Politik – und der wird von den Medien aufgegriffen. In dem Augenblick wo Sie jemand wie Gauck thematisieren, wo Sie Bürgerentscheide thematisieren, haben Sie die Aufmerksamkeit.
Es gab 2009 eine Umfrage unter Hauptstadtjournalisten, die dabei ihren Einfluss auf den politischen Betrieb auf einer Skala von 0 bis 10 im Durchschnitt mit 7,04 bewerteten. Was bedeuten würde, dass sie spürbar in das politische Geschehen eingreifen.
Hahne: Ich glaube, die Realität ist eine andere. Zu der gehört auch, dass man einsehen muss – da sind wir wieder beim Thema Schnelllebigkeit – dass immer eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Immer ein neues Thema, das möglichst schrill ist, und das alte wird schnell wieder verdrängt. Heute haben Sie in der Berichterstattung über Christian Wulff Fotos, auf denen sich die Soldaten die Schuhe vor dem Schloss Bellevue putzen – und von Herrn Gauck wird nur noch zur Kenntnis genommen, dass er Werbung für die FAZ macht. Das heißt, Sie haben ein Thema, einen Mann, der interessant ist, der auch die Leute bewegt, das ist eine Sache von vier fünf Wochen…
Und Sie meinen, das geschieht allein für die Quote?
Hahne: Ja, es findet eine Wahl statt, und danach ist die Sache erledigt. Wenn Sie heute fragen: Laden wir den Gauck nochmal ein? Heißt es: „Och nee, muss das denn sein?“ Ich denke, dass durch die Beschleunigung nicht nur schlechter recherchiert wird, sondern die Themensetzung auch immer schneller wird. Und das, was man als eine journalistische Nachhaltigkeit bezeichnen würde, das findet höchstens noch an irgendwelchen Jahrestagen statt.
Dass Wulff von einigen Medien nicht gewollt war, konnte man auch in einem „Zeit“-Interview mit Wulff nachlesen, wo es hieß: „Wir glauben, dass Sie jedes Spitzenamt ausfüllen könnten, außer vielleicht das des Bundespräsidenten.“ Würden Sie es sich auch erlauben, einem Politiker die Fähigkeit für ein Amt abzusprechen?
Hahne: Gut, das finde ich vielleicht einen Dreh zu weit. Aber ich habe andererseits zu Gauck gesagt: „Wenn ich Bürgerrechtler wäre und die Linken würden mich wählen, könnte ich nicht mehr in den Spiegel gucken.“ Ich denke, da ist manche Zuspitzung erlaubt. Wobei ich es in einem Interview nur so weit provozierend machen würde, dass der Interviewte sich noch wehren kann. Dass er es nicht als Beleidigung empfindet sondern immer noch als eine Frage, wo seine Antwort dann etwas Erhellendes oder Korrigierendes bringen soll.
Man sieht Sie in Interviews oft mit kritischen Fragen, zum Teil in aufgeheizter Atmosphäre, wenn man an Ihre Gespräche mit Wulff und Gauck vor der Wahl denkt. Wenn nach einem Gespräch die Kamera aus ist, wie geht es dann weiter?
Hahne: Bei Gerhard Schröder, mit dem ich viele Interviews gemacht habe, war es so: Während man verkabelt wurde und die Maske kam, man sich vor die Kameras setzte, haben wir geflaxt, aus der Heimat erzählt, Geschichten von der Familie, oder ein paar Anekdoten, wir haben uns kaputtgelacht. Und in der Sekunde, wo der Aufnahmeleiter sagt: „Es geht los“, hat ein Schröder den Mittelknopf des Anzuges geschlossen, ich auch, wir haben uns aufgerichtet, und dann haben wir unser Interview gemacht.
Und hinterher?
Hahne: Also, es wäre ja unmenschlich, wenn man nach einem kritischen Interview wie nach einem Fußballspiel geschlagen vom Platz geht. Nein, auch da redet man dann wieder ganz normal. Ein Politiker ist ja auch viel zu clever, als dass er einem dann zu große Kritik vorwirft. Weil er ja weiß, dass er bei großer Kritik, die noch größere Chance hat, zu parieren.
Sie führen seit vielen Jahren auch Sommerinterviews für das ZDF, bei denen die Spitzenpolitiker in heimischer oder Urlaubsumgebung interviewt werden.
Hahne: Das ist ja die Chance von diesem Sommerinterview, dass es nicht nur dieses faktische ist, sondern auch ein bisschen persönlich wird. Wobei es auch da für mich eine klare Grenze gibt, das ist das Private.
Als ich 2004 mit Westerwelle sprach, der wenige Tage vor dem Sommerinterview sein Outing hatte und seinen Lebensgefährten bei Merkels Geburtstag präsentiert hatte, habe ich ihn vor dem Interview gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn wir darüber sprechen. Er war einverstanden und hat sieben Minuten dazu mehrere Fragen beantwortet. Hätte er aber vorher gesagt: „Nein, dazu sage ich nichts, das ist privat“, dann hätte ich das akzeptiert.
Als es dann aufgenommen war, bin ich auch so fair gewesen, weil es ja doch eine sehr heikle Geschichte war, zu sagen: „Sie können sich das gerne noch mal ansehen, wollen wir das jetzt so lassen?“ – Aber es war totales Plazet.
Ist das Usus bei den Sommerinterviews?
Hahne: Nein, das gibt es sonst nie, wir senden immer 1:1. Aber da es in dem Fall ein sehr sensibles privates Thema war, haben wir diese eine Ausnahme gemacht.
Würden Sie Westerwelle beim diesjährigen Sommerinterview nochmal dazu befragen?
Hahne: Nein, die Sache ist absolut erledigt. Ich erkundige mich höchstens vorher, für den Fall, dass ich auf seinen Freund zu sprechen kommen sollte, wie man den anredet. Lebensgefährte? Partner? Freund?
Erleben Sie Momente mit hochbrisanten Äußerungen mit einem besonderen Adrenalinkick?
Hahne: Ja, das ist manchmal so. Bei der etwas gemütlicheren Atmosphäre der Sommerinterviews geschieht es manchmal… Zum Beispiel sagte mir Joschka Fischer beim Gespräch in der Toskana plötzlich: „Es gibt auch eine Leben nach der Politik.“ Da machte es bei mir klick, nach dem Motto: Der spielt schon längst damit, die Sache hinzuwerfen. Dann war Rot-Grün auch in wenigen Wochen zu Ende und Fischer aus der Politik verschwunden. Das war mir damals schon klar bei diesem einen Satz.
Mal allgemein ein Frage zum TV: Wissen Sie, wie viele Minuten die Deutschen im Durchschnitt pro Tag fernsehen?
Hahne: Ich weiß, dass es unwahrscheinlich viel ist, aber genau könnte ich das jetzt nicht sagen. Vier Stunden?
2009 waren es im Schnitt 212 Minuten. Ist das zu viel?
Hahne: Es verteilt sich ja dramatisch, die einen sehen ganz wenig, die anderen rund um die Uhr. Und das Sehverhalten ist ein ganz anderes geworden, dadurch, dass du überall Fernseher hast. Früher saß man mit gefalteten Händen auf dem Sofa und guckte konzentriert auf den Fernseher, heute ist es mehr ein Nebenbei-, teilweise auch ein Berieselungsinstrument.
Sie sind 1985 vom Radio zum Fernsehen gewechselt. Haben Sie damals das Medium Fernsehen für sich als Ort des Berufs noch infrage gestellt?
Hahne: Nein, überhaupt nicht. Ich war ja aber auch im Nachrichtengeschäft drin, da war Fernsehen für mich die interessantere Variante, dadurch dass das Filmische dabei ist. Dadurch bekam es natürlich auch eine andere Dimension der Verantwortung. Sich zu überlegen – das haben Sie jetzt auch wieder bei den Bildern aus Duisburg gesehen – was zeigt man und was zeigt man nicht. Auch da muss ich sagen, sind inzwischen viele Schranken gefallen, die es früher noch gegeben hat. Man zeigte keine Leichen, keine Gesichter, man hat Privatsphäre oder Trauerzeit respektiert. Das gibt es ja heute so nicht mehr.
Sie haben 1984 in Ihrem Buch „Die Macht der Manipulation“ vor dem Fernsehen gewarnt.
Hahne: Ich habe gewarnt vor überzogenem Fernsehkonsum, das mache ich auch nach wie vor. Ich würde niemandem raten vier Stunden am Stück Talkshows oder Nachrichten zu gucken. Das Fernsehen ist ein Informations- und Unterhaltungsmedium, aber eines von vielen. Für mich ist das Hauptinformationsmedium immer noch das persönliche Gespräch und das menschliche Miteinander. Und wenn das auf der Strecke bleibt – das habe ich ja beschrieben – wenn der Bildschirm zum moderner Hausaltar wird, um den sich die Familie versammelt und außer dem gibt es nichts Gemeinsames mehr….
In Ihrem Buch ist von „einer unter Tele-Herrschaft stehenden Generation“ die Rede.
Hahne: Aber nicht im Sinne von Meinungsdiktatur, sondern alleine von der Bestimmung der Tagesordnung her. Das zeigt sich doch heute schlagend, dass Leute erstaunen, wenn sie irgendwann noch mal zusammen am Tisch sitzen. Sie können es einfach nicht mehr. Weil sie sich faktisch vereinzelt haben. Wenn Sie vier Fernseher im Haus haben, ja dann sucht sich jeder eben sein Programm.
Und die Gefahr der Meinungsmanipulation?
Hahne: Ja, das muss man auch sehen, wenn man an bestimmte Kampagnen oder Themen denkt, wenn irgendetwas stimmungsmäßig ins Rollen gebracht wird – dass eine Verführbarkeit der Menschen zumindest möglich ist. Die Werbung nutzt diese Verführbarkeit ja auch. Da ist aber glaube ich die Grundfrage, ob der Konsument widerstandsfähig genug ist, sozusagen alles wahrzunehmen, ohne es für wahr zu nehmen. Deswegen habe ich auch in meinem Buch gesagt: Das Entscheidende ist Medienpädagogik, das muss schon bei Kleinkindern zuhause und im Kindergarten anfangen. Wie gehe ich sowohl mit dem Fernsehen als auch mit dem Internet und dem Handy um?
Wobei sich da altersmäßig auch etwas verändert hat. Früher war es nur bei Kindern so, dass sie Fiktion und Faktisches nicht unterscheiden konnten, inzwischen bin ich der Überzeugung, dass auch manche erwachsenen Zuschauer nicht mehr begreifen: Was ist jetzt echt und was ist Fiktion? Nehmen wir den Erfolg von Hape Kerkeling als Horst Schlämmer. Da denkst du, es ist Realsatire, aber es gibt genügend Leute, die sagen würden: „Och, das kann doch echt sein.“ Das geht dann soweit, dass am Ende Günther Jauch Bundespräsident werden soll. Da gibt es schon eigenartige Phänomene.
In Ihrem Buch haben Sie der Manipulation durch die Medien die Kraft der Religion entgegengesetzt. Welchen Platz nimmt Religion für Sie heute ein?
Hahne: Für mich ganz persönlich ist es eine Kraftquelle, eine Richtschnur, Maßstäbe, eine Grundlage für das eigene Leben, Denken und Handeln. Nicht so schnell zu resignieren, fröhlich zu bleiben – ich bin ein optimistischer Mensch, das kommt sicherlich aus dem Glauben heraus.
Oder auch mein Menschenbild, den Menschen als ein Ebenbild Gottes zu sehen, als ein unantastbares Individuum mit der im Grundgesetz festgelegten Würde, die Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichwertigkeit von Mann und Frau – wenn ich diese Dinge verinnerlicht habe gibt das auch eine Grundorientierung für meine Verantwortung als Journalist. Dass ich den Konsumenten ernst nehme, dass ich mir die Frage stelle: Was setze ich mit einer Nachricht, nach der sich die Menschen richten, in Bewegung? Mit bestimmten Bildern, Formulierungen, Vorverurteilungen…
Ich will niemandem anderem absprechen, dass er das nicht auch kann ohne die Religion. Aber ich selbst bin als Mensch dafür viel zu schwach.
Hat es mit Gründen der Religion zu tun, dass Ihr Interview mit der Jugendrichterin Kirsten Heisig, die sich zwei Tage später das Leben nahm, nicht ausgestrahlt wird?
Hahne: Nein. Überhaupt nicht. Es gab in dem Moment, als sie als vermisst gemeldet wurde, eine klare Absprache, auch mit unserer Rechtsabteilung, die lautete: Sollte es ein gewaltsamer Tod sein, mit Fremdeinwirkung, werden wir es ausstrahlen, weil es der Frau auch ein Denkmal setzt. In der Sekunde, wo sich herausstellt, dass es Selbstmord ist, zeigen wir es nicht.
Das hat bei mir vielleicht auch etwas mit meinem persönlichen Glauben zu tun – ich hatte aber letzten Endes mit der Entscheidung nichts zu tun. Wir haben den Entschluss immer wieder diskutiert, auch als ihr Buch herauskam und das Interesse immer größer wurde, immer mehr Zeitungen berichteten, weshalb dann auch eine Antwort von ihr – auf meine Frage, ob sie Angst hat – veröffentlicht wurde. Da haben wir gesagt: Den O-Ton geben wir raus, weil er auch ein Beleg dafür ist, wie selbstbewusst und klar und engagiert die Frau war.
Es gibt im Internet einige Spekulationen über das Interview.
Hahne: Also, was ich an Emails bekam: „Sicher hat die Polizei Ihnen das verboten, die Justiz hat Sie unter Druck gesetzt, und die Politik …“ – Verschwörungstheorien hoch 27.
Ich denke, wenn wir es gezeigt hätten, hätte kein Mensch sich die Thesen von dieser Frau angehört, sondern alle hätten nur geguckt: Hatte sie schon einen Schatten? Und der Hobbypsychologe hätte gesagt: „Sieht das denn der Hahne nicht, dass die sich in drei Tagen aufhängt?“ Ich bin ja jetzt Selbstmordexperte! Wer mir alles geschrieben hat! Da wurde hereininterpretiert, sie wäre zu mir gekommen, mit dem Gedanken, dass das ihr letztes Interview ist.
Es war aber ein völlig normales Gespräch über das Thema Jugendkriminalität, dass sie schon x-mal geführt hatte, auch auf anderen Sendern. Und da mache ich nicht mit, nach dem Motto: Peter Hahne sprach zuletzt mit der Toten.
Was denken Sie, hätte ein Privatsender mit so einem Interview gemacht?
Hahne: Da kann ich nur mutmaßen… Sicher, ich hätte damit eine Megaquote gemacht. Ich hätte große Aufmerksamkeit erregt, wahrscheinlich noch 1000 Interviews geben können, wie ich das persönlich empfunden habe.
Aber dann hätte man nur neue Spekulationen entfacht, die Leute hätten es sich in Standbildern nochmal angeguckt. Wie sind ihre Augen, wie wirkt sie? Ist das schon ihr Testament? Ist das ihr letztes Wort?
Wenn ich mir vorstelle, dass mit diesen Hintergedanken meine Sendung gesehen worden wäre, dann bin ich froh, dass das ZDF gesagt hat: Das ganze kommt mit Sperrvermerk ins Archiv und dort kommt es nicht mehr raus.
Wenn man sich anschaut, welche Medien die Totenruhe am wenigsten akzeptieren, kommt man schnell auf die „Bild“-Zeitung, die oft Fotos von Unglücksopfern und Leichen zeigt, Portraits aus Online-Profilen von Verstorbenen abdruckt… Könnten ethische Gründen Sie davon abhalten, für dieses Medium tätig zu sein?
Hahne: Wenn ich mir meine Kolumne in der „Bild am Sonntag“ ansehe, da lasse ich mir ja nicht vorschreiben, was ich schreiben soll. Solange ich schreiben kann, was ich schreiben will, werde ich das machen. Mein Kommentar zu Kachelmann beispielsweise, der war ja durchaus nicht unkritisch dem eigenen Blatt gegenüber.
Was sagen Sie zu den Rügen, die der Presserat regelmäßig gegen „Bild“ ausspricht?
Hahne: Die bekommen viele andere Medien auch.
Mir gefällt auch nicht alles am ZDF-Programm, das muss es auch nicht. Es muss nur im Rahmen der Gesetze sein, und des guten Geschmacks. Und als politischer Journalist kann ich sagen: die Bild-Zeitung ist in der Lage, auf ihrer Seite 2 hochwertige Politik zu machen, Nachrichten in knappster Form zu formulieren, Dinge zuzuspitzen, auf den Punkt zu bringen.
Ich bin da wirklich auch gegen diese alten Klischees, dafür habe ich schon zu viel erlebt im Journalismus. Wir sehen das doch jetzt bei Kachelmann, da können Sie in Medien, die sonst sagen, „wir tragen hier die Monstranz der journalistischen Ethik“, nachlesen, wie lang der Rohrstock war, in exakten Zentimetern.
Macht es das weniger schlimm, wenn alle das machen?
Hahne: Nein, das führt nur dazu, noch wachsamer zu werden, zu gucken, dass man es selber nicht mitmacht. Sicher gibt es irgendwo eine Grenze. Wenn in einer Zeitung zu 99 Prozent nur noch Sachen stehen, die man alle nicht verantworten kann, dann kann man es auch nicht mehr verantworten, selbst darin vorzukommen, auch wenn man sagt, man macht es anders. Aber da muss ich sagen: Schauen Sie sich an, was für hervorragende Journalisten auch aus dem Boulevard hervorgegangen sind.
Und der Witz ist ja, dass die größten Kritiker der Bild-Zeitung trotzdem die Themen, die die Bild-Zeitung hochzieht, 1-2 Tage später als ihre eigenen entdecken. Ich finde es oft sehr verlogen, wenn sich seriöse Zeitungen über den Boulevard-Journalismus aufregen, um dann über das Vehikel der Aufregung den gleichen Inhalt zu transportieren.
Da fände ich die Frage interessant, ob sich der Boulevard vielleicht gebessert hat – oder ob er den seriösen Journalismus verwässert hat. Denn die scharfe Grenze zwischen beiden können Sie heute ja kaum noch ziehen.
Die Frage klären wir dann beim nächsten Mal. Ich habe noch eine abschließende Frage: Als mir eine ZDF-Mitarbeiterin Informationen zu Ihrer neuen Sendung mailte, hatte sich ein Tippfehler eingeschlichen, in der Betreffzeile stand nicht „Peter Hahne“ sondern „Pater Hahne“. Sind Sie manchmal die gute Seele in der Redaktion?
Hahne: Also, man bringt natürlich immer seine Biografie am Arbeitsplatz mit ein, auch seine Wesenshaltung. Und da verbreite ich wahrscheinlich mehr Optimismus und Positives als dass ich mit herunterhängenden Mundwinkeln herumlaufe. Mein Standardsatz ist immer: Wir bleiben fröhlich. Zum Beispiel heute: Wir suchen gerade krampfhaft einen zweiten Gesprächspartner für die nächste Sendung, alle sind im Urlaub – aber da sage ich: Kinder, wir werden daran nicht gleich verzweifeln. Die Grundhaltung muss doch optimistisch sein, wir kriegen das hin! Und wenn Sie irgendwas nicht in Griff kriegen, stellen Sie auch fest: So wichtig bin ich gar nicht, die Welt geht davon auch nicht unter. Und wenn die Nachricht nicht auf die Antenne kommt, ja dann kommt sie eben nicht auf die Antenne. Und wenn sie Gesprächspartner X nicht kriegen, ja dann kriegen Sie ihn eben nicht. Sie können sich den doch nicht backen! Manche verbreiten dann einen solchen Druck und eine schlechte Stimmung, die sich gleich am ganzen Arbeitsplatz verbreitet – das hat doch auch keinen Sinn. Da sage ich dann lieber: Wir bleiben fröhlich.