Robert Glasper

Jazz ist eine Reflexion deiner Zeit.

Der Jazzpianist Robert Glasper bringt HipHop und Jazz zusammen, aktuell ist er wieder auf Europa- Tournee. Ein Gespräch über Geschichtslektionen, veränderte Hörgewohnheiten, Grammy-Kategorien und den Erfolg von Smooth Jazz in den USA.

Robert Glasper

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Herr Glasper, Sie sind gerade in Europa auf Tour. Bemerken Sie bei den Konzerten irgendwelche Unterschiede zwischen dem europäischen, insbesondere dem deutschen, und dem amerikanischen Publikum?
Glasper: Berlin ist schon mal anders als der Rest Deutschlands. In einer gewissen Art und Weise ist es sehr wie New York, das East Village dort erinnert mich an Berlin. Es ist sehr künstlerisch, jeder ist irgendwie ein bisschen Hippie-mäßig und sehr hip, sehr musikbewusst. Das sehe ich den Leuten an, jedes Mal, wenn ich in Berlin unterwegs bin. Ich kann das sozusagen spüren, anders als beispielsweise in Frankfurt oder Köln, wo es nicht so künstlerisch ist wie hier.

Ist bei Ihren Live-Auftritten mehr komponiert oder mehr improvisiert?
Glasper: Es ist jeweils etwa 50 Prozent. Wir haben unsere Songs, aber dazwischen gibt es eine Menge Improvisation, die Solos und die Übergänge zum nächsten Lied. Manchmal zögern oder straucheln wir auch ein bisschen, bis wir aus einer Improvisation zum nächsten Song übergehen.

1993 startete der Rapper Guru ein Projekt namens…
Glasper: „Jazzmatazz“!

Genau, was denken Sie über seinen Versuch, HipHop und Jazz miteinander zu verbinden?
Glasper: Das war cool. Ich meine, das haben viele ja sogar schon vor „Jazzmatazz“ gemacht, allerdings mit DJs. Der DJ legt also einen HipHop-Beat auf, dazu mischt er ein Sample von einem Jazz-Saxofonisten oder einem Jazz-Trio und dann gibt es einen Rapper, der drüber rappt. So war es auch bei „Jazzmatazz“, es gab da keine Live-Band.
Viele Leute sagen zu uns: „Oh, HipHop trifft auf Jazz – das wurde doch vorher schon gemacht!“ Aber wir sind eben eine Band, die beide Arten von Musik spielt. Wir sind alle Musiker, die in der Jazz-Welt unterwegs sind und Jazz-Platten aufnehmen, aber wir spielen auch mit HipHop-Künstlern. Deshalb verstehen wir beide Seiten und das unterscheidet unser Projekt ein bisschen von den bisherigen. So wie wir es machen, gab es das vorher noch nicht.

Sie meinten mal, Jazz sei heutzutage oft wie Geschichtsunterricht und zu museumsartig.
Glasper: (lacht) Aha.

und weiter sagten Sie, dass man nicht 50 Jahre lang die immer gleichen Standards spielen könne. Sie spielen zum Beispiel eine Version des Daft Punk-Hits „Get Lucky“. Ist der Song inzwischen auch eine Art Standard?
Glasper: Ja, es ist ein Standard von heute, und das ist der Punkt: Die Standards sind damals erst zu solchen geworden, weil die Musiker Songs ihrer lebenden Kollegen gespielt haben. Und das war in Ordnung so, es war etwas Neues. Jazz war immer neu. Aber dann wurde er alt und die 80er-Leute haben weiterhin Zeug aus den 60er Jahren gespielt. Sie vergaßen die Hauptzutat: dass Jazz eine Reflexion deiner Gesellschaft und der Zeit ist, in der du lebst. Das hat John Coltrane gemacht, Miles Davis, Charlie Parker – sie spielten das, was in ihrer Zeit hip war. Das möchten wir als Band auch, wir möchten Songs spielen, die jetzt im Radio laufen und die die Leute mögen. Wir lieben auch Standards, aber man muss die Ideen weiterlaufen lassen und den Jazz frisch halten, damit er in Bewegung bleibt. Nach einer Weile werden die alten Dinge sterben und die Leute, die in dieser Ära gelebt und diese Sachen verstanden haben, werden nicht mehr da sein. Und es muss doch weitergehen.
Ein Problem in der Jazz-Welt heute ist, dass viele Leute ununterbrochen versuchen, dir eine Geschichtslektion zu erteilen, statt einfach Musik zu machen, die sich gut anfühlt, die die Leute genießen und lieben können. Bis zu einem gewissen Punkt ist das okay, aber sie erschlagen dich damit, das geht soweit, dass sie die Gegenwart vergessen. Und wenn du die Gegenwart vergisst, dann beseitigst du auch die Zukunft.

Ist es denn zumindest wichtig, die Jazz-Historie zu kennen, auch, um dann auf musikalischer Ebene Grenzen überschreiten zu können?
Glasper: Ja, definitiv. Wir alle sind studierte Musiker, die meisten von uns haben schon auf der High School damit angefangen und sind dann aufs College gegangen. Und, dass wir die Musik und ihre Geschichte studiert haben, das gibt uns eine besondere Tiefe in unserem Tun.
Einige Leute denken, ich würde Jazz hassen, aber das ist überhaupt nicht der Fall. Ich meine, ich liebe diese Musik! Ich ernte eine Menge scharfer Kritik für das, was ich mache. Doch im Grunde ist das nichts wirklich anderes, als das, was Miles Davis gemacht hat. Viele Leute beschränken ihn darauf, der „Gott des Jazz“ zu sein. Aber wenn Miles Davis hier wäre, würde er mit jemandem wie J Dilla arbeiten. Er hat seine Bands alle zehn Jahre gewechselt. Er hat den Leuten gesagt: „Wenn ihr Standards, wenn ihr das alte Zeug hören wollt, hört euch die Platten an.“ Das sagte er, und es macht Sinn.

Zitiert

Wenn Miles Davis hier wäre, würde er mit jemandem wie J Dilla arbeiten.

Robert Glasper

Ist die heutige Jazz-Szene derzeit in der Lage, einen Hit wie „Get Lucky“ zu produzieren?
Glasper: Aber sicher! Wenn sie sich dafür öffnen…Ich denke, es gibt dort momentan zu viel Wettkampf, viele in der Szene sind nur auf sich fixiert. Aber, wie gesagt, die Standards sind entstanden, weil die Musiker ihre Stücke untereinander ausgetauscht und gespielt haben. Deswegen spielen wir auch nicht nur meine eigenen Songs, sondern zum Beispiel auch ein Stück von Derrick Hodge, von Bilal, von Pharrell (Williams)…

Kennen Sie aktuelle Popsongs, die die gleiche Musik- und Textqualität haben, wie beispielsweise die Jazz-Songs von Cole Porter oder den Gershwins?
Glasper: Oh, Sie meinen, wer die Gershwins und Cole Porters unserer Zeit sind, die diese Art Musik machen, in dieser Qualität? In jedem Fall Stevie Wonder! Also, da gibt es einige Leute: Billy Joel, Joni Mitchell, Michael Jackson,…
Cole Porter hat Songs geschrieben, die jeder geliebt und gelebt hat, die heute jeder kennt. Von manchen Liedern wissen die Leute auch gar nicht, dass sie von Cole Porter sind. Genauso Stevie Wonder, die gleiche Sorte Songschreiber, oder Lionel Richie: die Songs, die er geschrieben hat, sind zum Soundtrack des Lebens vieler Menschen geworden.

Im vergangenen Jahr haben Sie den Grammy für das beste R’n’B-Album erhalten. Herzlichen Glückwunsch! Aber denken Sie, die Akademie hat Sie in der richtigen Kategorie nominiert? Warum nicht in der Kategorie Jazz?
Glasper: Nun ja, was die Leute nicht wissen ist, dass die Akademie das gar nicht festlegt, sondern der Künstler. Du als Künstler musst ein Papier ausfüllen,wo du angibst, wofür du mit dem Album gerne nominiert werden möchtest. Du kannst aber nur eine Kategorie wählen.
Ich denke, dass die Jazz-Welt „Black Radio“ nicht vollständig versteht und begreift, dafür ist es nicht traditionell genug. Insofern wusste ich, dass ich nicht gewinnen würde, wenn ich es in diese Sparte stecke. Die R’n’B-Welt hingegen liebt „Black Radio“ und hat es mit offenen Armen empfangen. Deshalb habe ich mich für diese Kategorie entschieden.

Herbie Hancock sagte mal in einem Interview, dass er an der Etikettierung von Musik nicht interessiert sei. Er meinte: „Wo will man da schon eine Linie ziehen?“ Manchmal scheinen wir diese Genre-Trennungen dennoch zu brauchen…
Glasper: … weil man wissen möchte, um was es sich handelt. Man möchte wissen, welche Stimmung man bekommt, ob es eine Art Reggae ist oder eher etwas wie Strawinski, etwas Klassisches. Es gibt ja durchaus Unterschiede und du möchtest einfach wissen, was es ist. Zugleich gibt es aber das Problem, dass die Leute, wenn sie etwas Neues hören, direkt meinen, es etikettieren und als etwas definieren zu müssen. Bis zu einem bestimmten Punkt bin ich mit Etiketten einverstanden, aber irgendwo ist Schluss.

Verstehe, weil Musik ist…
Glasper: Wie Essen! Es ist so, als ob ich mich frage: Möchte ich Suppe oder Nudeln? Ich meine damit, du möchtest das Gefühl kennen. Ist es afrikanisches Essen oder Thai-Food? Irgendwie möchte man das einfach wissen.

Als er nach der Lust am Experimentieren im Jazz gefragt wurde, sagte Hancock 2007, es gäbe in den USA eine gewisse Tendenz zum Smooth Jazz, weil sich das leichter verkaufen ließe. Sehen Sie das genauso?
Glasper: Smooth Jazz ist (in Amerika) immer noch größer als Jazz. Ich bin da auch nicht sauer auf Smooth Jazz, ich denke, wir brauchen ihn sogar. Smooth Jazz ermöglicht dem Durchschnittshörer ein etwas besseres Verständnis von dem, was Jazz ist. Smooth Jazz-Musiker spielen bekannte Pop- oder R’n’B-Songs und bringen dort ein Solo hinein. Wenn die Leute dann zum Auftritt einer Jazz-Band gehen, wissen sie eher, worum es geht. Smooth Jazz funktioniert wie ein Sprungbrett. Deshalb finde ich ihn wichtig, solange es als Smooth Jazz bezeichnet wird. Ich habe nichts gegen dieses Etikett. „Smooth Jazz“, „Traditioneller Jazz“, „Zeitgenössischer Jazz“ – kein Problem.

Machen Sie „Smooth Jazz“?
Glasper: Nein, ich würde sagen, das, was wir machen, ist wie zeitgenössischer Jazz-HipHop-R’n’B-Alternative… (lacht) Es sind viele verschiedene Dinge zugleich. Ich nenne es „Buffet-Musik“, du bekommst von jedem etwas.

Muss man innovativ sein, um für andere Künstler zur Inspirationsquelle zu werden?
Glasper: Ja, es ist eine gute Sache, innovativ zu sein. Nicht jeder Künstler ist es, aber wenn du wenigstens deine eigene Stimme, deinen eigenen Klang hast, dann ist das in einer Art und Weise schon innovativ. Du kannst eben nicht sagen: „So, ich werde jetzt innovativ sein!“ Aber wenn du es bist, leitest du oft eine neue Ära von etwas ein, zum Beispiel eine neue Musikära. Es gibt den Menschen etwas, auf das sie sich freuen können.

Interessieren Sie sich auch für Technik und die neuesten Technologien?
Glasper: Was das betrifft, bin ich der Schlimmste. Ich bin überhaupt nicht technikverrückt. Aber ich muss mich damit beschäftigen und deshalb beginne ich langsam, aber sicher es zu mögen. Meine Freunde, die Band, sie stehen total auf diese technischen Sachen. Sie lachen mich auch wegen meinem Handy aus, weil ich immer noch mit einem Blackberry telefoniere. Das ist schon irgendwie witzig.

Giorgio Moroder sagt in dem nach ihm benannten „Daft Punk“-Song, der Synthesizer sei der Sound der Zukunft. Wie denken Sie darüber und welche Rolle spielen Geräte wie dieses für das „Robert Glasper Experiment“?
Glasper: Es ist ein Teil dieses Projekts. Aber das, was uns von den anderen abhebt, ist nicht der Synthesizer. Es ist das Gefühl unserer Musik, weil wir uns genauso authentisch gut damit fühlen, Jazz zu spielen, wie mit HipHop und R’n’B. Und wenn wir es alles zusammenbringen, klingt es und fühlt es sich an wie etwas anderes. Jeder kann einen Synthesizer bedienen, aber das macht niemanden innovativ. Es ist nicht das Instrument, das die Innovation ausmacht. Es geht um die Leute und das Gefühl beim Spielen.

Sie arbeiten auch viel mit anderen bekannten Musikern zusammen. Worum geht es Ihnen bei diesen Kooperationen?
Glasper: Diese Zusammenarbeit bedeutet für mich, dass ich meine Umgebung dokumentiere. Das ist ja das Problem, das ich mit Jazz habe: dass die Leute nicht ihre eigene Zeit dokumentieren. Bei mir sind das Leute, die mich umgeben, die ich liebe, mit manchen von ihnen bin ich aufgewachsen und habe schon früh ihre Musik gehört. Ich möchte sie mit mir zusammen dokumentieren, weil sie mir und meiner Generation etwas bedeuten. Und dann hört irgendwann jemand diese Platten und zack, er weiß sofort: „Ich kenne diese Ära.“ Es geht ,mir dabei um Dokumentation.

Welche Bedeutung haben die Gesangparts im heutigen Jazz bzw. in Ihrer Musik?
Glasper: In der heutigen Zeit haben viele Leute eine kurze Aufmerksamkeitsspanne, weil jetzt alles mit Maschinen läuft, alle Songs im Radio maschinell produziert sind. Aus diesem Grund ist das Instrumentelle kein großer Bestandteil des Sounds, den wir heute gewöhnt sind. Du brauchst den Gesang, um die normale Person schneller miteinzubeziehen. Wenn unsere Musik nur instrumental wäre, hätten wir es schwerer, die Leute zu erreichen. Wenn sie Texte hören, dann verstehen sie es schneller und es gibt eine stärkere Verbindung zwischen Publikum und Band.

Obwohl das „Experiment“ nach Ihnen benannt wurde, stehen Sie bei den Auftritten keineswegs im Mittelpunkt. Inwiefern sind Sie dennoch der Kopf des Ganzen?
Glasper: Es ist meine Kreation. Ich habe einen Vertrag mit „Blue Note Records“ und sie haben mich machen lassen, was auch immer ich wollte. Für meine ersten drei Alben war es das „Robert Glasper Trio“. Aber dann wollte ich etwas anderes machen und es wurde das „Robert Glasper Experiment“. In beiden spiele ich Klavier und wenn ich tatsächlich durchgehend im Mittelpunkt stehen würde, müsste es einen Haufen Piano-Solos geben. Damit würde ich viele Musiker anziehen, ich möchte aber normale und ganz verschiedene Leute im Publikum. Deshalb muss ich genau darauf achten, dass ich den richtigen Anteil an Klaviersolos einbringe gegenüber den Textstellen mit Vocoder oder so was. Ich möchte nicht die ganze Zeit nur vor Musikern spielen. Ich möchte wachsen und mich verändern. Deshalb ist es mir nicht so wichtig, innerhalb der Gruppe besonders hervorzustechen.

Können Sie sich vorstellen, mal wieder mit dem Trio aufzutreten?
Glasper: Ja, wir haben nun schon eine Weile nicht mehr miteinander gespielt, aber im Herbst könnte es wieder so weit sein. Vor „Experiment“ habe ich zehn Jahre nur mit dem „Trio“ Musik gemacht. Das jetzt ist etwas Neues, was viel Aufmerksamkeit bekommen hat, womit wir ein Level erreicht haben, das mit dem Piano-Trio einfach nicht zu machen gewesen wäre. Von daher werde ich mit dem „Experiment“ weitermachen, aber hier und da auch ein paar Piano-Trio-Sachen einschmuggeln. Ich liebe das einfach, es ist meine erste Liebe, das Klavier.

Vor zwei Jahren nannten Sie Mulgrew Miller als wichtigen Einfluss für Ihre Arbeit. Im Interview meinte er mal: „Wenn ich irgendeinen Aspekt des Musikerseins genau bestimmen könnte, würde ich sagen, ich habe versucht, ein Teamplayer zu sein und dann hat es für mich gut funktioniert.“ Wie ist das bei Ihnen?
Glasper: Da geht es mir genauso. Teamplay ist der Grund, warum das „Experiment“ funktioniert. Das ist wohl beinah die wichtigste Sache. Wenn du großartige Musiker um dich hast, bringt das alles zum Schweben. Wenn du mit wirklich guten Musikern arbeitest, denen du vertraust, und ihr euch gegenseitig zuspielen könnt, so dass es nicht die ganze Zeit alles nur um dich geht, das ist immer besser. Ich kann allein eine bestimmte Menge guter Musik machen, aber wenn du von großartigen Musikern umgeben bist, dann hebt es das auf eine ganz andere Stufe.

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