Poliça

Moll ist überzeugender

Die Band Poliça aus Minneapolis vermischt Indierock mit Elektronik und ist gerade auf Deutschland-Tour. Ein Gespräch über Melancholie und Moll-Tonarten, das brutale Musikvideo "Tiff" und warum sie ihr aktuelles Album nach einer Feministin benannten

Poliça

© Memphis Industries

Poliça, Justin Vernont von Bon Iver hat euch mal als seine Lieblingsband genannt – und auf eurem aktuellen Album „Shulamith“ ist er sogar auf einem der Songs zu hören. Wie kam es dazu?

Channy Leaneagh: Justin ist ein alter Freund von uns, wir haben die Platte auch größtenteils in seinem Studio aufgenommen. Es ist also nicht so besonders, wie es scheint. Er ist dort vor Ort und natürlich ist es toll, dass er das gemacht hat.

Drew Christopherson: Diese Zusammenarbeit entstand ganz von selbst und war nicht groß geplant. Es war jetzt nicht dieses lang erwartete „wir müssen unbedingt mal zusammenarbeiten“. Wir arbeiteten an einem Stück, dem noch etwas fehlte, und Justin war gerade da.

Wenn man sich Poliça anhört, bemerkt man, dass die Stimme mit vielen Effekten bearbeitet wird. Wie wichtig ist dieses Element?

Channy: Ich benutze die Effekte von Anfang an wenn ich einen Song schreibe. Insofern denke ich, spielt es schon eine große Rolle. Es klingt einfach gut. Besonders bei dieser Band ziehe ich es vor, damit zu singen.

Ryan Olson: Ich denke, man kann dadurch andere Melodien finden, anstatt dass man es einfach nur als Filter benutzt. Am Anfang, als wir das zum ersten Mal verwendet haben, dachten wir, dieses Effekt-Ding ist verrückt. Und dann fängt man an, anders zu singen, andere Melodien zu benutzen. An und für sich bräuchte Channy das nicht, aber es macht einfach Spaß und ist eine andere Art von Sound.

Drew: Es gibt der Musik auch eine gewisse Künstlichkeit. Es hilft, den Gesang, der ja ein sehr menschliches Element ist, ein bisschen mehr Teil der Musik werden zu lassen, wenn er zusammenkommt mit anderen, ungewöhnlichen akustischen Farben.

Ersetzen die Vocals sozusagen die gewöhnliche Keyboard-Section?

Channy: Also, wir haben einen Synthesizer-Track dazu laufen, bei den Konzerten. Mit dem bin ich eng verbunden, das ist ein Partner mit dem ich verschmelzen kann, durch diese Effekte. Das ist vergleichbar mit einem Effektpedal bei der Gitarre.

Nun sorgen all die Effekte – wie Echo und Hall – dafür, dass man den Text teilweise nicht versteht. Stört dich das, Channy?

Channy: Nein, das kümmert mich nicht. Man findet die Texte ja immer im Booklet, wenn man sich dafür interessiert. Die Texte sind wichtig für mich, zum singen, um einem Song Emotion zu verleihen. Aber es ist sicher nicht das Wichtigste und mir kommt es nicht darauf an, dass die Leute die Texte hören oder verstehen.

Der gesamte Klang der Band ist also ebenso wichtig wie die Texte?

Channy: Man will halt keine Texte, die herausfallen. Ich will nicht, dass die Texte dich aus dem Song herausziehen. Ich will als Sängerin, dass sie Teil der Musik, der Struktur und Bewegung des Songs sind.

Wie entstehen eure Songs? Produziert Ryan die Beats und dann kommt der Gesang dazu?

Ryan: Auf dem ersten Album haben wir das so gemacht, ja. Ich habe Beats und Loops genommen, die ich in den letzten fünf Jahren gesammelt hatte, Channy und ich haben dazu live gejammt, das Effektgerät bedient und aufgenommen.
Am Anfang war das noch sehr zaghaft, Mono und simpel gemacht. Bis zu dem Punkt wo wir dachten: Oh, das ist ein Song! Und: Oh, jetzt ist das ein Album. Dann haben wir einen Monat später das alles zusammengemixt mit Schlagzeug und Bass.

Channy: Aber bei „Shulamith“ war es anders.

Ryan: Dieses Album funktioniert mehr mit der Band. Es ist jetzt klarer, was die Band macht, was die einzelnen Musiker machen.

Channy: Und Ryan hat alle Songs von vornherein komponiert.

Eure Songs sind größtenteils in Moll. Was ist mit Dur?

Ryan: Du meinst, so Dur-Tonarten wie in einer superfröhlichen Waschmittel-Werbung? Ich glaube, es ist ganz einfach überzeugender, Moll-Tonarten zu verwenden. Ich beschäftige mich allerdings wenig mit Musiktheorie, es ist nicht so, dass ich dann sage, „oh diese Stelle im Song müsste in C-Moll sein“.

Drew: Ich weiß auch nicht, aber Moll-Tonarten und Moll-Akkorde sprechen uns aus dem Mittleren Westen irgendwie mehr an. Vielleicht hat das mit dem dunklen Winter zu tun.

Ryan: Ich meine, wenn du in Rio lebst, die ganze Zeit am Strand sitzt, dann willst du vielleicht eher fröhliche Sachen spielen. Aber generell ist es sehr kalt und dunkel draußen. Mein Zimmer hat nur ein Fenster, vielleicht hängt das damit zusammen.

Im Bossa Nova hat man ja aber auch viel traurige Melodien.

Ryan: Ehrlich gesagt habe ich die meisten der Songs sogar in Brasilien geschrieben. Einige waren auch fröhlich, aber sie haben es nicht auf das Album geschafft.

Wenn Poliça ein Gemälde wäre, wie würde es aussehen?

Ryan: Oh, also ich bin kein wirklicher Kunstkenner. Mein Nachbar ist Maler und ich wundere mich immer und frage ihn: Was machst du da?
Ich glaube, ich kann mich mehr für realistische als für abstrakte Malerei begeistern.

Wäre das Gemälde eher dunkel oder hell?

Ryan: Ich glaube nicht, dass es da um die Farbtöne geht oder dass auf dem Bild die Sonne scheint…

Drew: Ich denke, es wäre ein Mix aus ein paar verschiedenen Stilen, wie unsere Band, eine Basis aus dunklen Farbtönen, wie eine dunkel gemalte Szenerie, bedeckt mit kleinen weißen Tupfern – das ist Chris‘ Bass-Spiel. Und das ganze Bild lag eine Woche lang im Regen. Ich weiß nicht, das klingt jetzt wieder sehr nach Moll.

Channy: Es wäre wahrscheinlich ein kolaboratives Bild. Nicht in dem Sinn, dass wir alle dasitzen und zusammen entscheiden, was wir malen, sondern jeder arbeitet an einer anderen Ecke vom Bild.

Drew: Und am Ende fängt Ryan an, die Zeichnungen von allen wegzuradieren und sagt, wie es eigentlich aussehen soll. (alle lachen)

In eurer Musik steckt viel Melancholie. Hat das auch was mit Gefühlen abseits der Bühne zu tun?

Channy: Also, ich bin abseits der Bühne sicher mehr melancholisch. Aber wir können auch eine gute Zeit haben. Manchmal lächeln wir auch. Aber ich denke, generell ist Melancholie für uns irgendwie angenehmer, realer und aufrichtiger.

Drew: Das ist ja auch wieder die Dur-Moll-Frage. Aber es ist eher bestimmt durch emotionale Zustände. Wo wir herkommen, aus dem Mittleren Westen, da gibt es diese Bezeichnung „Minnesota-nice“. Da denkt jeder, das bedeutete, dass dort jeder immer sehr nett, fröhlich und freundlich zu anderen Leuten ist. Aber in Wirklichkeit geht es dabei um die Frage des Auftretens. Man ist freundlich an der Oberfläche, auch wenn derjenige innen drinnen im Grunde verärgert und bedrückt ist. Das heißt, wenn wir Musik machen, können wir uns frei fühlen und das ausdrücken, was wirklich in uns vorgeht. Ich denke, das ist der Grund, warum wir mehr diese dunkle Haltung mögen. Für uns ist das spannender.

Polica ShulamithEuer aktuelles Album trägt als Titel den Vornamen einer bekannten Feministin, Shulamith Firestone. Damit lenkt ihr die Leute hin zu einem Gesellschafts- bzw. politischen Thema. Aus welchem Grund?

Channy: Ich denke nicht, dass das Album deswegen politisch ist oder dass es als politisches Statement gedacht ist. Ich bin auch keine besonders politische Person. Ich analysiere die Dinge nicht besonders tief, ich mache nur das, was sich richtig anfühlt, für das Album. Ich habe da keinen Masterplan oder eine große Botschaft.

Ryan: Es ist viel mehr persönlich als politisch. Ich hatte Channy zufällig ein Buch von Firestone gegeben, am Ende der Aufnahmen, als wir im Prinzip schon fertig waren mit dem Album. Und sie entdeckte darin ein persönliches Thema. Wobei es außer „Tiff“ keinen Song gibt, der etwas damit zu tun hat. Doch es machte Sinn, es war perfektes Timing, weil wir gerade dabei waren, einen Albumtitel zu suchen. Da waren wir froh, als wir etwas gefunden hatten, das Channys Gefühle wiederspiegelte.

Channy; Ja, das geschah danach, als die Songs fertig und gemischt waren, las ich das Buch und dachte: Das ist eine Frau, eine Person, die ich nie vergessen will. Ich will mich erinnern, was sie zu sagen hat, ich will mich weiterentwickeln… Wenn man ein Album macht ist das für jeden in der Band ja auch eine Art Rückblick, ein Jahrbuch, das man sich später angucken kann. Dann hört man: So habe ich damals Bass gespielt, oder Schlagzeug, so habe ich zu der Zeit gesungen. Sozusagen wie eine Art Karteikarte. Und dazu passt für mich auch der Titel des Albums.

Ryan: Außerdem bedeutet das Wort auch „Frieden“, was dem Album einen interessanten Sinn gibt.

Habt ihr alle das Buch von Firestone, „The Dialectic of Sex”, gelesen?

Drew: Nein. Unsere Rolle in der Band ist mehr fokussiert auf die Musik. Ich meine, ich mag alles, was Channy einbringt, Themen, Ideen, was auch immer sie in den Texten erkundet. Und es ist lustig, dass man eine Person findet, die ihre Texte widerspiegeln. Channy ist keine sehr politische Person, es geht mehr um ihr Inneres, ihre persönlichen Gefühle, wie sie ihr Leben lebt mit Familie usw. Aber es geht nicht darum, ein Statement abzugeben, nach dem Motto: Du sollst so oder so denken oder fühlen. Die politischen Themen beeinflussen vielleicht unser persönliches Leben aber nicht unsere Musik.

Channy: Jeder in der Band ist von vielen verschiedenen Dingen beeinflusst, hat unterschiedliche Interessen und Geschmäcker, liest Bücher, die ihm gefallen und wir sprechen im Tourbus darüber, wenn wir unterwegs sind. Wir lernen alle voneinander, aber es ist nicht so, dass einer sagt: Hier ist das Buch, ihr lest das jetzt alle.

In „The Dialectic of Sex” beschreibt Firestone u.a., dass Frauen in der Kulturgeschichte lange Zeit nur als Musen für die Männer gesehen wurden. Channy, brauchst du für deine kreative Arbeit Männer als Muse?

Channy: Nein. Keine Ahnung, ich nutze sie als Inspiration, aber ich weiß nicht, ob ich es benötige. Das könnte ich nur rausfinden, wenn keine Männer da sind. Ich glaube, ich würde dann genug andere Dinge finden, auf die ich wütend sein kann. (lacht)

In vielen Gesellschaftsbereichen haben wir noch keine Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Wie sieht es in der Kultur aus?

Channy: Ich denke nicht, dass da schon Gleichheit herrscht. Nein. Ich denke, es braucht noch viel Kraft, damit die Frauen in der Kunst den gleichen Raum bekommen, in der Musik…

Drew: Sicher, man kann nicht abstreiten, dass Fortschritte in bestimmte Richtungen gemacht wurden. Aber es gibt immer noch oft Momente, wo viele Künstlerinnen, die große Dinge machen, auf diese Schublade „die Frau in der Kunst“ reduziert werden. Und es gibt überall Anzeichen dafür, dass es so weitergeht, dass die Frau nur den sogenannten „male gaze“ („männlichen Blick”) bedient.

Noch eine Frage zu euren Videos. Wie gestaltet ihr diese?

Channy: Wir arbeiten mit Video-Künstlern und Regisseuren zusammen, mit Leuten, die gute Ideen haben und denen ich vertraue, dass sie etwas machen, was zu unserer Musik passt. Ich respektiere deren Visionen.

Wenn man sich Kommentare auf Youtube zu eurem Video von „Tiff“ durchliest…

Channy: …oh, das ist keine gute Idee.

Nun, einige Kommentatoren sind enttäuscht vom massiven Gebrauch von Gewalt in dem Video. Deshalb die Frage: Warum diese enorme Brutalität? Hätte man das nicht weniger extrem gestalten können?

Channy: Ich mache ganz sicher nichts, um Leute zu erheitern oder damit sie positive Kommentare schreiben. Ich will keine Kunst und keine Musik machen, zu der die Leute sagen „Oh, das ist aber schön.“ Ich will Dinge machen, die ernst gemeint sind und ich will, dass die Leute darüber nachdenken. Gewalt ist einfach Teil des Lebens und es ist etwas, worüber man nachdenken sollte.

Ben Ivascu: Im Film ist Gewalt ja nichts Ungewöhnliches. Hier ist der Kontext ungewöhnlich, also dass es Channy ist, die sie sich selbst schlägt. Einige der populärsten Filme aus den USA sind sehr gewalttätig, worüber sich niemand aufregt.

Channy: Ja, es gibt Tausende gewalttätiger Videos.

… was ja noch kein Grund ist, es genauso zu machen. Man versteht doch bereits nach einer Minute des Videos, worum es geht. Anders gefragt: Wenn ich von dem ganzen Video Alpträume kriege, würde euch das kümmern?

Channy: Ich hoffe, es ist nicht das Brutalste, was du jemals gesehen hast.

Die Frage bezog sich nicht auf andere Videos, sondern auf euer Video.

Channy: Es ist eine Reaktion auf eine sehr brutale Welt. Es ist nicht autobiographisch, aber ich kann mich damit total identifizieren. Ich habe zugestimmt, das Video so zu veröffentlichten, weil ich dem Inhalt zustimme. Und wenn du Alpträume davon bekommst – dann tut’s mir leid. Ich habe auch sehr viele Alpträume.

Poliça in Deutschland: Berlin 27.01., Köln 28.01.

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