PeterLicht, Ihre unveränderlichen Kennzeichen scheinen zu sein, dass man Ihren Vor- und Nachnamen zusammenschreibt und dass so gut wie keine Fotos von Ihnen an die Öffentlichkeit dringen. Woher weiß ich, dass Sie dieser PeterLicht sind?
PeterLicht: Da kann man sich doch nie sicher. Ist jemand der, der er zu sein scheint? Wer mich schon mal auf einem Konzert gesehen hat, könnte jetzt bestätigen, dass ich der bin, der dann auch auf der Bühne Musik macht. Es wäre natürlich auch eine Variante, jemanden hier hin zu setzen, der in meinen Namen Interviews führt. Aber ich finde es schon gut, hier zu sein.
Aber sobald ein Medium zwischen Ihnen und dem Publikum steht, wie zum Beispiel vor einiger Zeit in der Harald-Schmidt-Show, darf die Kamera Ihr Gesicht nicht zeigen. Warum?
PeterLicht: PeterLicht ist die Band ohne Kopf. Und daher folgt die Darstellung dieser Band gewissen Regeln. Ich bin der Meinung, dass dieses Bild der Band mehr der Wahrheit entspricht, als wenn ich mich selbst den Bildern zur Verfügung stellen würde. Ich möchte differenzieren zwischen meiner privaten Person und meiner Arbeit in der Öffentlichkeit. So will ich auch die Grenze meiner Verfügbarkeit klar machen.
Ist dieses Verweigerungs-Prinzip schwer durchzusetzen?
PeterLicht: Wie bei fast allen Dingen wären hier zwei Antworten richtig. Es ist einerseits schwer, andererseits ist diese Haltung auch selbst schon eine Marke geworden. Plötzlich wirke ich in diesem Zusammenhang neunmalschlau, obwohl ich da gar nicht neunmalschlau sein möchte.
Schlauheit im Zusammenhang mit Kunst würde auch gleich nach Berechnung klingen. Wie funktioniert PeterLicht?
PeterLicht: In sich selber reingucken, introvertiert zu sein, daraus Lieder zu machen und sie nach außen zu singen, raus zu hauen an die Öffentlichkeit – das sind ja zwei Pole, zwischen denen es gilt, eine Position zu finden. Als ob ich das bin, was ich bin. Aber ich empfinde es auch oft so, dass sich Konzerte von selber singen, dass die von selbst stattfinden. Die Erwartungshaltung, die Rezeptionshaltung des Publikums ist ja schon von selber da. Auf einer gewissen Weise braucht es mich da gar nicht. Ich bin dann bereits in der Erwartungshaltung des Publikums präsent. Helmut Kohl ist ein Familienmitglied von mir, ich habe ihn mein ganzes Leben lang gesehen, er ist ein Teil von mir geworden, zu dem ich in einem inneren Dialog sogar sprechen kann.
Da Ihr Aussehen wenig bekannt ist, könnte ich jetzt behaupten, Sie sähen Helmut Kohl ähnlich und könnten wirklich mit ihm verwandt sein.
PeterLicht: Ja, aber das ist ja nicht wirklich so. Ich rede hier ja nur von diesen Mechanismen der Öffentlichkeit. Auch Ulrich Wickert gibt mir durch seine Präsenz das Gefühl, zu mir zu gehören. Der gehört aber nicht zu mir. Diesen Widerspruch mache ich mit meinem Verweigerungskonzept zum Thema.
Das große Thema Ihrer neuen Platte scheint schon im Titel zu stecken: „Melancholie und Gesellschaft.“ Wie kamen Sie darauf?
PeterLicht: Nachdem die Lieder fertig waren, habe ich ein paar Titel runtergeschrieben und irgendwann stand dann „Melancholie und Gesellschaft“ auf dem Zettel. Den fand ich gut, mir kam es aber auch so vor, als ob es den schon gibt. Bei der Recherche bin ich dann auf das gleichnamige Buch von Wolf Lepenies, dem Soziologieprofessor gestoßen. Ich war überrascht, wie sehr ich doch mit vielen Beobachtungen im Buch über das weite Feld dieses Themas d’accord gehe.
Würden Sie sich selbst als Melancholiker bezeichnen?
PeterLicht: Wenn ich die Augen aufmache und um mich schaue stelle ich schon fest, dass große Mengen von Melancholie produziert werden. Sie ist wahrscheinlich eines der Hauptprodukte unserer Gesellschaft. Wenn ich durch eine Aldi-Filiale laufe, mir ein Solarium anschaue, oder mir den Stellenmarkt einer Tageszeitung durchblättere, da hat man quasi Melancholie in der Hand. Sie wird in der Infrastruktur produziert, im Design, in der neuen Außenhaut, die man sich gibt.
Auf festgestellte Defizite könnte man ja auch wütend reagieren. Kommt Melancholie Ihrem Temperament einfach näher?
PeterLicht: Wahrscheinlich. Ich führe jetzt aber keinen Feldzug für oder gegen die Melancholie. Die Platte ist eine Auseinadersetzung mit dem, was stattfindet. Ich empfinde Melancholie auch nicht als depressiven, resignativen oder verrückten Zustand. Er hat auch eine Kraft, Stolz, Unangreifbarkeit und Subversion. An den absolutistischen Höfen wurde dafür gesorgt, dass keine Melancholiker anwesend sind. Auch bei Hitler und Stalin wurde darauf geachtet, dass in ihrer Nähe kein Melancholiker sitzt. Denn mit denen kann man keinen Staat machen.
Das heißt, die neue Platte macht Sie als Sänger auf Parteiveranstaltungen unmöglich? Ihre früheren „Lieder vom Ende des Kapitalismus“ hatten sie doch geradezu prädestiniert, dass die Linken mal bei ihnen anklopfen.
PeterLicht: Das ist tatsächlich passiert. Aber ich habe auch schon gelesen, dass meine Musik neoliberal oder wertkonservativ wäre. Es gibt eben gar keine politischen Lager mehr und daher kann ich mich da auch mit niemandem identifizieren oder für jemanden singen.
Ein Lied Ihrer neuen Platte heißt „Marketing.“ Dessen Text zufolge müssten Sie heute schon mindestens eine Begegnung mit dem Marketing gehabt haben. Wie sah die aus?
PeterLicht: (Lacht) Ich mache hier zum Beispiel gerade Marketing. Ich rühre die Trommel für mein Produkt, damit es verkauft wird. Das Marketing-Lied hat ja auch im Refrain die Zeile „Ich weiß nicht, wie ich in diesen Plot geraten bin.“ Das würde eigentlich auch für diese Situation hier gelten. Ich finde es schon gut, dass hier Fragen gestellt werden, dass ich mich auch selber frage, was das alles soll. Diese Fragen stelle ich mir nie, wenn ich Platten mache.
Nun scheint Ihre Haltung dem Marketing gegenüber aber keine generell Gleichmütige zu sein. Die Frage lautet, wie kann man sich den Druck einer Gesellschaft entziehen, die von der Lebenslaufgestaltung bis zum Kommunikationsseminar von jedem Arbeitsfähigen fordert, sich selbst als seinen eigenen Standortvorteil permanent zu optimieren?
PeterLicht: Man kann sich dem nicht entziehen. Beziehungsweise wäre die Frage: Was wäre die Folge, wenn man versucht, sich zu entziehen? Gibt es eine Tür nach draußen? Das wäre vielleicht die Melancholie. Die hat ja auch mit einem Sich-fallen-lassen zu tun und mit Distanz.
Diese Distanz geben Sie ja schon mal auf, wenn Sie Marketing in Ihrem Lied kommentieren.
PeterLicht: Die Frage war: Kann man sich dem entziehen? Ja, ich kann mich dem entziehen, in dem ich nicht daran glaube. Und Nein, ich kann mich dem nicht entziehen, weil ich dann einfach draußen bin und ich möchte doch dabei sein. Ich kann nicht „draußen“ sein, dann bin ich nicht mehr da.
Plötzlich wirke ich neunmalschlau, obwohl ich gar nicht neunmalschlau sein möchte.
Was mich zuletzt nicht nur melancholisch, sondern wütend gemacht hat, war ein Werbespot von T-Online. Kennen sie den?
PeterLicht: Ich glaube nicht.
Da wird ein Auftritt des englischen Sängers Paul Potts gezeigt, mit dem er im letzten Jahr bei einer TV-Casting-Show Jury und Publikum zu Tränen rührte. Am Ende wird einfach das T-Online-Logo eingeblendet. Wie sich da ein Konzern einfach auf ein emotionales Ereignis draufsetzt, habe ich fast als brutal empfunden.
PeterLicht: Da würde es mir genauso gehen.
Aber wie kann man sich dagegen wehren? Verweigern Sie sich dem Medienkonsum?
PeterLicht: Nein. Mir sind ähnliche Beispiele ja auch bekannt. In dem Lied „ Stilberatung“ verfolge ich etwa ganz naiv den Ansatz: Mir geht Werbung, die mit Sexualität arbeitet auf den Sack. Ich möchte sie nicht mehr sehen. „Bedeckte Körper sind in Ordnung!“ Die Verbindung von nackter Haut und Produkt oder ehrlicher Emotionalität und Produkt ist schon ein erstaunlicher Tatbestand. Ich habe zum Beispiel dieses Jahr auf dem Melt-Festival gespielt, eine tolle Veranstaltung von sympathischen Leuten. Aber die wirtschaftliche Wahrheit dieses Festivals ist, dass es für Turnschuhe wirbt. Ohne diese Turnschuhmarke würde es nicht stattfinden, denn das Geld ist nicht da für Musik als Selbstzweck. Es werden eben keine CDs mehr gekauft.
Möglicherweise ist das erst der Anfang einer Entwicklung, an deren Ende wir für Kulturleistungen gar nichts mehr bezahlen.
PeterLicht: Genau, Kultur wird am Ende nur noch als Produkt inszeniert. Wahrscheinlich ist dann jeder in seinem Feld, auch der Journalist, nur noch Produktveredler. Dahinter steckt eine Tendenz, die sich bis in die Stellenanzeigen ausweitet. In denen wird Leidenschaft, Passion, Einsatzbereitschaft verlangt. Aber das sind alles Attribute, die eigentlich in Liebesbeziehungen gehören, in ganz intime Felder. Das ist eine sehr weit reichende Wirkung von Marketing und Kapitalismus.
Muss wieder eine Rationalisierung stattfinden, die das Emotionale dem Privaten überlässt, um die Vertrauensverhältnisse der Menschen untereinander zu schützen?
PeterLicht: Ich weiß nicht, wie man diesen Widerspruch auflösen sollte. Wer diesen T-Online-Spot sieht, entwickelt ein Gefühl, das am Ende umgedreht wird – da kann man doch nur die Waffen strecken. Wie soll man darauf reagieren? Am Ende mit Melancholie, die setzt sich durch.
Man könnte auch mit Protest reagieren und das Lied der Ton, Steine, Scherben anstimmen: „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“
PeterLicht: Da ist die Frage, was nach dem Kaputtmachen kommt. Die Ton, Steine, Scherben haben ja auch sehr melancholische Lieder gemacht. Und ich frage mich, ob man überhaupt kaputt machen kann, was einen kaputt macht.
Man kann auch eine ironische Haltung gegenüber den Verhältnissen einnehmen. Ihnen ist diese Ironie in den letzten Jahren immer wieder zugeschrieben worden. Ist das jetzt vorbei?
PeterLicht: Ich habe mir mit der neuen Platte vorgenommen, sie zur ironiefreien Fläche zu machen. Da ist kein doppelter Boden mehr, keine Brechung. Nicht nur das Lied „Stilberatung“ auch „Räume räumen“ oder „Dein Tag“ sind ganz klar, direkt und emotional. Das hat sich schon geändert im Vergleich zu meiner ersten Platte. Aber ich habe die Sachen meistens schon sehr ernst gemeint, auch wenn sie sich lustig angehört haben. Ich hatte schon immer ein Problem mit dem Wort Ironie.
Mit Zynismus nicht?
PeterLicht: Mit Zynismus erst recht, auch mit Sarkasmus. Ich bin schon sehr nah dran, an dem, was ich mache. Die Haltung der Ironie, etwas auszusprechen und es im selben Augenblick wieder zurückzunehmen, sich davon zu distanzieren, finde ich nicht gut. Wenn ich gerne Stellung beziehen möchte, ich mir aber mir keinen klaren Reim machen kann, wie die Stellungnahme aussehen könnte, dann sollte ich mich nicht in Ironie flüchten, sondern einfach die Klappe halten.
Apropos Klappe halten. Ich habe Ihrer Platte entnommen, dass man durch Liebe zum Schweigen gebracht wird. Zumindest ermuntere sie einen zum Jasager zu werden. Ist Liebe das staatstragende Element Nummer Eins?
PeterLicht: Liebe als Baldrian fürs Volk?
Das habe ich so verstanden.
PeterLicht: Ja, wenn sie das so verstanden haben, kann ich nichts dazu sagen. Dann ist das wunderbar. Ich würde meine Lieder ungern weiter erklären. Das, was ich zu dem Thema zu sagen habe, ist das Lied.
Kann sich die Liebe gegen Markt, Kapitalismus und Melancholie behaupten?
PeterLicht: Ja. Aber interessant ist doch das Phänomen der allgemeinen Abtrennung, von dem zum Beispiel mein „Trennungslied“ handelt. Das Neue kommt, das Alte geht. Diesen Mechanismus gibt es bei Beziehungen, wie auch bei Produkten, die immer wieder einem neuen Design unterworfen werden. Das sind schon wirtschaftliche Vorgänge. Ich finde es interessant, was da für ein Schmerzklumpen erzeugt wird, jeder hat diese Schmerzen schon erlebt. Das ist gesellschaftlich akzeptiert, das ist so banal, dass es fast wieder Humor hat.
Das Zusammenkommen, vor allem im Internet, wird zunehmend unter Handelsbedingungen organisiert. Man sieht sich nur noch Leute an, die das passende Sternzeichen, gleiche Interessen etc. haben. Können Sie dem Reiz dieser Mechanismen etwas abgewinnen?
PeterLicht: Wie gesagt, es gibt da kein privates Ich in diesem Zusammenhängen. Nicht, weil ich da was verbergen will, sondern weil es darum nicht geht, was ich privat mache oder bin.
Fühlen Sie sich als Sänger in dieser Gesellschaft als Außenseiter?
PeterLicht: Nein. Wie jeder Mensch halte ich mich selbst für den einzigen normalen Menschen auf der Welt. Ich bin der einzige, der richtig fährt. Alle anderen sind die Geisterfahrer.
Sie meinen PeterLicht damit?
PeterLicht: Ja, richtig.
Auf Ihrer neuen Platte singen Sie die Zeile „In weiter Ferne, lauter Licht.“ Sehen Sie sich als Erlöserfigur?
PeterLicht: Das ist ein Popsänger immer. Deswegen geht er ja auch oft mit Anfang Dreißig dahin. (lacht) Aber ehrlich gesagt, wenn ich jetzt an Musik denke, die mir wirklich ans Herz geht, dann ist die immer auch erlösend. Popmusik erlöst aus den Widersprüchen.