Herr Meine, Herr Schenker, fünf Jahre nach ihrer ersten Abschieds-Tournee haben die Scorpions 2015 ihr 50jähriges Bestehen gefeiert, mit einem neuen Album und einer Jubiläumstour. Wie kam es dazu?
Rudolf Schenker: Das war ein Zufall. Vorletztes Jahr wurde bei meiner Mutter renoviert. Dabei ist natürlich alles was unten lag nach oben gekommen. Und so habe ich das Kassenbuch meiner Mutter gefunden, die damals unsere Buchführerin war – aus dem einfachen Grund, weil unser Vater uns viel Geld geliehen hatte, um Vox-Verstärker und Gitarren zu kaufen. Er wollte das Geld eigentlich gar nicht wiederhaben. Aber meine Mutter hat gesagt: „So geht das nicht, das muss seine Richtigkeit haben. Ihr müsst euch über die Wertigkeit dessen, was ihr da macht auch bewusst sein.“ Da hat sie auch absolut recht gehabt. Ihr erster Eintrag in das Buch stammt aus dem Herbst ’65. Das habe ich natürlich den Kumpels gesagt und die meinten: „Ist ja Wahnsinn! 50 Jahre!“
Wie oft kann man eigentlich auf Abschiedstournee gehen?
Schenker: Ach, im Endeffekt ist das jetzt wie eine Frischzellenkur für uns. Mit Bands wie The Who, den Stones und Beach Boys sind wir eine der wenigen Bands, die durchgehalten haben und dazu noch mit weltweiten Erfolg. Im Rahmen der Jubiläumstour spielten wir zum ersten Mal in China. Ist doch Hammer.
Klaus Meine: Hinzu kommt, dass sich die Basis unserer Fans so komplett verändert hatte. Da standen plötzlich drei Generationen vor der Bühne. Bei Facebook haben wir jetzt die 6-Millionen-Marke geknackt und von denen sind 80% zwischen 14 und 28 Jahren alt. Die fragen: Hey, Scorpions, wann kommt ihr mal wieder? Das ist einfach fantastisch.
Bei uns hat jeder immer auf den anderen aufgepasst.
Der Name „Scorpions“ ist allerdings noch nicht 50 Jahre alt…
Meine: Ich bin ja erst fünf Jahre später dazugestoßen. Rudolf hatte die Band damals gegründet, aber die konnten sich erstmal gar nicht auf einen Namen einigen. Also haben sie sich „Nameless“ genannt – die „Namenlosen“. Das fanden sie aber auch nicht so richtig klasse und dann ist Rudolf ziemlich schnell auf Scorpions gekommen. Ich glaube, zum einen, weil dieses kleine Tierchen sehr gefährlich ist und der Stachel hat ja auch was von der Nadel eines Plattenspielers – sowas gibt’s ja heute gar nicht mehr.
Schenker: Und der Skorpion ist extrem widerstandsfähig. Der würde sogar einen Atomangriff überstehen. Aber gut, in erster Linie ging es bei dem Namen um Schlagkraft. Das hat man ja bei den Rolling Stones gesehen, oder den Beatles. Jeder hat irgendwie versucht, mit einem einfachen Namen eine Marke zu setzen. Ich bin damals über Little Richard und Elvis zum Rock’n’Roll und dann zu Bands wie den Stones gekommen: 4-5 Freunde, die zusammen Musik machen und um die Welt fliegen. Das hat mich fasziniert. Ich bin mit meinen Eltern früher selbst viel unterwegs gewesen, in Spanien, Südfrankreich, Marokko. In Marrakesch diese fremde Musik zu hören, die Schlangenbeschwörer zu sehen – das war Abenteuer pur. So entstand auf ganz naive Weise die Idee: Ich will auch mit ein paar Freunden, mit meiner eigenen Bande um die Welt ziehen und Musik machen.
Neigen Freundschaften nicht eher dazu, in der Band irgendwann zu Bruch zu gehen?
Schenker: Wenn ich Musiker gesucht habe, ging es natürlich um ihre Qualitäten als Musiker, aber es musste auch immer jemand sein, mit dem ich eine Freundschaft aufbauen konnte. Das hat sich auch bis heute gehalten. Das ist der rote Faden der Band, wir haben uns immer auf die gemeinsame Vision fokussiert, nicht auf das Ego. Das ist durch die langen Autofahrten entstanden, die wir damals gemeinsam gemacht haben. Wenn du von Hannover nach Marseille zu einem Konzert fährst, sitzt du sehr lange mit deinen Kumpels in einem Auto. Da haben wir die Dinge ausdiskutiert. Solange, bis jeder Zweifel ausgemerzt war und wir gemeinsam entschieden haben: So machen wir das. Dieses Banden-Gefühl ist, glaube ich, auch etwas, dass viele junge Menschen heute fasziniert, vielleicht weil sie es sich selbst wünschen, aber nicht mehr so kennen. Bei uns hat jeder immer auf den anderen aufgepasst. Wenn sich einer mal zu weit an die Kante gewagt hat, war immer jemand da, um ihn ein bisschen aufzurütteln.
Und mit der englischen Schreibweise „Scorpions“ wurde auch gleich der internationale Anspruch verdeutlicht?
Meine: Ja klar. Nur so konnte das ein starker Brand werden. Es gab allerdings zu Beginn der 70er eine Zeit, in der wir gar nicht so glücklich mit dem Namen waren. Led Zeppelin, Deep Purple, Jefferson Starship – die Namen dieser Bands klangen alle so groß und mächtig. Conny Plank, der legendäre Producer unseres ersten Albums, der kurz zuvor noch mit Kraftwerk aufgenommen hatte, kam damals zu uns und sagte: Leute, ihr müsst euch „Stalingrad“ nennen! (lacht) Er hat das dann auch weiter ausgeführt, wie unsere Bühnenshow aussehen könnte und so. Das hätte damals schon wie Rammstein ausgesehen. Wir haben gesagt: Kollege, schöne Idee, aber nein, eher nicht. Wir waren zwar hart, aber wir wären wohl nie so hart geworden, dass dieser Name zu uns gepasst hätte. Letztlich sind wir mit den Namen Scorpions dann bald zusammengewachsen. Er passt einfach zu uns.
Woran liegt es eigentlich, dass neben den Scorpions auch die druckvolle Musik von Rammstein oder Scooter überall auf der Welt erfolgreich ist und viel mehr gefeiert wird, als zuhause in Deutschland?
Schenker: Wir sind eben zu hart (lacht). Als wir in den amerikanischen Musikmarkt eingebrochen sind, haben unsere Mitarbeiter da drüben richtig Angst vor uns gehabt. Das war uns erstmal gar nicht so bewusst, wir waren als Typen einfach so: Wenn wir einen Auftritt hatten, der Mist war, haben wir uns danach einfach wahnsinnig gefetzt, weil wir voll von Energie waren. In Deutschland gab es damals ansonsten vor allem Schlager. „Wenn die rote Sonne vor Capri im Meer versinkt“ oder „Junge, komm bald wieder“. Das war alles sehr freundlich und verbindlich.
Meine: Man muss aber auch sagen, dass es eher ein Klischee ist, dass wir in Deutschland weniger gefeiert werden. Das höre ich zwar immer wieder, aber wir haben auch hier ganz loyale Fans seit vielen vielen Jahren und wenn wir hier spielen, sind die Hallen ausverkauft.
Es gibt eine große Szene mit Hardrock- und Heavy-Metal-Fans und erfolgreiche Musikzeitschriften mit Titeln wie Metal Hammer, Rock Hard oder Deaf Forever. Das Feuilleton bespricht in der Regel aber nur den Erfolg der Scorpions, nicht die Musik.
Meine: In Deutschland ist das so. Du musst einen langen Spießrutenlauf bestehen, sie schlagen von allen Seiten auf dich ein und erst wenn du da am Ende heil rauskommst, kriegst du den Lorbeerkranz umgehängt.
Es gibt eine Platte aus dem Jahr 2000 mit dem Titel „The Scorpions Studio Outtakes“. Sie soll unentdeckte elektronische Experimente der Scorpions enthalten, die dann nicht weiter verfolgt wurden…
Meine: Habe ich noch nichts von gehört. Das wäre mir jetzt völlig neu.
In der Tat handelt es sich dabei um ein Fake-Album…
Meine: Und wie klingt das?
Es erinnert an frühe elektronische Experimente der Popmusik, nach Tonband-Tüfteleien. Wäre der Gedanke, dass die Scorpions mal etwas Ähnliches probiert haben so abwegig? Oder wird Ihnen mangelnder Innovationswille zu Recht vorgeworfen?
Meine: Mangelnde Innovation? Wir reden hier von Rockmusik! Bei AC/DC will doch auch keiner, dass die anders klingen, als man sie kennt.
Wir machen Rock’n’Roll, der steht zwar im Feuilleton eher im Abseits, aber dafür steckt er tief in den Herzen der Fans.
In dem Song „Rock’n’Roll Band“ feiern Sie Ihr Dasein als Mitglied einer Band so ungestüm und enthusiastisch, als wären die Scorpions nicht 50 Jahre alt, sondern eben erst gegründet worden.
Meine: Der Song ist ja auch aus den 80ern, der Text ist allerdings sehr viel später entstanden. Er pickt eben ein Feeling auf, geht zurück in eine frühere Zeit, beschreibt, wie es damals war. Und er hat eine gute Power. Wir haben für das neue Album ursprünglich das Konzept gehabt, Songs, die in den 80er Jahren liegen geblieben sind, weil damals eben nur sieben oder acht Songs auf eine LP passten, nochmal hervorzuholen und neu zu bearbeiten. „Rock’n’Roll Band“ ist einer davon. Aber man selber hat sich verändert und die Zeiten, die der Song beschreibt hat man ja auch ein bisschen hinter sich gelassen. Jetzt ist das Album eine gute Mischung geworden, aus alten Titeln und neuen, die in den letzten zwei Jahren entstanden sind.
Mussten Sie auch hin und wieder darüber lachen, was Sie da im Archiv gefunden haben?
Meine: Das gab’s natürlich auch, gar keine Frage. Aber solche Songs habe wir von vorneherein aussortiert. Wir haben nur Material genommen, aus dem ein amtlicher Song werden konnte. Manchmal war es nur ein geiles Riff oder ein tarkerChorus, bei dem wir wussten: Es lohnt sich, sich nochmal ernsthaft damit zu beschäftigen.
2015 kam auch ein Dokumentarfilm über Sie in die Kinos, „Forever and a Day“, von der „Bandits“-Regisseurin Katja von Garnier. Sie erzählen in dem Film, dass Sie einst bei einem Schülerwettbewerb in Hannover den ersten Platz gemacht haben….
Meine: … und dann wurden wir disqualifiziert, weil wir zu laut gewesen waren. Genau. Es gab damals viele Mitbewerber, Bands, die in und um Hannover gespielt haben. Da waren schon ein paar gute dabei. Aber die Band, die dann den ersten Preis bekommen hat, einen Schallplattenvertrag, löste sich zwei, drei Wochen später auf. Wir haben also einen Anruf bekommen: „Hallo, ihr seid nachgerückt. Jetzt habt ihr doch den Vertrag gewonnen.“ Die Erfahrungen die wir dann mit dieser sogenannten Plattenfirma gemacht haben war so schrecklich, das waren solche Amateure, das hat uns erst so richtig motiviert. Jetzt wollten wir auch richtig ran und sind nach Hamburg zu Conny Plank gegangen; der hat uns dann als Band gesignt und unsere erste Platte, „Lonesome Crow“, produziert. Das war 1972.
Sieben Jahre später trat eine andere Hannoveraner Formation auf den Plan: Ihr damaliger Ministerpräsidenten Ernst Albrecht veröffentlichte mit seiner Familie eine Single mit dem deutschen Volkslied „Wohlauf in Gottes schöner Welt“. War das „dieses Deutschsein“, dem Sie damals entfliehen wollten?
Meine: (Lacht) Dass die Familie Albrecht sehr musikalisch ist, das weiß man. Aber mit unserer Entscheidung Rockmusik in der ganzen Welt zu machen, hatte das nichts zu tun.
Nun haben Sie im Februar 2015 den Niedersächsischen Staatspreis vom Ministerpräsidenten Stephan Weil überreicht bekommen. Hat sich eher die Haltung der Scorpions zur Politik verändert oder die politische Kultur?
Schenker: Ich glaube dass liegt vor allem daran, dass Hannover 2014 von der Unesco zur City of Music ernannt worden ist. Vorher hat die Stadt Hannover gar nicht gewusst, was für einen Schatz sie mit Bands wie uns, mit Jane, Eloy oder auch Scooter hat, die den Namen Hannover in die Welt tragen.
Eine letzte Frage: Die Scorpions sind bekannt dafür, in vielen Ländern, in denen sie auftreten, auch einen Gassenhauer in der jeweiligen Landessprache zu spielen, zum Beispiel auf Japanisch, Russisch oder Spanisch. Welches Lied würde sich dafür eigentlich in Deutschland eignen?
Meine: Das haben wir in Deutschland in der Tat noch nicht gemacht. Ist eine gute Idee…
Schenker: (Lacht) Muss das ein Volkslied sein?
Nicht unbedingt. Es müsste wohl ein Lied sein, das alle im Publikum mitsingen können.
Schenker: Da würde mir spontan „Marmor, Stein und Eisen bricht“ einfallen. Ich habe ja eine russische Freundin seit 12 Jahren und die amüsiert sich immer über die deutschen Schlager, ob das nun der „Kriminal-Tango“ ist, oder „Ganz Paris träumt von der Liebe“. Da ist mir dann aufgefallen, dass unsere Schlagerwelt manchmal auch ganz schön lustig war. Aber „Marmor, Stein und Eisen bricht“ könnte funktionieren. Das ist thematisch ja auch schon fast wieder Metal…
[Achtung, geänderte Tourtermine:
23.11.2016 Köln / LANXESS arena
25.11.2016 Leipzig / Arena – Leipzig
27.11.2016 Frankfurt am Main / Festhalle
29.11.2016 Hamburg / Barclaycard Arena
02.12.2016 Berlin / Mercedes-Benz Arena]