Herr von Praunheim, in „Härte“ verwenden Sie zum Teil die subjektive Kamera, anstatt den jungen Andreas Marquardt zu zeigen übernimmt der Zuschauer die Perspektive des Kindes. Wollten Sie den Zuschauer vor schrecklichen Bildern schützen?
Rosa von Praunheim: Wir wollten das Kind nicht beschädigen. Eswäre zwischen sechs und zwölf Jahren, deshalb haben wir uns für die subjektive Kamera entschieden.
Sie arbeiten mit statischen Hintergründe und wenig Requisite, halten Szenen in schwarz-weiß. Abstrahieren Sie dadurch nicht die Brutalität, um die es in „Härte“ geht?
von Praunheim: Ich glaube schon, dass die Brutalität im Kopf des Zuschauers stattfindet.
Hanno Koffler spielt Andreas Marquardt in jungen Jahren. Für die Dreharbeiten trainierte er so hart, dass ihm sein Trainingspartner eine Rippe brach…
von Praunheim: Es ist entsetzlich, wenn sich ein Schauspieler verletzt, dann kann er nicht drehen, insofern fand ich das blöde, dass er sich in das Karatetraining so reingestürzt hat. Er trainierte mit einem Karate-Weltmeister, der einfach zuschlägt. Aber Gott sei Dank ist die Verletzung gut ausgeheilt.
Ich finde jede Art von Religiosität bekloppt.
In kurzen Interviewsequenzen äußert sich auch Marquardt selbst. Er war acht Jahre im Gefängnis, schlug Frauen und arbeitete als Zuhälter. Gab es Situationen, in denen Sie Angst vor ihm hatten?
von Praunheim: Das Buch von Andreas Marquardt ist gemeinsam mit seinem Therapeuten entstanden. Als ich ihn kennenlernte, brauchte ich keine Angst mehr haben. Er war sehr dazu bereit, sich zu öffnen.
Marquardt kämpft gegen Kindesmissbrauch durch die Eltern, für sein Engagement lud ihn der Papst nach Rom ein und segnete Marquardt. Haben Sie sich mit der Kirche ausgesöhnt?
von Praunheim: Ich finde jede Art von Religiosität bekloppt. Es sind absolute Märchen. Jeder logisch denkende Mensch müsste doch eigentlich zu dem Schluss kommen, dass das Quatsch ist.
Trotzdem hielten Sie 2013 in der Berliner St. Marienkirche eine Predigt.
von Praunheim: Der Superintendent der evangelischen Kirche in Berlin hatte mich eingeladen, einen Vortrag zu halten, in einer Reihe von mehreren Laienpredigern. Das hat nichts mit deren Religiosität zu tun. Ich habe das gerne gemacht, weil der Superintendent selbst offen schwul ist. Bei der anschließenden Feier waren sechs offen schwule evangelische Pfarrer auf der Kanzel. Das war beeindruckend, dass da die evangelische Kirche so weit ist. Das fand ich schon toll, denn es gibt ja viele Schwule und Lesben, für die die Kirche wichtig ist.
Im März 2015 wurde Ihnen das Bundesverdienstkreuz für Ihr „großes Engagement für die Sache der Lesben und Schwulen“ verliehen. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?
von Praunheim: Mir persönlich nicht so viel wie der Gruppe von schwulen Männern, mit denen ich damals zusammen die Schwulenbewegung initiiert habe. Ich sah seit Anfang der 90er keine Chance mehr, selbst aktiv zu arbeiten. Das Engagement in der Aidskrise war die letzte große Sache.
Warum sind Sie nicht mehr so aktiv in der Schwulenbewegung?
von Praunheim: Ich habe mich damals mit dem Outing selbst schachmatt gesetzt.
…Sie meinen Ihre Outings von Alfred Biolek und Hape Kerkeling?
von Praunheim: Ja. Es gab eine Hasswelle von Schwulen und von Heteros, die mir verbieten wollten, weiter zu arbeiten.
Noch immer gibt es Bereiche, in denen sich Prominente mit einem Outing schwer tun, würden Sie heutzutage nochmal jemanden zwangsouten?
von Praunheim: Das weiß ich nicht. Gerade in der katholischen Kirche liegt einem das stark auf der Zunge, weil da so viel Scheiße gebaut wird, so viel Bigotterie da ist, so viel Homophobie. Wenn das von Leuten kommt, die selber schwul sind, dann platzt einem schon mal der Kragen.
Könnten Sie sich vorstellen, einen Profifußballer zu outen?
von Praunheim: Nein, ich denke, das sollen die selber machen. Sehr wahrscheinlich bedeutet das das Karriereende. Ich habe sehr viel Respekt für Thomas Hitzlsperger, der das gemacht hat.
Zuletzt wurde das Schwulsein in dem Kinofilm „Coming In“ mit Kostja Ullmann thematisiert. Ein Star-Friseur ist zu Beginn schwul und am Ende hetero. Hat Ihnen der Film gefallen?
von Praunheim: Nein, ich finde den schrecklich. Die haben versucht, sich für ein Heteropublikum anzubiedern. Außerdem spielen die Schauspieler unglaublich schlecht. Es war kein Kinoerfolg.
In der Schwulenszene wurde der Film unter anderem als „homophobe Umpolungsfantasie“ kritisiert. Können Sie diese Kritik und Entrüstung nachvollziehen?
von Praunheim: Nein, ich denke, wir sind inzwischen in den westlichen Ländern so weit, dass man sich das leisten kann. Alle Aspekte oder Fantasien um Homosexualität können frei ausgedrückt werden. Da gibt es keine Polizei, die das verbietet.
Ist Schwulsein mittlerweile normal und sich nicht dazu zu bekennen ein Tabu?
von Praunheim: Da müssten Sie mal in der Grundschule oder in einer Hauptschule fragen. Da werden Sie die Antworten kriegen, dass die meisten schwul sein eklig finden.
Ab welchem Alter sollten Pädagogen das Thema sexuelle Orientierung ansprechen?
von Praunheim: Es fängt im Kindergarten an. Kinder geben das wieder, was sie von ihren Eltern mitbekommen, ob das Rassismus ist oder Vorurteile gegen Homosexualität. „Schwule Sau“ fängt schon im frühen Alter an, ohne dass die Kinder wissen, was das ist. Solange man sehr viele Migranten aus Ländern hat, in denen Homophobie Gang und Gäbe ist – zum Beispiel aus islamischen Ländern oder auch aus Russland – muss man sehr dagegen halten.
Könnten Sie sich vorstellen, in der Richtung Aufklärungsarbeit zu leisten?
von Praunheim: Also, erst mal nicht. Ich habe das immer wieder in meinen Filmen thematisiert, in der Praxis muss das über Kindergärtner, Lehrer und Schulbücher passieren.
Sie setzen sich sehr für das Thema sexuelle Gleichstellung ein und es ist jedem bekannt, dass Sie schwul sind. Darf ich Sie als Berufsschwulen bezeichnen oder ist das für Sie eine Beleidigung?
von Praunheim: Ich finde es nicht negativ, berufsschwul zu sein. Wenn sich jemand für Minderheiten einsetzt ehrt das jeden Menschen – in welchem Bereich auch immer.
In vielen Seifenopern gibt es Outings, schwule Fernsehserien sind vor allem in Amerika und England erfolgreich. Stimmt es, dass Sie gerne eine queere Fernsehserie drehen würden?
von Praunheim: Wir arbeiten dran, ja. Aber das ist alles noch Zukunftsmusik.