[Das folgende Interview entstand am 19.01.2017]
Philipp, dein letztes Album liegt sieben Jahre zurück. Ist man als Künstler bei Herbert Grönemeyers Label Groenland vom Zeitdruck verschont?
Philipp Poisel: Nein, es gibt schon einen Druck, weil es ja im Raum steht. Es ist ja klar, dass man wieder eine Platte macht – und je mehr Zeit man sich lässt, desto enger wird das Nadelöhr, durch das man durch muss. Ich habe es ein bisschen vor mir hergeschoben, gleichzeitig wusste ich, dass jetzt viele Leute auf diese dritte Platte warten. Schließlich gibt es ja auch einen Vertrag. Trotzdem habe ich auch versucht, mich frei davon zu machen, Freiräume suchen. Mal spazieren gehen, den Kopf freikriegen, auch um den Kontakt zu sich selber nicht zu verlieren. Ich wollte nicht irgendeine Platte abliefern, nur um fertig zu sein, sondern eine Platte mit der ich dann auch die nächsten fünf Jahre leben kann.
Wie kam der Kontakt zu Grönemeyers Label eigentlich zustande?
Poisel: Das ging über ein paar Ecken. Mein heutiger Manager hatte jemanden kontaktiert, der wiederum Kontakt zu den Leuten bei Groenland hatte. Dann gab es in Berlin ein Showcase, in einer kleinen Kaschemme. Wir mussten dort vor dem Konzert erstmal mit Schaufeln und Besen Bauschutt rausräumen, weil die gerade eine Wand rausgerissen hatten.
Es war sehr aufregend, dass Herbert Grönemeyer dorthin kam. Ich bin ihm schon vor dem Konzert im Flur begegnet. Zuerst hab ich ihn nur an der Stimme erkannt, weil es sehr dunkel war.
Wie war dieser Gig für euch als Band?
Poisel: Es war eine unbändige Power, weil wir wussten, dass er da ist. Das hat Energie bei uns freigesetzt, was im Endeffekt vielleicht auch dazu geführt hat, dass es geklappt hat.
Bist du heute noch aufgeregt vor Konzerten?
Poisel: Ja, aber anders. Ich denke immer, dass es mit der Zeit besser wird. Wahrscheinlich stimmt das aber gar nicht. Immer wenn ich ein Konzert habe, geht es wieder von vorne los.
Wenn ich kreativ arbeite ziehe ich mich krass zurück, wie in eine Höhle.
Deine ersten Auftritte hattest du als Straßenmusiker. Was hast du auf der Straße gelernt?
Poisel: Dass es wichtig ist, was die Leute, vor denen du spielst, davon halten. Also die Frage: Wie erreicht man jemanden? Man kann sich nicht nur hinstellen und sagen: Ist mir alles egal. Sondern dieser Wunsch nach Interaktion, der Wunsch, dass einem jemand zuhört, muss da sein. Es soll ein Konzerterlebnis sein, von dem beide Seiten etwas haben. Es ist ja nicht besonders erfreulich, wenn niemand stehen bleibt und niemand zuhört.
Gab es denn solche Situationen bei dir?
Poisel: Ja. Man muss sich die Aufmerksamkeit der Leute schon verdienen. Ich habe auf der Straße Coverversionen gesungen. Und es gab auch die Tendenz, Evergreens oder Hits zu spielen, man merkt ja, was ankommt. Man lernt auf der Straße auch prinzipielle Sachen, zum Beispiel was für Passagen man lauter singen kann, welche Passagen sich besser durchsetzen. Die Straße ist gut, um sich unmittelbar mit seiner eigenen Wirkung auseinanderzusetzen. Weil es direkt ist, nicht kompensiert durch eine Anlage.
Hast du auf der Straße auch eigene Songs im Programm untergebracht?
Poisel: Nein, das fand ich nicht so relevant. Straßenmusik war für mich auch ein Mittel zum Zweck, um Geld zu verdienen, um weiterzureisen. Diese Rolle als fahrender Musiker, dass man sich jeden Tag verdient, was man am nächsten Tag braucht, hat mir gefallen. Das war romantisch, es war Arbeit und es war sehr unmittelbar. Für mich war das eine tolle Erfahrung.
Und die Einnahmen?
Poisel: Die waren sehr unterschiedlich. Einmal habe ich in Köln gespielt, als dort Christopher Street Day war, da saß den Leuten der Geldbeutel sehr locker. Ein paar Tage später in Rotterdam war es dann wiederum sehr zäh. Manchmal ist man sich auch mit anderen Musikern ins Gehege gekommen, die meinten: ‚Das hier ist mein Platz, ich spiele hier jeden Tag.‘ Mein Kumpel und ich waren ja immer nur auf der Durchreise, das war ein Experiment auf Zeit.
Wenn du deine heutigen Konzerte mit der Straße vergleichst, was hat sich verändert?
Poisel: Dass man mit den Leuten 1:1 ins Gespräch kommt, das gibt es jetzt nicht mehr so.
Die Straße ist eben die Straße, da steht man nicht auf einer Bühne. Dort gibt es auch nicht das Selbstverständnis, dass einem die Leute zuhören, sondern die müssen sich darauf einlassen. Und dann kam es manchmal vor, dass uns Leute auf der Straße gefragt haben, wo wir heute übernachten, die uns zu sich nach Hause eingeladen haben. Das gibt es so jetzt natürlich auch nicht mehr.
Heute könnte es sein, dass Straßenmusiker deine Songs interpretieren…
Poisel: Aber ob die sich dafür besonders gut eignen, weiß ich nicht. Auf meinen Alben war es ja bisher eine eher introvertierte Art von Musik, die sich für die Straße nicht so anbietet.
Wird deine Musik so introvertiert bleiben?
Poisel: Ich denke, dass es auf dem neuen Album auch noch andere Aspekte gibt. Da freue ich mich drauf, jetzt neue Sachen ausleben zu können, mit der Stimme andere Sachen auszuprobieren.
Auffällig sind zum Beispiel die treibenden Rhythmen auf „Mein Amerika“.
Poisel: Absolut. Vielleicht provoziere ich auch ein wenig damit, dass ich jetzt bestimmte Dinge anders mache. Um nicht noch mehr in eine Schublade reinzukommen, in der man dann für immer gefangen ist. Meine Vision wäre, immer mal wieder zu experimentieren, und trotzdem Leute zu haben, die gerne zu den Konzerten kommen, wo sie ja auch die alten Songs hören können.
Gerade las ich auf deiner Facebook-Seite zwei User-Kommentare: „Schade, dass all die neuen Lieder nun so elektronisch sein müssen.“ Und „Bis auf den wirklich schönen Text lässt nichts mehr an den alten Philipp Poisel erinnern“. Wie siehst du das?
Poisel: Da frage ich mich, ob der- oder diejenige das ganze Album gehört hat. Denn das Album hat mehr Facetten als das eine Lied, unter dem jetzt wahrscheinlich dieser Kommentar stand. Wenn jemandem das eine Lied nicht gefällt… Wir haben zum Beispiel auch für den Film „Das Kalte Herz“ einen Song gemacht, mit Chor und Cello – der ist überhaupt nicht elektronisch. Also, ich warte noch ein bisschen ab, was die Leute sagen, wenn sie das ganze Album gehört haben. Da bin ich geduldig.
Liest du dir durch, was deine Fans auf Facebook schreiben?
Poisel: Ja, hin und wieder schon. Ich versuche aber auch, mich mit den sozialen Netzwerken nicht zu viel zu beschäftigen.
Du nennst dein Album „Mein Amerika“. War Musik aus Amerika am Anfang für dich ein Grund, selbst die Gitarre in die Hand zu nehmen?
Poisel: Nein, das Musikalische kommt erst heute zusammen. Aber ich habe immer schon amerikanische Dinge konsumiert. Ich bin mit Micky Maus aufgewachsen, mit den „Drei Fragezeichen“, bei einem Kumpel, der Kabelfernsehen hatte, haben wir Serien aus den USA geguckt, das fand ich cool und aufregend.
Die Lieder, die ich damals gemacht habe, sind aber eher aus der Resonanz zwischen mir und dem Musikinstrument entstanden, aus Alltagserfahrungen. Wenn ich aus der Schule kam konnte ich ‚chillen‘, in dem ich die Gitarre in die Hand nahm, auf der habe ich sozusagen meditiert.
Denkst du heute über Amerika anders als damals?
Poisel: Es inspiriert mich immer noch. Das ist ja fast schon eine Tradition, dass Leute nach Amerika gehen und inspiriert zurückkommen, die dann eine Erfindung machen, ein Projekt starten.
Blendest du das politische Amerika dann eher aus?
Poisel: Ich blende da noch viel mehr aus. Wenn ich kreativ arbeite ist es einerseits so, dass ich mich krass zurückziehe, wie in eine Höhle, um in mich reinzuhorchen. Ich habe keinen Facebook-Account mehr gehabt, ich habe kein Smartphone… Andererseits versuche ich auch, mich mit dem aktuellen Zeitgeist auseinanderzusetzen.
Im Moment kann man sich den Nachrichten über die USA aber doch kaum entziehen, oder?
Poisel: Das politische Geschehen tangiert mich schon, aber auf einer ganz anderen Ebene. Die Musik ist für mich ein anderer Kosmos.
In letzter Zeit sind viele amerikanische Musiker mit ihrer Protesthaltung in die Öffentlichkeit gegangen.
Poisel: Wenn die das wichtig finden, ihre politische Meinung kundtun wollen, dann sollen die das tun. Ich finde meine Meinung nicht wichtiger als die Meinung von jemand anderem.
Du äußerst dich also ganz bewusst nicht politisch?
Poisel: In meiner Musik und in meiner Tätigkeit als Künstler tue ich das auf keinen Fall, dafür sehe ich keine Veranlassung. Ich gehe gerne wählen. Ich bin auch froh, dass es eine Demokratie gibt. Zu den USA muss ich auch sagen, dass mir die Diskussion im Moment zu stark in eine Richtung geht. Denn die Hälfte der Amerikaner hat Trump ja gar nicht gewählt. Ich finde es nicht so dramatisch. Es ist ja die Frage, was sich von all den Befürchtungen wirklich bewahrheitet. Das weiß ich jetzt noch nicht.
Dein Amerika-Bild ist also aktuell nicht eingetrübt?
Poisel: Ich denke, dass es in den USA eine Gegenbewegung geben wird. Dass das Verhalten der neuen Regierung Konsequenzen haben wird, dass dem etwas entgegenstehen wird, weil die Leute damit nicht einverstanden sind.
„Wir verbrennen unsere Träume nicht“ heißt einer deiner neuen Songs. Glaubst du, der sogenannte „American Dream“ kann heutzutage in den USA noch erfüllt werden?
Poisel: Wie gesagt, ich glaube, dass das aktuelle Wahlergebnis dort auch eine andere Seite hat. Ich habe selbst in den USA viele Leute gesehen, die diese Möglichkeit, ihren Traum zu verwirklichen, sehen. Das ist in den Amerikanern drin, nach wie vor.
Du bist mit deiner Karriere ja eigentlich das beste Beispiel dafür, dass jeder es schaffen kann.
Poisel: Ein Traum kann ja auch sein, dass man die Dinge, die man gerne macht, auch tatsächlich machen kann. Wenn es um Karriere und Erfolg geht, da war ich immer sehr entspannt: Ich habe es nicht ausgeschlossen, dass es passiert, aber es hätte auch alles andere passieren können.
Glaubst du, deine Musik ist auch erfolgreich, gerade weil sie unpolitisch ist?
Poisel: Ja, ich finde das auch schön. Ich freue mich, als Künstler so etwas erschaffen zu können wie… ich will nicht sagen „Märchenstunde“, aber zumindest einen Raum zu schaffen, wo das Politische keine Rolle spielt, wo andere Sachen aufgezeigt werden. Zum Beispiel andere Seiten von Amerika, wo es diese riesigen Nationalparks gibt, wo man den amerikanischen Größenwahn hinter sich lässt, wo man tagelang wandern kann. Das gehört für mich genauso zu Amerika dazu. Das Album heißt ja auch nicht „Meine USA“, sondern „Mein Amerika“, das ist ja ein ganzer Kontinent.
Du singst allerdings nicht auf Englisch. Andreas Kümmert sagte mir neulich im Interview „Deutsch ist sehr kantig“.
Poisel: Tja, da sind die Geschmäcker unterschiedlich. Klar, man kann auch genauso gut auf Englisch singen, die Sprache ist sehr vokallastig, da kann man ganz anders singen, mit anderen Farben. Das ist wie eine andere Technik, so wie wenn man Öl- mit Aquarellmalerei vergleicht.
Viele Nutzerkommentare, die ich gelesen habe, beinhalten, dass die Menschen mit einem guten Gefühl aus deinen Konzerten gehen. Ist es ein Ziel von dir, Optimismus zu verbreiten?
Poisel: Ich fände es auf jeden Fall schön, als Künstler eine andere Seite anzubieten, neben dem Alltäglichen. Also zum Beispiel Muße oder Optimismus zu verbreiten, wenn die Stimmung gerade nicht so optimistisch ist. Etwas anzubieten, was gegen den aktuellen Strom geht. Damit die Leute eine Pause haben können. Ich selbst kann auch von meinem Alltag Pause machen, in dem ich die Gitarre in die Hand nehme. So wie früher nach der Schule. Wenn Leute das auch so empfinden und durch diese Musik oder ein Konzert Kraft tanken können, weil mal etwas Anderes in den Fokus rückt – ja, das wäre doch wünschenswert.