Reinhold Neven Du Mont

Aus Privilegien erwächst Verantwortung.

Reinhold Neven Du Mont war bis 2001 Verleger und Inhaber des Verlags Kiepenheuer & Witsch. 2016 hat er unter dem Titel „Mit Büchern und Autoren. Mein Leben als Verleger“ seine Erinnerungen veröffentlicht. Heute feiert er seinen 80. Geburtstag. Im Interview spricht Neven Du Mont über Familiendynastien, Privilegien, einen gefloppten Roman und die Fatwa gegen Salman Rushdie.

Reinhold Neven Du Mont

© Kiepenheuer & Witsch

Herr Neven Du Mont, als Sie 1969 den Verlag Kiepenheuer & Witsch übernahmen, waren Sie Anfang 30. Wenn Sie heute nochmal in diesem Alter wären, was für Bücher würden Sie verlegen?
Reinhold
Neven Du Mont: Ich sehe ein Thema – wen wird es überraschen – in der Situation, in die Deutschland und ganz Europa durch den Ansturm der Flüchtlinge gestellt ist. Ich würde mich mit dem Thema PEGIDA und der Alternative für Deutschland beschäftigen, da sehe ich genügend Aufklärungsbedarf. Kritische Bücher haben die Aufgabe, aufzuklären. Etwas, was in den Tageszeitungen, Wochenzeitungen, Magazinen nicht unbedingt täglich nachzulesen ist, in anderer Form aufzuarbeiten. Der Punkt ist, dass man sich eines Themas annimmt, bevor es alle Spatzen von den Dächern pfeifen.

Ihr Vater war der Zeitungsverleger Kurt Neven Du Mont. War Ihr Einstieg ins Verlagsgeschäft damals eine ausgemachte Sache?
Neven Du Mont: Ich habe bereits im Januar ’63 bei Kiepenheuer & Witsch zu arbeiten begonnen. Damals noch unter Joseph Caspar Witsch, der dann unerwartet erkrankte und 1967 starb. Da geriet der Verlag in eine ungute Interimssituation. Keiner wusste so recht, wie es weitergeht, denn Witsch hielt alle Zügel in der Hand.

Er benannte Sie im Testament als seinen Nachfolger.
Neven Du Mont: Das war natürlich ein starker Impuls und hat mich sehr gefreut. Ich kann mich noch sehr gut an den Moment erinnern, als ich das Testament las und dort der Satz stand, dass er sich wünschen würde, dass ich sein Nachfolger werde, dass er mir das zutraut. Das hat mich stark beeindruckt, denn ich war jung und hatte noch nicht viel vorzuweisen.
Ausschlaggebend für meine Entscheidung waren auch eine Reihe von Autoren bei Kiepenheuer & Witsch, die ich sehr schätzte und sehr verehrte. An erster Stelle natürlich Heinrich Böll, aber auch Joseph Roth und Erich Maria Remarque.

Zitiert

Ich hatte die Freiheit, wählen zu können.

Reinhold Neven Du Mont

Die Zeit Ende der 60er Jahre war von Aufbruch gekennzeichnet. Hat Sie der Zeitgeist beeinflusst?
Neven Du Mont: Es war eine glückliche Fügung, dass ich genau in dieser Zeit die Chance bekam, Verleger zu werden. Die konservativen Ideen der Adenauer-Aufbaujahre waren abgewirtschaftet, es herrschte eine Aufbruchstimmung. Sie müssen es sich so vorstellen, als hätten Sie jahrelang in einen Raum mit geschlossenen Fenstern verbracht – und mit einem Mal kommt frische Frühlingsluft herein. Das ist belebend.

Wie blickten Sie damals auf Ihren älteren Bruder Alfred, der vom Vater den Zeitungsverlag DuMont Schauberg übernahm?
Neven Du Mont: Ich war eigentlich froh, dass er den Zeitungsbetrieb übernommen hatte. Das war damals schon ein großes Unternehmen mit einer großen Druckerei. Man hat mich oft gefragt, ob ich nicht eifersüchtig auf ihn gewesen sei, weil er den Betrieb bekam und ich erst einmal nichts: Aber nein, war ich nicht.

Sie bekamen die Freiheit…
Neven Du Mont: Richtig, ich hatte die Freiheit, wählen zu können und nicht vom Vater gerufen zu werden. Mein Bruder hatte damals die Falckenberg-Schule für Schauspiel in München besucht, stand mit den ersten Rollen auf der Bühne. Er war begabt. Dann kam unser Vater und hat ihn nach Köln gerufen. Er ist diesem Ruf gefolgt und hat dafür seine Schauspielkarriere aufgegeben.

Hätte er ablehnen können?
Neven Du Mont: Mein Vater hätte Druck ausgeübt. Wenn er sich gesträubt hätte, wäre mein Vater nicht sehr erfreut gewesen.

War es denkbar, dass die Familie Neven Du Mont die jüngste Tochter und nicht den ältesten Sohn als Nachfolger einsetzt?
Neven Du Mont: Da hat sich im allgemeinen Bewusstsein Gott sei Dank vieles verändert. Natürlich würde man heute auch eine Tochter in Betracht ziehen, damals nicht. Das Zeitungshaus ist seit Generationen in der Familie. Es erbten immer die Männer. Es gab sicher auch begabte und ehrgeizige Frauen, aber die kamen nicht zum Zug. Ich hatte zwei hochbegabte Schwestern. Keine von beiden hat nachdrücklich gesagt: Ich will Chefin der Mediengruppe DuMont Schauberg werden. Das wurde nicht in Betracht gezogen.

Sie haben sich in Ihrem ersten Jahr als Verleger mit zwei Entdeckungen die Aufmerksamkeit gesichert. Die eine waren Günter Wallraffs „13 unerwünschte Reportagen“. Wie sind Sie auf ihn gestoßen?
Neven Du Mont: Das war Glück. Wallraff war mir durch ein Theaterstück aufgefallen, das er für die Ruhrfestspiele geschrieben hatte, da war ich sofort Feuer und Flamme. Sein Buch passte genau in mein Konzept, es war ein Buch, mit dem man sich auch ausweisen konnte.

Fühlten Sie sich unter Druck?
Neven Du Mont: Die Neugier der verlagsinternen und der buchhändlerischen Öffentlichkeit aber auch in den Zeitungsbetrieben war mir gegenüber schon groß. Man wollte wissen, ob ich in die großen Schuhe des Joseph Caspar Witsch passe. Wallraffs Reportagen waren ein glücklicher Umstand. Und man kann aus heutiger Sicht sagen: Dieses Buch wäre unter Witsch unvorstellbar gewesen.

Weshalb?
Neven Du Mont: In einer der Reportagen ist Wallraff Portier beim Kölner Versicherungskonzern Gerling. Der alte Gerling lebte noch als sich Wallraff als Portier auf seinen Schreibtisch setzte und dort ablichten ließ. Witsch war mit Gerling befreundet, das wäre also ganz undenkbar gewesen.

Ihre zweite wichtige Entdeckung war „Hundert Jahre Einsamkeit“ des Kolumbianers Gabriel García Márquez…
Neven Du Mont: Davon hatte mir eine Lektorin berichtet. Wobei ich erst dachte: Zehn Jahre Einsamkeit ist schon viel, Hundert Jahre, das muss ja eine trübselige Geschichte sein. Mich hat dann aber der Übersetzer Curt Meyer-Clason überzeugt, mit einem Trick: Er hat mir den ersten Satz des Buches vorgelesen. Und der ist so wunderbar, dass ich gesagt habe: OK,wir machen es. Dieses Buch kam der Entdeckung eines ganzen Kontinents gleich, denn Lateinamerika war bis dahin ein weißer Fleck auf der literarischen Landkarte. Viele andere Verlage haben daraufhin angefangen nach südamerikanischen Autoren zu suchen. Das war eine Initialzündung.

dumont coverWie findet man als Verleger eigentlich seine Autoren?
Neven Du Mont: Es ist ein rätselhafter Vorgang, denn es gibt natürlich kein Rezept. Der alte Ernst Rowohlt hat einmal gesagt, er riecht an einem Manuskript und dann weiß er, was los ist. (lacht) Wichtig ist, dass dem Verleger eine Reihe guter Lektoren zur Seite steht, die eine Vorauswahl treffen. Lektoren, Presseabteilung und Vertrieb diskutieren dann – und das letzte Wort hat der Verleger.

Ihre Beziehung zu den Autoren war oft persönlich geprägt. Ist das immer angenehm?
Neven Du Mont: Ich wurde einmal auf einen bestimmten Autoren angesprochen und gefragt, warum ich mir das antun würde. Ich habe geantwortet: Würde ich nur nette und sympathische Autoren verlegen, dann hätte ich ein langweiliges Programm. Dahinter steht immer ein Mensch, eine Persönlichkeit. Wenn ein Autor schwierig ist, wenn er unzufrieden ist, wenn er nörgelt, Ansprüche stellt, die über das hinausgehen was ihm zusteht, dann muss man ihn mit Geduld und Geschick bändigen.

Sie haben viele Autoren zu Hause besucht. Gab es auch skurrile Begegnungen?
Neven Du Mont: Es gab damals einen von Studenten viel gelesenen Psychoanalytiker, Ronald D. Laing. Dieser Laing hat unter anderem mit Drogen experimentiert und sprach sich dafür aus, Drogen therapeutisch einzusetzen. Ich bin also zu ihm nach England aufs Land gefahren, wo er ein Häuschen mit Garten hatte. Als ich klingelte sprang zuerst ein gigantischer Hund mit gefletschten Zähnen auf mich zu und legte mir seine Pfoten auf die Schultern. Ich guckte in das aufgerissene Maul eines gigantischen Tieres.

Und der Autor?
Neven Du Mont: Er erschien in der Tür und fragte mich, ob ich eine gute Reise gehabt hätte. Er stellte mir ganz konventionelle Fragen, während ich immer noch im Garten stand mit dem Vieh auf den Schultern. Erst nach einer Weile rief er den Hund zurück. Ich war ziemlich geschockt, aber Laing erklärte mir dann, es hätte sich um einen Test gehandelt. Er wollte herausfinden, wie ich auf Schrecksekunden reagiere.

Weitaus gefährlicher muss die Situation gewesen sein, nachdem über Salman Rushdie eine Fatwa verhängt wurde. Bei Kiepenheuer & Witsch sollte die deutsche Übersetzung des Romans erscheinen.
Neven Du Mont: Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als ich in den Verlag kam und mir eine Mitarbeiterin mit vor Schreck geweiteten Augen sagte: Wissen Sie denn nicht, dass Sie zum Tode verurteilt sind?

Wie ist man damit umgegangen?
Neven Du Mont: In Deutschland wurde extra ein Verlag gegründet, der nur dieses eine Buch veröffentlicht hat und der mehr als 80 Herausgeber hatte,
darunter auch Kiepenheuer & Witsch. So wurde das Risiko auf viele Schultern verteilt.

Sie haben selbst zwei Romane geschrieben, wobei der zweite „Der Maskensammler“ kein großer Erfolg wurde. Hat Sie das geschmerzt?
Neven Du Mont: Sie drücken es freundlich aus. Der erste hieß „Die Villa“ und war ein ansehnlich mittlerer Erfolg mit einer nachfolgenden Taschenbuchausgabe. Dann kam „Der Maskensammler“ und war ein Flop, ein absoluter Reinfall für den Verlag und für mich entmutigend. Ich habe neulich zum Spaß noch einmal drin geblättert und finde es nach wie vor ein gutes Buch – oder sagen wir es so: ein geliebtes Kind. Und wer Kinder hat weiß, aus dem einen wird etwas, aus dem anderen nicht. (lacht)

Durch das Vermögen und die Verbindungen Ihrer Familie war Ihr Leben mit einigen Privilegien ausgestattet. Haben Sie je über ein Leben ohne diese Möglichkeiten nachgedacht?
Neven Du Mont: Umgekehrt, ich war mir sehr bewusst, dass mir diese Privilegien zuteil wurden. Es kam mir absolut nicht selbstverständlich vor, sondern ich dachte: Dafür habe ich dankbar zu sein. Wenn man in so eine privilegierte Situation hineingeboren wird, dann erwächst einem daraus auch Verantwortung. Es hätte mir nicht genügt, einen Privatflieger und eine Yacht zu kaufen, sondern man muss aus den Privilegien auch etwas machen. Wenn einem das gelingt, dann muss man sich auch nicht schämen, für das was einem zuteil geworden ist.

In Ihrer Autobiografie ziehen Sie Bilanz nach 33 Verlegerjahren. Welche Kapitel wollen Sie Ihrem Leben noch hinzufügen?
Neven Du Mont: Ich werde im November 80. Wie viele Kapitel sind da noch offen? Ich weiß es nicht. Vielleicht habe ich noch ein bisschen Muße, vielleicht nicht. Noch einen weiteren Roman zu schreiben, würde mich reizen. Da habe ich auch schon eine Idee, die verrate ich Ihnen aber nicht

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