Herr Richter, im Kino war ein Film von Ihnen zuletzt vor sieben Jahren zu sehen („Dschungelkind“). Warum arbeiten Sie im Moment ausschließlich fürs Fernsehen?
Roland Suso Richter: Kino ist ein tolles Geschäft, aber auch ein sehr unkalkulierbares. Mir ist es immer wieder passiert, dass ein geplanter Film verschoben und verschoben – und am Ende ganz abgesagt wird. Das ist in meiner Position, auch als Vater von drei Kindern, schwierig.
Hinzu kommt, dass die Art von Filmen, die ich gerne drehen möchte, bei Verleihern nicht gerade beliebt ist: Bei Drama und Thriller sind sich viele zu unsicher, ob der Film am Ende sein Publikum findet. Das hängt außerdem auch von der PR-Arbeit ab. Bei „Dschungelkind“ zum Beispiel hatten wir Pech, der Film war in der Startwoche eingeklemmt zwischen drei, vier sehr erfolgreichen Filmen, die allesamt für den Oscar nominiert waren, die Marketing-Kampagne war nicht richtig ausgerichtet, man wusste nicht ob es ein Kinder- oder ein Erwachsenenfilm ist. Da ist das Kinogeschäft in der Resonanz unglaublich hart – und das Fernsehen in vielen Punkten zuverlässiger.
Das heißt: Stoffe, bei denen Filmverleiher skeptisch sind, können Sie im Fernsehen realisieren?
Richter: Meistens ja. „Der Tunnel“ zum Beispiel war für mich die Möglichkeit, im Fernsehen Kino zu erzählen. Wir haben auf 35mm gedreht, wir hatten ein Budget, das ich in Deutschland nie für einen Kinofilm bekommen hätte, fast 11 Millionen DM. Danach habe ich mit Nico Hofmann und seiner Firma Teamworx noch viele sehr große, ambitionierte und auch recht teure Fernsehspiele gedreht.
Krimis funktionieren und deshalb wollen alle Sender mehr davon. Eine andere Frage ist, ob das die Zukunft des Fernsehens ist.
2008 waren Sie als Regisseur für die Verfilmung von Noah Gordons „Der Medicus“ im Gespräch. Woran ist das damals gescheitert?
Richter: Das war sozusagen die Weggabelung vom Kino hin zum Fernsehen. Ich hatte schon den Vertrag, war in der Vorbereitung, habe mir in Usbekistan Locations angeschaut, gecastet und Schauspieler wie Sir Ben Kingsley getroffen. Doch dann wurde die Finanzierung des Films nicht geschlossen, die Kalkulation ging über 28 Millionen Euro, davon fehlten noch sechs Millionen. In dem Moment hätte man sagen können: Wir haben Finanzprobleme – und wir überlegen jetzt, wie wir den Film mit weniger Geld hinkriegen. Das fand aber nicht statt, sondern ich bekam nur einen Anruf vom Produzenten Rolf Bauer, dass wir diesen Film nicht drehen werden. Diese Absage per Telefon – so etwas kannte ich von Produzenten nicht – hat mich schon sehr getroffen. Mich hat diese Absage fast ein Dreivierteljahr gekostet. Ich stand vom ein auf den anderen Moment auf der Straße, hatte kein Backup. Das war schon hart.
Da war dann der Weg zurück zum Fernsehen eine Art Rettung für mich. „Tatort“ und andere Krimis – das habe ich als sehr positive und für mich überlebenswichtige Chance genutzt. Zu der Zeit habe ich dann auch angefangen, das System, wie ich drehe, zu ändern.
Was genau haben Sie geändert?
Richter: Als junger Filmemacher ist man auf eine gewisse Art unglaublich konservativ: Man möchte alles kontrollieren, jede Position im Film, jeden Schnitt, man versucht jede Einstellung zu planen, Schuss/Gegenschuss, eine Kamerafahrt, eine Kranfahrt, alles wurde Take für Take gedreht, vorher eine Probe, eine Leseprobe… Irgendwann hat es mich genervt, dass ich in so wahnsinnig vielen zeitaufwändigen Abläufen gefangen war. Klar, das hing damals auch damit zusammen, dass auf Film gedreht wurde, das Material war teuer.
Vor fünf Jahren habe ich das für mich verändert. Ich möchte die Momente, die vor der Kamera stattfinden, wirklich filmen und diese nicht zuerst in der Probe sehen und dann dieser Probe hinterherrennen, um sie erneut einzufangen.
Das heißt, Sie proben die Szenen jetzt nicht mehr.
Richter: Genau, ich habe immer zwei Kameras am Set und versuche Situationen zu kreieren, die den Schauspielern klar machen: So ist die Stimmung, das ist der Raum in dem ihr spielen werdet – und dann will ich diese Erstbegegnung leibhaftig miterleben und filmen. Das macht großen Spaß, weil ich direkt dran bin, zuhören und zuschauen kann. Mit diesem Konzept kam bei mir auch die Leidenschaft fürs Filmemachen zurück.
Und auch die Schauspieler machen das gerne mit?
Richter: In den ersten Tagen sind sie oft noch skeptisch, aber schon nach dem dritten, vierten Drehtag fangen sie an, das zu genießen. Klar, sie müssen ihren Text können, früher wurde der ja oft erst bei der Probe richtig gelernt. Und dann ist es auch eine Frage des Zuhörens, der eine Schauspieler hört dem anderen zu und kann daraus generieren: Das ist die Frage zu meiner Antwort, die ich gelernt habe. Durch diese Arbeitsweise fängt man viele Dinge ein, die früher nur einmal in der Probe sichtbar gewesen sind und danach wieder verschwanden.
Geht es Ihnen dabei auch um Improvisation?
Richter: Es ist Situations- und Positionsimprovisation. Am Text ändert sich meistens nichts, aber der Schauspieler muss entscheiden, wo stelle ich mich hin, er sucht sich im Raum die Position, die für die Szene und für die Rolle richtig ist.
Meine Energie wird jetzt ganz anders gefordert, es gibt wenig Leerlauf: Wenn um acht Uhr morgens Drehbeginn ist, dann schlagen wir die erste Klappe auch um 8 Uhr. Bis 9 Uhr haben wir die Szene bereits vier mal im Kasten, mit zwei Kameras, das heißt da habe ich dann bereits acht verschiedene Perspektiven gedreht.
Sie sagten vor einigen Jahren in einem Interview „Mein Ego ist nicht so groß wie das anderer Regisseure“, was meinten Sie damit?
Richter: Es gibt Regisseure, die sich besser verkaufen, ob bei Drehbuchbesprechungen oder Verhandlungen mit Produzenten. Ich bin da zurückhaltender, weil ich ein eher ruhigerer Typ bin.
Bezieht sich diese Aussage denn auch auf das künstlerische Ego, also inwiefern man sich künstlerisch verwirklichen will?
Richter: Da wäre zunächst interessant, was ‚künstlerische Verwirklichung‘ bei einer Regie-Arbeit bedeutet. Wenn ich so arbeite, wie ich es gerade beschrieben habe, dann ist das zumindest ein Stil. Ob das künstlerisch ist, weiß ich nicht, zumindest ist es ambitioniert kreativ.
Wie ist es beim Krimi, ist man da als Regisseur in erster Linie Dienstleister?
Richter: Also, wenn man sich zum Beispiel meinen ZDF-Film „Der 7. Tag“ anschaut, das war ein bisschen Thriller, ein bisschen Krimi, das war visuell interessant, auch die Art, wie die Geschichte erzählt wurde – da kann man als Regisseur schon mehr tun, als nur den ‚Dienst zu leisten‘.
Was ich generell an der Regie-Arbeit spannend finde ist und worin ich nach so vielen Jahren, glaube ich, auch gut bin: Egal, was im Drehbuch steht, du kannst aus jeder Szene – und sei sie noch so klein und unauffällig – etwas herausholen. Und es sind oft die kleinen Szenen, die dich im Schneideraum überraschen, die eine Wirkung entfalten, die du vorher nicht erwartet hast.
Aktuell sind von Ihnen zwei Folgen aus der „Zürich-Krimi“-Reihe zu sehen. Warum spricht in diesen Filmen eigentlich niemand Schweizerdeutsch?
Richter: Wenn Christian Kohlund, der in den Zürich-Krimis die Hauptrolle spielt, Schweizerdeutsch spricht, dann ist es tatsächlich so, dass ich nicht alles verstehe.
Eine Möglichkeit wären doch Untertitel.
Richter: Nein, da sagt die ARD deutlich: Auf keinen Fall. Wir wollen vermeiden, dass die Quote nach unten gehen könnte. Das Publikum möchte bei einem Krimi, der zur Unterhaltung gedacht ist, keine Untertitel lesen müssen.
Mir persönlich würde es vielleicht auch keinen Spaß machen. Zumindest würde ich mich fragen: Worin läge bei einer Schweizerdeutschen Version der Mehrwert für die Geschichte, die ich erzählen will? Etwas Anderes war es zum Beispiel bei „Mogadischu“: Da wollte die ARD, dass wir die gesamte Entführer-Geschichte synchronisieren, wogegen wir uns aber verwehrt haben.
Sie sagen, dass die ARD befürchtet, dass durch Untertitel die Quote sinkt. Befürchten Sie das denn auch?
Richter: Es ist tatsächlich erwiesen, dass in dem Moment, wo Untertitel kommen, Zuschauer verloren gehen. Da gibt es Berechnungen, solche Zahlen bekomme ich als Regisseur auch vorgelegt.
Die Ermittler in den TV-Krimis werden heutzutage zu einer Art Marke aufgebaut. Beeinflussen Sie das als Regisseur mit?
Richter: Ich finde es total wichtig, dass ein Schauspieler für ein Format steht und ich diesem Menschen zuschauen möchte, auch wenn die Geschichten mal besser und mal schlechter sind.
Die Unverwechselbarkeit eines Krimis entsteht also durch die Hauptfigur?
Richter: Das kann man schon sagen, ja. Beim „Tatort“ sind es die Ermittler-Teams, die „Euphorie“ beim Zuschauer auslösen und nicht immer ausschließlich die Geschichten. Die Leute gucken das, weil sie diese Paarungen gut finden. Das finde ich auch legitim.
Warum sind eigentlich im „Tatort“ künstlerische Herangehensweisen wie zum Beispiel in der Folge „Im Schmerz geboren“ so selten der Fall?
Richter: Interessante Herangehensweisen sind gar nicht so selten, sie erhalten aber nur dann die mediale Aufmerksamkeit, wenn sie wirklich gut funktionieren. Bei „Im Schmerz geboren“ ging das Konzept wirklich sehr gut auf. Aber es gab zum Beispiel den „Tatort“ von Axel Ranisch („Babbeldasch“) mit improvisierten Dialogen. Das hat, finde ich, nicht so gut funktioniert. Man kann im „Tatort“ als Regisseur und Drehbuchautor schon eine Menge ausprobieren. Auch die Arbeit mit der Kamera ist vielfältig und unterschiedlich: Von Handkamera bis nur von der Schiene gedreht, mal nur lange Brennweite, mal nur weitwinklig, oder nur bei Nacht, nur bei Regen usw. Da wird viel experimentiert, was ich auch gut finde.
Die ARD hat etwa 30 Krimi-Serien und Reihen, das ZDF rund 40. Ist das über die Jahre ein bisschen viel geworden?
Richter: Ja, es ist viel geworden, was sich da aufgebaut hat. Aber es liegt auch in der Natur der Sache: Krimis funktionieren und deshalb wollen alle Sender mehr davon. Eine andere Frage ist, ob das die Zukunft des Fernsehens ist. Das Fernsehen ist ja bereits angezählt und man wird sich in den nächsten Jahren wirklich überlegen müssen, wie es weitergeht. Im Moment klammern sich die Sender besonders an die Dinge, die noch funktionieren.
Im Zürich-Krimi „Borchert und die Macht der Gewohnheit“ geht es um Gelder der öffentlichen Hand, die in Bauprojekte fließen. Analog dazu die Frage an Sie als Regisseur: Wenn ein Film durch Gebührengelder finanziert wird, ergibt sich dadurch für Sie eine besondere Verantwortung?
Richter: Nein, außer dass ich immer versuche, eine Geschichte für mich interessant und ernsthaft zu erzählen. Ansonsten wüsste ich jetzt nicht, warum ich irgendwelche Regeln zu befolgen hätte.
Eine Journalistin der „Zeit“ schrieb einmal, dass Sie sich „um eine gewisse politische Redlichkeit“ bemühen.
Richter: Ich bin vom Aszendenten Waage – und manchmal spüre ich das auch (lacht). Ich versuche mich auf beide Seiten zu stellen, ich bin nicht zu 100 Prozent nur für den Guten, auch nicht 100 Prozent für den Bösen. Ich respektiere den Mörder genauso wie denjenigen, der ihn verfolgt und zur Strecke bringt.
Das ist natürlich nicht immer einfach. Besonders bei „Nichts als die Wahrheit“ war es extrem schwierig, sich auch nur ansatzweise auf die Seite von Josef Mengele zu schlagen. Trotzdem versuche ich immer, beide Seiten zu beleuchten. Wenn es um einen Mörder geht, möchte ich irgendwie begreifen, warum er das macht. Woher kommt die Härte? – Das meinte die Rezensentin vielleicht mit dieser „Redlichkeit“, dass ich mich um alle Seiten bemühe.
Bei „Nichts als die Wahrheit“ haben Sie damals versucht, TV-Sender für die Finanzierung zu gewinnen, bekamen aber nur Absagen.
Richter: Ja, das ist dieses typische Bedenkenträgertum. Es gibt viele Entscheidungsebenen, da muss dieser und jener noch mitreden – da kommt so ein Filmprojekt oft gar nicht durch, weil am Ende irgendwo jemand sagt: Das machen wir auf gar keinen Fall.
Diese Vorsicht haben schon viele Schauspieler und Regisseure den Öffentlich-Rechtlichen attestiert. Aber hat diese Vorsicht den Sendern eigentlich genutzt?
Richter: Nein. Man muss aber vielleicht auch die Menschen sehen, die dahinter stecken, die dort ihre Posten haben. Das ist auch für die ein Risiko. Als freier Produzent kann ich natürlich sagen „ich will unbedingt diesen Film drehen“ und wenn es mir gelingt, ist das prima. Wenn aber ein Redakteur sagt „ich will diesen Film drehen“ und er scheitert damit, dann wird es für ihn schwierig, weil er in einem System gefangen ist, aus dem er nicht rauskommt. Er muss aushalten, dass es jahrelang heißt, „ach guck mal, der hat den Film produziert, der nicht funktioniert hat.“
Als jüngst die Einschaltquoten ausfielen schrieb der der Regisseur Friedemann Fromm in der SZ eine „Utopie“ über ein Fernsehen ohne Quote. Er bezeichnete die Quote u.a. als „Geißel unserer künstlerischen Freiheit“, als ein fantasiemordendes Korsett“.
Richter: Nun, ich habe es erlebt, dass eine schlechte Quote einen guten Film im Nachhinein zum schlechten Film machen kann. Das war damals bei der „Bubi Scholz Story“ so. Noch vor der Ausstrahlung habe ich dafür den Bayerischen Fernsehpreis in der Kategorie „Regie“ bekommen, dann lief der Film in der ARD, hatte nur 3,6 Millionen Zuschauer, die Redakteure riefen „Oh Gott“ – und plötzlich hieß es „naja, man müsse überlegen, ob der Film denn wirklich so gut war“.
Was würde es für Ihre Arbeit bedeuten, wenn die Quote verschwindet?
Richter: Für die Arbeit, die ich ausübe, würde es nichts verändern. Die mache ich, wie ich sie immer mache, Quote hin oder her.
Das Einzige, was sich vielleicht ändern würde, das wären die Drehbücher. Weil man sich vielleicht mehr trauen würde und nicht mehr so pedantisch darauf achten würde, was beim Zuschauer gut ankommt, und was nicht. Aber – wer weiß das schon…?
Der Kollege Fromm sagt auch, dass es nicht darum geht, das Publikum zu ignorieren, aber „wir müssten inhaltlich miteinander um den bestmöglichen Film ringen anstatt kommerziell um die beste Quote“ schreibt er.
Richter: Aber ich bin sicher, wenn man nicht die Quote hat, dann würde man etwas Anderes suchen, um die Qualität des Films in irgendeiner Weise messen zu können. Es ist halt ein System, das gemessen werden will, das ist einfach so. Man möchte ja auch etwas für die Arbeit bekommen. Klar, es gibt Fernsehpreise. Aber von 1000 produzierten Filmen kriegen dann eben nur 10 einen Preis – was machen die anderen? Im Grunde geht es immer darum, sich zu messen, sich zu beweisen. Ich finde das nicht so schlimm mit der Quote. Es ist ein bisschen wie Roulette-Spielen, mal hat es mit dem Wetter zu tun, ob die Leute zuhause bleiben und TV schauen und mal mit der Werbung, die vorab für den Film gemacht oder eben nicht gemacht wurde…
Der Regisseur Uwe Janson machte jüngst beim ZDF die Erfahrung, dass seine Serie „Das Pubertier“ nach nur einer Staffel abgesetzt wurde, weil 3,4 Millionen Zuschauer vom ZDF als zu niedrig betrachtet wurden. Dort hat die Quote ja sehr konkrete Folgen.
Richter: Ja, da hat sie eine sehr harte Konsequenz. Wir wissen ja eigentlich alle, dass Serien ihre Zeit brauchen. Das muss man den Sendern auch vorwerfen: Dass sie nicht genug Geduld haben, dass sie sehr schnell einem Produkt keine Chance geben, weil die Quote nicht gut ist.
Meine negative Erfahrung mit der Quote war, dass die ARD mehrmals Filme von mir, die als Zweiteiler produziert wurden, an einem Abend ausgestrahlt hat. Ohne dass es für den Zuschauer kenntlich gemacht wurde und ohne dass darauf geachtet wurde, ob es überhaupt funktioniert, die Filme einfach so aneinanderzuhängen. Das war bei „Grzimek“ so und bei „Das Geheimnis der Hebamme“ und das wurde tatsächlich nur wegen der Quote so entschieden. Der Sender hat befürchtet, dass bei geteilter Ausstrahlung am zweiten Tag weniger Leute zugucken.
So eine Entscheidung ist fragwürdig, denn dadurch bekam der ursprüngliche Zweiteiler – der dadurch faktisch ein Sechs-Akter wurde – im vierten Akt einen totalen Hänger, im fünften hat er sich langsam wieder aufgerappelt, um den Zuschauer im sechsten Akt dann endlich zu entlassen.
Uwe Janson hat jüngst in einem Zeitungsartikel beklagt, im deutschen Fernsehen fehle es an „Diversität in allen Bereichen, es fehlen Freiräume für Regisseure und Autoren, es fehlt der Mut, neu zu denken, neue Geschichten zu erfinden.“
Richter: Ich persönlich konnte im Fernsehen durchaus viele mutige Filme machen, wie zum Beispiel „Mogadischu“. Deshalb kann ich dieses Zitat von Janson nicht unterschreiben. OK, wenn wir über Krimis sprechen – ja, da gibt es eine bekannte Inflation. Aber auch das sind Wellenbewegungen und irgendwann wird diese Welle wieder abflauen. Im Moment ist der Krimi für das Fernsehen einfach das Zugpferd, so wie die Komödie aktuell das Zugpferd für das Kino ist.
Im Kino leuchtet das ein, da sprechen wir von Filmverleihern, von kommerziellen Unternehmen, die Umsatz machen müssen. ARD und ZDF haben aber die Gebührengelder so oder so, egal was sie senden.
Richter: Aber soll ich jetzt als Senderchef sagen: Die Krimis funktionieren zwar sehr gut, aber wir machen jetzt nicht mehr so viele davon? – Ich finde, wie gesagt, dass im Umfeld der Krimis viel ausprobiert wird.
Könnten heutzutage Filme wie „Toni Ermann“ oder „Der Totmacher“ durch ARD und ZDF entstehen?
Richter: Man darf nicht vergessen: Bei vielen Filmen, die erfolgreich sind, die wir gut finden, steckt die ARD oder das ZDF als Koproduktionspartner mit drin, und zwar mit viel Geld. Da sind sie bereit, andere Wege zu gehen. Hausintern ist es vielleicht etwas anders, weil man da versucht einen bestimmten Standard, eine bestimmte Qualität zu halten.
Können Sie das etwas genauer erklären?
Richter: Die Sender sind ja – genauso wie die neuen gerade „sehr beliebten“ Firmen wie Amazon und Netflix – Industrieunternehmen. Und bei 80-90 Prozent unserer Arbeit geht es erstmal darum, diesen Industriestandard zu halten. Amazon und Netflix versuchen das genauso, um ihre Kunden zu befriedigen.
Das ist die eine Seite der Medaille, von der wir im Übrigen auch alle leben. Und die restlichen 20 Prozent, vielleicht sind es auch nur zehn Prozent, besteht aus neuen Wegen, die in verschiedene Richtungen führen, wo verschiedene Drehbuchansätze und Genres ausprobiert werden – das ist dann das Sahnehäubchen dieser Industrie.
In der Schweiz formieren sich aktuell Gegner des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks in der Initiative „No Billag“. Welches Argument würden Sie denen, basierend auf Ihren Erfahrungen in Deutschland, entgegenhalten?
Richter: Das Ganze hat natürlich auch etwas mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen zu tun, es arbeiten einfach wahnsinnig viele Menschen für die öffentlich-rechtlichen Sender. Die kann man, genauso wie die Autoindustrie, nicht vom ein auf den anderen Tag abschaffen.
Und der Programmauftrag?
Richter: Ich finde, dass ARD und ZDF den ganz gut erfüllen. Es gibt eine Vielfalt im Programm. Wenn ich das mit manchen Privatsendern aus der dritten und vierten Reihe vergleiche – die leben ja nur noch von Wiederholungen, weil es dort kein eigenes Programm, keine eigene Initiative gibt. ARD und ZDF sind Marken, sie haben Profil. Man kann sie mögen oder auch nicht mögen, aber sie tun etwas. Klar, meine Kinder gucken heute kaum noch Fernsehen, insofern sehe ich auch, dass das Fernsehen sich verändern muss.
Hier und da wird schon prognostiziert, dass die Streamer dem Fernsehen bald den Rang ablaufen. Bereitet Ihnen das Sorgen für Ihre berufliche Zukunft?
Richter: Nein, ich mache mir deshalb keine Sorgen, weil die Streamer so viel Programm brauchen, dass ich als Regisseur, wenn ich Glück habe, in den nächsten Jahren noch genug zu tun haben werde. Weil einfach so viel gedreht werden muss.
Wir sitzen hier in einem Café in Berlin-Prenzlauer Berg, die Räume beherbergten bis vor ein paar Jahren noch eine große Videothek…
Richter: Ja, so schnell kann’s gehen. Ich denke da an meine große VHS-Sammlung. 800 Kassetten, sorgfältig beschriftet, alles aufgenommene Filme, nie wieder angeguckt – vor fünf Jahren habe ich alle weggeschmissen.
Wie ist da Ihr Verhältnis zu den eigenen Filmen?
Richter: Das Haptische geht durch das digitale Medium leider verloren, dieses „ich stelle mir meinen Film ins Regal“ verschwindet langsam. Früher habe ich noch alle meine Filme auf DVD gehabt, das ist heute nicht mehr der Fall. Das ist ein komisches Gefühl, in dem Datenwust, den wir täglich produzieren, quasi verloren zu gehen. Wobei man die Filme dann meistens online wiederfinden kann – das war früher nicht möglich.
Zum Schluss: Wie sehen ARD und ZDF in 20 Jahren aus?
Richter: Die wird es noch geben, aber sie müssen sich wahrscheinlich peu a peu zurückziehen. Das Fernsehen findet dann seine Nische, so wie das Kino seine Nische gefunden hat, als sich alle Leute Fernseher gekauft haben. Inzwischen hat das Kino in dieser Nische eine respektable Position gefunden – so eine Position wird dann auch das Fernsehen haben. Von dem Selbstbewusstsein „Alle gucken erstes oder zweites Programm“ wird man abrücken und akzeptieren müssen, dass es daneben auch die Netflixe und Amazons gibt, die die ganze junge Generation und auch viele in der älteren Generation bedienen. Dieses „wir, die ARD und das ZDF sind das Fernsehen“ – das wird dann vorbei sein.