Sebastian, du bist schon oft auf der Bühne des Deutschen Theaters in Berlin zu sehen gewesen. Bist du hier eigentlich Ensemble-Mitglied?
Blomberg: Nein, ich war hier immer ‚Gast’. Ich habe aber bestimmte Regisseure, mit denen ich regelmäßig arbeite, wozu auch Dimiter Gotscheff gehört, mit dem ich gerade „Das Pulverfass“ mache. Und die bisherigen Stücke mit ihm haben alle hier stattgefunden.
Was bedeutet das Theater für dich? Ist es so ein bisschen die sichere Bank, gegenüber dem Kino, wo du ja auch regelmäßig zu sehen bist?
Blomberg: Nein, das ist nicht die sichere Bank. Es ist der Kontakt mit dem Beruf, um ganz ehrlich zu sein. Das ist wie wenn du nach Hause kommst. Immer wieder.
Das soll jetzt nicht heißen, dass Film nicht auch dein Zuhause sein kann. Aber Theater ist doch meistens eine andere Auseinandersetzung mit dem Stoff. Du bist sechs Wochen in Proben drin, die sind meist sehr intensiv und fordern eine ganz besondere Hingabe.
Und beim Film?
Blomberg: Beim Film sind das meistens punktuellere Erlebnisse. Wobei es natürlich auch Filme wie „10 Sekunden“ gibt, wo du auch eintauchst und eine Zeit erlebst, in der du deine Rolle nicht morgens anziehst und abends wieder abstreifst.
Trotzdem, wenn ich das Theater nicht hätte, würde mir der Kontakt zum Beruf fehlen, so wie er ursprünglich mal gedacht war: Theater ist ja so eine einfache und gleichzeitig komplizierte Form. Diese sehr konzentrierte Auseinandersetzung mit der Rolle, mit Erzählformen, die Frage, wie man etwas zeigt, wie einfach man in seiner Darstellung bleibt.
Ist Theater intensiver? Wird auf der Bühne mehr gespielt?
Blomberg: Ich wundere mich immer wieder, wenn ich Filme gucke, mit wie wenig Übersetzung beim Film gearbeitet wird. Das verblüfft mich als Theaterschauspieler, dass traurige Menschen in Trauer gezeigt werden, fröhliche Menschen in Freude, dass Intensität hergestellt wird, in dem die Kamera nah an ein Gesicht ranfährt und Distanz aufgebaut wird, in dem sie weit wegbleibt. Diese Hilfsmittel stehen einem beim Theater natürlich nicht zur Verfügung. Du musst einen Raum bespielen. Und es ist oft so, wenn ich nach einer Filmproduktion die Theaterbühne betrete, dass mir dann die Regisseure als Erstes mit diebischer Freude sagen: „Hör auf mit dem Film-Scheiß! Wir sind hier beim Theater.“
Warum? Weil du andere Bewegungen machst?
Blomberg: Ja, weil Film doch immer wieder darum bemüht ist, Dinge besonders realistisch zu zeigen, weil Film oft die Behauptung vor sich herträgt, in allem realistisch zu sein. Da fehlt mir sehr oft der Transfer. Dass man den Leuten sagt: Ein Film ist eine verdichtete Form von Erzählung und Schauspieler reden auch nicht so, wie Menschen normalerweise reden. Wir reden halt wie Schauspieler.
Dieses Verständnis für die Theaterregisseure, mit denen ich arbeite, eine totale Selbstverständlichkeit. Es reicht dann eben nicht aus, Dinge einfach nur zu sagen. Und ein Stuhl in der Szene heißt nicht automatisch, dass ein Stuhl auf der Bühne steht. Theater ist immer auch darum bemüht, Phantasie-Räume zu schaffen.
Ein Film nicht?
Blomberg: Doch, es gibt auch Filmleute, bei denen man immer wieder verblüfft ist, wie sie es schaffen, Dinge ganz neu zu erzählen, das Fantastische realistisch und das Realistische fantastisch, die Gewalt zart zeigen, oder Zärtlichkeit gewaltsam. Ich habe auch schon die Chance gehabt, mit Filmregisseuren zu arbeiten, die neue Sachen ausprobiert haben. Natürlich hat sich in den letzten Jahren sehr viel an der Erzählweise im Film geändert. Es ist freier geworden, auch durch die neuen Aufnahme-Methoden und durch die Tendenz von Kameraleuten, mehr aus der Hand zu fotografieren als in die durchchoreographierte Szene zu gehen. Die Freiheit der Schauspieler ist größer geworden. Das ist ein großer Gewinn. Und trotzdem würde ich mir manchmal wünschen, dass die Geschichten im Film fantastischer werden. Unsinniger, verrückter, abgründiger.
Umgekehrt erlebt man im Theater wenig realitätsgetreue Geschichten, reale Biografien beispielsweise werden nur sehr selten auf die Bühne gebracht.
Blomberg: Ja, das ist am Theater so ein bisschen verpönt.
Warum?
Blomberg: Weil man es nicht interessant findet.
Wenn man zum Beispiel den „Baader Meinhof Komplex“ auf die Bühne bringen würde.
Blomberg: Ich habe so etwas Ähnliches tatsächlich schon mal gemacht, auf der kleinen Bühne des Thalia Theater in Hamburg. Das Stück hieß „German Roots“ und es ging darum, eine Familiengeschichte über 80 Jahre Deutschland zu erzählen. Die zentrale Figur war Bernward Vesper, der Mann, der im „Baader-Meinhof-Komplex“ nur eine kleine Rolle spielt. Er war der frühere Verlobte von Gudrun Ensslin, hat mit ihr zusammen auch ein Kind bekommen. Sein Vater war der Nazi-Dichter Will Vesper und in der Nachkriegszeit hat er zusammen mit Ensslin versucht, die Gedichte seines Vaters zu publizieren – das war so Blut- und Bodendichtung. Später hat sich Ensslin von ihm getrennt, wurde Teil der RAF und Vesper hat sich schwer depressiv und unter Drogeneinfluss das Leben genommen.
Aus diesem riesigen Stoff haben wir versucht, ein Stück zu machen, wir haben versucht, alles, was so an deutscher Geschichte mitgezerrt werden kann, zu erzählen.
Und das Ergebnis?
Blomberg: Das war ein total konfuser Abend. Aus dem Stoff könntest du keinen Kurzfilm machen, aber auch keinen Zehnteiler, es würde alles nicht hinhauen. Weil diese Geschichte viel zu verschraubt ist. Aber es war zumindest eine ehrliche Antwort auf die Komplikation, in der wir so leben.
Wenn ich das Theater nicht hätte, würde mir der Kontakt zum Beruf fehlen, so wie er ursprünglich mal gedacht war
Aber nochmal die Frage, warum sind Real-Charaktere auf der Bühne so selten?
Blomberg: Die Fragestellungen am Theater sind immer etwas komplexer. Der Zugang zu Theatergeschichten in so einem Fall… Es gibt natürlich den 500. Hamlet, der inszeniert wird usw. Da ist es auch interessant, wie das der 500. Regisseur und wie es der 500. Hamlet macht. Die Frage der Interpretation, der Erzählweise, wie wird ein altes Stück an die Zeit gekoppelt, in der wir leben? Die Erzählform ist komplizierter, damit ist Deutschland vertraut. Ich glaube, dass das zum Beispiel in der angelsächsische Theatertradition ganz anders ist. Da sehnt man sich eher nach gut erzählten Geschichten. Wenn du dir aber Kleist oder Büchner anschaust, Fragmente wie „Woyzeck“, das sind ja krude Stücke. Das ist etwas Anderes, als wenn du Tennessee Williams aufführst.
Ist Theater dann mehr Bildung als Unterhaltung?
Blomberg: Gutes Theater muss auch unterhalten, genauso wie ein guter Film, da bin ich ganz spießig. Nur manchmal… es gibt einen Theaterregisseur, der das mal ganz schön formuliert hat: „Manchmal muß man das Publikum bis auf die Zähne bewaffnen.“ Also konfrontieren, überfordern. Und das traut sich das Theater eher als der Film.
Wobei es da natürlich auch Gegenbeispiele gibt. Lars von Trier ist ein furchtbar aufregender Experimenteur, der nicht müde wird, sein eigenes Genre in alle Richtungen auszureizen. Jens Albinus, der mit Lars von Trier zusammengearbeitet hat, hat mir mal erzählt, wie „Dogville“ entstanden ist. Lars von Trier hat ihn gefragt: „Was ist für dich im Theater das größte Tabu?“ Da hat er gesagt: „Wenn die Leute das machen, was sie auch sagen.“ Wenn die Mittel durchschaubar werden, wenn es eine Deckungsgleichheit gibt, zwischen dem, was gesagt wird und was man tut, wenn es da keine Spannung gibt.
Daraufhin hat Lars von Trier versucht, genau dieses Tabu auf den Film zu übertragen. Er setzt bei „Dogville“ alle Gesetzmäßigkeiten des Films außer Kraft, indem er Räume definiert, die nur auf dem Boden gezeichnet sind. Leute machen pantomimisch dämlich Türen auf und wieder zu usw. Er geht mit einer amerikanischen Geschichte in einen Hangar und erzählt Amerika so wie Kafka einen Roman über Amerika schreibt, ohne je da gewesen zu sein. Und plötzlich merkst du: es ist näher am Thema als viele andere Filme, die versucht haben, so eine Geschichte zu erzählen.
Einer deiner jüngsten Filme ist „10 Sekunden“ von Nicolai Rohde. Sind zehn Sekunden im Film anders als auf der Bühne?
Blomberg: Ja, Film streckt und schrumpft Zeit permanent. Du kannst Zeit im Film fast allmächtig erzählen, die Sekunden in Minutenlänge dehnen und umgekehrt.
Und dieser Film geht ganz kurios mit Zeit um. Er springt ein Jahr nach einem Flugzeugunglück in die Ereignislosigkeit, in das, was diese Katastrophe ausgelöst hat bei den Leuten und beschreibt diesen Zustand. Und zehn Sekunden sind natürlich der Auslöser für den Film, die entscheidenden zehn Sekunden, in denen zwei Flugzeuge aufeinander zugesteuert sind und der Lotse nicht die Entscheidung getroffen hat, sie auseinander zu lenken.
Gab es für dich schon mal eine Situation, wo sich zehn Sekunden extrem auf dein Leben ausgewirkt haben?
Blomberg: Ich habe keinen Unfall oder keinen GAU erlebt, wie er in „10 Sekunden“ stattfindet. Aber ich habe in meinem Leben ein paar Entscheidungen getroffen, die weit reichende Konsequenzen hatten. Meistens hatte das mit meinem Leben zu tun, mit Liebe. Das sind dann Entscheidungen, die für den Moment gestimmt haben. Irgendwann wird einem dann klar, was diese Entscheidungen wirklich bedeuten.
Im Film geht es nun mehr um Schicksal als um eigene Entscheidungen…
Blomberg: Ja, es geht darum, dass es Dinge in den Lebensläufen der Leute gibt, die sich an einem bestimmten Punkt total ihrer Kontrolle entziehen und deswegen größtmögliche Veränderungen zur Folge haben. Und ich habe den Eindruck, dass so etwas in unserem Kulturkreis immer schwerer zu akzeptieren ist. Wir legen es schon sehr darauf an, so viel wie möglich die Dinge, die wir tun und lassen, zu kontrollieren. In dem Theaterstück „Pulverfass“, das ich gerade spiele, da gibt es zwei Jungs, die nach Amerika gehen und dort fällt dann der schöne: „Jetzt sind wir in Amerika, jetzt kannst du nicht mehr sagen: Das Schicksal hat dir übel mitgespielt. Hier liegt alles in deiner Hand, es ist deine Entscheidung, was aus dir wird.“ Das ist tatsächlich tief verankert in uns, dieses Verständnis, dass alles in deiner eigenen Hand liegt. Dieser Film erzählt das Gegenteil, hier werden die Leute in die rote Zone des Unkontrollierbaren geführt und damit müssen sie umgehen.
Wie ist denn deine Einstellung zum Schicksal, bist du ein Mensch, der sich sagt: „Morgen kann auf einmal alles vorbei sein"?
Blomberg: Ich glaube schon. Aber man kann sich das natürlich immer sagen. Was das dann im Einzelnen bedeutet, das weiß man irgendwie nie, glaube ich. Ich weiß nicht, was die zehn Sekunden einer tödlichen Krebsdiagnose bedeuten, wie ich darauf reagiere. Ich weiß nicht, was die zehn Sekunden bedeuten, in denen ich es nicht schaffe, das Lenkrad herum zu reißen und daraufhin frontal in ein anderes Auto zu fahre und für den Rest meines Lebens querschnittsgelähmt zu sein. Aber genau diese zehn Sekunden sind es dann, die einem an der Ferse kleben, wie so ein alter Hundehaufen. Die Leute, die genau solche Sachen erleben, kommen davon nicht los, das ist so wahnsinnig schwer, diesen Dämon loszuwerden, den man immer wieder fragt: „Warum denn eigentlich ich?“
Und als Schauspieler, hat man da die Angst, dass es mit der Karriere jederzeit vorbei sein kann?
Blomberg: Weiß ich nicht. Wir sind irgendwie alle so abgefedert, gepampert.
Es gibt Flecken auf dieser Erde, wo die Menschen anders mit GAUs umgehen und in dem Bewusstsein leben, dass jederzeit etwas passieren kann, das ihnen die Beine wegschlägt. Wir hier legen ja nun wirklich alles darauf an, dass wir uns absichern.
Wie sicherst du dich denn als Schauspieler ab?
Blomberg: Ich leb’ da auch schon von der Hand in den Mund. Ich bin glücklich, solange ich arbeite, die Auseinandersetzung habe und auf Menschen treffe, die mich in dieser Facon begleiten oder die sich selber die gleichen Fragen stellen.
Ich bin nicht per se so ein ängstlicher Mensch, aber ich kenne viele, ganz tolle Kollegen, die mit großen Ängsten leben – immer. Es gibt erstklassige Schauspieler, die jeden Abend vor der Vorstellung oder vor dem Drehtag erst einmal auf’s Klo gehen und kotzen. Und dann aber brilliant sind. Ich bin nicht so ängstlich. Das hat wahrscheinlich mit der Art zu tun, wie ich aufgewachsen bin oder wie man mir Vertrauen gegeben hat.
Dein Lebenslauf sieht sehr geradlinig aus: Erst das Max-Reinhardt-Seminar, dann Engagements in Wien, Basel, Zürich, Hamburg und schließlich Berlin. Parallel dazu hast du immer wieder Filme gemacht. Es scheint, als hätte bei dir immer alles funktioniert. Oder gab es Momente, wo du dir irgendwie unsicher warst?
Blomberg: Natürlich gab es die. Die sind nicht so sichtbar, aber die Zweifel hast du doch permanent, riesige Zweifel, immer wieder.
Von außen sieht das vielleicht ein bisschen glatt aus, das ist es sicher auch im Vergleich zu vielen anderen Lebensläufen. Ich saß nie auf der Straße ohne Arbeit und ohne Perspektive, das stimmt schon. Ich habe nie dafür kämpfen müssen, dass ich diesen Beruf ausübe. Ich bin nicht von meinen Eltern vor die Tür gesetzt worden, ich bin nicht enterbt worden. Ich habe nicht mit der Tatsache zu kämpfen gehabt, dass ich Schauspieler werden wollte, ich habe da kein schlechtes Gewissen. Ich wollte das, ich habe es getan – und man hat mich gelassen. Das ist es wahrscheinlich auch, was die Sache so glatt erscheinen lässt. Gleichzeitig wünschst du dir immer wieder, auch etwas Anderes machen zu können, was du noch nicht ausprobiert hast. Ich hoffe, da wartet noch ein bisschen was.
Hast du im Film oder auf der Bühne mal einen Beruf gespielt, den du selber ausüben wolltest?
Blomberg: Das taucht immer wieder auf, aber es hat nichts mit dem zu tun, was ich gerade als Schauspieler mache. Ich wäre gerne Reisejournalist, das würde ich wahnsinnig gerne machen. So wie Helge Timmerberg. Ich bin auch ein Fan von Hunter S. Thompson. Aber das ist wahrscheinlich ein unsinniges, romantisches Bild, das ich von diesem Beruf habe. Mit dieser Ursehnsucht des Reisens gleichzeitig auch eine Form zu finden, etwas darüber zu sagen, etwas mitzuteilen.
Zum Schluss: Gibt es eine Theaterfigur, in der du bestimmte Charaktereigenschaften von dir wiedergefunden hast?
Blomberg: Hmm… Nein, da fällt mir spontan nichts ein. Vielleicht auch, weil die Art und Weise wie ich arbeite, eher eine Reise von mir weg ist. Für mich liegt der größte Genuss darin, sich mit dem, was man tut, von sich zu entfernen. Und sich gleichzeitig an einem anderen Punkt wieder sehr nah zu sein. Das ist ein ganz komisches Spannungsfeld, in dem die Schauspielerei funktioniert, weil selbst in der von dir am weitesten entfernten Rolle kannst du dich am Ende wiederfinden.