Raphael Gualazzi, können Sie zunächst etwas über Ihre Musikanfänge erzählen?
Gualazzi: Ich habe mit neun Jahren angefangen, Klavier zu spielen und mit 14 habe ich klassische Musik am Konservatorium studiert. Dort habe ich mich mit Kommilitonen in kleinen Bands zusammengetan, wir haben Rock gespielt, Led Zeppelin, Deep Purple und Queen aber auch Jazz. Mit 18 begann ich dann, mich für die Wurzeln von Blues und Jazz zu interessieren, für Musiker wie Roosevelt Sykes oder Robert Johnson. Ich habe dann auch selbst versucht, Songs in dem alten Stil zu schreiben und auf diese Blues-Weise zu singen. Dann stieß ich auf einen Musikstil der 10er bis 40er Jahre, den man „Stride Piano“ nennt, Art Tatum, Fats Waller, Mary Loo Williams haben so gespielt. Und da merkte ich, das war Musik, wie ich sie selbst auch gespielt habe.
Meine erste CD „Love outside the window“ kam dann 2005 heraus, mit Stride Piano, mit Soul, Bossa Nova…
Wie populär ist Jazz im Moment in Italien?
Gualazzi: Jazz war bis in die 50er Jahre sehr populär in Italien, aufgrund von Musikern wie Natalino Otto oder Lino Patruno. In den USA haben zu der Zeit Louis Prima, Frank Sinatra und Dino Crocetti, also Dean Martin große Erfolge gefeiert und das waren Söhne italienischer Einwanderer. Dieser Jazz-Tradition war Italien sehr verbunden, die Leute haben zu Musik von Duke Ellington und Count Basie getanzt.
Als dann Bebop und Hardbop kamen verlor der Jazz an Popularität. Die Musik hat sich zu schnell weiterentwickelt, da sind die Leute irgendwann nicht mehr mit den Musikern mitgekommen.
Trotzdem sollten wir uns dieser Musik natürlich widmen und versuchen, Wege zu finden, um sie kommunizieren können.
Nicola Conte sagte uns im Interview, dass das Interesse am Jazz in Italien heute vor allem von den vielen aktiven Musikern ausgehe…
Gualazzi: Ja, und Nicola Conte hat in dieser Hinsicht auch sehr viel geleistet, er war eine der Personen, die den Jazz in Italien wieder bekannter gemacht haben, man hat den Jazz wieder schätzen gelernt.
Sie schreiben Ihre Songs selbst, können Sie ein wenig über Ihre Art zu Komponieren erzählen?
Gualazzi: Ich bewege mich gerne zwischen verschiedenen Stilen, mal mische ich Latin-Jazz mit Soul, oder Rock mit Funk. Mein Song „Madness of Love“ ist eine Mischung aus der italienischen Gesangs-Tradition, mit der Vorliebe für große Melodien und Stride Piano. Ich will nicht immer nur bei einem Stil verharren, sondern mag es, neue Wege zu erforschen. Und ich genieße dabei auch die Freiheit der Improvisation,
Aber wie komponieren Sie?
Gualazzi: Sehr viel passiert während des Soundchecks. Denn jeder Ort, wo du spielst, ist anders, jede Bühne klingt anders, riecht anders, das Licht ist unterschiedlich… Du sitzt dann am Klavier, wartest auf den Tontechniker – wenn du dann die Hände aufs Klavier legst, dann kommt dir vielleicht eine Melodie in den Sinn, ein Rhythmus, ein Arrangement…
Ich bewege mich gerne zwischen verschiedenen Stilen.
So entstand auch „Madness of Love“?
Gualazzi: Nein, da war ich zuhause, lag auf dem Bett und plötzlich kam mir diese Melodie. Ich hab mir dann ein kleines Keyboard genommen und sie mit dem Computer aufgenommen. Und ein paar Tage später, da kam ich gerade von einem Blues-Festival zurück, fiel mir ziemlich schnell auch der Text dazu ein.
Mit „Madness of Love“ nehmen Sie 2011 für Italien am „Eurovision Song Contest“ teil. Was wussten Sie vorher über den Grand Prix?
Gualazzi: Um ehrlich zu sein, ich kannte den Wettbewerb gar nicht. Ich habe mich in meiner Jugend voll auf das Klavier konzentriert, ich habe kaum Zeit vor dem Fernseher verbracht. Ich habe heute auch keinen Fernseher – ich will nur Musik machen.
Und wann haben Sie vom „Eurovision Song Contest“ erfahren?
Gualazzi: Das war, als ich auf der Bühne des Festivals in Sanremo stand. Ich bekam den Preis als bester Newcomer und dann sagte man mir, dass ich zum „Eurovision Song Contest“ fahren könnte. Wow!
Ich glaube allerdings nicht an Wettbewerb wenn es um Musik geht, das war auch in Sanremo der Fall. Für mich ist es die Möglichkeit gewesen, mit meinem Projekt weiterzukommen, ich konnte meine Musik spielen und ein bisschen Werbung für mein Album „Reality and Fantasy“ machen. Aber ich habe mir nicht ausgemalt, dass ich in Sanremo etwas gewinnen könnte. Und vom „Eurovision Song Contest“ hatte ich ja auch keine Ahnung.
Jazz ist beim ESC kaum präsent. Was würden Sie abschließend sagen, warum ist es wichtig, Jazz-Musik zu hören?
Gualazzi: Jazz repräsentiert zwei wichtige Dinge: historisch gesehen ist es der Ursprung der Popmusik, zusammen mit dem Geist des Blues. Und für mich bedeutet Jazz Freiheit, Jazz ist etwas, was sich immer weiterbewegt. Diese Bewegung ist glaube ich auch allgemein sehr wichtig für unsere Kultur.