Herr Zuckowski, Sie haben 2004 eine Stiftung namens „Kinder brauchen Musik“ gegründet. Einmal naiv gefragt: Warum brauchen Kinder Musik?
Rolf Zuckowski: Wenn wir in Musik eintauchen, spüren wir etwas, für das wir keine Worte finden – ich will das ruhig mal die Seele nennen. Die wird durch Musik berührt, Kinder sagen manchmal: „Da wird mir so warm.“ Da entdecken Kinder etwas in sich, das sie sich nicht erklären können, was sie aber fühlen und auch in anderen Kindern erahnen. Dadurch wächst ein gegenseitiger Respekt dafür, diese Seele zu spüren und auch anderen diese Seele zuzutrauen. Das ist eine ganz wichtige Funktion, die meines Erachtens nach nur durch Musik geweckt wird.
Kann sie auch die Persönlichkeitsentwicklung beeinflussen?
Zuckowski: Selbstverständlich. Durch Musik werden Kinder immer weiter vorangetragen, wenn sie sie früh und aktiv erleben: selber singen, selber spielen oder tanzen. Der Zweck unserer Stiftung ist daher, Kinder zu einem aktiven Musikleben zu führen. Es geht um das Miteinander, dass man beim Musizieren auch anderen zuhören und sich einordnen lernen muss.
Wenn Kinder sensibel und kreativ sind, und merken, dass sie aus ihren Ideen etwas machen können, dann trägt Musik zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung immens bei.
Und nicht zu vergessen: Kinder können über Musik unüberhörbar ihre Meinung äußern, Dinge sagen, die sie loswerden möchten.
Die Kinder sind selbstbewusster geworden.
Sie haben kürzlich das Buch „Rolfs Liedergeheimnisse“ veröffentlicht. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit der Designerin und Illustratorin Sarah Settgast?
Zuckowski: Ich kannte sie vorher noch nicht, aber als Mutter zweier Kinder ist meine Musik bei ihr zuhause allgegenwärtig. Sie hatte im Internet meine „Liedergeschichten aus dem Dachstübchen“ gesehen und mir daraufhin vorgeschlagen, gemeinsam ein Buch zu machen. Wir haben uns getroffen, eine künstlerische Verbundenheit festgestellt und uns entschieden, etwas auf die Beine zu stellen.
Welche Idee liegt dem Lieder-Bilderbuch zugrunde?
Zuckowski: Wir wollten zu einigen meiner etwas unbekannteren Lieder einen neuen Zugang gewinnen; Lieder, bei denen man den Text wie eine sich öffnende Tür sehen muss, hinter der es viel zu entdecken gibt wie „Ich schaff das schon“. Darin erzähle ich von einem Mädchen, das zur Frau wird. Aber unter dem Titel „Ich schaff das schon“ schlummert ja eine ganze Welt von Herausforderungen, mit denen jeder von uns tagtäglich konfrontiert ist.
Letztlich haben wir uns auf eine Liste von Liedern geeinigt, zu denen Sarah gute Bildideen hatte. Und die waren sehr bereichernd…
Inwiefern?
Zuckowski: Viele Kinderbuchillustrationen sind sehr klar und erzählen ’nur‘ das, was man sieht. Sarahs Zeichnungen hingegen haben etwas Rätselhaftes, spielen mit Farben und Figuren, sie ist mit viel Fantasie herangegangen. Sie hat zum Beispiel Zwerge gezeichnet, die in den Liedern nicht vorkommen oder auch eine Vielfalt von Kindertypen mit unterschiedlicher Herkunft herausgearbeitet, was ich sehr schön fand.
Passiert es häufiger, dass Sie Ihre eigenen Lieder durch die Ohren anderer noch mal neu entdecken?
Zuckowski: Ja, sowohl musikalisch wie auch textlich. Meine Lieder werden ja oft anders arrangiert, zum Beispiel als Blasmusikversion für Spielmannszüge. Dadurch werden manchmal musikalische Dimensionen spürbar, die in dem Lied geschlummert haben, die ich mit meinem musikalischen Hintergrund aber nicht herausarbeiten konnte. Ich bekomme auch häufig textlich veränderte Versionen meiner Lieder zur Genehmigung vorgelegt, die dann an eine Personengruppe gerichtet sind, die ich in meinem Text nicht benannt habe. Im letzten Sommer gab es beispielsweise eine Initiative zur „Pflege in der Corona-Zeit“, zu der eine Pflegerin mein Lied „Leben ist mehr“ in „Pflege ist mehr“ umgewandelt hat. Ich finde es spannend, wenn Lieder plötzlich so ein Eigenleben entwickeln.
Hat sich Ihre Art, Lieder zu schreiben, über die Jahre verändert?
Zuckowski: Natürlich. Am Anfang meiner Karriere habe ich meist auf der Gitarre vor mich hingespielt, bis irgendwann eine Textidee durchkam, die aus der Gitarrenspielerei dann einen Song gemacht hat. Als meine Tochter aber mit acht Jahren anfing Klavier zu spielen, sollte sie sich daran frei entfalten, losgelöst von mir und meiner Musik im Haus. Daraufhin habe ich angefangen, nicht mehr mit dem Instrument in der Hand, sondern im Kopf zu komponieren.
Wie muss man sich das vorstellen?
Zuckowski: Ich habe auf Autofahrten vor mich hin gesungen, auf Spaziergängen, sogar in der Bahn. Wenn ich dort mal etwas lauter singen wollte, bin ich manchmal zwischen zwei Waggons gegangen. Damals gab es dort immer einen sehr lauten Bereich über der Wagenkupplung, wo man mal singen konnte – das wäre heute nicht mehr möglich. (lacht)
Haben die Lieder auf diese Weise anders geklungen?
Zuckowski: Ja, weil dadurch Lieder entstanden sind, die ich an der Gitarre so nicht hätte schreiben können. Das war für mich ein wichtiger Schritt, um zu meinem heutigen Repertoire zu kommen. Mit meinen kleinen Gitarrenkompositionen wäre ich relativ schnell in die Wiederholungsgefahr geraten – das wollte ich vermeiden.
Was macht ein gutes Kinderlied aus?
Zuckowski: Musiktheoretisch kann ich Ihnen das nicht erklären. Folgendes habe ich in all den Jahren aber gelernt: Ein Kinderlied, das Erwachsene nicht mögen, hat keine Zukunft. Nur, wenn ein Kinderlied auch Erwachsene berührt, begeistert oder amüsiert, wird es auch weitergegeben. Dieser Umstand wird oft unterschätzt.
Und musikalisch?
Zuckowski: Kleinere Kinder brauchen immer eine enge Verlinkung von Musik, Text und Rhythmus – das muss miteinander wie verheiratet sein. Nehmen Sie „Alle meine Entchen“: Da kriegen sie Text und Melodie nicht auseinander.
Und Sie brauchen für ein gutes Kinderlied im Grunde keine Instrumentierung, weil kompositorisch schon alles drin ist, sodass die Kinder sich dazu bewegen, spielen und tanzen können. Wichtig ist auch, dass der Text eine Fantasie- und Spielwelt eröffnet und dass sie sich die Lieder schnell aneignen können, so dass Kinder das Gefühl bekommen: Dies ist mein Lied – auch wenn es sich jemand anderes ausgedacht hat.
Haben Sie Ihre Lieder früher auch an den eigenen Kindern ‚getestet‘?
Zuckowski: Ich habe sie ihnen nie mit dieser Intention vorgespielt, nein. Aber meine Kinder haben oft mitbekommen, wie ich zuhause komponiert oder mich mal mit der Gitarre aufs Sofa gesetzt habe, wenn ich eine Eingebung hatte. Wenn sie das auf dem Weg in ihr Kinderzimmer dann vor sich hingesummt haben, wusste ich: Ich bin auf dem richtigen Weg.
Sie schreiben Kinderlieder bereits seit über vier Jahrzehnten. Verbinden Sie damit eine bestimmte Intention?
Zuckowski: In allererster Linie muss ich selbst an einem Lied Freude haben – schon alleine deshalb, weil ich es im Anschluss ja oft singen muss. Dafür ist es wichtig, selbst noch Kind genug zu sein.
Und eine pädagogische Zielsetzung?
Zuckowski: Mir ging es in erster Linie immer darum, Lieder in die Welt zu setzen, die Kindern gut tun. Als Vater schwingt ein pädagogischer Ansatz immer mit, weil man natürlich seinen Teil dazu beitragen möchte, dass die Kinder zuversichtlich bleiben und nicht in Gefahr geraten – darum ja auch meine Lieder zur Verkehrssicherheit. Die haben mir zwar durchaus auch Freude bereitet, hatten aber eine klare pädagogische Intention. Ich bilde mir auch ein, dass die ihren Teil dazu beigetragen haben, dass wir heute erheblich weniger tote Kinder im Straßenverkehr haben als zur Zeit, als die Lieder entstanden sind – einfach weil man sich durch diese Lieder ein gewisses Verhalten im Straßenverkehr leichter merken kann und motivierter ist, wenn man ein Lied hört wie „Mein Platz im Auto ist hinten“.
Hatten Sie mal das Gefühl, dafür belächelt zu werden, „nur“ Kinderlieder zu machen?
Zuckowski: Nein, nie. Ich habe immer viel Anerkennung erfahren. Die Ernsthaftigkeit, mit der ich an meine Lieder herangegangen bin, haben schon sehr früh viele Menschen gespürt.
Haben Sie den Eindruck, dass Belange von Kindern heute ernster genommen werden?
Zuckowski: Ich sag mal so: Die Welt, in der ich aufgewachsen bin, war – trotz aller Liebe – relativ autoritär. Damals war es üblich, dass man als Kind mal einen Klapps bekommen hat und einem sehr ernst gesagt wurde, wie man sich als Kind zu verhalten habe. Diese Strenge gibt es in unseren Breiten heute kaum noch. Dadurch sind die Kinder selbstbewusster geworden und wagen mehr. Erwachsene halten das heute besser aus als früher, weil sie sich mehr auf der Seite des Kindes sehen, das sich entfalten darf und sich nicht kleingemacht fühlen soll; es soll ein gesundes Selbstbewusstsein und seine Eigenarten entwickeln.
So gesehen hat sich die Welt meiner Ansicht nach eher zu Gunsten der Kinder entwickelt.
Als mehrfacher Großvater: Welche Veränderung in der Kindererziehung nehmen Sie wahr?
Zuckowski: Meine Tochter erzieht ihre Kinder nicht grundsätzlich anders als wir sie erzogen haben. Wobei ich das Wort Erziehung schon nicht sonderlich mag: Man lebt mit den Kindern. Man hat sie lieb und lässt es sie spüren. Manchmal muss man sie sicher auch korrigieren und lenken, damit sie keinen Schaden nehmen, aber man muss ihnen den Raum geben, sich frei entfalten zu können. Die größte Herausforderung für Eltern heute ist es, mit den vielen Möglichkeiten der Ablenkung umzugehen – vom Handy bis zum großen Videospiel. Sich da einzuordnen und die vermeintlichen richtigen Wege zu finden, das macht das Leben für Eltern heute erheblich schwieriger als früher.
Woran haben Sie sich bei der Erziehung Ihrer drei Kinder orientiert?
Zuckowski: An unserer Intuition – und wir haben uns mit Freunden und Familie ausgetauscht. Die Erziehungsliteratur, die heute ja massenhaft existiert, gab es früher noch nicht. Damals kam gerade die Zeitschrift „Eltern“ heraus, die wir anfangs einige Male gelesen haben. Als darin aber immer mehr Artikel erschienen, die uns Eltern sagten, wie wir zu leben und zu erziehen haben, haben wir uns zunehmend davon zurückgehalten. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will Menschen, die sich wissenschaftlich mit Pädagogik beschäftigen, die Wichtigkeit ihres Berufs nicht absprechen. Aber man kann sich als Eltern von der Erziehungsliteratur auch ganz schön irre machen lassen. Da sollte man sich sehr gut überlegen, wie viel man davon verkraftet.
Also gibt es kein Buch, das Sie empfehlen können?
Zuckowski: Doch: „Wie man sein Kind lieben soll“ von Janosz Korczak. Der Autor war ein polnischer Kinderarzt, der in Auschwitz mit seinen Kindern in die Gaskammer gegangen ist. Der hat einen Satz geschrieben, der sich mir eingebrannt hat: „Kindheit ist nicht nur der Wartesaal des Lebens.“ Denn jeder Tag ist ein Tag, der vielleicht der letzte sein könnte – auch für Kinder. Deshalb haben auch Kinder ein Recht darauf, dass jeder einzelne ihrer Lebenstage als wichtig angesehen wird. Diese Grundhaltung hat mich damals sehr beeindruckt und im Umgang mit Kindern geprägt.
Zum Schluss: Gibt es ein Lied von Ihnen, das Ihnen am meisten am Herzen liegt?
Zuckowski: Ich arbeite gerade an meiner Autobiografie, die nächstes Jahr erscheinen wird. Als Vorwort habe ich mich für den Liedtext meines Stückes „Einmal leben“ entschieden – ein erwachsenes Lied, das sehr viel von meiner Grundhaltung ausdrückt und mir deshalb besonders viel bedeutet.