Mr. Lauderdale, mit Ihrer Band Pink Martini vereinen Sie viele verschiedene Musikstile wie Jazz, Latin, Klassik und Pop – und es wird auf verschiedenen Sprachen gesungen. Gab es für dieses Bandkonzept Vorbilder?
Thomas Lauderdale: Ja, zum Beispiel Caterina Valente. Ich habe nie eines ihrer Konzerte gesehen, aber ihr Repertoire war sehr breit gefächert. Und sie sang auf verschiedenen Sprachen. In dem Moment, wo ich meine erste Valente-Platte hörte, dachte ich: Das ist eine Atmosphäre, die ich wirklich mag. Romantisch, sexy, inspirierend.
Es gab auch noch andere Künstler, die auf verschiedenen Sprachen gesungen haben, Connie Francis zum Beispiel hat Alben auf Hebräisch, Französisch oder Deutsch aufgenommen, Nat King Cole auf Spanisch. Heute sind solche Sachen kaum mehr denkbar.
Warum nicht?
Lauderdale: Ich erinnere mich zum Beispiel an die Sängerin und Moderatorin Dinah Shore, sie war sozusagen die Oprah Winfrey der 60er. 1965 hat sie im Kanal NBC ein Lied auf Farsi gesungen.
So etwas wäre heute unvorstellbar. Das Fernsehen in den USA ist heute resistent gegen alles, was nicht Englisch ist.
Haben Sie das mit Pink Martini auch schon erlebt?
Lauderdale: Ja, wir hatten ein Weihnachts-Album aufgenommen, auf dem ein Song auf Hebräisch und auch einer auf Ladino war, dieser Mischung aus Hebräisch und Spanisch, „Ocho Kandelikas“, ein Lied zum Chanukka-Fest. Und zu der Zeit waren wir eingeladen in die „Tonight Show“ von Jay Leno, dort wollten wir dann diesen Song auf Ladino singen, das wäre großartig gewesen. Aber da hat der Sender Widerstand geleistet, das war mit denen nicht zu machen.
Ich finde so etwas sehr bedauerlich. Denn unser Ziel ist es, dass – neben dem Musikalischen – alles miteinander verbunden ist. Doch in den USA ist es immer noch häufig diese Dualität, diese Schwarz-Weiß-Kultur, a la „du bist entweder für uns oder gegen uns“. Uns geht es viel mehr um das Grau, um den Raum dazwischen.
Wenn es bei Sprache Vorbehalte gibt, wie ist es dann mit der Musik? Wie jazzy sind die USA?
Lauderdale: Interessant ist ja, dass der Jazz im weißen Amerika vor allem durch den Playboy bekannt wurde, in den 50er Jahren. Ich glaube sogar, dass das Playboy Jazz Festival noch immer existiert. Bei einer bestimmten Generation war der Playboy ja sehr prägend für die amerikanischen Männer, viel mehr als heute. Was immer im Playboy auftauchte wurde sehr populär, auch der Jazz. Der war für die Macher, die Autoren und Verleger des Playboy offenbar eine große Sache.
Und heute?
Lauderdale: Ich denke, der Jazz ist heute auch noch populär bei der jungen Generation, aber nicht mehr so wie in den 50ern und 60ern. Man hat ja heute viele andere Optionen, andere Musikrichtungen, die es früher noch nicht gab. Die meisten Leute in den USA könnten uns vermutlich gar nicht einordnen.
Es ist eine kleine Gruppe von Intellektuellen, die den Jazz schätzen und relevant finden. Viele von unserem Publikum sind auch Hörer des National Public Radio (NPR). Und das Wundersame ist: Unsere Hörer gehören zu den wenigen Menschen, die immer noch Alben kaufen.
PINK MARTINI: GET HAPPY
Wie viele Songs auf den Pink Martini-Alben schreiben Sie selbst?
Lauderdale: Etwa die Hälfte.
Und wie würden Sie den Stil Ihrer Arrangements beschreiben?
Lauderdale: Man könnte sagen, die Arrangements sind etwas „old-fashioned“. Wobei ich mir weniger anschaue, wie die großen BigBand-Leader früher diese Songs arrangiert haben, das verfolgen wir nicht wirklich. Es geht mehr um die Frage: Was erfordert der Song, damit seine ganze Stärke zur Geltung kommt?
Welches Verhältnis haben Sie zu Kitsch?
Lauderdale: Kitsch sehe ich in unseren Arrangements nicht. Weil wir die Sachen schon immer sehr ernsthaft angehen, wir versuchen nicht, ironisch oder irgendetwas zu sein.
Wären kitschige Melodien die rote Linie?
Lauderdale: Ja, würde ich sagen. Aber manchmal überschreiten wir diese Linie auch, aus Versehen (lacht).
Als ich meine erste Valente-Platte hörte, dachte ich: Das ist eine Atmosphäre, die ich wirklich mag. Romantisch, sexy, inspirierend.
In Ihrer Band kommen verschiedene Nationalitäten zusammen. Was wissen Sie über Ihre eigenen Wurzeln (Anm.: Lauderdale wuchs bei Adoptiveltern auf)? Sie nennen sich ja einen „Mystery Asian“…
Lauderdale: …und viel mehr weiß ich auch nicht. Ich habe sicher teilweise asiatisches Blut in mir. Ich könnte aber auch ein russischer Eskimo sein. Vielleicht ist da auch ein wenig spanisches Blut, weil ich mich sehr hingezogen fühle zur lateinamerikanischen Musik.
Vielleicht sollte ich mal diesen Test beim „National Geographic“ machen. Du kannst denen ja eine Speichelprobe von dir schicken, sie werten das dann im Labor aus und sagen dir anhand deiner DNA, wo du herkommst.
Sie sagten einmal, es sei Ihr Ziel gewesen, mit der Musik von Pink Martini „sowohl konservative als auch liberale Menschen“ anzusprechen. Glauben Sie, dass es eine Verbindung gibt, zwischen dem Musikgeschmack eines Menschen und seiner politischen Einstellung?
Lauderdale: Nein, überhaupt nicht. Vielleicht in manchen Fällen, aber nicht zwingend. Es ist eben so, dass unser Repertoire viele verschiedene Facetten hat, da kann es sein, dass im Publikum einerseits sehr konservative neben andererseits sehr liberal eingestellten Leuten sitzen.
Ich dachte nur gerade an den – konservativen – George W. Bush und seine Vorliebe für Country-Musik.
Lauderdale: Das finde ich kaum überraschend, er ist ja so ein Country-Typ. Es hat damit zu tun, welche Musik einen umgibt, womit man aufwächst. Wenn seine Eltern klassische Musiker gewesen wären – und davon gibt es viele in Texas – dann wäre sein Musikgeschmack jetzt vielleicht anders.
Ich persönlich mag auch Country-Musik, Loretta Lynn, Tammy Wynette und alte Country-Musiker wie Hank Williams.
Könnte man sagen, dass die meisten Musiker und Künstler in den USA politisch gesehen eher links sind?
Lauderdale: Das ist wohl so, ja, zum größten Teil. Es gibt aber Ausnahmen, Clint Eastwood hat vor ein paar Jahren eine verrückte Rede auf einem Parteitag der Republikaner gehalten, und Sonny Bono (von Sonny & Cher) war als Republikaner im Repräsentantenhaus.
Sie haben Pink Martini einmal als „Botschafter eines bunten, offenen Amerika“ bezeichnet. Repräsentiert Barack Obama für Sie auch dieses Amerika?
Lauderdale: Ja, ich finde, das tut er.
Sind Sie zufrieden mit dem, was Obama bisher erreicht hat?
Lauderdale: Ich denke, Obama hat bisher einen heldenhaften Job geleistet, er hat so vieles angepackt, er hat es nur noch nicht zu Ende gebracht. Auch weil der Kongress so mächtig ist. Und dann glaube ich auch, dass die Leute heute falsche, unangemessene Vorstellungen davon haben, was ein Präsident ausrichten kann. Wir leben ja heute in einer Gesellschaft, die ein 24-Stunden-Nachrichten-Kreislauf ist. Früher, bevor es CNN und Nachrichten rund um die Uhr gab, haben die Politiker vieles hinter verschlossenen Türen beraten, sie haben Entscheidungen gefällt, sind auf Lösungen gekommen. Das ist heute schwieriger. Sie treffen sich natürlich noch hinter verschlossenen Türen, aber dann müssen sie nach draußen zur Presse, und dort wollen dann immer alle nur ihr Gesicht waren, niemand will als der Schwächere dastehen – und deshalb ist auch weniger Verhandlungsspielraum da. Diese Entwicklung finde ich furchtbar.
Sie selbst sind schon lange politisch aktiv in Ihrer Heimatstadt Portland, zudem spielen Pink Martini auf Fundraising-Events bzw. unterstützten Sie die Occupy-Bewegung. Finden sich politische Statements auch auf den Alben von Pink Martini?
Lauderdale: Nein, wir sind jetzt nicht jemand wie Bob Dylan. Mit der Band sind wir sozusagen im Stillen politisch, weniger öffentlich. Es ist da, aber wir sagen es nicht laut.
Spielen Sie eigentlich auch auf Hochzeiten und Beerdigungen?
Lauderdale: Wir haben mal auf Hochzeiten gespielt, ja. Aber inzwischen haben wir eine Scheidungsrate von 95 Prozent. Und bei den Beerdigungen liegt die Totenrate sogar bei 100 Prozent – deswegen spielen wir dort nicht.