Robert Amsterdam

Putin hat Angst vor Chodorkowski.

Anwalt Robert Amsterdam über die Gefangenschaft seines Mandanten Michail Chodorkowski, die Rolle der deutschen Wirtschaft in Russland, Putins Medienpräsenz und Gerhard Schröders Geldgier

Robert Amsterdam

© Tobias Goltz

Mr. Amsterdam, Sie sind einer der Anwälte von Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowski, der wegen Steuerhinterziehung und planmäßigem Betrug zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, die er derzeit in einem sibirischen Arbeitslager verbüßt. Welche Bedeutung hat der Fall Chodorkowski für Sie persönlich?
Amsterdam: Eine ganz besondere! Man kann sich nicht mit dem Fall beschäftigen, ohne persönlich davon ergriffen zu sein, wenn man sieht, wie ein einziger Mensch von einem ganzen Regierungsapparat verfolgt wird. Als Verteidiger von Michail Chodorkowski bleibt mir in Verhandlungen, in denen das Gesetz keine Rolle mehr spielt, oft nur die Möglichkeit, Augenzeuge schrecklicher Verstöße gegen die Menschenrechte zu sein. Wirklich Einfluss nehmen kann ich jedoch nicht. Ich werde nie vergessen, mit welch unglaublicher Kraft Chodorkowski diese Prozesse durchsteht, die ich selbst niemals durchstehen würde. Das ruft eine große Bewunderung in mir hervor.

Sie sagten einmal, dass man als Anwalt keine Angst verspüren dürfe, sonst sei man für den Beruf nicht geeignet.
Amsterdam: Ich glaube nicht, dass es darum geht, keine Angst zu verspüren. Vielmehr erreicht man irgendwann den Punkt, dass die Werte, für die man kämpft, viel wichtiger sind als die eigene Furcht.

Welche Prinzipien sind Ihnen als Rechtsanwalt besonders wichtig?
Amsterdam: Das wichtigste Prinzip ist für mich, den eigenen Prinzipien treu zu bleiben. Man kann nicht einfach irgendwelchen Prinzipien nachgehen, wenn man diese nicht selber lebt und entsprechend mit anderen Menschen verfährt. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sind keine abstrakten Belange, wir werden jeden Tag aufs Neue damit konfrontiert. Zum Beispiel, wenn wir Landesgrenzen überqueren oder unsere Einkäufe verzollen. Diese Themen sind simpel, aber ich vertrete sehr stark die Meinung, dass es gerade auf diese simplen Dinge ankommt, wenn es darum geht, im Alltag zurechtzukommen.

Welche neuen Anschuldigungen werden gegenüber Chodorkowski erhoben, die eine Entlassung auf Bewährung verhindern?
Amsterdam: Diese Anschuldigungen entbehren jeder Grundlage, sie sind Unsinn. Ihm wird Geldwäsche vorgeworfen, darüber hinaus noch Preisabsprachen und Diebstahl. Aber das ist im Endeffekt völlig unlogisch. Ich habe mir die Vorwürfe angesehen, einige der weltweit renommiertesten Experten ebenfalls. Sie konnten alle nur mit dem Kopf schütteln. Ich denke dabei noch nicht einmal, dass es bei den neuesten Anschuldigungen bleiben wird. Vielmehr handelt es sich um einen Vorwand, um Chodorkowski weiter festzuhalten, bis neue, absurde Vorwürfe aufkommen.

Russische Gefängnisse sind für Ihre schlimmen Zustände berüchtigt – wie schafft es Chodorkowski, nicht psychisch zusammenzubrechen oder verrückt zu werden?
Amsterdam: Ich denke, er lebt von seinen Gedanken, er liest unglaublich viel. Außerdem liebt er seine Familie. Das gibt ihm viel Kraft. Er ist eine unglaublich starke Persönlichkeit und Russland sehr verbunden, weit über das Putin-Regime hinaus.

Putins Partei „Einiges Russland“ hat wie erwartet die Duma-Wahl mit mehr als 60 Prozent gewonnen. Im März stehen die Präsidentschaftswahlen an, die jedoch keinen politischen Kurswechsel in Aussicht stellen. Was bedeutet das für Chodorkowski?
Amsterdam: Putin hat Angst vor Chodorkowski so lange er an der Macht ist. Außerdem hat er Angst vor einer großen Konfrontation. Deshalb erwarte ich keine großen Veränderungen und halte meine Erwartungen sehr niedrig. Denn das heutige Russland ist ein vollständig instabiles, widersprüchliches Land. Es ist nicht möglich, reale Einschätzungen zu treffen.

Die russische Journalistin Elena Tregubowa, die im Exil in London lebt, schreibt in ihrem Buch „Die Mutanten des Kreml“ dass sie befürchtet, dass Putin Chodorkowski nach seiner Haftentlassung nicht lebend davonkommen lassen wird. Teilen Sie diese Befürchtung?
Amsterdam: Sicherlich verstehe ich ihre Befürchtungen, aber als Verteidiger von Chodorkowski darf ich diese Ansicht nicht vertreten. Ich darf in diese Richtung nicht einmal denken.
Es ist tragisch, zu beobachten, wie Wladimir Putin versucht, jeden Meter der politischen Landschaft für sich zu gewinnen. Er kämpft um jedes Mikrofon, um jeden öffentlichen Auftritt und erinnert mich dabei an ein kleines Kind, das auch ständig Aufmerksamkeit braucht.
Putin verfolgt ein Konzept, das Anna Politkowskaja den „Doppelgänger“ nannte. Eine bloße Fassade, ein Blendwerk. Während des Chodorkowski-Prozesses bekamen wir dieses Konzept täglich zu spüren, als wir realisieren mussten, dass die Richter keine echten Richter waren, der Staatsanwalt kein Staatsanwalt und das Gericht kein Gericht. Wie soll man Rechtsgrundsätze diskutieren, wenn man an einer Farce teilnimmt? Putin verwendet dieses „Doppelgänger“-Prinzip fortwährend. Kürzlich sprach er sogar davon, russische Menschenrechtskonzepte nach Europa bringen und ein eigenes Institut in Brüssel eröffnen zu wollen.

Chodorkowski wird vorgeworfen, sein Geld mit sehr fragwürdigen, teilweise ungesetzlichen Methoden verdient zu haben. Wie entgegnen Sie dem Argument, nun sei ihm das Geld halt auf ähnliche Weise wieder weggenommen worden? Warum sollte sich die internationale Öffentlichkeit auf die Seite von Chodorkowski stellen?
Amsterdam: Erstens: derartige Anschuldigungen gegen Chodorkowski sind mir bekannt, aber falls sie wahr wären, hätten die russischen Behörden entsprechende Beweise vorgelegt. Chodorkowski wurde aber nicht angeklagt wegen der Art und Weise, wie er sein Geschäft aufgebaut hat, sondern wegen angeblicher Steuerhinterziehung. Die Tatsache, dass es einen reinen Showprozess gab, beweist mir Chodorkowskis Unschuld.
Zweitens: wenn ich von Unschuld spreche, horchen alle sofort auf, denn niemand vertritt die Ansicht, dass die Privatisierungen in den 90er Jahren wirklich legal vollzogen wurden. Und da widerspreche ich. Ich bin einer der wenigen Menschen, die glauben, dass Chodorkowski für Yukos in Wahrheit zu viel bezahlt hat. Er wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, weil er zu viel bezahlt hat. Er kaufte Yukos, da er an ein Land glaubte, das zu dem Zeitpunkt vollkommen außer Kontrolle geriet. Kurz vor einer Wahl, als es so aussah, dass die Kommunisten an die Macht kommen würden. Es war absolut wagemutig, Yukos damals zu erwerben. Leider hat er für diese Entscheidung bitter bezahlen müssen.
Auch die Vorstellung, dass Putin Stabilität gewährleistet, während die Oligarchen für Instabilität stehen, ist erwiesenermaßen falsch. Die Gewalt im Land hat im Vergleich zur Ära Jelzin zugenommen und das politische System ist heutzutage deutlich instabiler.
Hinzu kommt nun noch die Welle der vom FSB ausgeübten Gewalt. Das widerspricht in jeder Hinsicht dem Gesetz.

Inwiefern haben Sie die Unterdrückung der russischen Behörden am eigenen Leib zu spüren bekommen?
Amsterdam: Ich wurde unter anderem festgenommen. Das war am 25. November 2005. Bereits im Vorfeld wurde ich von russischen Neonazigruppen verfolgt, wobei ich nicht glaube, dass diese Neonazis echt waren. Ich vermute vielmehr, dass sie für den FSB gearbeitet haben.
Dann kann ich keine Telefonate nach Russland führen, da die Leute dort befürchten, dass sie ständig abgehört werden. Ich kann auch keine Emails dorthin versenden, weil die Menschen befürchten, dass sie abgefangen und gelesen werden. Und das völlig zu recht, da nach russischem Gesetz die Betreiber von Emailservern dazu verpflichtet sind, der Polizei, beziehungsweise zunächst einmal den Internetanbietern sämtliche Benutzerdaten mitzuteilen. Und obwohl es sogar dem dortigen Gesetz widerspricht, hat die russische Polizei Zugriff auf den gesamten Emailverkehr. Das wird entsprechend ausgenutzt.

Wie genau?
Amsterdam: Das Internet wird in Russland großflächig überwacht. Deshalb ist jegliche Art von persönlicher Kommunikation über das Internet ständig mit einem sehr bedrückenden Gefühl verbunden, zumal die Kontrolle nach sehr willkürlichen Kriterien erfolgt.

Woher kommt eigentlich Ihr großes Interesse für Russland?
Amsterdam: Russland hat in meinem Leben immer eine bedeutende Rolle gespielt, sowohl in intellektueller als auch in politischer Hinsicht. Ich habe mich schon mit zwölf Jahren für Russland interessiert. Um ehrlich zu sein, war ich zunächst Kommunist. Mitte der 70er Jahre war ich schließlich zum ersten Mal in Moskau. Im Laufe meines Lebens habe ich viel über die russische Kultur, die Politik, aber auch über die Religion gelernt. Vor einigen Jahren war ich als Rechtsanwalt in einen Fall involviert, in dem es um die Prinzipien der Russisch-Orthodoxen Kirche ging. Man kann sagen, dass Russland für mich im Laufe der Zeit zu einer richtigen Leidenschaft geworden ist.

Zitiert

Irgendwann erreicht man den Punkt, an dem die Werte, für die man kämpft, viel wichtiger sind als die eigene Furcht.

Robert Amsterdam

Gerade weil Ihrer Meinung nach so vieles falsch läuft?
Amsterdam: Ich bin sehr verärgert darüber, dass ein Großteil des Geschehens in Russland, das mich persönlich erschreckt, nur von wenigen beachtet wird. Stattdessen findet man zum Beispiel in Deutschland eine Reihe von hochrangigen Personen aus Politik und Wirtschaft, die das Verhalten des Kreml-Regimes verteidigen und ihre Position ausnutzen, um von der russischen Regierung finanzielle Vorteile und Reputation zu erhalten. Alles, was zum Beispiel Gerhard Schröder über Russland sagt, ist falsch. Er hat einen schrecklichen Handel betrieben, der gegen die wesentlichen Grundsätze der deutschen Verfassung verstößt, und er hat geglaubt, dass er einem Autokraten seine Macht und seine Befugnisse zur Verfügung stellen kann, um die Lage in Russland dadurch zu stabilisieren. Wie ein deutscher Kanzler zu so etwas in der Lage sein konnte, kann ich in keiner Weise verstehen. Erst als er für Gazprom tätig wurde, wurde mir klar, was dahinter steckte. Gerhard Schröder steht nicht für den Rechtsstaat, sondern für das schnelle Geld. Deshalb sage ich: Bevor wir Putins Russland verurteilen, müssen wir Schröders Europa zur Rechenschaft ziehen.

Konkreter?
Amsterdam: Wir müssen diejenigen an den Pranger stellen, die diese Korruption in Russland überhaupt erst ermöglichen. Wir müssen die Dresdner Bank fragen, warum sie letztes Jahr den internationalen Börsengang von Rosneft begleitet hat, nachdem Rosneft am meisten vom staatlichen Diebstahl von Yukos-Eigentum profitiert hat. Und wir müssen die Deutsche Bank fragen, warum sie seinerzeit Gazprom empfohlen hat, sich an der Versteigerung der Yukos-Tochter Yuganskneftegas zu beteiligen – übrigens mit dem Wissen von Gerhard Schröder. Damit haben sich deutsche Banken am Raub von Yukos-Eigentum mitschuldig gemacht. Und wir wissen doch, dass Gazprom nicht nur betrieben wird, um Profite zu erzielen, sondern als politisches Druckmittel dient. Gazprom ist ein universelles Einsatzmittel. Angefangen beim Fussballsponsoring bis hin zur Propaganda für den Kreml und dessen beste Freunde. Korruption ist wie ein Virus. Wenn Putin Berlusconi, Chirac oder Schröder einlädt, dann übermittelt er eine Nachricht an jeden europäischen Politiker. Die lautet: Spiele Ball mit denen, die politische Verantwortung tragen und benutze sie als Spielball, wenn sie nicht mehr in der Verantwortung stehen.

Michail Chodorkowski sagte einmal, dass Russland den Westen überhaupt nicht erpressen kann, da es viel zu teuer sein würde, die Öl- und Gaslieferungen einzustellen. Nichtsdestotrotz verhalten sich die westlichen Industrienationen gegenüber Russland sehr zurückhaltend und diplomatisch, was ja eher auf eine Angst des Westens hinweist.
Amsterdam: Ja, und das ist völlig falsch. Ich habe dafür überhaupt kein Verständnis. Das letzte Mal, als Russland die Gaslieferungen einstellte, reagierte Europa so heftig, dass sich Russland seitdem durchgehend auf Deeskalationskurs befindet, was die Energieversorgung angeht. Europa braucht Russland nicht zu fürchten, aber es muss seine eigenen Schwächen in den Griff bekommen. Erst wenn Europa seine eigenen Wettbewerbs- und Bankgesetze gegen die Komplizen des Kremls einsetzt, wird sich die Situation in Russland verändern.

Inwiefern hat sich aus Ihrer Sicht die deutsche Russland-Politik seit dem Regierungswechsel 2005 verändert?
Amsterdam: Mit Frau Merkel hat Deutschland nunmehr eine würdige Kanzlerin. Und Gerhard Schröder ist jetzt ein bezahlter Untergebener des Kremls, der seine Zeit vorwiegend damit verbringt, falsche Wahrheiten über Herrn Putin und Gazprom zu verbreiten.

Aber was konkret hat sich verändert?
Amsterdam: Ich denke, Frau Merkel kann einfach Frau Merkel sein und dadurch Wladimir Putin beeinflussen. Falls sie sich tatsächlich dafür entscheidet. Man braucht keine gute Beziehung, man muss nicht mit Autokraten gut Freund sein, man muss keine Diebe liebkosen. Auf diese Weise kommt man nicht zu einer Übereinkunft. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie denken wir im 21. Jahrhundert, dass wir Teile des negativen Verhaltens der Leute, die wir beeinflussen wollen, gutheißen müssen, um überhaupt Einfluss ausüben zu können. Das ist die Position der Sozialdemokraten. Die werden von der Energielobby in Deutschland dominiert und die Sozialdemokraten haben Deutschland mit ihrer Energiepolitik einen Bärendienst erwiesen. Eine vernünftige Energiepolitik ist eines der Schlüsselthemen, denen sich Frau Merkel annehmen muss.

Was kritisieren Sie an der deutschen Energiepolitik?
Amsterdam: Aus meiner Sicht ist zum Beispiel Eon bzw. Eon-Ruhrgas mitschuldig daran, was gerade in Russland geschieht. Eon hat in Berlin unglaublichen Einfluss. Diese Leute sind die Verteidiger des Kremls, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.
Ich habe mit Aribert Peters, dem Vorsitzenden des Bunds der Energieverbraucher, gesprochen und ihn gebeten, für die Freilassung von Chodorkowski zu sorgen. Er sah mich an, als ob ich verrückt wäre. Er sagte: „Wovon reden Sie? Was haben wir mit der Freilassung von Chodorkowski zu tun?“ Und ich meinte nur: „Sehr viel sogar. Sie müssen Druck machen, damit in Deutschland die Wettbewerbsgesetze eingehalten werden. Es kann nicht sein, dass Eon Ruhrgas einerseits auf einem vollen Gastank sitzt und andererseits diese unglaublichen Summen für Erdgas verlangen kann. Das ist nun einmal ganz offensichtlich gegen das deutsche Wettbewerbsgesetz. Wie soll ich jemals für die Freilassung von Chodorkowski sorgen, wenn wir noch nicht einmal dazu in der Lage sind, deutsche und europäische Wettbewerbsgesetze in Deutschland umzusetzen?“ Es gibt Personen in Deutschland mit starken wirtschaftlichen Interessen – zum Beispiel Klaus Mangold, den Vorsitzenden des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft – die reine Marionetten des Kremls sind. Diese Personen vertreten die von Gazprom geprägte Sichtweise auf das russische Leben, was sowohl für Deutschland als auch für Russland schlecht ist. Schröders Opportunismus wird einfach fortgeführt.

Was erwarten Sie von der deutschen Wirtschaft?
Amsterdam: Russland ist ein wichtiger Markt. Westliche Firmen sollten auf jeden Fall Geschäfte mit Russland machen. Allerdings sollten diese unter Verwendung transparenter, westlicher Methoden abgewickelt werden. Das wäre ganz im Interesse Russlands. Russland verfügt über einige der weltbesten, international tätigen Wirtschaftsgenies. Leider hat Russland als Handelspartner durch die Korruption viel an Reputation verloren. Das finde ich sehr bedauerlich. In Afrika und in Lateinamerika verlieren russische Unternehmen mittlerweile viele Kunden an chinesische Firmen, da das Vertrauen in das russische Geschäftsgehabe kontinuierlich schwindet. Das ist sehr schlecht für Russland.

In Russland selbst wünscht sich laut Umfragen die Mehrheit der Bevölkerung eine Fortsetzung der Ära Putin. Dies hat auch das Duma-Wahlergebnis gezeigt. Handelt es sich dabei nur um das Resultat von Putins erfolgreicher Medienkontrolle oder ist es eher das Verlangen der Russen nach einem starken Führer?
Amsterdam: Wer sagt denn, dass das die Mehrheit der russischen Bevölkerung wirklich möchte? Ich würde sämtliche diesbezüglich bekannten Zahlen erst einmal grundsätzlich in Frage stellen. Mein Hund könnte Präsident von Kanada sein, wenn die Bevölkerung jedes Mal ein Bild von ihm als Welpe sehen würde, wenn sie den Fernseher einschaltet.

Sie glauben: Eigentlich wollen die Russen Putin gar nicht?
Amsterdam: Falls Putin tatsächlich so beliebt ist, dann sollte er die Rundfunkfrequenzen freigeben und den russischen Medienmarkt öffnen. Man muss kein Genie sein, um einfach dazusitzen und dabei zugucken, wie der Ölpreis steigt. Ich möchte sehen, was Putin für eine vernünftige russische Arbeiter- oder Industriepolitik tun würde. Sehen Sie sich die Zahlen an. Russland ist heute abhängiger von der Rohstoffindustrie als es 1993 war. Wo ist die russische industrielle Revolution? Wo ist die demografische Revolution? Warum verlassen jedes Jahr 700.000 Menschen das Land? Warum sind sowohl Einkommen als auch die soziale Gerechtigkeit schlechter als vor fünf Jahren? Warum verbessert sich das Ausbildungssystem in Russland zwar ein wenig, aber nicht ansatzweise so schnell, wie sich die Konsumstärke entwickelt? Genauso sieht es mit dem Gesundheitssystem aus. Wo fließt das ganze Geld hin?
Natürlich, Moskau entwickelt sich immer besser. Natürlich, die Zahl der unter der Armutsgrenze lebenden Menschen nimmt ab. Da ist schon etwas Wahres dran.

Aber?
Amsterdam: Nach wie vor ist die Lebenserwartung eines Russen unglaublich niedrig und daran hat sich in den letzten Jahren nichts geändert. Deshalb denke ich, dass es einen Unterschied gibt zwischen jemandem, von dem die Leute glauben, dass er auf der Basis eines Ölpreises von über 90 Dollar je Barrel die Lage im Land stabil halten kann oder jemandem, der ehrlich gewählt wurde und wirklich Verantwortung zeigt. Wladimir Putin zeigt keine Verantwortung. Wenn es in Russland für drei Wochen freies Fernsehen gäbe, ware Putin nicht mehr lange so beliebt wie im Moment. Er hatte einfach nur das große Glück, dass durch den hohen Ölpreis ein ungeheures Wachstum einsetzte. Eigentlich ist er ein unglaublich ängstlicher Führer. Die Wahlgesetze, die die Wahlfreiheit in Russland vollständig einschränken, wurden eingeführt, da er demokratische Wahlen fürchtet. Daher glaube ich nicht an die wirkliche Existenz seiner Popularität, denn wenn dem tatsächlich so sei, hätte der Kreml nicht die Einreise der OSZE-Wahlbeobachter behindert und verhindert. Das sind die Dinge, die man beachten muss, wenn man sich die Pseudo-Popularität von Wladimir Putin anschaut.

Von der These, dass es in Russland das Verlangen nach einem starken Führer gibt, halten Sie nichts?
Amsterdam: Hätten Sie Anna Politkowskaja persönlich gekannt oder all diese anderen heldenhaften russischen Demokraten, dann würden Sie den Mythos, dass Russen eine veränderte DNA als andere Völker haben und deshalb Unterdrückung und Einschüchterung wünschen, schnell vergessen.
Andere Regierungen haben in der Vergangenheit schon versucht, anderen weiszumachen, dass ihr Volk eine unterschiedliche genetische Zusammensetzung hat. Von diesen genetisch begründeten Argumenten halte ich nichts.

In westlichen Ländern kritisieren Sie Russland aufs Heftigste. Äußern Sie sich in Russland selbst genauso deutlich?
Amsterdam: Alles was ich Ihnen über Russland und Putin sage, habe ich auch in Moskau gesagt. Ich mache da keine Unterschiede. Ich habe in den Straßen Moskaus, vor dem Gerichtshof, vor Tausenden Soldaten und Demonstranten gesprochen.
Während meiner Zeit in Russland hatte ich das Glück, mit den Verantwortlichen zahlreicher Menschenrechtsorganisationen zu tun zu haben, die sich mittlerweile dem Fall Chodorkowski zugewandt haben. Ich habe mit unglaublich mutigen Journalisten und Juristen zusammengearbeitet, von denen einige ihren Mut leider mit ihrem Leben bezahlen mussten. Anna Politkowskaja wurde ermordet, kurz nachdem ich mit ihr ein langes Gespräch über die Gefahren und Risiken in ihrem Beruf geführt hatte. Einige der Anwälte, mit denen ich zusammenarbeitete, sind inhaftiert.

Und was bedeutet das für Sie?
Amsterdam: All dies ändert nichts an meinen Prinzipien als Anwalt, über die wir zu Beginn sprachen: die werden immer Maßstab meines Handelns sein. Ich lasse mich nicht einschüchtern.

2 Kommentare zu “Putin hat Angst vor Chodorkowski.”

  1. Sergey Cheparev |

    Hat er tatsächlich, weswegen er im Gefängnis sitzt :-/

    PS Man muss den Facebook-Empfehlenbutton reparieren…

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  2. Sergey Cheparev |

    Hat er tatsächlich, weswegen er im Gefängnis sitzt :-/

    PS Das Facebook-Empfehlen Knopf ist falsch verlinkt.

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