Sarah Chang

Auf der Bühne bin ich am glücklichsten.

Geigerin Sarah Chang über Karriere in der Kindheit, volle Konzertpläne, Adrenalin und dass sie beim Üben gerne Fernsehen guckt

Sarah Chang

© Seihon Cho

Mrs. Chang, ein Werk, das sich immer wieder in Ihren Konzertplänen wiederfindet ist das Violinkonzert Nr.1 von Max Bruch. Stimmt es, dass dieses, technisch sehr anspruchsvolle Werk das erste Violinkonzert war, dass Sie als Kind gelernt haben?
Sarah Chang: Ja, das stimmt, ich habe es einstudiert als ich fünf Jahre alt war für meine Aufnahmeprüfung an der New Yorker Juilliard School. Öffentlich habe ich das Stück aber erst mit 13 Jahren gespielt.

War das dann auch schon ein Alter, wo Sie sagen würden, dass Sie einem solchen Werk musikalisch, interpretatorisch gerecht werden konnten?
Chang: Das ist schwer zu sagen. Klar, wenn man fünf Jahre alt ist, macht man hauptsächlich nur das, was einem gesagt wird. Dem Stück gerecht wird man vielleicht, wenn man irgendwann anfängt, selbstständig zu denken und sich seine eigene Meinung bildet, also etwa als Teenager. Aber auch dann kann man noch nicht endgültig behaupten, dass man ein Stück beherrscht. Schließlich lerne ich heute noch mit jedem Konzert dazu, was die Interpretation anbelangt.

Inwiefern sehen Sie die Gefahr, dass sich bei der Vielzahl von Auftritten bei dem ein oder anderen Werk ein gewisser Automatismus einschleicht?
Chang: Diese Gefahr besteht tatsächlich. Es gibt ja Tage, wo man aus dem Flugzeug steigt, direkt zur Probe in den Konzertsaal fährt und sich physisch nicht besonders gut fühlt. Da muss man schon aufpassen, im Konzert nicht auf ‚Autopilot‘ umzuschalten – so nennen wir das, wenn man einfach alles abspult, ohne mit den Gedanken wirklich beim Stück zu sein. Ich für mich hoffe, dass jedes Konzert eine neue Erfahrung sein wird, wo ich auch dazu lerne. Auch nach dem 600. Mal Bruch gibt es an diesem Violinkonzert immer noch etwas zu entdecken. Zumal man ja auch mit verschiedenen Ensembles und Dirigenten spielt, in verschiedenen Städten und Konzertsälen. Zum Beispiel war ich mit dem English Chamber Orchestra im Dezember 2003 auf einer Asien-Tournee. Ich weiß nicht mehr, wie viele Konzerte wir gegeben haben, aber ich weiß, dass jedes Konzert sehr anders war. Auf so einer Reise lernt man sich untereinander kennen, man probt viel und am Ende weiß man, was die anderen denken und wie sie spielen wollen. Und es ist schön, festzustellen, wie sich das Zusammenspiel mit jedem Abend ändert. Schließlich sind wir doch Musiker und nicht Maschinen.

Als Solist verbringen Sie jeden Tag viel Zeit mit dem Instrument – wie lang war die längste Auszeit, die Sie je von der Geige genommen haben?
Chang: Eine Woche, das war nach meinem Debüt mit den New Yorker Philharmonikern, ich war damals acht.

Und wie sieht es heute mit den Pausen aus?
Chang: Nach einer langen Tournee kann es sein, dass ich die Geige für maximal zwei Tage weglege. Aber ansonsten mache ich täglich meine Übungen, auch wenn es nur 20 bis 30 Minuten sind. Am Ende des Tages fühle ich mich einfach besser, wenn ich weiß, dass ich wenigstens 20 Minuten gespielt habe.

Stimmt es denn, dass Sie während des Übens auch mal Fernsehen gucken …
Chang: Ja natürlich, aber ohne Ton versteht sich. Manchmal lese ich sogar, während ich übe. Viele Lehrer und Eltern fänden so etwas bestimmt grausam, aber wissen Sie, während eines Konzerts gibt es ja auch sehr viele Ablenkungen: Zuhörer kommen zu spät, andere gehen raus, Handys klingeln oder jemand hustet. Da ist es doch ok, wenn der Fernseher nebenher flimmert und man sich trotzdem noch auf seine Sache konzentrieren kann.

Gibt es bestimmte Sendungen, die Sie bevorzugen, während Sie üben?
Chang: Ja, zum Beispiel wenn ich in Europa bin und ein Film mit englischen Untertiteln gezeigt wird – dann kann ich lesen, wovon der Film handelt, wunderbar. Auch die Gameshow „Wer wird Millionär?“ eignet sich ganz gut beim Üben, weil die Quizfragen und Antworten ja immer eingeblendet werden.

Sie haben mit neun Jahren Ihre erste CD aufgenommen, inwiefern haben damals Management und Plattenfirma berücksichtigt, dass Sie noch ein sehr junges Mädchen waren?
Chang: Ich wurde von allen sehr unterstützt. Die Plattenfirma ging damals ganz vorsichtig auf meine Eltern zu, EMI hatte nämlich noch nie einen so jungen Künstler aufgenommen. Und sie hatten bis dahin auch niemand aufgenommen, der noch auf einer kleinen ¼-Geige spielte. Der Tonmeister wusste zuerst gar nicht, wie er die Mikrofone einstellen müsste. Hinzu kam, dass es in den USA bestimmte Kinderarbeitsgesetze gibt, die die Arbeitszeit und ähnliches regeln, wovon wir alle aber erst während der Aufnahme erfuhren. Insofern haben sowohl ich als auch die Plattenfirma in dieser Anfangszeit viel gelernt.

Und wie sehr haben sich Ihre Eltern darum gekümmert, wie Sie vermarktet wurden?
Chang: Sie haben sich immer versichert, dass all das, was wir gemacht haben, familientauglich war. Das ist aber wohl bei allen Eltern so, die eine Tochter haben, die immer noch einen drauf setzen will. Wenn du acht oder neun bist, ist das kein Problem, aber dann als Teenager in der Pubertät, wo man vielleicht älter aussehen will als man ist … Und man kann viel älter aussehen, wenn man will, auf den Covern, den Magazinen – aber meine Eltern haben da immer sehr drauf geachtet, nie musste ich etwas machen, was ich nicht wollte, die waren immer irgendwie im Bild. Das ist auch gut so, immerhin bin ich in der Klassik-Szene, die immer ein bisschen zurückhaltender ist, als die Popmusik-Szene. Ich wollte auch nicht untergraben, was ich bisher geleistet hatte mit einem trashigen Cover oder so.

Aber wenn Sie auf Ihre Karriere zurückschauen, gibt es Dinge, die Sie in Ihrer Kindheit vermisst haben?
Chang: Nein, ich denke nicht, dass ich viel verpasst habe. Ein bisschen vielleicht, aber wenn ich das mit dem vergleiche, was ich erreicht habe, bedaure ich rein gar nichts. Ich habe schon als Kind sehr viel erlebt, ich musste schnell ‚erwachsen‘ werden, was doch aber gar nicht so schlecht ist. Mir hat es als Kind auch geholfen, dass ich neben der Juilliard School auf eine ganz normale Grundschule gegangen bin, während die meisten Juilliard-Schüler von ihren Eltern auf spezielle Schulen mit besonderer künstlerischer Ausrichtung geschickt wurden. Meine Eltern wollten aber, dass ich mit ’normalen‘ Kindern zur Schule gehe, weswegen auch heute mein Freundeskreis nur zu einem Teil aus Musikern besteht, zum anderen Teil aus Personen, die mit Musik überhaupt nichts zu tun haben – was manchmal sehr angenehm ist.

Zitiert

Ich musste schnell ‚erwachsen' werden - was doch aber gar nicht so schlecht ist.

Sarah Chang

Nun gibt es in der Popmusik schon seit vielen Jahren das Phänomen, dass die Stars immer jünger werden, aber schon nach immer kürzerer Zeit aus den Charts rutschen und in Vergessenheit geraten. Wie sehr sind Sie dieser Gefahr in der Klassik-Szene ausgesetzt?
Chang: Ich denke, generell ist das Leben in der Popmusik viel kürzer als in der Klassik-Industrie und daher bin ich auch froh, in der Klassik-Welt zu sein. Es gibt aber diesen traurigen Teil, sowohl in der Klassik als auch in der Pop-Industrie. Nur habe ich selbst das bisher nicht erfahren, ich arbeite seit 14 Jahren mit der gleichen Plattenfirma zusammen, mehr als die Hälfte meines Lebens. Und wir haben immer langfristig gedacht, von Anfang an, wenn wir Repertoire ausgewählt haben … Man guckt sich natürlich an, was David Oistrach, Yehudi Menuhin oder Jascha Heifetz für wunderbar lange Karrieren hatten, die haben noch mit 60 oder 70 gespielt und allgemein denke ich, kann man sagen, dass wir klassischen Musiker ein bisschen mehr Zeit haben als viele andere Menschen in ihren Berufen.

Von außen hat es den Anschein, dass Ihr Leben straff durchorganisiert ist, aufgrund von Konzert- und Aufnahmeplänen – empfinden Sie das manchmal als störend?
Chang: Nein, denn was alles andere – also nicht die Konzerte, Proben und Aufnahmen – betrifft, ist mein Leben keinesfalls durchorganisiert. Ich persönlich mag es auch gar nicht, wenn viele Dinge bis ins Detail durchgeplant sind. Mit meinem Tourneeplan sieht es so aus, dass in der Tat bis Ende 2006 schon alles festgelegt ist und wir gerade die Konzerte in 2007 planen, aber das ist eigentlich normal ist für die Klassik-Szene. Und es ist doch schön, zu wissen, was man in den nächsten drei Jahren vor sich hat. Sicher wünscht man sich dann und wann etwas mehr zeitliche Flexibilität. Andererseits begrüße ich diese Struktur, weil ich kein besonders gut organisierter Mensch bin, ganz im Gegenteil. Ich bin ein normales, 23 Jahre junges Mädchen …

… das nach einem Konzert bestimmt nicht sofort schlafen geht.
Chang: Nein, niemals. Ich gehe zum Beispiel sehr gerne mit Freunden aus. Meistens gibt es nach einem Konzert ja immer einen offiziellen Teil, den ich erledigen muss, Empfänge mit Sponsoren oder Veranstaltern. Aber danach, wenn ich in der Stadt Freunde habe, gehe ich mit denen ganz bestimmt aus. Und ich finde, in meinem Alter gehört das auf jeden Fall dazu.

Wie lang sind Sie dann noch auf den Beinen, wenn man fragen darf?
Chang: Oh, das ist sehr unterschiedlich manchmal wird es 3, manchmal 5 Uhr. Zum Beispiel war ich über Silvester in St. Petersburg. Ich hatte dort ein Konzert mit Yuri Temirkanov und bin danach noch zwei Tage geblieben, weil es einen wunderbaren Neujahrsball gab und ich dort viele Freunde habe. Nun dachte ich von mir, ich sei nicht die Schlechteste, wenn es ums feiern geht – aber als ich dann meine russischen Freunde erlebt habe, die waren unglaublich. Die tranken, wie ich es noch nie gesehen habe und als ich um 3 Uhr morgens ins Bett gehen wollte, guckten die mich an wie eine Außerirdische und meinten, die Party habe doch gerade erst begonnen. Na ja, ich bin an Neujahr erst um 7 Uhr morgens ins Bett gekommen – während meine russischen Freunde erst mal frühstücken gegangen sind.

Sie haben einmal gesagt, das Gefühl, welches Sie im Konzert auf der Bühne erleben, wäre für Sie mit nichts vergleichbar – ist das auch heute noch so?
Chang: Ja, auf jeden Fall, ein wunderbarer Gefühl. Auf der Bühne bin ich am glücklichsten, da weiß ich, hier gehöre ich hin – ein erstaunliches Gefühl.

Ist es auch das Adrenalin?
Chang: Nein, es gibt andere Dinge, die mir genauso viel Adrenalin geben. Es geht mehr um das künstlerische, kreative Vergnügen und die persönliche Zufriedenheit, die du dadurch bekommst. Für mein Adrenalin mache ich andere Sachen. Paragliding mag ich sehr gerne, Extremsportarten …

… Bungee-Springen?
Chang: (lacht) Ja, aber das habe ich bisher noch nicht gemacht. Diesen Sommer will ich es aber ausprobieren, zumindest steht das ganz oben auf meiner Liste.

Wie war das mit dem Adrenalin bei Ihrer Führerscheinprüfung?
Chang: Ja, die war sehr aufregend. Aber ich habe den Schein bekommen! Und ich liebe schnelle Autos. Allerdings habe ich im Mai 2003 meinen ersten Unfall gebaut, das Auto meiner Mutter war komplett hinüber, ich war zum Glück ok. Seitdem bin ich nur ganz selten wieder gefahren.

Aber der Dirigent Zubin Metha hat Ihnen einmal seinen BMW ausgeliehen, oder?
Chang: Ja, das war kurz nachdem ich meinen Führerschein bekommen hatte, ich war glaube ich 17, habe damals mit ihm in Florenz gespielt. Ich hatte ihm von meiner Führerscheinprüfung erzählt und er gab mir auf einmal seine Autoschlüssel und ich habe mich riesig gefreut. Aber es war auch beängstigend, weil ich natürlich noch nie in Italien gefahren war und jeder weiß, wie die Italiener Auto fahren und nun saß ich in Maestro Methas Auto. Es ist aber alles gut gegangen.

Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Chang: Oh, diese Frage hat mir noch nie jemand gestellt …

Dann fällt Ihnen vielleicht eine Figur aus einem Film ein?
Chang: Ja, ich wollte früher immer Scarlett o‘ Hara sein aus „Vom Winde verweht“. Das war schon immer einer meiner großen Lieblingsfilme.

Sarah Chang wurde am 10. Dezember 1980 in Philadelphia geboren und spielt Geige seit ihrem vierten Lebensjahr. Mit fünf Jahren kam sie auf die Juillard School of Music und spielte wenige Jahre später bereits bei den Dirigenten Riccardo Muti und mehr

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.