Sabine Christiansen

Phrasendreschen ist in der Wirtschaft nicht gefragt.

Sabine Christiansen über das n-tv-Format "Chefsache", Unternehmer vor der Kamera, ihre legendärste Sendung und was sie von Günter Jauchs Politik-Talk erwartet

Sabine Christiansen

© Koppelstätter

Frau Christiansen, als Talkerin in der ARD hatten Sie es vor allem mit Politikern zu tun, heute interviewen Sie für das Format „Chefsache“ (n-tv) das Führungspersonal der internationalen Wirtschaft – was mussten Sie dazulernen?
Christiansen: Eigentlich nicht so viel. Da ich beim NDR in der Wirtschaftsredaktion angefangen habe, bevor ich die Moderation des HH- Journals und später der Tagesthemen übernahm, waren Themen und Führungspersonal der Wirtschaft ohnehin mein Ausgangspunkt. Und später bei der Talkshow am Sonntagabend standen Wirtschaftsthemen und Vorstände aus vielen globalen und großen deutschen Unternehmen immer wieder im Focus: Bill Gates und Jack Welch, Jeff Immelt, Hasso Plattner, Jürgen Hambrecht, Ron Sommer, u.v.a. Dazu kamen dann einige Jahre, in denen ich eine Wirtschaftsdebatte auf dem international führenden Wirtschaftssender CNBC geleitet habe.

Worin unterscheiden sich Politiker und Wirtschaftslenker?
Christiansen: Politiker müssen nach außen wirken, damit sie die Wählerstimmen bekommen, Wirtschaftsbosse müssen nach innen wirken, damit am Ende das Ergebnis stark nach außen wirken kann und die Aktionäre überzeugt werden.
In der Wirtschaft sind nicht alle so mediengeschult wie in der Politik. Es sind auch Menschen dabei, die nicht so gerne vor die Kamera gehen, sondern sagen: „Ich will durch meine Leistung überzeugen und nicht durch viele Interviews.“ Insofern gilt es, manche auch ein bisschen zu knacken, ihnen ein bisschen persönlicher auf die Spur zu kommen, vielleicht auch ein bisschen mehr über das Unternehmen zu erfahren und wie sie es leiten.

Wer sind denn die größeren Phrasendrescher?
Christiansen: Phrasendreschen ist bei einem Manager in der Wirtschaft nicht unbedingt gefragt, denn die Analysten wissen sehr wohl die Phrasen eines CEOs zu interpretieren. Da haben es Politiker etwas einfacher, weil sie von Wählern beurteilt werden, die sich zwar auch informieren, aber letztendlich nicht in jeder Materie so tief drinstecken können und populistischer Zeitgeist mehr Applaus findet.

Welche Rolle spielt bei Manager-Auftritten vor der Kamera die Inszenierung?
Christiansen: Wir versuchen eben diese soweit es geht zu vermeiden und  Szenen eines Arbeitslebens einzufangen. Ansonsten beginnt die Inszenierung in dem Moment, wo Sie in das Büro geführt werden, Sie dürfen dann dort eine Dreiviertelstunde sitzen, hinter dem Interview-Partner sind die „Flaggen“, Embleme usw. aufgebaut…

…und der Pressesprecher sitzt die ganze Zeit daneben?
Christiansen: Natürlich gibt es Pressesprecher, die ihren CEO nicht eine Minute aus den Augen lassen und immer mit einem Ohr hinhören. Es gibt aber auch Unternehmen, wo das Vertrauen mit dem Chef offenbar groß ist, wo der Pressechef nach unserem Gespräch über die Bedürfnisse für die Dreharbeiten sagt: „Laufen Sie mit dem einfach los“.  Eckhard Cordes, Vorsitzender der Metro AG, den wir unterwegs getroffen und zunächst bei Terminen in Shangai begleitet haben. Der Mann hat ein unglaubliches Arbeitstempo, Wir haben ihn im Laufschrittt erst im Auto, in diversen Filialen interviewt, noch nachts um ein Uhr dann auf dem Flughafen in Hongkong – das können Sie gar nicht so durchplanen und inszenieren als wenn Sie am Unternehmenssitz morgens um 11Uhr ausgeruht dasitzen und der Pressechef ist jede Minute neben Ihnen.

Dürfen Sie alles verwenden, was Sie drehen?
Christiansen: Wir haben noch keine Einschränkungen bekommen, in Bezug darauf, was wir senden dürften oder nicht senden dürften.

Sind kritische Fragen immer möglich?
Christiansen: Bislang immer. Ich habe bisher noch keinen erlebt der gesagt hat: „Dazu möchte ich mich nicht äußern.“ Egal ob bei Winterkorn, Grossmann oder anderen. Zum Beispiel haben wir Boss-Chef Claus-Dietrich Lahrs zur Kontroverse um den Finanzinvestor Permira befragt – dazu gab es bis dato noch keine Äußerungen.
Wir blocken mit der Redaktion auch ab, wenn sich ein Unternehmen zum Beispiel gerade umstrukturieren will und dafür eine riesige Pressearbeit betreibt. Wenn wir merken, dass wir Teil einer PR-Strategie werden könnten, ziehen wir uns zurück.

Haben Sie eine besondere Interviewstrategie?
Christiansen: Wenn es jemand ist, der sonst nie vor Fernsehkameras geht, dann müssen Sie versuchen, eine vertrauensolle Atmosphäre zu schaffen.
Sonst werden Sie die Antworten nicht bekommen, die Sie nachher haben möchten. Also erstmal Small-Talk, die Kamera läuft aber schon mit, dann hat er oder sie sich irgendwann daran gewöhnt, dass die Kamera im Raum ist, dann fängt man an, sich im Raum zu bewegen. Wenn man dann fragt, „was haben Sie da auf Ihrem Schreibtisch stehen, was verbindet Sie mit diesem Gegenstand“, dann kommt eine etwas persönlichere Atmosphäre auf, die es dann auch möglich macht, andere und vielleicht auch sehr kritische Fragen zu stellen, die er sonst gar nicht beantwortet hätte.

Kriegen Sie für „Chefsache“ jeden? Wie viele sagen ab?
Christiansen: Es sagen wenige ab, das hat uns selbst etwas überrascht. Allerdings haben wir auch jahrelang die Wirtschafts-Talksendung „Global Players“ für CNBC produziert, wo wir hauptsächlich mit CEOs zu tun hatten. Insofern haben wir auch realistisch auf die dadurch entstanden Kontakte gesetzt.
Hinzu kommt, dass das Format neben Deutschland auch auf der deutschen Welle in 4 Sprachen ausgestrahlt wird und wir die Rechte in diverse andere Länder wie Österreich, in den arabischen Raum oder sogar nach China vergeben haben. Für die meisten Unternehmen ist es interessant, sich auf so vielen Märkten in unterschiedlichen Sprachen zu präsentieren.

Sie haben bisher gar keine Frauen portraitiert.
Christiansen: Ja, das ist leider etwas schwierig. Wir haben sehr viele angefragt, doch die sind sehr zurückhaltend, auch bescheidener als viele männliche CEOs. Viele haben die Sorge, dass es bei den Männern nicht ganz so gut ankommt, wenn sich eine Frau alleine nach vorne stellt. Ich habe mich persönlich dafür sehr eingesetzt und bedauere die Zurückhaltung sehr, wenngleich einige auch nur auf Zeit gespielt haben und sicher bald dabei sein werden.

Es gibt eine ganze Reihe von Unternehmern, die sich der Presse gegenüber generell verweigern, bei Aldi oder Lidl lautet die Devise ja bekanntlich: keine Interviews.
Christiansen: Natürlich gibt es Fälle wie die Albrechts, es gibt immer Grenzen. Wir hätten bei unserem Portrait der Firma Coty auch gerne mit der Familie Reimann gesprochen, denen das Unternehmen gehört, die aber niemand kennt, von denen in keinem Printarchiv ein Foto existiert. Natürlich hätte man die gerne gefragt: Warum haben Sie Coty gekauft? Warum ziehen Sie sich so zurück? Warum reizt Sie das Unternehmertum aber auf keinen Fall die Öffentlichkeit?
Oder jemand wie Herr Mateschitz von Red Bull, der uns leider abgesagt hat: Nach dem Sieg von Sebastian Vettel hat er ein ganz kurzes Interview gegeben und das war ihm vermutlich schon zu viel. Schade darum, weil die Kunden gern einmal einen so interessanten Unternehmer kennen gelernt hätten. Aber vielleicht klappt es ja noch einmal. Andererseits: Es gibt einfach Grenzen, wo Menschen sagen: Mache ich nicht.

Juckt Sie das dann?
Christiansen: Je mehr ein Unternehmen auf den Konsumenten ausgerichtet ist, um so weniger ist eine Absage für mich verständlich. Das hat nichts mit persönlicher Eitelkeit zu tun, dafür sind zu viele Konzerne und Familienunternhemen auf der Zusagenliste.
Ein Konzern wie TUI z.B. täte doch einmal gut daran, den Chef persönlich im Gespräch zu präsentieren. Ein Mann, der Urlaub macht, wo seine Kunden sind: auf Mallorca etc. Trotzdem tut man sich schwer – warum?
Man muss versuchen, die Unternehmen daran zu gewöhnen, dass die Medien Teil ihrer Unternehmenskultur sein müssen. Was nicht heißt, dass der Chef jede Woche in einer Zeitung als der große Macher posieren soll. Es gibt ja auch Firmen, wo ein Portät des Chefs abgesagt wird, weil dann alle Verantwortlichen in der Firma und Mitarbeiter im Interview vorkommen sollten, aufgrund der hohen demokratischen Kultur im Unternehmen. Davor habe ich auch Respekt.

Aber wenn sich ein Unternehmen mit Millionen Kunden und einem Milliardenumsatz in Deutschland komplett der publizistischen Öffentlichkeit entzieht – ärgert das nicht die Journalistin in Ihnen?
Christiansen: Wir haben das bereits vor einigen Jahren kritisiert, als die deutsche Wirtschaft sich sehr über die Politik beschwert hat. Ich habe damals mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass ich es nicht richtig finde, wenn sich die Wirtschaft beschwert, aber gleichzeitig nicht bereit ist, in den Medien aufzutreten. Wenn, dann gibt es solche Sonderauftritte, wo Herr Ackermann alleine in einer Talksendung sitzt. Das bringt mir aber natürlich nicht viel. Sondern ich hätte ihn dann schon gerne mindestens in einer Zweierkonfrontation mit der Politik, gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise.

Aber darauf lässt sich Herr Ackermann vermutlich nicht ein.
Christiansen: Genau. Und das finde ich bedauerlich.

Zitiert

Man muss versuchen, die Unternehmen daran zu gewöhnen, dass die Medien Teil ihrer Unternehmenskultur sein müssen.

Sabine Christiansen

Gibt es inzwischen mehr Unternehmer, die Presse zulassen, oder hat sich in dieser Hinsicht nichts verändert?
Christiansen: Doch, ich glaube, da hat sich gewaltig etwas verändert. Früher haben Unternehmen oft gesagt, „da haben wir gar nichts zu suchen“. Zum Beispiel wenn wir bei Automobilunternehmen angefragt und sie aufgefordert haben, sich der Umweltdebatte zu stellen – die haben das immer wieder auf die Verbände abgeschoben. Doch der Automobilverband entzog sich, Bernd Gottschalk ist als VdA-Präsident nie aufgetreten. Was wollen Sie dann machen? Dann werden Sie schon wütend.
Aber das hat sich heute besser austariert. Ein Herr Wissmann tritt auf, die Unternehmenschefs könnten sich allerdings noch ein wenig mehr herauswagen.

Sehen Sie im Dialog mit den Medien auch ein wachsendes Verantwortungsgefühl in den Chefetagen der Unternehmen?
Christiansen: Ich glaube, es hängt davon ab, inwieweit sich ein Unternehmen, „gezwungen“ sieht, es auch in einer neuen Zeit zu tun. Damit hat die Wirtschaftskrise auch viel zu tun, die sagt: „Bitte werdet transparenter, erklärt uns mehr.“ Danach haben viele Unternehmen ihre Öffentlichkeitsarbeit umgestellt und angefangen sich mehr zu öffnen, mehr zu erklären, wer sie sind und was sie wollen. Das haben wir bei vielen der sogenannten „Heuschrecken“ gesehen. Früher haben sie vergeblich versucht, einen Investor in ein Studio zu bekommen, heute gelingt das hin und wieder. Daran kann man schon erkennen, dass sich etwas verändert hat. Man sieht die Notwendigkeit, sich öffentlich zu erklären, besser zu erklären, was man macht.

Viele Unternehmen schweigen aber zu kritischen Fragen. Der dänische Journalist Frank Poulsen beispielsweise recherchierte für seinen Film „Blood in the Mobile“ im Kongo, wo große Handyhersteller durch den Kauf von Mineralien einen Militärkonflikt mitfinanzieren. Als er versuchte, bei Nokia mit Verantwortlichen darüber zu sprechen, blockte der Konzern immer wieder ab. Glauben Sie, dass durch einen stärkeren Dialog mit der Öffentlichkeit das unternehmerische Handeln positiv beeinflusst werden kann?
Christiansen: Die Nachhaligkeit und Durchwirkung eines Unternehmens bis in die Zulieferer und Subunternehmer hinein ist heute ein großes Thema. Nokia hätte sicher besser daran getan, über seine Probleme zu sprechen, offene Kommunikation ist heute sicher besser als Enthüllungsgeschichten mit öffentlicher Wirkung.
Aber Nachhaltgkeit in allen Bereichen ist nicht einfach: Wenn Sie als Textilunternehmen nachprüfen wollen, wo Ihre Jeans gefärbt wird und ob das Garn für die Naht im T-Shirt nicht doch durch Kinderarbeit entstanden ist, dann ist das mit hohen finanziellen Aufwendungen verbunden.
Ich habe mich mit so vielen Unternehmen in Asien unterhalten, die dort fertigen lassen. Ich war gerade in meiner Funktion als Unicef-Botschafterin in Pakistan, Afghanistan und Bangladesch, wo wir tagelang mit diesen Schwerpunkten unterwegs waren, in Motorwerkstätten, wo Kinder gearbeitet haben, auf den Baumwollplantagen – das ist keine einfache Angelegenheit. Unicef fordert seit vielen Jahren, dieAusbeutung der Kinder zu stoppen.

Wie ist dem beizukommen?
Christiansen: Den Hauptmotor sehe ich beim Konsumenten, je größer der Druck des Konsumenten wird, je mehr Konsumenten zum Beispiel sagen „ich möchte nicht, dass mein Handy Konfliktmineralien enthält“, desto eher müssen Unternehmen ihre Kultur diesbezüglich ändern. Nachhaltigkeit ist für mich sowieso das Thema überhaupt, wo wir Konsumenten auf die Unternehmen Druck ausüben müssen.
Es braucht dann auch nachhaltige Vorreiter wie den Staubsauger-Erfinder James Dyson oder die Firma Otto, die sagt, „wir bauen eine Fabrik in Bangladesch, geben die Profite an die dortige Community zurück und setzen uns für eine vernünftige Lohnentwicklung und eine vernünftige Entwicklung der Dörfer und der Zulieferer drum herum ein.“ Ohne diese Vorreiter würden viele andere Unternehmen nicht die Notwendigkeit sehen, zu handeln.

Die Arbeit an „Chefsache“ erfüllt Sie ganz offensichtlich – schauen Sie trotzdem manchmal wehmütig zurück auf Ihren Sonntagstalk in der ARD?
Christiansen: Nein, da gibt es überhaupt keine Wehmut. Die Produzententätigkeit läßt wenig Zeit zum eigenen Auftritt, die Wirtchaftsporträts aber sind für mich etwas Besonderes, ‚back to the roots’. Außerdem, wenn Sie sich eine Tagesschau angucken, oft sind 80% der 20Uhr-Ausgabe Wirtschaftsnachrichten, egal ob es um den IWF oder die Wirtschaft nach der Jasmin-Revolution in Tunesien geht. Da finde ich es spannend, an die Wurzeln zu gehen, und zu fragen: Wo kommt es denn her?

Nehmen Sie sich Zeit zum Talk-Show gucken?
Christiansen: Ja, das mache ich schon. Ich kriege zwar nicht alles mit, wenn ich unterwegs oder in Frankreich bin, aber vielleicht ist das auch ein Vorteil wenn man nicht alle sieht, man wird nicht ganz so müde.
Ich freue mich auch mal, eine bestimmte Sendung wieder zu sehen. Das Einzige, was mich manchmal enttäuscht, ist, wenn eine Runde aus den gleichen Personen wie schon vor etlichen Jahren zusammengesetzt ist, wo man sich denkt, da hätte auch mal ein Jüngerer eingeladen werden können. Andere Runden sind dann aber wiederum neu und anders.

In der Wirtschaft belebt Konkurrenz das Geschäft – gilt das auch für Talkshows?
Christiansen: In gewissem Maße schon. Uns hat damals belebt, dass es Erich Böhme gab und wir uns dachten: „Das wollen wir ein bisschen anders, vielleicht auch einen Tick besser machen.“ Dann kamen die Personentalkshows, was auch spannend war. Manche Gäste gingen nun lieber zu Beckmann, weil sie dort 15 Minuten alleine bekamen und sich nicht streiten mussten.Jetzt wird es allerdings etwas kritisch, weil es inflationär wird, bei fünf Talks in der ARD, Maybrit Illner und Markus Lanz im ZDF und dann kommen ja noch die Polit- und Personen-Talkshows in den dritten Programmen hinzu.

Es wird zu viel getalkt?
Christiansen: Zumindest im Bereich der gesellschaftspolitischen Talkshow denke ich, dass wir ein bisschen zu viel haben. Das ist schade, weil es sich damit etwas abnutzt. Wir haben in Deutschland nicht die Unterscheidungen wie in Frankreich, wo ich eine kulturelle Debatte, eine populäre mit Bestsellerautoren, eine Wirtschaftsdebatte etc. habe.

Günter Jauch sagte kürzlich im „Spiegel“-Interview, dass sich der Politikbegriff erweitert hat…
Christiansen: Ja, damit haben wir damals angefangen, eine unserer ersten Sendungen war zum Thema Doping. Da hieß es dann in der Presse: „Was soll das denn? Das gehört doch zum Sport!“ – Aber diese Erweiterung hat es bei uns immer gegeben. Das müssen Sie auch machen, da ansonsten das Gästepersonal sehr begrenzt ist. Man muss nur wissen, bis wohin man erweitert: Geht man thematisch bis zur Fürstenhochzeit oder hört man beim Doping auf?

Welche Erwartungen haben Sie an Günter Jauch?
Christiansen: Ich glaube, dass er das gut machen wird, keine Frage. Nur sollten wir uns nicht mehr der Illusionen hingeben, dass jemand den Talk neu erfindet. Günter Jauch wird das mit seiner netten, jovialen Art sehr gut machen, Anne Will hat es auf ihre Art genauso gut gemacht. Das ist auch nicht der Punkt, sondern wichtiger ist für mich die Frage: Wo entdecke ich ein neues Thema, wo entdecke ich einen anderen spannenden Personenkreis? Das interessiert mich viel mehr als der Moderator.

Sie haben hunderte Sendungen moderiert – gibt es darunter welche, von denen Sie sich wünschen würden, dass sie die nächsten Jahre und Jahrzehnte den Menschen zugänglich sind?
Christiansen: Es gibt ehrlich gesagt eine Sendung, an die ich mich erinnere, wo ich antworten würde: Ja. Das war zu 10 Jahre Deutsche Einheit, als wir alle Außenminister in der Sendung hatten, die damals die Einheit möglich gemacht haben. Das hatte eine so lange Vorgeschichte, die Sendung hat auch ein Vermögen gekostet. Für Schewardnadse, der jetzt Präsident war, musste ein Staatsbesuch organisiert werden. Das war alles sehr eindrucksvoll und unser Server platzte bei der Abforderung aus allen Nähten, weil alle das als Zeitdokument haben wollten. Die Aufzeichnung ist danach auch noch an mehr als 140 Botschaften gegangen, die das bei uns angefragt haben.

War dass denn die einzige Sendung, die Sie unter dem Archiv-Aspekt nennen würden?
Christiansen: Mir würden sicher noch drei, vier andere einfallen. Zum Beispiel der Besuch von Condoleezza Rice, eine Woche nach Veröffentlichung der Fotos aus Abu Ghuraib. Da saßen wir alle mit Gänsehaut davor, wir hatten alle diese Bilder gesehen, keiner verstand, wie Menschen so etwas tun können. Und dann sitzt die Außenministerin da und sagt: „OK, ich muss es jetzt erklären.“

Was ist mit Ihrem Bush-Interview?
Christiansen: Was weiß ich denn, wer in zehn Jahren noch Bush sehen will, keine Ahnung. Wobei mich neulich auf dem Münchner Flughafen tatsächlich ein Verkäufer auf genau dieses Interview ansprach und erzählte, wie er das damals mit seiner ganzen Familie geguckt hat. Er fragte mich dann, wo er das Interview jetzt herkriegt.

Das würde mich auch interessieren.
Christiansen: Er kriegt es von uns, wir haben alles archiviert. Wir wissen aber noch nicht, ob und wo wir diese Dinge dann mal vielleicht verwerten oder online stellen. Das ist ja mit sehr großem Aufwand verbunden.

Die öffentlich-rechtlichen Sender haben seit Sommer 2009 schätzungsweise über eine Millionen Dokumente aus ihren Online-Archiven entfernen müssen, nachdem aufgrund einer Beschwerde des Verbands Privater Rundfunk und Telemedien der Rundfunkstaatsvertrag diesbezüglich geändert wurde. Wie stehen Sie zum Vorgang des Depublizierens?
Christiansen: Für keinen, der diese Inhalte erstellt hat, ist es erfreulich. Auf der anderen Seite sind es Berge, die sich ansammeln. Ich bin da ein bisschen zwiegespalten. Ja, es ist bedauerlich, dass es das nicht mehr gibt, das sage ich auch ausdrücklich. Ich kann das auch nicht verstehen. Aber wer soll das jetzt bestimmen?
Es ist ja auch nur die Frage, welche Inhalte kostenfrei weiter zur Verfügung stehen und welche nicht. Sie können ja alle Sendungen aus den Archiven der öffentlich-rechtlichen gegen Gebühr anfordern.* Insofern, ganz weg ist es nicht.

Würden Sie es denn begrüßen, wenn das Depublizieren eines Tages durch die Politik wieder rückgängig gemacht wird?
Christiansen: Gut wäre das.

* Eine Anfrage bei der ARD ergab, dass ein Sendungsmitschnitt für den Privatgebrauch 29 Euro kostet. Allerdings sei im Fall des Interviews mit George W. Bush eine Herausgabe „aus rechtlichen Gründen“ nicht möglich.

Ein Kommentar zu “Phrasendreschen ist in der Wirtschaft nicht gefragt.”

  1. GÜNTHER Jauch. |

    Ich heiße…

    GÜNTHER Jauch.
    Danke.

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