Sebastian Krumbiegel

Ich will kein moralischer Heilsverkünder sein.

Sebastian Krumbiegel über Rechtsradikalismus in Deutschland, sein Buchprojekt „Hoffnung säen“, Erfahrungen mit Neonazis und seine Jugend in der DDR

Sebastian Krumbiegel

© sebastian-krumbiegel.de

Sebastian, die NPD hat bei der vergangenen Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern im September 2006 ein Ergebnis von 7,3 Prozent erreicht; das sind 6,5 Prozent mehr als noch im Jahr 2002. Wie erklärst du dir das Erstarken dieser offensichtlich rechtsradikalen Partei?
Krumbiegel: Ich glaube nicht, dass das vordergründig an den Inhalten dieser Partei liegt. Viele Wähler wenden sich enttäuscht von den großen Parteien ab und suchen nach anderen Alternativen, und landen dann in einigen Fällen eben bei Parteien wie der NPD. So ein Ergebnis entsteht aber nicht nur durch Protestwähler, das hat auch viel mit Erziehung der jungen Menschen zu tun. Wenn der Vater zu Hause sitzt und seinem Sohn aus Frustration irgendwas von „Kanacken raus!“ erzählt, wird der Junge dadurch natürlich beeinflusst und wächst automatisch auch mit diesem Gedankengut im Kopf auf.

Laut Umfragen und Analysen konnte die NDP ja vor allem bei den Jungwählern große Erfolge erzielen, so wählten 17 Prozent der 18-24-Jährigen die NPD. Was macht diese Partei für junge Menschen deiner Meinung nach so interessant?
Krumbiegel: Man darf ja nicht denken, dass vor allem die Führungskader dieser rechtsextremen Parteien dumm sind. Das sind schon oft schlaue Köpfe, die genau wissen mit welchen Themen sie vor allem auch die jungen Menschen erreichen können. Die NPD spielt ja in gewisser Weise mit der Zukunftsangst der Menschen und verspricht ihnen sich auf ihre Seite zu stellen, um mit ihnen gemeinsam gegen die großen Parteien anzukämpfen.

Hast du Angst vor einer neuen rechten Front in Deutschland?
Krumbiegel: Ich glaube, dass Angst allgemein ein falscher Ratgeber ist! Wir sollten uns nicht vor diesen Menschen verstecken und laut nach einem Verbot schreien, wie das ja in der DDR immer gemacht wurde, wenn dem Staat was nicht gepasst hat. Dieses Verbotsverfahren hat ja im Endeffekt auch nicht zum Erfolg geführt und viele Menschen haben sich gedacht: „Wenn die weiter existieren dürfen, sind die bestimmt nicht so schlimm!“ Als vernünftig demokratisch denkende Menschen sollten wir nach den Ursachen dieser Entwicklung fragen und vor allem bei ganz jungen Menschen in Kindergärten und Schulen aktive Aufklärungsarbeit leisten. Ich habe vor diesen Nazis keine Angst!

Würdest du dich denn auch mit Neonazis an einen Tisch setzen und zusammen diskutieren, wie Michel Friedman es kürzlich in der ARD-Sendung „Menschen bei Maischberger“ angeregt hat?
Krumbiegel: Ich glaube, dass das die einzige Möglichkeit ist, diese Menschen zu kriegen! Ich möchte dazu kurz ein Beispiel erzählen. Ich war mal auf einer Podiumsdiskussion in Walsrode eingeladen und da ging es um diese Schulhof-CDs der Nazis und wie man damit umgehen soll. Natürlich saßen auf diesem Podium nur Leute, die Contra eingestellt waren. Als die Diskussion dann losgehen sollte kamen auf einmal zehn offensichtliche Neo-Nazis in den Saal und alle fragten sich, ob man diese Leute jetzt rausschmeißen solle oder nicht. Ich habe mich damals dafür ausgesprochen sie an der Diskussion teilnehmen zu lassen. Während der Diskussion hat sich dann auch herausgestellt, dass diese Leute sich durch ihre fadenscheinigen Argumente zunehmend selbst ad Absurdum geführt und somit auch gegenüber dem Publikum selbst disqualifiziert haben. Hätte man sie von vorne herein aus dem Saal geschmissen, wäre nur noch mehr Hass entstanden. Ich will niemandem den Hakenkreuz-Stempel auf die Stirn drücken und ihn für immer verurteilen. Ich glaube immer auch noch an das Gute im Menschen und dass man viele Menschen durch Aussteiger-Programme wieder auf den vernünftigen Weg führen kann.

Allerdings wurdest du im Juni 2003 selbst Opfer von rechter Gewalt als du in einem Leipziger Park von zwei Neonazis zusammengeschlagen worden bist. Was ist damals genau passiert?
Krumbiegel: Es ist genau das passiert was mittlerweile leider jeden Tag passiert! Ich bin zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und bin zwei bescheuerten Typen begegnet, die einfach nur Bock darauf hatten jemanden zu klatschen! Ich hatte Glück, dass mir in diesem Moment jemand zur Hilfe gekommen ist, sonst wüsste ich nicht, was die noch alles mit mir gemacht hätten. In so einem Moment denkst du einfach nur: „Die hauen mich jetzt tot!“ Da ist so viel blinde Wut und extremer Hass im Spiel; die kennen einfach kein Ende und hauen und treten immer weiter drauf.

Du hast dann später die Großmutter einer der beiden jungen Männer aufgesucht, sie zeigte dir Fotos von ihrem Sohn, entschuldigte sich für ihn. Hast du damals Hass für die Täter empfunden?
Krumbiegel: Natürlich hatte ich in diesem Moment der Tat große Angst, und wenn ich eine Waffe zur Hand gehabt hätte, hätte ich mich sicherlich auch gewehrt, aber durch Gegenhass erreiche ich absolut gar nichts. Hass ist nicht gut! Hass ist stumpf, blind und totaler Quatsch! Ich habe für diese beiden Typen nie Hass empfunden. Ich hatte Stress mit meiner Psyche und musste erst mal mein Leben ordnen, um mich wieder auf die Straße zu trauen und so weiter.

Im Fall des 37-jährigen Deutsch-Äthiopiers Ermyas Mulugeta, der von zwei offenbar rechtsradikalen Tätern im April 2006 in Potsdam lebensgefährlich verletzt wurde, entstand ja eine ziemlich verzerrte Debatte, wo in der juristischen Wahrnehmung das Opfer aufgrund von Provokationen plötzlich zum Täter wurde. Wie siehst du das?
Krumbiegel: Ich habe gerade gestern einen extrem interessanten Zeitungsartikel darüber gelesen, wie Polizei und Justiz auf Rechtsradikalismus reagieren. Die Polizei guckt ja nachweislich oft einfach weg und kann nichts machen. Natürlich auch deswegen, weil die oft unterbesetzt sind und mit drei Polizisten nicht gegen 15 Glatzen ankommen. Es herrscht ja in der Politik und auch in der Justiz oft die Angst, dass so ein Fall wie in Potsdam ein schlechtes Bild auf die Region wirft und sie somit stigmatisiert werden würde. Da stecken ja auch Ängste hinsichtlich der Wirtschaftsentwicklung drin, also dass es so einem Standort eben nicht gut tun würde, wenn ihn plötzlich alle meiden. Ich bin kein Jurist und auch kein Politiker und will diesen Menschen auch nichts Schlechtes unterstellen, aber wir sollten nie aufhören, diese Probleme anzugehen und auch realistisch zu betrachten. Die Statistiken zeigen ja, dass die rechte Gewalt zugenommen hat und auch die Gewaltschwelle immer niedriger wird.

Im vergangenen Jahr hast du das Buch „Hoffnung säen – Lebensgeschichten von Flüchtlingen“ herausgegeben, in dem Menschen aus dem Irak, aus Afghanistan oder auch Syrien ihren Weg und das Leben in Deutschland beschreiben. Welchen Beitrag kann dieses Buch zur Integrationsdebatte leisten?
Krumbiegel: Das Buch thematisiert einfach die Flüchtlingsproblematik und der Leser kann sich mit den einzelnen Geschichten dieser Menschen auseinandersetzen. Wir wollen zeigen, dass viele dieser Menschen die zu uns kommen in ihrem Heimatland schreckliche Dinge erlebt haben und bei uns Zuflucht suchen. Dieses Buch soll den Leser für das Schicksal dieser Menschen sensibilisieren. Wenn man diese Geschichten emotional an sich ranlässt hört man auf mit Sätzen wie „Kanacken raus“ und „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“. Ich will keine Multikulti-Gesellschaft um jeden Preis und mir ist auch klar, dass es auch viele kriminelle Ausländer gibt. Man darf das aber nicht alles über einen Kamm scheren, sondern muss den einzelnen Menschen mit seiner Geschichte betrachten. Ich kann nur jedem empfehlen dieses Buch mal zu lesen!

Zitiert

Ich habe vor diesen Nazis keine Angst!

Sebastian Krumbiegel

Können wir diesen Menschen in Deutschland denn wirklich eine neue Heimat bieten?
Krumbiegel: Natürlich können wir das, aber das erfordert Anstrengungen von beiden Seiten. Wir als Deutsche sollten einfach mal sehen, dass die uns nicht großartig was wegnehmen, sondern uns durch ihre Kultur auch sehr bereichern. Ganz abgesehen davon dass wir viele Arbeitskräfte hier auch einfach brauchen und in den 60er Jahren haben wir ja auch Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland geholt. Natürlich müssen diese Menschen auch bereit sein die deutsche Sprache zu lernen und sich der Rechtsordnung in diesem Land anzupassen, dann kann eine Integration auch gelingen. Genau so dürfen wir aber diese Menschen nicht von vorne herein stigmatisieren und ausschließen.

Du bist als Mitglied des Leipziger Thomanerchors schon zu Schulzeiten sehr viel rumgekommen. Mit welchen Augen hast du als Kind die fremden Kulturen und Länder wie Japan, Italien oder Spanien gesehen?
Krumbiegel: Als Ostkind ist das ja noch mal ein viel größerer Hammer, weil du weißt, dass es ja eigentlich gar nicht möglich ist als DDR-Kind einfach mal so nach Japan zu fliegen. Ich habe als Kind gar nicht so sehr auf die fremden Kulturen geachtet, sondern hab’ das einfach so gesehen wie ein Kind das halt sieht. Ich fand das extrem spannend und aufregend und ich glaube im Nachhinein hat es mir auch sehr geholfen einfach weltoffener zu werden, andere Menschen und ihre Lebensweise zu akzeptieren.

Würdest du das Reisen als Bedingung für eine gelungene Integration sehen, zumal ja nicht jeder die Chance hat, reisend die Welt kennen zu lernen?
Krumbiegel: Das ist natürlich nicht möglich, aber natürlich wäre es sehr wünschenswert. Heute ist ja alles viel globaler geworden. Du kannst innerhalb von wenigen Sekunden eine Mail ans andere Ende der Welt schicken und über das Fernsehen sämtliche Korrespondenten zur aktuellen Lage am jeweiligen Krisenort befragen. Die Dinge vermischen sich und wir müssen damit umgehen. Am besten ist natürlich wenn man diesen Prozess aktiv miterleben kann. Und wenn man die Möglichkeit hat, eine Reise, zum Beispiel nach Afrika, zu machen, dann sollte man das auch wahrnehmen. Das ist ja dieser „Imagine“-Gedanke von John Lennon, der Gedanke an eine vereinte Gemeinschaft der Menschen. Das klingt immer so’n bisschen platt, wenn man sagt: „Wir sind ein Planet und alles Menschen und wir sollten uns doch alle lieben.“ Da steckt aber eine große Wahrheit hinter. Stell’ dir vor, es gibt keine Religionen, keine Grenzen und wir stehen alle zusammen. Natürlich wird sich das nie gänzlich erfüllen, aber ich finde diesen Gedanken im Ansatz schon sehr sinnvoll. Auf alle Fälle würde uns das mehr bringen, als wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht.

Welche Rolle haben diese Gefühle von Angst, Ungewissheit und Sehnsucht, die ja in dem Buch „Hoffnung säen“ einen großen Platz einnehmen, in deinem Leben und dem deiner Familie in der DDR gespielt?
Krumbiegel: Ich muss dazu sagen, dass ich in der DDR in mittelständischen bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen bin. Meine Eltern hatten damals nicht das Privileg mit einem Chor durch die Welt zu reisen, aber sie sind bis heute sehr offene und neugierige Menschen. Man darf sich das auch nicht so vorstellen, dass das Leben in der DDR immer nur trist und schlimm war und alle Menschen die ganze Zeit nur mit traurigen Gesichtern in schwarzen Gewändern durch die Straßen gelaufen sind. Wir sind natürlich nicht nach Italien oder Mallorca in den Urlaub gefahren, sondern halt nach Ungarn oder Polen oder an die Ostsee und hatten da auch ‚ne schöne Zeit. Ich bin echt genervt wenn mir einer sagt: „Du armer Junge bist in einem Unrechtsregime geboren und hattest kein Spaß in deinem Leben!“ Natürlich gab’s die Stasi und die Mauer und viele schreckliche Dinge, aber man hat sich mit vielen Sachen arrangiert und viele Sachen waren für mich und meine Familie auch nicht so schrecklich, wie sie im Nachhinein über die DDR erzählt wurden. Auch der Vergleich zu einem Leben in Bosnien oder Afghanistan hinkt extrem. Die DDR war kein Kriegsgebiet und wir lagen auch nicht nachts schlaflos da und haben auf die Bomben gewartet!

Was hast du gedacht als die Mauer fiel?
Krumbiegel: Ich fand das ganz wunderbar und großartig! Da wusste ich, dass da gerade was ganz großes passiert war. Ich habe ja damals während meiner Studienzeit an der Musikhochschule in Leipzig in der A-capella-Band „Herzbuben“ gesungen, aus der dann 1991 „Die Prinzen“ wurde, und das war für uns als Musiker schon sehr spannend, weil uns auf einmal viel mehr Möglichkeiten offen standen. Wir konnten viel globaler denken und hatten ab sofort die Möglichkeit viel mehr Menschen mit unserer Musik zu erreichen. Das hat sich dann ja auch so erfüllt.

Du bist dann aber trotz des Mauerfalls in Leipzig geblieben und hast dein Studium beendet…
Krumbiegel: Ja, nach dem Mauerfall gab es ja auch gar keinen Grund mehr aus dieser Stadt wegzuziehen. Diese Stadt hat sich in den letzten Jahren sehr stark verändert und ist heute eine sehr weltoffene und moderne wunderschöne Stadt. Ich lebe sehr gerne in Leipzig!

Du engagierst dich in deiner Freizeit für die „Bunten Gärten“, ein Integrationsprojekt in Leipzig, welches Asylbewerbern und ihren Familien die Chance gibt, neue Kraft zu schöpfen, sich in Gesprächen kennen zu lernen um gemeinsam der ungewollten Passivität zu entgehen. Aus diesem Projekt ist dann auch das Buch entstanden. Wie sieht dein Engagement vor Ort in den „Bunten Gärten“ aus?
Krumbiegel: Ich habe da mal eine Bibliothek eröffnet und war auch schon öfters da, aber ich sehe meine Funktion in diesem Projekt eher als so eine Art Außenminister, der diese Einrichtung öffentlich bekannt macht. Ich bin jetzt aber nicht jede Woche da und helfe bei der Ernte. Das würde ich auch zeitlich gar nicht schaffen!

Inwiefern sind aus den Begegnungen mit den Menschen in den „Bunten Gärten“ auch tief greifende Freundschaften entstanden?
Krumbiegel: Freundschaft ist ein sehr kostbares Gut und man sollte damit auch nicht zu verschwenderisch umgehen. Ich bin einfach zu selten da. Wir haben ja schon Lesungen in Leipzig und Hamburg gemacht und da waren auch viele von den Betroffenen da, und die kamen dann auch zu uns, haben sich für unser Engagement bedankt, aber daraus entsteht dann nicht gleich eine langfristige Freundschaft. Freundschaft ist ein höheres Gut und muss über Jahre wachsen. Wenn so was passiert ist es wunderbar. Wir haben auch das irakische Mädchen Dunja mal zu Hause besucht und ich habe das alles meinen Kindern gezeigt. Aber Freundschaft ist dann doch was anderes. Ich versuche da immer sehr offen zu sein und Kontakt zu halten, aber oft geht es einfach zeitlich nicht.

Ab dem 2.11.2006 gehst du gemeinsam mit dem Musiker Kristof Hahn und deinem Buch „Hoffnung säen“ auf eine große musikalische Lesetournee, die Sie durch 19 Städte in Ost-Deutschland führt. Was erhoffst du dir ganz persönlich von dieser Tournee?
Krumbiegel: Ich hoffe, dass ich während dieser Tour eine schöne Zeit habe, dass ich mit vielen Menschen ins Gespräch komme, dass ich Musik machen und den Leuten von diesem Buch erzählen kann. Ich will Leute erreichen, die auf der Kippe stehen und die noch nicht wissen, wo sie hin wollen. Ich will kein moralischer Heilsverkünder sein, sondern einfach den Versuch wagen, einige Menschen auf die richtige Seite zu bringen.

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