Vincent und Dag, euer Studio befindet sich in Berlin weit ab vom Zentrum, in Tegel. Wie kamt ihr auf den Ort?
Vincent: Wir teilen uns das Studio mit Adel Tawil, einem langjährigen Freund. Ursprünglich sind wir drei alle Spandauer und vor über zehn Jahren hat sich dieser Ort herauskristallisiert. Er ist einerseits nah bei der Stadtautobahn und am Flughafen, andererseits hat man hier seine Ruhe.
Musikalisch seid ihr auch eher Einzelgänger, könnte man sagen: Eure Mischung aus HipHop, Rock, Pop und Electro lässt sich schwer einer bestimmten Szene zuordnen.
Vincent: Mir fallen tatsächlich nicht so viele Bands ein, die man mit SDP vergleichen kann. Das liegt daran, dass wir eher so wie vier verschiedene Bands in einer klingen. Wir sind sehr offen, was die Musikstile angeht und haben auch schon mit sehr vielen verschiedenen Künstlern zusammengearbeitet.
Dag: Wir probieren auch immer neue Sachen, schreiben Balladen, machen andere Sachen mit unseren Stimmen…
…und ihr seid dazu noch gitarrespielende Rapper – dies in Kombination ist selten.
Dag: Alligatoah zum Beispiel spielt auch Gitarre auf der Bühne. Ich denke, es gibt inzwischen viele Rapper, die sich für andere Musikrichtungen öffnen, aber nur wenige, die wie wir aus der Pop-Richtung kommen, und HipHop-Elemente mit reinholen. Wir selbst sehen uns auch nicht als Rapper.
Wir sind keine Klamauk-Truppe.
Wie wurdet ihr zu den „Allround-Musikern“, als die ihr oft bezeichnet werdet?
Vincent: Mein Vater hat viel in verschiedenen Bands gespielt, weshalb bei uns zu hause oft Gitarren rumstanden. Ich habe da immer drauf rumgespielt bis mein Vater irgendwann meinte: ‚Du gehst mir so auf die Nerven mit dem Rumgeklimper, entweder du nimmst ab morgen Gitarrenunterricht oder du hörst damit auf.‘ So bekam ich Gitarrenunterricht, später auch Klavierunterricht, Kompositionsunterricht, ich habe Musikwissenschaft studiert und in Punkrock-Bands gespielt.
Dag: Wir haben uns kennen gelernt, als wir 12 waren, da hatte ich gerade mit E-Gitarre angefangen. Ich habe jahrelang bei einem jazz-verfrickelten Typen gelernt, der um die Ecke gewohnt hat, anschließend bin ich dann immer zu Vincent, der mir im Kinderzimmer neue Sachen beigebracht hat. Außerdem hat meine Mutter mich immer mit guter Musik versorgt, mein Onkel hat Blues und Johnny Cash gehört, ich habe dann irgendwann die Ärzte für mich entdeckt und auch selbst in einer Punkband gespielt.
Vincent: Wir waren beide extrem fanatische Ärzte-Fans. Beastie Boys, Rage Against The Machine, Die Ärzte und später Seeed, das waren die vier Bands, die sich sehr stark reingebohrt haben in mein jugendliches Gehirn.
Dag: Wir haben beide diese Rockmusik-Sozialisation. Meine Jugend habe ich als Punker verbracht – und als dann der harte Berlin-Rap kam, konnte ich das auch hören. Das war für mich nie ein Widerspruch.
Vincent: Die HipHop-Bands, die wir gehört haben, haben ja auch mit Rock gearbeitet, Beastie Boys und Rage Against The Machine haben Rap mit Punkrock kombiniert.
Die Ironie in vielen Texten von SDP, kommt die auch von den Ärzten?
Dag: Es gibt schon gewisse Parallelen zu den Ärzten. Für die Ärzte hieß Punk damals, dass sie machen können, was sie wollen. Also, dass sie nicht zwingend Punk-Rock sind, sondern auch einen Song wie „Rock’n’Roll-Übermensch“ machen können. Sie haben der Punk-Szene, die in den 80ern so bedeutungsschwanger a la „wir sterben alle“ daherkam, den Mittelfinger gezeigt. Die Stilvielfalt auf den Ärzte-Alben, die ist bei uns auf jeden Fall ähnlich.
Vincent: Da ist mal Schlager-Verballhornung dabei, ein Dance-Riff, dann was Spanisches…
Bei uns sagen viele, die vielleicht mal zwei Lieder gehört haben, wir wären eine Klamauk-Truppe. Da schreite ich stark ein, ich vergleiche das lieber mit einer Folge von den Simpsons: Die kannst du als Kind einfach nur lustig finden, weil die Figuren alle gelb sind, hihi, und Grimassen schneiden – aber du kannst oft auch eine sehr starke Message dahinter entdecken. Bei uns gibt es oft zwei Ebenen in den Liedern. Wir kommen nicht mit dem Zeigefinger und sagen: Gewalt ist schlimm, sondern wir versuchen das eher ironisch im Subtext rüberzubringen.
Neben dem Musikmachen habt ihr beide ja auch studiert…
Dag: Ja, ich habe Deutsche Philologie, Publizistik und Kommunikationswissenschaften studiert. Wobei aber mehr die Musik und Parkour mein Leben bestimmt haben…
Parkour?
Dag: Ja, da gehöre ich in Deutschland zu den Pionieren und habe viel aufgebaut. Ich habe mir mit beidem mein Leben finanziert, als Musiker und als Parkour-Trainer. Die Uni war reines Interesse, weil mich Sprache schon immer interessiert hat. Ich habe mit Hängen und Würgen geschafft, ein Seminar zu besuchen – und kurz nach der Bachelorarbeit kam die erste SDP-Tour.
Vincent: Ich habe Musikwissenschaft, Erziehungswissenschaft und Kommunikationswissenschaften studiert, habe auch Vorträge an anderen Unis gehalten und den Magister bis zum Ende gemacht. Ich habe auch meine Abschlussarbeit geschrieben, nur die Abschlussprüfung nicht mehr gemacht, die habe ich immer von Semester zu Semester geschoben, bis es irgendwann nicht mehr ging. Ich habe für die Uni sogar eine Feldstudie gemacht, über die Vermittlung von Lehrinhalten durch Rap-Musik und dafür einen Preis von Angela Merkel verliehen bekommen.
Könnte man sagen, wenn ihr Musik schreibt, wisst ihr genau was ihr tut?
Vincent: Es gibt Lieder von uns, die jetzt Hits sind, die wir im Kinderzimmer geschrieben haben als wir 17 oder 19 waren. Natürlich weiß ich heute, in was für Tonarten man sich bewegt, dass es vielleicht besser ist, das eine mal höher oder tiefer zu setzen…
Dag: …aber das bedeutet nicht, dass eine Songidee auch mal überkrass im Spaß entsteht. Wenn man dann allerdings den Song weiterbaut muss man irgendwann auch verstehen, was genau an der Idee so lustig ist.
Vincent: Es gibt beides, Songs, die von einer Grundidee leben, die wir dann wie eine Mathematikaufgabe lösen und krass perfektionsmäßig ausarbeiten. Und dann gibt es Songs, die einfach so entstehen, die wir innerhalb von 15-20 Minuten, einfach runterschreiben, weil wir gerade so im Fluss sind.
Vincent, du hast gerade die Feldstudie erwähnt. Worum genau ging es da?
Vincent: Bei dem „Rapucation“-Projekt haben wir uns gefragt, ob man mit Rap-Musik auch Lehrinhalte vermitteln kann. Wir haben gemeinsam mit Lehrern und anhand von Lehrplänen Songs gemacht, in denen zum Beispiel die Photosynthese erklärt wird, um dann zu sehen, wie gut die Kids damit lernen können. Also durch Reime Fakten wiederholen…
Dag: …aber in cool.
Vincent: Ja, die Idee Rap und Lehrinhalte zu verbinden, gab es von Pädagogen ja schon vorher. Aber wenn der Lehrer einfach anfängt zu rappen finden die Kids es peinlich und schlimm, es ist etwas Anderes, wenn sie merken: Da haben sich Rapper Gedanken gemacht und es klingt wie ein cooler Song.
Wir haben das richtig feldstudienmäßig untersucht, Rap-Songs als ergänzendes Lehrmittel. Und am Ende haben die Songs haben fast genauso gut abgeschnitten wie die normalen Arbeitsbögen.
Hat diese Beschäftigung mit der Wirkung von Rap dein Verantwortungsbewusstsein bei eigenen Texten verändert?
Vincent: Ich habe generell ein Verantwortungsdenken bei meinen Texten. Mich hat das Rapucation-Projekt eher bei einer anderen Sache weitergebracht, und zwar bei der Filmmusik, die ich produziere. Wo es ja auch um die Funktion von Musik geht und darum, mit Musik gezielt Emotionen zu unterstreichen.
Vincent, du bist seit vielen Jahren als Musikproduzent erfolgreich. In welchem Verhältnis steht diese Arbeit zu deiner Frontmann-Rolle bei SDP?
Vincent: Ich mache viel Musik als Dienstleister, dagegen ist SDP für mich ein ganz krasser Befreiungsschlag, musikalisch wie auch textlich. SDP war schon immer mein Ventil, auch früher, als ich zur Schule gegangen bin, als ich gekellnert habe oder am Wochenende im Krankenhaus gearbeitet habe.
Als Musikproduzent machst du auch viel, was nichts mit kreativer Arbeit zu tun hat: Dateien rausbouncen, auf Server laden, verwalten – das ist viel Handwerk und Dienstleistung. Ich weiß technisch und musikalisch sehr viel, aber SDP ist für mich die Spielwiese, wo ich diese ganzen vermeintlichen Formeln, die ich gelernt habe, auch mal breche.
Dag: Vincent ist da vielleicht wie ein Architekt: Er weiß wie man die Statik berechnet, und trotzdem bauen wir damit bei SDP ein ganz verrücktes Haus.
Vincent: Ja, man ist froh, endlich ein Baumhaus zu bauen, weil sonst nie jemand ein Baumhaus in Auftrag gibt. Warum wohnen nicht viel mehr Leute in Baumhäusern? Ist doch viel geiler!
Dag: Bei SDP quatscht uns auch niemand rein, wir sind da Herr über das, was wir tun.
Was mir aufgefallen ist: Während viele Rapper in Bezug auf Frauen Vokabular wie „Hure“ oder „Bitch“ benutzen, kommen solche Bezeichnungen bei SDP nicht vor.
Dag: Du musst gucken, auf welcher Ebene ein Rapper spricht. Bezeichnet der auch seine Mutter, seine Ehefrau oder Tochter als „Bitch“? Da wäre ich vorsichtig.
Viele erfolgreiche Rapper texten über Frauen auf jeden Fall anders als ihr.
Dag: Ich kann aber nicht pauschal sagen, dass deren Frauenbild so und so ist. Das weiß ich gar nicht. Ich kenne deren Texte, ich feiere auch viele davon, weil sie für mich eine Ausdrucksweise von unterdrückten Unterschicht-Jungs sind, die nicht viel zu erreichen haben. Die nicht viele Chancen haben und aus allen Richtungen unter Druck stehen. Die sich ihren Platz und ihre Männlichkeit erkämpfen – und das tun sie mit Sprache, mit Worten, in Musik, in dem sie ihre Männlichkeitskultur, die sie auch leben müssen, feiern. Aber ob so einer die Frauen, die er trifft, wie Huren behandelt – das weiß keiner. Viele Leute, die im Musikantenstadl von der großen Liebe singen, sind privat vielleicht richtige Arschlöcher.
Vincent: Es spielt ja auch eine Rolle, wie man so eine Musik wahrnimmt, wie ernst man sie nimmt. Ich vergleiche Gangster-Rap oft mit einem oberflächlichen Action-Film. Wo 100 Leute abgeknallt werden, Autorennen gefahren werden, wo es auch komische Frauenbilder gibt – alles moralverwerfliche Sachen, trotzdem guckt man sich das mal an, lässt sich 90 Minuten unterhalten. Man nimmt es aber auch nicht so ernst. Wenn Rambo 500 Leute abknallt – das ist alles unrealistisch, es werden komplett komische Werte vermittelt, man weiß aber: Das ist ein Film, ein Action-Film, schnelle Unterhaltung. Das guckt man sich nicht an, wenn man anspruchsvolle Dialoge erwartet.
Dag: Man darf nicht vergessen: Wie die Dinge von den Hörern verstanden und wahrgenommen werden, das kann man nicht wissen! Das sind Menschen, die das in ihre Lebenswelt einbauen, die dort Dinge auf ihre Weise reininterpretieren.
Genau deswegen fand ich das „Rapucation“-Projekt so spannend – und damit verbunden die Frage, ob ihr durch das Projekt jetzt mehr wisst über die Wirkung von Rap-Texten.
Vincent: Ich bin kein Psychologe. Aber ich denke, wenn ein Kind einen Gangster-Rapper hört und davon ernsthaft einen psychischen Schaden trägt, verantwortungslose Sachen macht oder das Weltbild oder seine Werte verrückt, dann ist das nicht das Problem der Musik – das ist übrigens eine Debatte, die man schon in den 80ern bei Black Sabbath geführt hat.
Sondern es ist eine Problem der Erziehung und dessen, was zuhause vermittelt wird. Wenn dieser Charakter so instabil ist, dass solche Musik ihn auf moralischer Ebene verrückt, dann hat dieser Jugendliche ganz andere Probleme. Da müssten wir dann erstmal über einen Führerschein für Eltern reden. Ich bin mit allen möglichen Sachen aufgewachsen, aber mir wurden Werte und Normen vermittelt, ich wurde von meinen Eltern liebevoll erzogen und ich kann sehr wohl zwischen gut und böse, zwischen richtig und falsch unterscheiden. Ich kann auch sagen: Das ist unterhaltsam für mich, aber ich nehme es nicht ernst.
Dag: Ich glaube, ein wichtiger Punkt ist Vielfalt: Wenn Kinder ausschließlich bösen Rap hören und denken, es gibt nur Schlägereien, sie nur Actionfilme gucken und nur Ballerspiele spielen, niemand nett zu ihnen ist – ja, was soll das dann für eine Welt sein, in der sie aufwachsen?
Dagegen wenn sie Vielfalt haben, böse Musik, schöne Musik, verschiedene Menschen und Zustände kennen lernen, mal frustriert sind aber auch mal kriegen, was sie sich wünschen – wenn es diese Bandbreite gibt, haben die einzelnen Sachen nicht so viel Macht und der Mensch hat gute Chancen sich gut zu entwickeln. Irgendein einzelnes Lied wird ihm dann nicht schaden, egal was darin gesagt wird.
Die Argumentation ist allerdings oft: Wenn du als Rapper X weißt, dass dir eine ganze Generation zuhört, auf die keiner aufpasst, hast du dann nicht eine Verantwortung?
Was wäre deine Antwort auf diese Frage?
Dag: Jeder Künstler muss selber wissen, wofür er sich verantwortlich fühlt. Aber diese Kunst, die Texte, das ist immer Ausdruck von konkreten Lebensverhältnissen. Und die sind im Zweifelsfall das Problem. Diese Lebensverhältnisse sind dann zu ändern, und nicht die Texte.
In dieser Debatte werden viele Prozesse verkürzt dargestellt, nach dem Motto: Da ist einer, den finden alle cool und weil der immer „Bitch“ sagt, sagen all seine Fans, dass alle Frauen Bitches sind. Wer sich die Welt so erklärt, der wird ständig zu falschen Schlüssen kommen.
Nichts desto trotz: Ich habe den Eindruck, dass ihr mehr über eure Verantwortung nachdenkt als andere Künstler im Bereich Rap/HipHop.
Dag: Wir machen uns sehr viel Gedanken darüber, was die Aussage eines Songs ist. Mir ist wichtig, dass ich nicht plötzlich etwas sage, was ich nicht sagen will. Das ist aber auch nicht immer einfach, denn auf der einen Seite willst du als Künstler etwas ausdrücken, auf der anderen Seite willst du von den Leuten verstanden und gehört werden. Wenn du dann merkst, dass du nicht verstanden wirst, passt du dann deinen Ausdruck an? – Schon bist du in dem Dilemma. Willst du verstanden werden oder das machen, was du geil findest? Dazwischen tingelt man hin und her.
Wenn ich ein Lied mache, bei dem 100 Holzköppe denken, ich sei homophob, weil sie den Song nicht kapieren, dann ist mir das egal, wenn ich es selbst nicht so sehe. Das ist eine sehr persönliche Sache.
Vincent: Wir denken schon viel über unsere Texte nach. Manchmal sind es ganz feine Nuancen: Du änderst drei Wörter und schon bekommt der ganze Song ein anderes Gesicht. An dem Song „Männer und Frauen“ zum Beispiel haben wir sehr viel rumgeschrieben.
Dag: Der Song fing an mit der Idee „Frauen haben immer irgendwas“ …
Vincent: Mir war bei einer früheren Freundin aufgefallen, dass sie immer irgendwas hatte, mal hat sie Hunger, dann ist ihr kalt usw. Das habe ich als Songtext aufgeschrieben, aber mir ist dann irgendwann aufgefallen: Wenn man das nur so hört, ohne den Hintergrund zu kennen, ist das nur ein plattes Aneinanderreihen von Klischees.
Dag: Da kam uns dann die Idee, dass wir dem Männer-Klischees gegenüberstellen. Männer, die ihre Rolle erfüllen müssen, die man mit Ritalin ruhigstellt wenn sie wild sind, sich Bärte wachsen lassen, um zu zeigen, dass sie doch noch Eier haben …
Vincent: Wir haben im Refrain die Frage gestellt: „Ich wär so gern mal eine Frau, sag mal, wär ich dann genau so?“ Das haben wir bewusst offen gelassen. Das sind Details, um die wir uns viel Gedanken machen und um die wir uns manchmal fast prügeln.
Am Ende hört man in euren Texten etwas, was man bei vielen anderen deutschsprachigen Texten vermisst: ein Augenzwinkern.
Vincent: Ja, die meiste Musik ist ironiefrei, 98 Prozent der Musik, die man hört, ist ironiefrei. Auch Rockmusik zum Beispiel.
Mir persönlich ist es halt beim Rap besonders aufgefallen.
Dag: Aber da kommt es auch drauf an, wie du sozialisiert bist. Wir kommen aus Spandau, also vom Milieu her zwischen bürgerlich bis Fast-Ghetto, das heißt, man konnte auch die ganzen negativen Sachen erleben. Und als der Berlin-Rap rauskam, da hatten die ein bisschen älteren, die ich draußen kennen gelernt habe, angefangen, ihre Geschichten zu erzählen. Die haben dann so gerappt wie sie vorher geredet haben. Insofern war das für mich nicht so, dass dort jemand plötzlich böse Frauen-Sachen sagt und dadurch wird die Welt schlechter. Sondern plötzlich wurde Rap von Leuten gemacht, die schon immer so geredet haben. Das war nur authentisch. Als Kool Savas „Pimp-Legionär“ rausbrachte, da hat niemand gedacht, dass Savas die Dinge, die er im Text beschreibt, auch in Wirklichkeit tut. Das ist etwas Anderes. Das versuchen die Rapper auch schon seit Jahren – meistens erfolglos – in Talkshows zu erklären, wie sich das verhält. Man hört so einen Text einfach anders, wenn diese Sprache zur eigenen Lebenswirklichkeit gehört. Man nimmt dann auch einen anderen Ironiefaktor wahr und sieht den Zusammenhang zum echten Frauenbild ganz anders. Wenn Savas so was schreibt hat das eher mit dem Selbstbild, mit der Darstellung von einem selber zu tun, weniger mit einer Aussage, wie man Frauen behandeln soll. Und das verstehen die Leute, die aus dieser Lebenswelt kommen.
Und ihr nutzt aber solche eine Sprache nicht, weil…
Vincent: Wir machen einfach keinen Ghetto- oder Gangster-Rap. Wir machen Punk-Pop-Rock a la Ärzte, mit Seeed- und mit ein bisschen Hiphop-Einflüssen. Das ist eine ganz andere Musikrichtung.
Ihr habt 2014 sehr erfolgreich „Hurra, Hurra, die Schule brennt gecovert“. Angeblich wurde der Extrabreit-Song seinerzeit vom Radio boykottiert.
Vincent: Also, ich kenne das Original aus dem Radio. Mein Vater hatte die Single nicht, aber ich bin mir hundertprozentig sicher, dass ich ihn damals bei uns im Radio gehört habe.
Habt ihr bei dem Song noch vorher nachgedacht, ob ihr mit eurer Coverversion Lehrern einen Bärendienst erweist?
Dag: Meine Mutter ist Lehrerin. Und sie ist nicht unempfindlich, was solche Sachen angeht. Ich bin sehr frei, fast antiautoritär erzogen worden, aber auch sehr werteorientiert. Das heißt, Sachen wie Gewalt und Unmenschlichkeit gingen gar nicht klar.
Vincent: Das war bei mir genauso.
Dag: Ich hatte eine harte Punker- und Drogenzeit, da ist meine Mutter durch die Hölle gegangen. Das heißt, wenn ich mit Ende 20 einen augenzwinkernden Song über die Schulzeit mache, hat das eine ganz andere Perspektive. Es ist klar, dass dieser Song einfach ein witziger Ausdruck von Schulunlust ist. Ich habe krass unter der Schule gelitten, Lehrer haben mir jahrelang das Leben zur Hölle gemacht.
Vincent: Wir haben die Schulzeit zusammen verbracht, ich muss auch sagen, das war teilweise brutal.
Dag: Ich würde sogar Lehrer-Hasser-Songs schreiben, weil ich gerne Kindern Mut machen will, sich nicht unterkriegen zu lassen. Andererseits gibt es viele Lehrer, die so sehr auf verlorenem Posten sind.
Wir haben schon überlegt, wie das ist, wenn wir schreiben „mal gucken, ob der Mathe-Lehrer brennt“. Wir gucken uns den gesamten Song an, wie wirkt diese Zeile, was für ein Gefühl haben wir dabei.
Bei vielen Rappern frage ich mich allerdings, ob sie sich solche Gedanken überhaupt machen.
Dag: Ich glaube, die sehen das im Prinzip genauso wie wir.
Was meinst du Vincent?
Vincent: Ich schreibe nicht deren Texte und singe auch nicht deren Texte. Ich übe auch keine Zensur bei denen aus. Zensur bei Künstlern ist das Letzte, was man machen sollte. Vieles davon finde ich unterhaltsam und dann gibt es viele Sachen, die ich nicht so singen würde, wenn es meine Band wäre. Genauso wenig würde ich Texte von Cassandra Steen oder Sarah Connor singen. Du musst als Musikproduzent nicht zu 100 Prozent hinter jedem Text stehen.
Dag: Wir machen unsere Musik, weil wir das so wollen und unsere Texte, weil wir das so sagen wollen. Ja, wir überlegen uns, dass wir junge Fans haben, die zuhören. Wir haben auf dem Album zum Beispiel den Song „Gewalt“. Wenn wir die Idee haben, über Rachegelüste zu singen, habe ich sofort den inneren Reflex, dass ich es so übertreiben muss, dass es wie eine Splatter-Film ist…
Vincent: …so, dass man es schon nicht mehr ernst nehmen kann.
Dag: Wir haben in den Songtext alles reingemanscht, die böse Rache, U-Bahn-Schläger, Mobbing, Leute, die Gewalttaten filmen – und am Ende kriegt der Hörer mit, wie wir zu dem Thema stehen. Es ist kein Eklär-Song nach dem Motto „sei mal nett zu den Leuten“, trotzdem ist es von uns moralisch on point gesetzt. Weil das unsere persönlichen Moralvorstellungen sind. Und weil wir das so machen sage ich: Wir sind Künstler, weil wir nur uns selber gegenüber verantwortlich sind.
Es gibt keinen Rapper, der irgendeinen Text macht und dann wird die Welt schlechter. Dann würde die Welt ja auch, wenn du einen schönen Text machst, besser werden. Wird sie aber nicht, obwohl es total viele schöne Texte gibt. Der Kausalzusammenhang ist falsch. Es ist falsch, zu glauben, dass erst Texte und Musik kommen und daraus Denken und Handlungen von Menschen entstehen.
Das haben die Hippies in Woodstock einst wahrscheinlich anders gesehen.
Dag: Ich glaube, dass eher die Veränderungen in der Lebenswirklichkeit dieser jungen Generation – ihr Verhältnis zu ihren Eltern, der kalte Krieg, erste Drogenerfahrungen – zu der Musik und den Texten geführt haben. Die Veränderung der Lebenswirklichkeit hat zu der neuen Musik geführt, die dann zum Sprachrohr und zum Bild für dieses neue Lebensgefühl wurde.
Zu sagen, es gibt verrückte Bilder, die eine dreckige Welt zeigen und davon wird unsere Welt schmutzig, deswegen müssen wir diese Kunst verhindern – das wäre Nazi-Denken. Nein, die Bilder zeigen den Schmutz, der existiert und es ist gut, ihn zu zeigen, weil man ihn dann vielleicht wegmachen kann.
Zum Schluss noch eine Frage zum Song „Deine Freundin“…
Dag: Das ist unsere Hymne der Schuhmacher-Zunft…
… mit der Refrainzeile „Deine Freundin, die kann Blasen – an den Füßen nicht ertragen.“
Vincent: Das war ein Gag, der uns eingefallen ist, als wir einen ganz anderen Song schreiben wollten. Als wir die Idee hatten, haben wir den Song in 20 Minuten fertig geschrieben.
Dieses Wortspiel war euch nicht zu plump?
Vincent: Der Song ist total plump, aber ich muss trotzdem lachen, wenn ich ihn höre. Die Plumpheit haben wir auch versucht zu unterstreichen, indem wir einen Schlager-Song daraus gemacht haben.
Dag: Extrem plumpe Menschen können Songs von uns feiern, von mir aus auch besoffen am Ballermann. Das ist mir egal, dadurch reduziere ich mich ja nicht. Da finde ich es viel schlimmer, wenn irgendein Popmusiker einen tiefsinnigen Song singt, weil der ihm von der Produktion genau so vorgesetzt wird. Das ist dann oberflächlich – und nicht ein Song, den wir einfach nur machen, weil wir Bock drauf haben.