Ryuichi Sakamoto

Melodien muss ich selbst erfinden.

Ryuichi Sakamoto über Tradition und Technologie und seine Definition von klassischer Musik

Ryuichi Sakamoto

© Kazunali Tajima/Universal Music

Mr. Sakamoto, wer waren für Sie die wichtigsten Komponisten, während Sie studiert haben?
Sakamoto: Meine größten Einflüsse waren Bach und Debussy. Und die Beatles vielleicht. (lacht)

Bach für die Struktur und Debussy mehr …
Sakamoto: …für die Harmonie, ja so könnte man das sagen. Bach habe ich wegen des Kontrapunkts sehr gemocht und am Anfang vor allem auch, weil ich Linkshänder bin. Bei Bach sind rechte und linke Hand gleichberechtigt, als Achtjähriger fand ich das sehr fair.
Als ich 13 oder 14 war bin ich dann das erste Mal mit der Musik von Debussy in Berührung gekommen – und es hat mich einfach umgehauen. Diese Musik war so anders als alles, was ich bis dahin kannte, anders als Beethoven oder Bach. Debussy bewegte sich zwischen klassischer Komposition und einem neuen Stil des 20. Jahrhunderts.

Haben Sie sich damals viel mit den Noten beschäftigt?
Sakamoto: Ja, jedes Mal wenn ich ein Stück Musik gefunden habe, das ich mochte, bin ich ins Kaufhaus gerannt, in die Musikabteilung und habe mir die Partitur gekauft. Die habe ich dann auf dem Klavier gespielt oder auch für Klavier arrangiert, wie zum Beispiel den dritten Satz von Debussys Streichquartett.

Waren Sie in der Lage, anhand der Noten das Mysterium seiner Musik aufzudecken?
Sakamoto: Ich habe es natürlich versucht. Bei Debussy war es tatsächlich so, dass ich erst mal keine Ahnung hatte, warum seine Musik so klingt, was das Geheimnis ist. Als ich sie dann studierte, sah ich zum Beispiel die Bedeutung der None für die Harmonie, auch die Ganztonleiter als wichtiges Charakteristikum.
Wenn man sich einmal mit seiner Musik beschäftigt, kann man seine Einflüsse in vielen Bereichen hören, in Hollywood-Soundtracks, im Jazz, im Pop – er war der Vater vieler Entwicklungen in der Musik des 20. Jahrhunderts.

Sie haben in den 70ern einen Master in elektronischer Musik gemacht. Fühlte man sich zu der Zeit wie ein Pionier?
Sakamoto: Nein, ich war kein Pionier. Synthesizer-Musik gab es schon, es gab sogar schon ein Hit-Album von Walter Carlos in den späten 60ern, das war also nicht mehr neu.
Ich habe mich mit computerbasierter Musik beschäftigt, wie Iannis Xenakis sie seit Anfang der 60er Jahre gemacht hat. Nur gab es damals für junge Leute wie mich wenig Möglichkeiten, einen Computer zu benutzen – der PC existierte ja noch nicht, es gab nur die großen IBM-Rechner. Man stanzte noch Löcher in Lochkarten und man brauchte ungefähr 7000 solcher Lochkarten, damit der Computer eine sehr einfache Mozart-Sonate spielte.

Haben Sie damals gedacht, dass die Technik eines Tages das Klavier ersetzen würde?
Sakamoto: Nein, ich habe die Synthesizer so gesehen, dass wir durch sie eine neue Palette an Klängen hinzubekommen. Natürlich ist ihr Klang – verglichen mit dem Klavier – sehr billig. Aber für Popmusik ist es im Grunde gut genug. Und heute haben wir den Laptop, mit dem wir etwas komplett Künstliches erschaffen können.

Die Technologie hat den Klang verändert – auch die Art zu komponieren?
Sakamoto: Ja, definitiv. Wir sind natürlich auch heute noch Opfer des Rahmens von Tonhöhe und Zeit, das ist das Koordinatensystem der Musik seit Jahrhunderten. Aber ich will davon loskommen, ich versuche diesen Raum eher so zu behandeln, wie ein Maler eine Leinwand. Also, anstatt an Noten zu denken, an Tonleitern und Harmonien, denke ich an ein Klang-Objekt, das ich hier oder dort auf die Leinwand projiziere – das ist heute möglich, dank des Computers.

Zitiert

Vielleicht wird der Computer in ein paar Millionen Jahren eine Melodie komponieren können, aber ich bin mir sicher, das Resultat wird furchtbar sein.

Ryuichi Sakamoto

Lassen Sie sich vom Computer denn Ideen geben, oder kommen alle Melodien aus Ihrem Kopf?
Sakamoto: Für die Melodien? Nein, dafür nutze ich nie den Computer. Die muss ich selbst erfinden, jedes Mal neu. Vielleicht wird der Computer in ein paar Millionen Jahren eine Melodie komponieren können, aber ich bin mir sicher, das Resultat wird furchtbar sein.

Wie wichtig ist es für Nachwuchskomponisten, nicht nur die neue Technologie zu kennen sondern auch die Tradition? Sollte man noch lernen, was Kontrapunkt ist, wie man eine Fuge komponiert….
Sakamoto: Ich denke, dass es kein „sollte“ gibt. Jeder kann es für sich entscheiden.

Wie würden Sie sich denn heute als junger Komponist entscheiden?
Sakamoto: Wenn ich jetzt 18 wäre, würde ich mich sicher mit dem Computer auseinandersetzen, aber traditionelle Wege des Komponierens wie Kanon, Fuge, Kontrapunkt würde ich wahrscheinlich ignorieren.

Ist denn eine Kompositionsschule ohne Bach vorstellbar?
Sakamoto: Das ist ok. Manche Schüler werden sicher denken, dass sie das Geheimnis von Bach, Mozart oder von Debussy kennen lernen wollen. Aber das hängt davon ab, was man will.

Aber um beispielsweise einen guten Film zu drehen, sollte man dafür nicht in jedem Fall auch Eisenstein kennen, Hitchcock, Scorsese, …
Sakamoto: …oder die Brüder Lumière. Ja, ich denke das stimmt schon. Trotzdem glaube ich, dass es auch möglich ist, wenn du all diese alten Filme nicht kennst. Vielleicht bist du ja ein Genie und kreierst einen völlig neuen Filmstil.
Ich kann Ihre Frage nach der Tradition schon verstehen – aber es ist nicht meine Verantwortung, zu sagen, wie eine Ausbildung aussehen soll. Wenn du einzigartig bist, dich von anderen Komponisten unterscheidest, jungen wie alten, vielleicht sagt dir dann deine innere Stimme, womit du dich beschäftigen sollst, was du studieren und was du hören sollst. Ich persönlich glaube in der Tat, dass es viel wert ist, die Tradition zu kennen.

Zum Schluss: Wie definieren Sie klassische Musik?
Sakamoto: Klassisch, das ist ein sehr zweideutiges Wort. Ist es ein Stil? Eine spezielle Periode? Ein Genre? – Für mich ist Musik klassisch, wenn sie für eine lange Zeit Bestand hat. Mehrere Jahrhunderte. Das ist klassisch.

Techno wird also auch eines Tages zur klassischen Musik dazugehören?
Sakamoto: Wenn es mehr als ein Jahrhundert Bestand hat, ja, dann wird auch Techno klassische Musik sein. Oder? (lacht)

Ein Kommentar zu “Melodien muss ich selbst erfinden.”

  1. Ingo |

    Hey kleine korrektur

    Ihr habt das Interview in eurer Rubrik „PI in den Printmedien“ verlinkt. ZEIT ONLINE ist doch aber kein printmedium, das sagt doch schon der name…

    Antworten

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