Paul, bei eurem Debut „Caravelle“ (2017) ging es um eine musikalische Reise durch verschiedene Genres. Was war für euch bei eurem neuen Album „Cyclorama“ das leitende Thema?
Paul: Jetzt ging es uns ein bisschen mehr um eine Art Zeitreise, um den Lebenszyklus. Das erste Stück „Côme“ ist der Geburt von Alexis‘ Sohn gewidmet, zum Ende hin haben wir ein „Requiem“, danach geht es aber noch weiter, da spielt Transzendenz eine Rolle, am Schluss haben wir auch ein Wiegenlied… Es gibt also einen Roten Faden auf diesem Album, wobei die Reihenfolge der Tracks sich weniger nach dieser Story sondern nach der musikalischen Entwicklung richtet.
Für euch scheint es also wichtig, für ein Album ein bestimmtes Konzept zu haben…
Paul: Ja, wenn du das nicht hast – was ist dann noch der Sinn, sich heutzutage ein Album anzuhören? Wir haben auf diesem Album verschiedene Energien, unterschiedliche Momente. Ohne solch eine Dramaturgie schalten die Leute vermutlich schnell ab, weil ihre Aufmerksamkeitsspanne sehr kurz ist. Sie wollen etwas hören, was wie eine Geschichte ist, wie ein Film, mit einem Anfang und einem Ende. Wir sind ja auch sehr viel von Filmen und Visuals inspiriert, unsere Alben sollen den Hörern ein ähnliches Feeling geben.
Vermutlich werden virtuelle Partys für die junge Generation eine Option sein.
Wer ist der Sänger des neuen Songs „Feel Good“?
Paul: Bei „Feel good“ singe ich zum ersten Mal, ebenso bei bei den Tracks „Artemis“ und „Jiminy“. Auf dem ersten Album hatte Alex viel gesungen, mehr als jetzt auf „Cyclorama“. Mir ist auf unserer US-Tour 2019 aufgefallen, dass ich auf der Bühne kaum singe. Und als Halb-Amerikaner dachte ich mir dann, dass wir ein paar Songs machen könnten, die von Bands der 60er und 70er Jahre inspiriert sind, die meine Mutter gehört hat und mit denen ich aufgewachsen bin. Seit dem schreibe ich mehr Songs, bei denen ich auch selbst singe.
Hat es dich Überwindung gekostet, selbst ans Mikro zu gehen?
Paul: Ehrlich gesagt, hatte ich das nicht vor, als wir Polo & Pan gestartet haben. Weil es ein Projekt sein sollte, das weniger personalisiert ist, sondern mehr für sich steht, wie ein Gemälde. Aber dann hat es sich durch das Touren musikalisch entwickelt, wir haben mehr Tracks mit Gesang veröffentlicht und sind offener geworden, auch für das Popsong-Format.
Was für eine Band vielleicht ungewöhnlich ist, ist unsere Mischung: Wir haben Stücke, die wie Filmmusik sind, Club-Tracks, Popsongs – und alles funktioniert miteinander.
Hattet Ihr diesen eklektischen Stil auch schon früher, als ihr vor allem als DJs aufgetreten seid?
Paul: Ja, in dem Pariser Club „Le Baron“, wo wir viel gebucht waren, war das der Stil, in dem man aufgelegt hat. Da ging es nicht um perfekte DJ-Technik, sondern viel mehr um die Auswahl. Man konnte ganz unterschiedliche Sachen spielen, einen alten Beatles-Song und danach einen HipHop-Track. Wir haben uns in unseren DJ-Sets immer auf eine Art Reise durch die Musikgeschichte begeben, alten Jazz mit modernen Beats kombiniert usw. Diesen Stil haben wir später bei Polo & Pan beibehalten.
Hörst du dir selbst auch lieber eklektische DJ-Sets an?
Paul: Also, ich mag zum Beispiel Künstler wie Dixon, Red Axes… Oder auch Solomun: Wenn er ein Vier-Stunden-Set spielt, weißt du, dass er es aufbaut, dass es sich entwickelt, dass verrückte Sachen passieren. Das gefällt mir, ein DJ-Set muss wie ein Abenteuer sein. Ein softes, deepes Set kann gut zum Arbeiten sein oder zum Entspannen. Aber das ist nichts, wozu ich tanzen würde, sondern da mag ich es, wenn dir der DJ eine Geschichte erzählt.
Euer Markenzeichen ist ein Sound, der Synth-Pop-Elemente, Club-Beats und gut selektierte Samples kombiniert. Was ist das Geheimnis hinter eurem ’signature-sound‘?
Paul: Ich denke, ein wichtiger Punkt ist, dass wir sehr viel analog aufnehmen. Wir nehmen also Percussion oder Stimmen mit Mikrofonen auf, was zu anderen digital erzeugten Sounds einen gewissen Kontrast bildet. Wir samplen auch viele Instrumente, auch Bass-Instrumente, benutzen aber ebenso Plug-Ins und analoge Synthesizer und wir samplen von Vinyl oder digitalen Aufnahmen. Es kommt auf die Balance an: Benutzt du nur Plug-Ins klingt es sehr dünn, wenn du alles analog aufnimmst, ein bisschen zu schwammig. Es ist eine Mischung von verschiedenen Quellen, die am Ende zu einem reichhaltigen Klang führt.
Werdet ihr an diesem Sound und dem Synth-Pop-Ansatz in nächster Zeit erstmal festhalten?
Paul: Unser zweites Album ist ja eine Weiterentwicklung von unserem Debüt und ich denke, wir haben jetzt einen unverwechselbaren Sound in der Musiklandschaft. Daher denke ich, dass es die Leute enttäuschen würde, wenn wir den Klang jetzt zu sehr verändern. Außerdem ist es ein Sound, den man nicht so einfach kopieren kann. Nach dem Erfolg von zum Beispiel Daft Punk haben ja sehr viele Leute versucht, in diesem French-Touch-Stil zu produzieren, auch bei Justice gab es viele, die versucht haben, sie zu imitieren. Wenn man sich aber eine Band wie Air anschaut, da war niemand in der Lage deren Sound zu reproduzieren. Insofern denke ich, dass wir unseren Sound nicht radikal ändern werden. Trotzdem verändert er sich natürlich, aber in kleinen Schritten.
Funktioniert ihr beide als Team eigentlich so gut, weil ihr einen ähnlichen oder einen sehr unterschiedlichen Musikgeschmack habt?
Paul: Ich denke, es ist ein bisschen von beidem. Wir haben sehr ähnliche Referenzen, sind beide mit klassischer Musik aufgewachsen, haben den gleichen HipHop gehört, lieben südamerikanische Musik… Aber wir haben einen sehr unterschiedlichen Charakter. Ich bin mehr der Introvertierte und mache Musik häufig um selbst Spaß zu haben, Alex dagegen ist eher extrovertiert, kümmert sich gerne um das Publikum und liebt es, die Leute zu unterhalten. Wir lernen beide voneinander, haben es gut hinbekommen, gemeinsam zu wachsen, wir haben beide unsere tiefgründigen Seiten, haben aber auch Spaß an einem Pop-Song im Radioformat. Ich denke, es ist diese Formel für eine gute Partnerschaft, die wir erfüllen, dass es einerseits Gemeinsamkeiten und andererseits die Unterschiede braucht.
Würdest du sagen, es ist typisch für Frankreich, dass Ihr mit Klassik aufgewachsen seid?
Paul: Ich würde ja eher sagen, dass das typisch deutsch ist, schließlich habt ihr Johann Sebastian Bach (lacht). Wir hatten jedenfalls das Glück, dass unser beider Eltern große Fans klassischer Musik sind. Wir haben vor allem viel von den Komponisten der Romantik und Moderne mitbekommen und mitgenommen, Schubert zum Beispiel hat uns bei dem Track „Côme“ inspiriert. Allerdings ist die Klassik auch ein Genre, dass man schwer bearbeiten kann, es ist halt auch eine sehr abgeschlossene Musikperiode.
Hast du ein klassisches Instrument gelernt?
Paul: Wir haben auf dem neuen Album ja den Song „Artemis“, was im Grunde eine Variation von Bachs Prelude in C-Moll (BWV 999) ist. Dieses Prelude haben früher mein Großvater und mein Vater auf der Gitarre gespielt und ich selbst hab es auch auf der Gitarre gelernt.
Alex hat acht Jahre Cello gespielt und war auch auf dem Konservatorium. Ich selbst habe als Kind eine Zeit lang Musiktheorie-Unterricht gehabt, allerdings ohne ein Instrument anzufassen. Erst später habe ich ein bisschen Gitarre gelernt. Sowieso war meine erste Leidenschaft nicht die Musik sondern das Zeichnen, erst mit 18 habe ich mich auf die Musik konzentriert. Und in den letzten Jahren habe ich Klavierunterricht genommen und viel über Harmonien und das Komponieren gelernt.
Zu euren bekannten Songs gehört „Zoom Zoom“, der wesentlich von einem Sample des brasilianischen Musikers Edu Lobo getragen wird. Wie habt ihr das ‚gecleart‘, sprich die Lizenzierung bekommen?
Paul: Das war, als wir an unserem ersten Album „Caravelle“ gearbeitet haben und es war merkwürdiger Weise sehr einfach, die Erlaubnis zu bekommen. Als wir dagegen ein paar Jahre später ein Sample von João Gilberto verwendet haben, war die Antwort: ‚Niemals, wir autorisieren nichts‘. Wir hatten für unser Mixtape „Home Sweet Home“ einen Remix von seinem Song „É preciso perdoar“ angefertigt. Den wollten wir nun eigentlich auch auf dem neuen Album veröffentlichen, haben das Sample aber eben nicht gecleart bekommen. Mich hat das überrascht, weil ich der Ansicht war, dass wir musikalisch mit dem Original gut umgegangen sind.
Ich sprach vor kurzem mit dem Duo Kruder & Dorfmeister über die Pandemie-Zeit und Peter Kruder sagte: „Vielleicht sind in 20 Jahren virtuelle Konzerte etwas ganz normales.“ Kannst du mit virtuellen Shows etwas anfangen?
Paul: Ehrlich gesagt habe ich da wenig Interesse dran. Wir veröffentlichen ja auch, ganz oldschool, noch Alben, sprich uns liegen einfach die traditionellen Formate. Allerdings habe ich vor kurzem zum ersten Mal eine Virtual-Reality-Brille von Oculus ausprobiert. Ich wurde zuerst in eine virtuelle Galerie eingeladen und hinterher zu einer virtuellen Party. Dort spielte ein DJ, ich konnte mit Leuten auf dieser Party sprechen… Das war schon interessant und vermutlich wird das auch eine Option sein für die junge Generation, die schon sehr an virtuelle Räume und das Verkleiden als Avatar gewöhnt ist. Meiner Generation ist das aber noch sehr fremd. Wer weiß, vielleicht werden wir mal ein virtuelles Konzert ausprobieren, aber das ist wirklich nichts, was mich fasziniert.
Wenn es einen Traum gibt, den wir haben, dann wäre das ein Konzert im Weltraum.
Du meinst, auf einer Raumstation?
Paul: Ja, wir haben schon mal Elon Musk kontaktiert, mit der Idee eines Space X-Konzerts, also ein Konzert an Bord eines echten Raumschiffs, welches dann zur Erde gestreamt wird.
Was würdest du sagen, ist an Polo & Pan typisch französisch?
Paul: Vielleicht der Aspekt, dass uns Ästhetik wichtig ist, es gibt eine ästhetische und auch poetische Herangehensweise an die Musik. Auch unser Multikulturalismus ist typisch französisch, wir interessieren uns für viele Sprachen und Kulturen.
Ihr habt auch mit dem französischen Filmkomponisten Vladimir Cosma zusammengearbeitet. Wie kam es dazu?
Paul: Wir haben vor ein paar Jahren den Track „Bilboquet“ produziert, was eigentlich ein Edit von „Sirba“ ist, einem der bekanntesten Stücke von Vladimir Cosma. Dieses Edit haben wir immer wieder in unseren Live-Sets gespielt, auch weil es sehr amüsant ist und wir damit dem Publikum sagen: Habt Spaß, nehmt uns nicht zu ernst.
Und dann hat Cosma dieses Edit irgendwo gehört und es irgendwie geschafft an Alexis‘ Telefonnummer heranzukommen und ihn eines Tages angerufen. Wir haben ihn getroffen und er hat uns schließlich eingeladen, im Rahmen eines großen Jubiläums-Konzerts von ihm aufzutreten, 2019 im Le Grand Rex in Paris. Dort standen wir dann mit 160 Orchestermusikern auf der Bühne und haben gemeinsam Musik gemacht, das war wundervoll. Am Ende hat er uns auch das Sample von „Sirba“ freigegeben, deshalb ist „Bilboquet“ jetzt auf dem neuen Album. Und es ist wirklich so ein Klassiker! So viele Menschen in Europa kennen diesen Song und egal ob wir ihn in der Türkei oder in Ost-Europa gespielt haben: Immer wieder kamen Menschen ganz verschiedener Nationalität zu uns und sagten: Den Song kenne ich, der kommt aus meinem Land (lacht).