Richy, in "Die innere Sicherheit" spielst Du einen Terroristen, der zusammen mit Frau und Tochter im Untergrund lebt. Hast Du Dich für den Film besonders mit Terrorismus in Deutschland, RAF befasst?
Müller: Nein, denn im Grunde geht es ja nicht um Terroristen, sondern es geht in erster Linie um Eltern, die eine Tochter haben, die sich in diesem Loslösungsprozess befindet. Sie ist jung, 15 Jahre, in der Pubertät, und erschwerend kommt hinzu, dass alle drei im Untergrund leben. Irgendwann bekommt man mit, dass die Eltern bei der RAF waren und dass es von der Ideologie her Leute sind, die aus der Gesellschaft ausgebrochen sind und jetzt mit total normal-gesellschaftlichen Problemen konfrontiert sind. Aber der Terrorismus an sich wird im Film nicht thematisiert.
Als es noch um die Finanzierung des Films ging, wurde Regisseur Christian Petzold gefragt, ob man den Film nicht lieber über untergetauchte Immobilien-Spekulanten als über Terroristen drehen sollte. Hättest Du denn auch den Immobilien-Flüchtling gespielt?
Müller: Nein, obwohl das natürlich eine Frage ist, wie das Drehbuch aussieht. Der Vorschlag kam von der Produktionsfirma, die kalkulieren dann, dass untergetauchte Immobilienhändler auf das Kinopublikum weniger abschreckend wirken als Terroristen bzw. RAF. Aber zu diesem Rollentausch wäre es nie gekommen, weil Christian Petzold eine eigene Geschichte erzählen will.
Und Dich hat das Thema Terrorismus auch nicht abgeschreckt, als Du das erste Mal das Drehbuch gelesen hast?
Müller: Nein, überhaupt nicht, aber es hätte mich auch nicht abgeschreckt, wenn ich den Immobilienmakler hätte spielen müssen. Nur liegt der Unterschied darin, dass sich der Spekulant in den Untergrund begibt, weil er kriminelle Dinge gemacht hat und der Terrorist – angenommen er hat niemanden umgebracht – im Untergrund lebt, weil er politisch anders denkt.
Im Film lebst Du auf der Flucht, darfst nicht auffallen, nichts falsch machen – warst Du in Deinem Leben schon mal in einer ähnlichen Situation?
Müller: Direkt eine solche Situation gab es nicht, aber es gab für mich auch Momente des Nichtrauskommens. Anfang der 80er Jahre ging es mir als Schauspieler nicht gut und damals stand in Berlin ja noch die Mauer, man lebte ein bisschen wie im Untergrund. Wenn Du zwei Jahre nicht aus Berlin rausgekommen bist, hast Du langsam so eine Art Insel-Koller gekriegt. Das hing auch damit zusammen, dass ich keine Arbeit hatte oder ich das, was man mir anbot, nicht machen wollte. Insofern hab ich schon ein bisschen im Untergrund gelebt, das ging teilweise soweit, dass ich vergaß, dass ich überhaupt Schauspieler war. Ich hab dann mein Geld mit anderen Dingen verdient und teilweise nur durchgehangen. Von der Aussichtslosigkeit her war das wie Untergrund.
Ihr seid mit "Die Innere Sicherheit" zum Festival nach Venedig gekommen, auch wenn der Film nicht im Wettbewerb lief. Gibt es für Dich Maßstäbe in dieser Hinsicht, ein Festival auf dem Du unbedingt mal mit einem Film präsent sein willst?
Müller: Darüber mache ich mir eher weniger Gedanken, weil das oft Politik ist, auch in Venedig. Es gibt ja Scouts, die um den Globus reisen um Filme zu sichten. Der Venedig-Scout schaute sich unseren Film an und sagte, ‚den will ich unbedingt haben‘ und meinte der Festival-Chef sollte sich ihn anschauen. Der kam dann, guckte sich den Film an und sagte, er würde ihn gern im Wettbewerb haben, aber sagte ‚da wir demokratisch sind, muss ich die Entscheidung erst mal durchs Gremium gehen lassen‘. Zum Schluss waren im Wettbewerb Richard Gere, Robert Altman, Harrison Ford – bekannte Namen halt. Wir sind schließlich gelandet in einer guten Reihe, da kann man nichts gegen sagen…
…und dass der Film nicht im Wettbewerb lief, siehst Du eher gelassen.
Müller: Ja, ich mach doch einen Film nicht nur, damit er auf den Festivals läuft, sondern in erster Linie um die Arbeit zu machen, Arbeit zu haben. Das ist immer der Beweggrund: warum arbeitet man – weil man arbeiten muss. Es gibt ja die berühmte Frage: was macht der Schauspieler, wenn er keine Arbeit hat – grübelnd sitzt er zu Hause. Es muss natürlich auch andere Dinge geben, die dich ausfüllen, das kann nicht nur der Beruf sein. Für mich sind das die Familie, und wenige einfache Dinge, auf die ich mich reduziere.
Eins Deiner Hobbys ist der Rennsport, Kartfahren, wie kommt es dazu?
Müller: Ich wollte als Junge immer Rennfahrer werden, aber ich hab das nie ausgesprochen und es blieb mein Wunschtraum. Ernsthaft hab ich mich damit nie befasst, genauso wenig, wie ich mich damit befasst habe, Schauspieler zu werden. Ich bin Werkzeugmacher geworden, hab in dem Beruf gearbeitet und dann gab es eine göttliche Fügung, dass mir jemand gesagt hat, ‚mensch, geh doch mal auf eine Schauspielschule‘ – dann lief das. Später kam plötzlich die Erinnerung, dass ich vom Rennfahren immer fasziniert gewesen war. Seit dem hab ich ein bisschen dran gearbeitet und hab eine Fahrerausbildung gemacht. Oft stecke ich aber in der Arbeit, man ist versichert und darf nicht fahren, weil die Angst sehr groß ist, dass etwas passiert.
Hast Du die selber auch?
Müller: Nein, gar nicht, weil Rennsport ist weniger gefährlich als im Flieger von München nach Berlin zu fliegen. Du sitzt in einem Auto, was sehr stabil gebaut ist. Alle fahren nur in eine Richtung. Alle fahren schnell, und es gibt weder Ampeln noch Besoffene. Ich versuche seit langem schon, mal eine komplette Saison zu fahren. Rennsport ist für mich so eine Befriedigung dessen, was man als Schauspieler nicht hat. Du als Journalist hast ein Blatt Papier und kannst darauf schreiben, Du kannst es Dir angucken und hast etwas in der Hand. Als Schauspieler hast Du nichts in der Hand. Wenn Du Dir unsicher bist, gehst Du als Schauspieler abends immer nach Hause und fragst Dich: ‚hätte ich das nicht besser machen können‘. Und du fängst an viel zu grübeln. Wenn ich jetzt Rennen fahre, hab ich – wie Du Dein Blatt Papier – ein Auto in der Hand. Das hat dann erst mal nichts direkt mit mir zu tun. Wenn Du als Schauspieler schlecht bist, dann glauben viele, du bist als Mensch auch schlecht. Wenn ich aber als Rennfahrer schlecht bin, kann ich sagen, das Auto lief nicht richtig, die Bremse hat nicht funktioniert. Als Schauspieler kann ich das nicht und dazu hab ich den Rennsport als Ausgleich. Ich fahre halt gerne schnell, dazu kommt, dass Rennsport ist immer eine Sache des Timings ist. Auch 50% der Schauspielerei ist Timing, die Frage wann mache ich was. Rennsport ist präzises Timing, eine Runde abzuspulen, genau immer zum gleichen Punkt zu kommen, Gleichmäßigkeit finden – Gleichmäßigkeit ist immer viel schwieriger als eine Chaos-Runde hinzulegen. Du musst ein Rhythmusgefühl entwickeln, wie beim Schauspiel und überlegen, wann mache ich einen Blick, wann hebe ich meine Hand, wann fasse ich jemandem ins Gesicht. Wenn man genau hinguckt sieht man, dass schlechtes Schauspiel immer falsches Timing ist.
Vielleicht drehst Du ja mal einen Rennsportfilm?
Müller: Das wird sehr, sehr schwierig. Da gab es mal eine Serie auf Sat1, die Leute haben wirklich geglaubt, sie machen was tolles, aber es war unter aller Sau, einfach Hanebüchen. Aber da geht es ja auch nur ums Geld, wie viele Leute zuschauen und welche Werbeblocks geschaltet werden können.
Theater hat für mich immer diesen Vereinnahmungsvorgang.
Und wenn es nur noch ums Geld geht klinkst Du Dich aus?
Müller: Ich hab das von Anbeginn gemacht, ich hab "Die große Flatter" gemacht, das war sozusagen mein Durchbruch und ich wurde bekannt. Dann kam natürlich ein Angebot nach dem anderen, hier ein 10-Teiler, da ein 12-Teiler, aber ich wusste intuitiv, das kann’s nicht sein, besser als "Die große Flatter" konnte es nicht werden, das konnte nur ein Abklatsch werden. Und da ich nicht auf Kohle aus war, hab ich alles abgelehnt und hab mir dadurch das Leben schwer gemacht.
Gibt es etwas, was Du heute als Schauspieler anstrebst?
Müller: Das ist schwierig, als Schauspieler kann man nichts anstreben. Ich wünsche mir, dass sich die Rollen, die Figuren in jedem Fall steigern. Ich habe jetzt fast 25 Jahre hinter mich gebracht und ich weiß, ich hab ein Geheimnis gelernt, dass man ruhig bleibt bei dem Beruf, dass man von sich nicht zu viel verlangt, dass man mit der Ruhe an die Sachen rangeht. Und ich hab auch keine Angst vor dem Beruf. Früher hatte ich Angst vor Szenen. Ich war blind und nicht mehr phantasiereich vor Angst und dachte ‚oh Gott, wie mach ich das bloß‘. Heute gehe ich sehr gelassen zur Arbeit. Ich bin sehr anwesend, aber ich bin gelassen.
Könntest Du sagen, welche Charaktere, Rollentypen Dir im Moment am meisten liegen?
Müller: Ich bin sicher nicht der glatte Typ. Ich hab mein Leben lang versucht unterschiedliche Sachen zu machen, mich versucht aus einem festgelegten Status rauszuarbeiten, was mir meines Erachtens auch gelungen ist. Man bietet mir heute Rollen an, die nicht allzu leicht zu spielen sind, die nicht eindeutig, sondern eher vielschichtig sind und man sich die Figur erst erarbeiten muss. Eins-zu-Eins-Rollen sind für mich eher uninteressant.
Theater spielst Du heute kaum noch, oder?
Müller: Nein, das ist schwierig, Theater ist immer sehr zeitintensiv und wenn man Theater spielt ist man rund um die Uhr Theaterschauspieler.
Reizt nicht gerade die Mischung?
Müller: Ich würde es machen, bloß ist das oft nicht zu vereinbaren. Theater hat für mich immer diesen Vereinnahmungsvorgang. Selbst wenn du nur ein Stück spielst, dir wird etwas übergestülpt und du bist fast rund um die Uhr mit dem Stück beschäftigt. Man probt bis abends um elf, dann wird in der Kantine noch zusammen getrunken, dann geht man nach Hause, man muss noch Text lernen und morgens um zehn geht’s weiter. Das ist auch insofern ungünstig, dass man zwei Monate probiert, das Stück dann vielleicht drei Monate spielt und in den fünf Monaten permanent gebunden ist, zumal ich nicht der Typ bin, der sich einfach irgendwann umbesetzen lässt.
Und wenn’s doch mal Probleme gibt vor der Kamera, wo erholst Du Dich dann, wo findest Du Deine Ruhe?
Müller: Ich gehe in mich, man könnte das meditieren nennen.
Was ist Deine Droge?
Müller: Die Suche nach Ruhe und Gelassenheit, der Versuch gewissen Ängsten ganz gelassen gegenüber zu stehen. Ich hab schon sehr viel Gelassenheit gefunden, arbeite aber noch dran.
Was schaust Du Dir im Kino an?
Müller: Ich guck mir unheimlich viel Schrott an, auch Hollywood. Ich bin dann immer wieder erstaunt, wie perfekt der Schrott gemacht ist und frage mich, ob das daran liegt, dass da richtig viel Geld hinter steckt.
Das Leben ist ein Comic, welche Comicfigur bist Du?
Müller: Ich hab so ein Helfersyndrom, ich bin immer für die Leute da. Ich will nicht sagen, das ich so ein Superman bin, ich wäre wohl einer der sieben Zwerge, eher unauffällig. Ich mag das nicht, wenn Leute mit ihrer Hilfe oder Großzügigkeit groß an die Öffentlichkeit treten, eben zum Beispiel öffentlich für die Aids-Hilfe eintreten. Ich bin da eher der geheimnisvolle und bei mir ist das so eine Gefühlssache. Wenn jemand auf der Strasse bettelt, dann ist das ein Impuls, die Hand geht automatisch in die Tasche oder nicht. Ich helfe lieber in meiner engeren Umgebung, wenn jemand zum Zahnarzt muss und kein Geld hat, dann schick ich den zum Zahnarzt. Unmittelbare Sachen sind mir lieber, als dann groß gelobt zu werden, ich mag diesen Rummel nicht.