Herr Bönt, Sie fordern in Ihrem Manifest „Das entehrte Geschlecht“ die lange ausstehende Emanzipation des Mannes aus seiner etablierten Rolle als aktiver, leistungsbereiter Ernährer. Welche Zustände machen ein solches Manifest nötig?
Der Mann hat den Anschluss an die Moderne in den letzten Jahrzehnten verpasst. Man sieht das an einem Vergleich sehr gut: Die Lebenserwartung lag im 19. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges drei Jahre auseinander. Frauen lebten drei Jahre länger. Heute sind es fünf bis sieben Jahre. Es gibt die Annahme, dass der Männerkörper vor allem eine leistungsorientierte Arbeitsmaschine ist. Dazu kommt eine starke Rückwärtsbewegung, was die Rollenverteilung betrifft. Viele junge Leute sagen: Wir wollen die Rollen klassisch aufteilen. Ich möchte nicht, dass wir in einigen Jahren dastehen und sehen, dass nur 20 Prozent der Frauen berufstätig sind und Männer nicht fünf Jahre früher sterben, sondern acht.
Warum befürchten Sie das?
Weil der Mann falsch mit sich umgeht. Männer machen entweder zu wenig Sport oder zu viel. Sie schaden sich immer. Sie betreiben eine Kultur der Ausbeutung ihres Körpers, die das Leben verkürzt. Dazu gehört, dass sie einfach nicht zum Arzt gehen. Und das liegt an unserer und Körperpolitik. Ein Männerkörper muss funktionieren und stahlhart sein, während ein Frauenkörper per se als verletzlich gilt.
Seit ein paar Jahren boomt der weibliche Sextourismus, vor allem nach Afrika. Glauben Sie, dass der westeuropäische Mann diese Sexualität, die sich Frauen eigentlich wünschen nicht mehr zu bieten hat?
Das Klischee ist, dass der afrikanische Mann eine viel bessere Einheit zu seinem Körper hat als der Westeuropäer. Beim Mann ist dieses gespaltene Verhältnis zu sich selber eigentlich das zentrale Problem. Er glaubt, Hochleistungsmaschine zu sein. Er glaubt, auch mit Fieber oder Blut im Stuhl arbeiten zu können. Gleichzeitig lässt er sich einreden, für alles Schlechte verantwortlich zu sein und dass die sexuelle Gewalt immer von ihm ausgeht. Zwar gibt es Wissenschaftler, die das mittlerweile bestreiten, doch die müssen mit Personenschutz auf dem Podium sitzen. Davon müssen wir dringend wegkommen. Wenn ein Mann mit einem gespaltenen Verhältnis zu sich selber und seinem Körper unterwegs ist, ist das für keinen gut. Auch nicht für die Frau, die mit diesem Mann zusammenleben will.
Sie thematisieren, wie die Öffentlichkeit mit männlicher Sexualität umgeht, zum Beispiel, wie der Umgang von Vätern mit ihren Kindern kriminalisiert wird…
Wenn Sie den „Tatort“ schauen, dann haben Sie es schon schwer zu glauben, dass irgendetwas mit der männlichen Sexualität in Ordnung sein könnte. Die männliche Sexualität gilt heutzutage als schwer bis gar nicht kontrollierbar, als gefährlich und schmutzig. Das finde ich ganz merkwürdig. Bis in das 18. Jahrhundert galt, dass die Frau als irrationales Wesen ihre Sexualität nicht unter Kontrolle hat. Das ist das eine Extrem und jetzt sind wir in dem Anderen. Kleine Jungs erleben nicht, dass Männer Geborgenheit spenden. Sie haben die Mütter, die Kindergärtnerin, die Lehrerin. Und wird ein Grundschullehrer gefunden, dann rufen die Mütter an, weil Sie ihre Töchter aus Angst nicht von einem Mann betreuen lassen wollen.
In Ihrem Buch setzen Sie sich über die Literatur, zum Beispiel Max Frischs „Homo Faber”, verschiedenen Studien und anderen Quellen mit Ihrem Gegenstand, dem Mann und seiner Rolle auseinander. Warum, der weite akademische Bogen, um vier Thesen an das Publikum zu bringen?
Ich habe mich dafür interessiert, woher es eigentlich kommt, dass wir seit Jahrzehnten über die angeblich so augenfällige Benachteiligung der Frau sprechen. Wenn man genau hinschaut muss man sagen, dass die Frau natürlich politisch und materiell benachteiligt ist, aber es gibt auch viele Stellen im Leben, in denen die Frau bevorteilt ist. Die Männer dominieren noch immer an der oberen sozialen Skala. Männer dominieren aber auch an dem unteren Ende. Die Arbeitslosen, die chronisch Kranken, die Alkoholiker, das sind alles Männer. Zudem ist es so, dass es in einem der wichtigsten Bereiche des Lebens, der Beziehung zum Kind, der Mann stark benachteiligt ist. Das ist so massiv, dass er vom Liebesleben in der Familie abgeschnitten wird. Was auch politisch unterstützt ist, insofern dass unverheiratete Väter bis heute kein Sorgerecht haben: ein Skandal.
Der Mann hat den Anschluss an die Moderne in den letzten Jahrzehnten verpasst.
Es gibt das gemeinsame Sorgerecht auch für unverheiratete Eltern.
Wenn die Frau zustimmt. Der Mann hat bisher keine Chance, an das Sorgerecht zu kommen, es sei denn, er kann der Mutter nachweisen, dass sie dem Sorgerecht nicht nachkommt. Alle Macht liegt hier bei der Frau – und wir reden gerade vom Zentrum des Lebens.
Sie waren ursprünglich auf dem Weg in eine internationale Wissenschaftskarriere. Wie haben Sie entdeckt, dass Ihnen Kinder und eine andere Lebensgestaltung lieber sind?
Als ich entdeckt habe, dass ich ein solcher Kindernarr bin, war es vielleicht so, wie es für jemand anderen ist, wenn er herausfindet, dass er homosexuell ist. Bei meinem Kinderwunsch-Comingout war ich 30, wollte Kinder und hatte eine Topkarriere vor mir, mit einer Einladung nach Princeton und Umzügen alle zwei Jahre. Welche Frau sollte das mitmachen?
Sie sind jetzt mit Ende 40 ein zweites Mal Vater geworden. Hat sich Ihre Einstellung geändert?
Überhaupt nicht. Wir überlegen gerade, ob und wie wir ein weiteres Kind integrieren könnten.
Was hat Sie letztlich zu Ihrem Manifest bewegt?
Mein Ziel war es, ein Gespräch unter Männern in Gang zu bringen. Im Buch über Sachen zu sprechen, die in der Öffentlichkeit nicht besprochen werden. Zum Beispiel über die mögliche Eifersucht gegenüber der Intimität zwischen Mutter und Kind. Ich habe selber eine Weile gebraucht bis ich mich dazu verhalten konnte. Und ich bin froh, dass ich es geschafft habe ohne Ressentiments darüber zu berichten.
Es geht in Ihrem Buch auch um das Recht des Mannes auf Zärtlichkeit, Einbindung in die emotionalen Beziehungen innerhalb des Familienkontextes und Passivität…
Vor allem das Recht auf Passivität finde ich irrsinnig wichtig. Wenn man mit einer Frau ins Gespräch kommt, ist man automatisch derjenige, der das Begehren zu äußern hat. Ich mache das schon lange nicht mehr und rate das auch anderen. Aber viele Frauen werden nach einer Weile aggressiv, weil sie nicht gelernt haben mit fehlender Bewerbung umzugehen, sie fühlen sich dann nämlich nicht respektiert.
Früher galt es ohnehin als uncool, Frauen anzubaggern. Und ich empfehle jetzt: Zurücklehnen und warten bis man selber angebaggert wird. Ich kann nur sagen, es passiert auch.
Was issn das fürn Weichei
„Vor allem das Recht auf Passivität finde ich irrsinnig wichtig. Wenn man mit einer Frau ins Gespräch kommt, ist man automatisch derjenige, der das Begehren zu äußern hat. Ich mache das schon lange nicht mehr und rate das auch anderen.“
Sorry, aber sei mal ein Mann!