Sebastian Schipper

Ich glaube, dass wir Filme mit dem Nervensystem gucken.

Der Regisseur Sebastian Schipper über mangelnden Wahnsinn im Deutschen Film, die besten Banküberfälle der Kinogeschichte und seinen preisgekrönten Film „Victoria“, der in einer einzigen Einstellung gedreht wurde.

Sebastian Schipper

© Annika Nagel

Sebastian Schipper, Ihr neuer Film „Victoria“ zeigt Berlin, wie es im Kino bisher kaum zu sehen war. Das fängt schon mit der Sprache an; es wird viel Englisch geredet.
Sebastian Schipper: Berlin steht für mich weniger für bestimmte Orte. Berlin findet auf der Straße statt, es geht vor allem um das „Auf-der-Straße-sein“. Und wenn man hier unterwegs ist, trifft man eben irgendwelche Westdeutsche, dann ein paar Ostdeutsche und eigentlich immer auch irgendwelche Spanier oder Amerikaner. Diese Mischung macht Berlin aus.

Wurde diese Internationalität bisher zu selten in Filmen repräsentiert?
Schipper: So denke ich darüber nicht nach. Das sind Dinge, die sich einfach ergeben. Ich bin ja kein Politiker, der sein Parteiprogramm durchziehen will. Ein Film ist auch kein Rätsel, das man lösen muss. Er muss sich richtig anfühlen. Man muss das Gefühl haben, dass es sich lohnt, diese Geschichte zu erzählen.

Ihre Titelfigur ist eine junge Spanierin. Auf Straßenbahnfahrten durch Berlin ist zu beobachten, dass sich die meisten Leute stumm mit ihren Handys beschäftigen, während junge Spanier oft miteinander laut und lebhaft Gespräche führen.
Schipper: Ja, von denen gibt es in Berlin eine Menge, weil es ­– soweit ich das verstanden habe – gerade in Spanien für sie wahnsinnig schwierig ist. Da sind über 50 Prozent der jungen Leute arbeitslos, was für eine Atmosphäre sorgt, der viele verständlicherweise entfliehen möchten. Berlin ist halt immer noch sehr nahbar, sehr günstig und deswegen bildet sich hier dann so eine eigene Jugendkultur.

Zitiert

Dieses Wohlgemeinte und Richtiggemachte, ich glaube, das kotzt uns alle an.

Sebastian Schipper

Der Umgangston in „Victoria“ ist sehr direkt, immer wieder zärtlich und voller Witz, aber vor allem barsch. In der Jungs-Clique, die Victoria in einem Club kennenlernt, wird das gegenseitige Anpöbeln gepflegt. Reden Sie mit Ihren Freunden auch so?
Schipper: Nein, aber das ist ja auch nicht die Frage. Der Macher von „Gravity“ war auch kein Astronaut und Francis Ford Coppola ist kein Mafia-Typ und John Ford war kein Cowboy. Natürlich sind diese Kinowelten Tagtraumwelten. In denen findet eine andere Form von Wahrheit statt.

Das heißt, Sie erzählen in Ihrem Film eher von Sehnsüchten als von eigenen Erfahrungen?
Schipper: Im Zweifelsfall gilt beides. Kino ist immer auch ein Sehnsuchtsort, aber die Frage ist ja: Sehnsucht wonach? Auch die Schauspielerei wird da oft falsch verstanden. Wir haben es doch im Alltag andauernd mit Selbstdarstellern zu tun. Wir müssen ständig irgendwelche Rollen spielen und erfüllen. Deshalb hat Schauspielerei für mich ganz viel damit zu tun, sich zu zeigen. Und wenn das passiert, dann sitze ich eben im Kino und denke: Abgefahren! Wie die miteinander umgehen… Ob die Jungs dann auch privat miteinander so reden und diese Form der Zärtlichkeit auch wirklich so zulassen, wie es ihre Figuren in „Victoria“ machen, das steht dann nochmal auf einem ganz anderen Blatt.

Victorias Geschichte ist simpel. Sie lernt einen jungen Mann kennen, der mit seinen Kumpeln eine Bank überfallen muss. Filmisch ist sie allerdings denkbar kompliziert umgesetzt: „Victoria“ wurde in einer einzigen Einstellung gedreht, es gibt keinen Schnitt. Warum?
Schipper: Diese Idee stand ganz am Anfang. Ich glaube, sonst hätten wir den Film gar nicht gedreht. Ein klassisch gemachter Film über einen Banküberfall hätte uns gar nicht gereizt. Es ging eher um den Gedanken, da richtig in den Wahnsinn einzusteigen.

Sie mussten alle Abläufe des Films besonders intensiv proben, Ihr Einfluss bei den eigentlichen Dreharbeiten dürfte relativ gering gewesen sein. Hatten Sie keine Angst vor diesem Kontrollverlust?
Schipper: Schon, aber wenn ich drüber nachdenke: So viel Kontrolle hat ein Regisseur auch sonst nicht. Der Gedanke: Ich schneide am Ende alles so, wie ich will – das ist oft Unfug. Wenn man einen Film sieht und sagt: Ne, ich glaube nicht, dass das Freunde sind, ich glaube nicht, dass die sich hassen oder lieben – dann hat das meistens damit zu tun, dass sich da ein Regisseur überschätzt hat. Man muss beim Casting die Grundlagen der Figuren herstellen. Wenn man da nicht macht, kann man noch sehr versuchen, beim Dreh und im Schnitt die Dinge zurecht zu biegen, es wird nicht funktionieren.

Ist man als Zuschauer aber nicht oft zu faul, um sich an Figuren, die eigentlich nicht funktionieren, ernsthaft zu stören?
Schipper: Nö. Zum ersten: Die Zuschauer haben jedes Recht, faul zu sein. Sie haben das Recht da zu sitzen und zu sagen: Lass mal einen springen! Man will sich ja als Zuschauer nichts erarbeiten. Der Film macht die Arbeit und wenn der Zuschauer sich animiert fühlt, steigt er auch ein und geht mit.

Aber man kann sich als Konsument doch auch an schlecht gemachte Filme gewöhnen, so wie man sich an Tiefkühlpizza gewöhnt?
Schipper: Ja, dann macht man das eine zeitlang und dann schmeckt es einem nicht mehr. Man sollte das Publikum nicht unterschätzen. Dann geht es nämlich irgendwann nach Hause und guckt Serien. Das Kino muss sehr aufpassen, dass ihm nicht das gleiche passiert, wie der amerikanischen Autowirtschaft.

Wie meinen Sie das?
Schipper: Die glorreiche amerikanische Autowirtschaft steht doch vor dem Kollaps, weil die zuletzt immer gesagt haben: Wir bauen nur das, was die Leute wollen. Und die Leute wollen doch alle nur SUVs. Aber plötzlich will keiner mehr die alten Kisten mehr haben.

Mit anderen Worten: Eine Industrie, die mehr auf Marktforschung, statt auf Innovation setzt, ist dem Untergang geweiht?
Schipper: Aus der Marktforschung gibt es diese bezeichnende Geschichte: Wenn man die Leute in den 50er Jahren gefragt hätte, ob sie gerne wollen, dass die neuen Superstars ungewaschene Typen sind, die nicht singen können, ihre Instrumente nicht beherrschen und nur ihre Töchter ficken wollen, dann hätten alle „Nein“ gesagt – und Rock’nRoll hätte es nie gegeben (lacht). Beim Kino könnte es bald nur noch heißen: Ach ja, da gibt’s so Romantic Comedys, Hero-Movies und Problem-Arthaus-Filme – hab‘ ich alles schon 17 Mal gesehen. Die Industrie denkt: Wir machen doch nur, was die Leute sehen wollen. Aber die Zuschauer sind schlauer. Wenn man die fragt: „Was hätten Sie denn gerne?“, dann sagen die zwar vielleicht: „Am liebsten mag ich Romantic Comedy“, aber das Geile ist, dass das Publikum am Ende doch eher Lust auf etwas Abgefahrenes hat.

© Wild Bunch Germany

Szene aus „Victoria“ © Wild Bunch Germany


Stand hinter Ihrem Entschluss „Victoria“ in nur einer Einstellung zu drehen auch der Impuls: Ich weiß jetzt, wie das Filmemachen geht. Das wird mir zu langweilig, ich trete mir selbst in den Arsch und mache etwas, von dem ich gar nicht weiß, ob ich es kann?

Schipper: Ja, das war auf jeden Fall so. Ich hatte irgendwann das Gefühl: Ich habe so einen guten Geschmack und ich kann das so gut mit der Kamera und mit der Musik, mit den Schauspielern läuft’s gut und die Dialoge sind auch nicht schlecht ­– aber da steckt auch eine gewisse Oberflächlichkeit drin, eine ganz elaborierte Form von Oberflächlichkeit. Die bekommt man auch gar nicht so mit, weil man immer wieder auf die Schulter geklopft bekommt und die eigenen Zweifel dann auch wegwischt und sich sagt: Ne, das ist doch eigentlich alles ganz gut gemacht. (Lacht)

Ihre drei bisherigen Filme transportieren Lebensgefühle, erzählten von jungen Menschen zwischen Anfang 20 und Mitte 30, zwischen Ausbildung und Eigenheim. Was vermissen Sie an ihnen?
Schipper: Eine bestimmte Form von Dunkelheit, von Wut, Aggression und Verzweiflung kommt da nicht vor. Es gab in mir immer die Gier danach, etwas noch Spannenderes zu erringen und auch die Erkenntnis, dass man viele kleine Dinge aufeinanderstapeln kann, die ein Film normalerweise so braucht: Gutes Timing, gute Sprüche und so weiter ­– man kann 20 oder 70 tolle Momente aufeinander stapeln, aber die addieren sich nicht so mathematisch zu einem funktionierenden im Film. Das große Ganze entsteht durch Unterströmungen, die geheimnisvoll sind und dunkel.

Klingt beinahe mystisch…
Schipper: Der Punkt ist: Es wird doch immer so komisch unterschieden, zwischen Filmen, die das Herz ansprechen oder den Kopf. Ich glaube aber, dass wir Filme mit dem Nervensystem gucken. Da ist etwas ganz Unmittelbares, auf das wir reagieren. Und um diese Unmittelbarkeit zu erreichen, ist irgend eine Form von Wahnsinn und Hingabe nötig. Ich glaube, wenn man sich überlegt, welche Filme man geil fand oder wichtig oder großartig, dann kommt man nicht umhin zu erkennen, dass es Projekte waren, die mit Katastrophe, Wahnsinn oder zumindest mit Risiko zu tun hatten.

Zum Beispiel?
Schipper: Wenn man heute zurückblickt, ist „Der Pate“ einfach ein riesiges Meisterwerk. Man darf aber nicht vergessen, dass damals Al Pacino und Francis Ford Coppola jeden Tag gedacht haben, sie werden morgen gefeuert, weil Al Pacino von niemandem gut gefunden wurde. So sah damals einfach kein Kinostar aus. Er war überhaupt nicht hübsch, man nannte ihn „den Zwerg“. Oder wenn man an „Apokalypse Now“ denkt… Aber machen wir uns nichts vor: Die goldenen Jahre des Kinos sind vorbei. Die Hochrenaissance waren die 70er Jahre. Das war total der Wahnsinn, was die da teilweise gemacht und riskiert haben.

Dieser „Hochrenaissance“ des sogenannten New Hollywood waren allerdings auch starke Ermüdungserscheinungen der etablierten Filmindustrie vorausgegangen…
Schipper: … und eine generelle Revolte. Die Jugend hatte gesagt: „Fuck you! Von dieser älteren Generation wollen wir überhaupt nichts lernen!“ Jetzt ist der Film dabei gelandet, dass immer nur das nachgemacht wird, was es schonmal gab. Sogar wenn über Filme nur geredet wird, geht das meistens so: Ja, der ist ein bisschen „Jason-Bourne-mäßig“. Ja, der ist so ein bisschen „Der-Pate-mäßig“. Das heißt aber immer: Der Film ist irgendwie ähnlich, aber natürlich nicht so gut, wie das Vorbild. Und das war auch ein Gedanke von uns: Wir wollen einen Film machen, für den es keine Referenzklasse gibt.

Aber zumindest den Kritikern fallen bestimmt einige Bezüge zu anderen Filmen ein…
Schipper: Bei uns ist das so ’ne krude Mischung mittlerweile. Man sagt: „Victoria“ ist so ein bisschen wie „Before Sunrise“ mit Banküberfall (lacht). Auf der Berlinale hat jemand geschrieben, der Film sei so, als wenn der dritte Dardenne-Bruder Luc Besson wäre. Das sind geile Kombinationen, weil die so ineinander verdreht sind. Es würde keinen Sinn machen, einen Film der Dardennes oder von Besson einfach nur nachzumachen. Besser als die würde man deren Filme sowieso nicht hinkriegen.

victoria plakatEs ist wahrscheinlich kein Zufall, dass in Ihren Filmen die Protagonisten niemals ins Kino gehen oder fernsehen.
Schipper: Da habe ich noch nie drüber nachgedacht. Aber ist das so in anderen Filmen, dass es irgendeinen geilen Kinohelden gibt, der Filme guckt?

Sehr beliebt sind Tierfilme, die im Hintergrund laufen und metaphorische Szenen zeigen. Affen bei der Paarung oder Lemminge, die sich in den Tod stürzen. Auch in Quentin Tarantinos „Jackie Brown“ wird viel ferngesehen…
Schipper: Und in „Taxi Driver“ geht Robert de Niro ins Kino, allerdings in ein Porno-Kino…

Taxi Driver“ führt uns noch einmal zurück zum New Hollywood der 1970er Jahre. In welcher Weise sind die Filme dieser Ära denn heute noch konkret für Sie vorbildhaft?
Schipper: Man hat damals eben verstanden, dass Kino Risiko und Hingabe bedeutet und nicht so ein saturiertes „Jetzt machen wir das mal ganz professionell.“ Das interessiert keinen. Es ist für mich immer zutiefst unprofessionell, wenn so ein professioneller Handwerkergestus ausgestellt wird. Das ist genau das Gegenteil von dem, was ich von Leuten erwarte mit denen ich zusammen arbeite. Ich erwarte Leidenschaft und den Wahnsinn, auch mal einen Fehler zu machen. Fehler macht man, wenn man mal was riskiert. Fußballer, die nichts riskieren, die braucht man ja auch nicht. Die braucht keiner.

Steht der deutsche Fußball nicht vor allem für Kampfbereitschaft, Disziplin und Teamgeist?
Schipper: Aber wenn Fußball zu hoch entwickelt ist, wird er irgendwann langweilig. Natürlich müssen auch Schauspieler Teamgeist haben. Es geht nicht darum, so eine Ego-Nummer daraus zu machen. Trotzdem müssen die vor allem auch wahnsinnig sein. Wenn Du austauschbar bist, wenn du das kannst, was alle können, wirst du ja nicht gebraucht.

Im Februar hat „Victoria“ auf der Berlinale einen Silbernen Bären bekommen. Nur ein Vierteljahr später lief kein deutscher Film in Cannes und es wurde mal wieder die tiefe Krise des Deutschen Films beschworen. Was ist da los?
Schipper: Ich glaube, dass wir zu viele gute Filme haben. Um es provokant zu sagen: Wir brauchen mehr schlechte Filme. Jeder großartige Film hat die DNA von einem schlechten Film, weil eigentlich zu viel riskiert wurde. Bei Bands ist das doch genauso: Wir wollen keine Leute, die gut singen, die an der Pop-Akademie voll gelernt haben, wie man so Songs schreibt. „Voice of Germany“ – das ist alles so Streichelwiese, da geht alles so ums „Richtigmachen“. Aber bei großartigen Bands, da geht es nicht ums Richtigmachen, sondern darum, dass zwei Brüder sich lange anpöbeln, dann sind sie irgendwann die größte Band, die es in England in den letzten 25 Jahren gegeben hat. Und dann kriegen sie sich so in die Wolle, dass die Band wieder fertig ist.

Sie spielen auf die Band Oasis der Brüder Noel und Liam Gallagher an. Warum sollte sich der deutsche Film an denen ein Beispiel nehmen?
Schipper: Dieses Wohlgemeinte und Richtiggemachte, ich glaube, das kotzt uns alle an, das gibt uns so ein inneres leeres Gefühl. Diese ganze Musik und diese ganzen Bücher, diese ganzen Filme, wo man dann irgendwie sich hinstellt und wie so ein Hund hechelt: Und? Ist doch ganz gut, oder? Ja, ist irgendwie ganz gut, aber auch stinklangweilig.

Der Wahnsinn von „Victoria“ steckt, wie gesagt, vor allem darin, dass er nur in einer Einstellung gedreht wurde. Ein filmtechnisch unbedarfter Zuschauer würde nach dem Film aber wahrscheinlich sagen: Wie? Da gibt es keine Schnitte? Habe ich gar nicht gemerkt…
Schipper: Ja klar, das ist ja auch nur so ein Gimmick. Deswegen taugt das auch nicht fürs „Guinness Buch der Rekorde“. Man kann ja auch einen Zehn-Stunden-Film ohne Schnitt machen, der wäre aber wahrscheinlich stinklangweilig. Die emotionale Qualität, die für die Zuschauer entsteht, kann man eben letztlich nicht bemessen und die ist ja das Entscheidende beim Film. Andererseits ist diese technische Leistung von „Victoria“ auch mehr als ein bloßes Nebenprodukt, weil sie viel dazu beiträgt, was wir gerade mit diesem Film erleben. Am Ende des Tages geht man mit dem Gedanken „das ist ein One-Take-Film“ vielleicht ins Kino rein, aber hoffentlich kommt man mit anderen Gedanken wieder raus.

Darf man eigentlich verraten, dass der Banküberfall, auf den Film zuläuft, eigentlich gar nicht wirklich zu sehen ist?
Schipper: Ja. Aber ich finde es ist ein großes Missverständnis, dass es im Kino darum geht, die Dinge zu sehen. Im Kino geht es darum, die Dinge zu fühlen. „Fühlen“ ist auch wieder so ein hippieeskes Wort… Es geht im Kino um das Erlebnis. Und erlebe ich in „Victoria“ einen Banküberfall, als Fahrer, der draußen vor der Bank im Auto wartet? Ja. Im Kino wird oft der Fehler gemacht, dass man denkt, wenn man was abfilmt, dann wäre das besonders krass. Ist es aber gar nicht. Das Abfilmen löst manchmal sogar auf, was man eigentlich zeigen will. Denn der einzige Film, um den es geht, ist der Film im Kopf der Zuschauer. Man muss mal darauf achten: Je billiger der Film ist, desto doller werden die Dinge direkt abgefilmt. Das fängt damit an, dass es diesen in die Fresse gefilmten Close up nur in der Vorabendserie gibt. Überall sonst wird man immer in irgendeiner Form um etwas herum filmen. Wenn wir jetzt unser Interview hier filmen würden und die Kamera würde immer nur möglichst doll auf unserer Gesichter draufhalten, dadurch würde es nicht wahr werden. Genausowenig wird eine Szene besonders traurig, wenn man eine Träne filmt oder zeigt, wie jemand ganz schlimm heult. Der Zuschauer muss die Chance haben, etwas selbst traurig oder lustig finden zu können. Deswegen sind Leute von hinten so abgefahren. Jemand der weint und ich sehe ihn nur von hinten oder ich sehe, wie er sich in Scham abwendet… Verstecken und Verbergen ist ganz wichtig. Das direkte Zeigen ist irrelevant.

Lassen Sie uns zum Schluss noch kurz über Banküberfälle in der Kinogeschichte reden. Welche Banküberfälle überzeugten Sie am meisten: Die charmant trickreichen von George Clooney in „Out of Sight“, die emanzipierten der „Banklady“ oder die knallharte Erstürmung in Michael Manns „Heat“?
Schipper: „Heat“, ganz klar. Da bin voll drin und das ist das Entscheidende. Wenn die mit ihren schweren Seesäcken voller Geld aus der Bank kommen, Robert De Niro durch die Tür geht und sich draußen sofort umdreht und erst in die eine Richtung schießt und dann in die andere – das ist für mich eines der stärksten Bilder für: You are fucked! Es gibt keinen Ausweg. Und wie er sich dann mit reiner Willenskraft aus dieser Situation befreit, das finde ich schon… Hammer. Aber nicht vergessen darf man natürlich „Dog Day Afternoon“ mit Al Pacino.

Hundstage“ hieß der in Deutschland, von Sidney Lumet. Der stammt auch aus den 70er Jahren. Der Banküberfall dauert fast so lange wie der ganze Film.
Schipper: Ja, und er ist so schön doof. Da ist Al Pacino auch so fucking abgefahren und wie sie da so in der Bank rumfriemeln… Wahrscheinlich ist das mein Lieblingsbanküberfall.

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