Sebastian Urzendowsky

Man braucht viel Mut, um Probleme offen anzugehen

Sebastian Urzendowsky über die Bedeutung von Familie, die Arbeit am Film „Pingpong“ und die ersten Gehversuche im Schauspielstudium

Sebastian Urzendowsky

© Steffen Junghans / Arsenal

Sebastian, bist du ein Familienmensch?
Sebastian Urzendowsky: Ich habe eine ganz enge Bindung zu meiner Familie, die ist sehr wichtig für mich; insofern würde ich mich schon als Familienmensch bezeichnen, obwohl ich auch sehr gerne mal für mich bin. Wenn ich Zeit mit meiner Familie verbringe sind das immer sehr intensive Momente und wir sehen uns auch relativ häufig, auch wenn ich jetzt schon seit zwei Jahren in einer WG wohne.

Was beinhaltet für dich das Wort Familie?
Urzendowsky: Familie ist ja erstmal was rein biologisches, also deine leiblichen Eltern, die dich auf die Welt gebracht haben. Da wird’s dann aber auch schon kritisch. Wenn sich zum Beispiel deine Eltern scheiden und ein neuer Mann hinzu kommt und die Vaterfigur einnimmt, so wie es bei mir der Fall war, ist es dann aber trotzdem deine Familie. Ich bezeichne die beiden auch als meine Eltern, weil ich bei ihnen aufgewachsen bin. Familie ist für mich der kleine Kreis, in dem ich Geborgenheit finde und Menschen habe, die mir sehr nahe stehen und die ich sehr schätze.

Welche Rolle spielen deiner Meinung nach die Eltern bei der Entwicklung eines jungen Menschen?
Urzendowsky: Ich glaube die spielen eine sehr große Rolle, weil deine Eltern ja die ersten Vorbilder sind, die du hast. Das sind die Menschen, mit denen du in einer prägenden Phase viel Zeit verbringst, die dich auf deinem Weg ins Erwachsenwerden begleiten und dich stark machen für die Welt, die dich da draußen erwartet. Später wird man dann eigenständiger und sucht sich neue Orientierungspunkte, aber mit der Familie fängt halt alles an.

Wer hat dich denn in deiner Entwicklung stärker geprägt – deine Mutter oder ihr Freund?
Urzendowsky: Ich glaube, lange Zeit eher meine Mutter, weil ich auch lange mit ihr alleine gewohnt habe und wir erst später zu ihrem Freund gezogen sind. Meine Mutter hat dann mit ihm zusammen ihr neues Leben gestaltet und im Endeffekt waren dann beide für mich so eine Art Vorbild.

Wie hast du den Scheidungsprozess erlebt?
Urzendowsky: Ich war sechs als sich meine Eltern scheiden ließen und habe zuerst gar nicht so richtig verstanden was da grade zwischen meinen Eltern passierte. Dann wird man aber plötzlich mit der neuen Situation konfrontiert, und dir wird bewusst, dass da von nun an ein Mensch in der Familie fehlt, nämlich dein Vater. Ich habe mich dann aber im Laufe der Zeit mit der Situation arrangiert. Dadurch dass meine Mutter und ihr Freund sehr vorsichtig damit umgegangen sind, habe ich auch nie einen Grund gehabt mich der neuen Familie zu verwehren. Ich hatte auch nie Konkurrenzgefühle gegenüber dem neuen Mann in der Familie. Im Nachhinein bin ich schon sehr froh wie das alles verlaufen ist.

In deinem neuen Film „Pingpong“ spielst du den 16-jährigen Paul. Nach dem Selbstmord seines Vaters sucht er Zuflucht bei seinen Verwandten und trifft auf eine Reihenhausidylle mit Hund, Pool und Tischtennisplatte im Garten. Wie würdest du diese Familie, Paul noch mal ausgenommen, beschreiben?
Urzendowsky: Das ist eine Familie, in der sehr viel unter der Oberfläche passiert, aber nur ganz wenig zu Tage gebracht wird. Man hat sich auf eine formale Höflichkeit verständigt, aber das was jeden Menschen ausmacht, das was eigentlich wichtig ist, nämlich der persönliche Austausch untereinander, findet nicht statt. Probleme werden nicht ausgetragen, sondern verschwiegen und werden somit immer größer.

Glaubst du, dass es vielen Familien heute ähnlich geht?
Urzendowsky: Heute ist die Scheidung wesentlich natürlicher geworden und viele Paare bleiben eben nicht mehr zwanghaft zusammen um den schönen Schein zu wahren. Trotzdem herrscht natürlich in vielen Familien dieses Scheinbild, weil man sich damit ja auch irgendwie selbst ganz gut belügen kann. Es braucht auch sicher viel Mut, Probleme offen anzugehen, auch wenn die Konsequenz dann vielleicht heißt, dass man sich trennen muss. Ich glaube da liegt auch das Problem dieser Filmfamilie, nämlich dass sie offiziell scheinbar gar kein Problem haben.

In diese Gemeinschaft tritt Paul nun quasi als Fremdkörper ein. Die Idylle wird aufgemischt und schrittweise zerstört. Gab es in deinem Leben mal so einen Punkt, wo du in eine Gemeinschaft kamst und dich fehl am Platz gefühlt hast?
Urzendowsky: Ich war mal für ein halbes Jahr auf einem Internat in England, das lässt sich vielleicht ganz gut vergleichen. Alle kannten sich und ich war der Neue, der erstmal die offiziellen Regeln des Hauses und auch die Regeln innerhalb der Gruppe kennen lernen und verstehen musste. Das war nicht einfach, aber natürlich eine ganz andere Konstellation als im Film, weil ich in diesem Internat ja hauptsächlich mit anderen Jugendlichen zu tun hatte.

Wie bist du damals mit dieser Situation umgegangen?
Urzendowsky: Ich habe versucht die Umgebung, die Leute, das Leben an diesem Ort kennen zu lernen. Ich war nicht der, der sich hingestellt und gesagt hat: Hallo, hier bin ich! Mich hat das damals sehr stark eingeschüchtert in so eine Welt zu kommen, die sich nach außen auch nicht sofort öffnet, sondern erstmal als geschlossene Einheit vor dir steht. Da muss man erstmal eindringen. Das fiel mir nicht immer leicht.

Kommen wir noch mal zum Film. Als Pauls Onkel Stefan kurzfristig auf Geschäftsreise fahren muss beginnt die idyllische Fassade zu bröckeln. Zwischen Paul und seiner Tante Anna entsteht ein sexuelles Verhältnis mit fatalen Folgen, denn dem introvertierten Sohn Robert bleibt die neue Situation nicht lange verborgen. Wodurch ist diese Beziehung der beiden motiviert? Der Reiz des Verbotenen?
Urzendowsky: Paul sucht nach dem Tod seines Vaters zunächst erstmal einen Halt. Er dringt in diese Familie ein, macht sich breit und provoziert damit eine Reaktion. Er bekommt sehr wohl mit, dass sein Erscheinen nicht erwünscht ist, und gerade das verschafft ihm die gewünschte Aufmerksamkeit. Dass sich dann zwischen Anna und Paul eine erotische Beziehung ergibt hat sicher mehrere Gründe. Ich glaube, es vermischen sich da die Suche nach Halt gepaart mit erotischer Anziehung. Anna macht ihm ja unmittelbar vor dem Kuss und auch später vor der Liebesszene das Angebot, sich fallen zu lassen und über den Tod seines Vaters zu sprechen, obwohl sie sonst wenig Verständnis gegenüber seiner Familie zeigt. Trotzdem glaube ich nicht, dass sie das alles kühl kalkuliert. Letztendlich sucht sie auch nur nach Nähe oder zumindest nach einen Ausbruch aus der Enge der Familie.

Zitiert

Familie ist für mich der kleine Kreis, in dem ich Geborgenheit finde und Menschen habe, die mir sehr nahe stehen.

Sebastian Urzendowsky

Seinem Cousin Robert gegenüber sagt Paul kurz vor Ende des Filmes: „Ich liebe Anna“. Inwiefern sieht Paul in diesem Moment noch eine Zukunft für sich und Anna?
Urzendowsky: Ich glaube nicht dass er in diesem Moment an Zukunft denkt. Ich glaube auch nicht dass er in diesem Moment wirkliche Liebe empfindet. Paul findet ein falsches Wort für das was da grade passiert. In gewisser Weise will er sich ja auch gegenüber seinem Cousin rechtfertigen für das was passiert ist. Anna ist zunächst, abgesehen von Robert später, die einzige Person, zu der er eine Nähe aufbaut und die ihm durch die sexuelle Ebene auch scheinbar auf Augenhöhe begegnet, ihn nicht nur als kleinen Jungen abtut. Das macht ihn stolz und er hofft, dass dieses Verhältnis für Anna dieselbe Wichtigkeit hat wie für ihn. Im nächsten Moment, gerade auch nach der Rückkehr ihres Mannes Stefan, blockt sie ihn dann aber wieder ab und er ist verwirrt und fühlt sich benutzt. Er hat gehofft, dass jetzt endlich mal was gut wird. Er will die Nähe, die ihm geschenkt wurde, nicht gleich wieder verlieren. Ich glaube da spielt auch eine ganz große Verlustangst mit rein.

Wie würdest du den Charakter Paul beschreiben?
Urzendowsky: Das Interessante an Paul ist seine große Offenheit, mit der er über eigentliche Probleme drüber hinweggeht. Er verschließt sich nicht von vorne herein, wie die anderen Menschen in dieser Familie, sondern überspielt alles mit Witzen und einer Fröhlichkeit, die oft auch gar nicht angemessen ist. Paul wirkt auf den ersten Blick wie ein sehr aufgeweckter und lebenslustiger Junge, der aber gleichzeitig sehr verletzlich und sensibel ist.

Wie viel Sebastian Urzendowsky steckt in Paul?
Urzendowsky: Ich glaube, dass man sich da selber nie ganz ausklammern kann. Ich bin oft zurückhaltender als Paul. Und er wird ja auch sehr stark von dieser Verlustangst geprägt, das kenne ich von mir nicht. Ich würde nicht sagen, dass ich sehr viel von mir in Paul wieder finde. Ich habe so eine Situation wie er ja auch nie erlebt und würde mich darin auch anders verhalten, weil die Ausgangspunkte ganz andere wären. Ich bin einfach älter als er und zwischen dem Ende der Schule und dem Anfang des Studiums passiert ja auch wahnsinnig viel. Man lernt neue Menschen kennen, eine neue Umgebung und verlässt sein Elternhaus, Diese Abhängigkeit, die Paul zu Hause zu spüren bekommt, dass seine Mutter ihren Kummer auf ihm ablädt, das wäre bei mir ja gar nicht so. Ich kann meine Tür zu machen und mit meinem Kummer so umgehen, wie ich das für richtig halte – das kann Paul nicht.

Wenn du nun eine Fortsetzung schreiben würdest, was würde mit Anna, Stefan und Robert passieren, nachdem Paul das Haus verlassen hat?
Urzendowsky: Ich könnte mir vorstellen, dass das alles auseinander brechen würde. Oder es ist so, dass alle zusammen einen Konsens finden würden, das ganze Thema unter den Teppich kehren und die selbe Scheinatmosphäre wie zuvor herrschen würde. Vielleicht würde Anna aber auch stark neurotisch werden, und bräuchte ärztliche Betreuung. Bei Robert könnte ich mir vorstellen, dass er nach Paul der nächste wäre, der dieses Haus und diese Familie verlässt. Ich glaube nicht, dass er nach diesen Geschehnissen noch lange mit seinen Eltern unter einem Dach leben möchte. Ich glaube nicht, dass es durch die Ereignisse zu einer Katharsis, also zu einer Reinigung der Familiesituation, kommen würde.

Wie war dein Verhältnis zu Marion Mitterhammer (Anna) während der Dreharbeiten?
Urzendowsky: Marion ist jemand, den ich sehr bewundere! Sie ist eine fantastische Schauspielerin und hat generell eine ganz feine Art mit Menschen umzugehen. Gerade für jüngere Schauspieler ist es toll, dass sie auf sie eingeht und unterstützt, wenn sie Hilfe brauchen. Sie hat sich wunderbar in das junge Team eingefügt. Das war schön zu sehen.

Wie hast du darüber hinaus die Arbeit an „Pingpong“ empfunden?
Urzendowsky: Ich habe die Dreharbeiten sehr genossen, weil am Set eine sehr entspannte und schöne Stimmung herrschte. Das ganze Team hat an einem Strang gezogen, obwohl alle wussten, dass sie mit diesem Film nicht das große Geld machen werden. Matthias Luthardt konnte die Schauspieler und das Team einfach für seine Geschichte begeistern.

„Pingpong“ spielt nur an zwei Drehorten: Im Haus der Familie und im angrenzenden Wald. Inwiefern hat sich diese kammerspielartige Atmosphäre auf die Dreharbeiten ausgewirkt?
Urzendowsky: Das war toll, weil man diesen Ort einfach kennen lernt und irgendwann ist es halt kein Set mehr, sondern ein normales Haus, wo du dich auch mal auf den Gartenstuhl setzen kannst ohne Angst zu haben, dass du jetzt die Requisite dreckig machst. Der Ort bekommt ein Leben, wird verraut, und das hilft auch sehr beim Spiel.

Obgleich du ein gefragter Jungschauspieler bist, sieht man dich nie in den VIP-Party-Berichten der deutschen People-Magazine. Warum?
Urzendowsky: Ich glaube, ich bin nicht der Typ, der da so hinpassen würde! Das liegt aber auch daran, dass diese Zeitschriften sich nie für die Art von Filmen interessiert haben, die ich bisher gedreht habe. Ich glaube für die bin ich echt ein „No Name“, aber das stört mich gar nicht wirklich. Ich hätte auch gar keine Lust irgendwelche Party-Fotos von mir in der Zeitung zu sehen, weil da oft ja auch ein Bild von dir kreiert wird, das gar nicht mit deiner Person übereinstimmt. Es ist aber schon ganz interessant zu sehen, dass es jetzt, wo „Pingpong“ auch in Cannes ausgezeichnet wurde, schon vermehrte Interviewanfragen an mich gibt, weil Cannes irgendwie immer so ein bisschen nach Glamour klingt und da alle neugierig werden. Das bewegt sich aber alles noch in einem Rahmen, den ich sehr angenehm finde.

Seit März diesen Jahres studierst du nun Schauspiel an der Universität der Künste in Berlin. Wie empfindest du das Studium?
Urzendowsky: Ich bin da oft mit gemischten Gefühlen dabei, weil ich mich durch dieses Studium im Filmbereich sehr zurücknehmen muss. Ich habe mir nach der Schule gesagt: Du musst weiterlernen und dir neue Sachen aneignen und am kompaktesten bekommst du das eben an einer Schauspielschule mit. Darum habe ich mich für diesen Weg entschieden.

Bist du denn zufrieden mit dem Studium?
Urzendowsky: Ich finde es ist eine ganz tolle Erfahrung in der Gruppe zu spielen, den anderen zuzusehen, vor ihnen zu spielen, einfach die Möglichkeit zu bekommen sich mit Gleichaltrigen über das Spielen auszutauschen und gemeinsam neue Erfahrungen zu machen. Dadurch bekommt man viele neue Anreize und man merkt wie man mit den anderen zusammen wächst. Am Anfang hat es mich jedoch total verunsichert, dass mir so viele andere Menschen beim Proben zusehen, weil beim Film bereitest du dich zu Hause oder mit dem Regisseur vor und kommst dann ans Set und machst dein Ding. Obwohl mir die Schule gefällt, merke ich, dass mir das Medium Theater manchmal noch zu groß ist. Ich mag es nicht alles so groß vorgezeigt zu bekommen. Ich lerne es aber grade mir zu sagen: Okay, es ist halt nicht Film und ich muss das auch anders angucken. Ich kann beim Theater einfach nicht mit meinen Filmvorstellungen ankommen. In diesem Prozess befinde ich mich grade. Wir beschäftigen uns zur Zeit außerdem noch sehr viel mit selbst verfassten Szenen, und da würde ich mir schon wünschen noch mehr mit klassischen Texten zu arbeiten, einfach mit etwas neuem konfrontiert zu werden, dass nicht von mir kommt. Aber ich bin ja erst seit ein paar Monaten dabei. Ich muss da glaube ich auch etwas geduldiger werden.

Inwiefern wirst du aufgrund deiner langjährigen Erfahrung im Filmbusiness von den Dozenten anders behandelt als deine Kommilitonen?
Urzendowsky: Also, meine Kommilitonen kriegen halt mit wenn ich mal fehle und das ist nicht immer gut, weil ich ein Teil dieser Gruppe bin, und da auch gar keine Sonderfunktion einnehmen möchte, aber da wird im Großen und Ganzen kein großer Wirbel drum gemacht. Bei den Dozenten ist das teilweise schon anders, weil die natürlich auch die Position der Schule vertreten müssen und da darf man dann eben nicht fehlen. Das ist immer so ein Zwiespalt, aber irgendwie fällt das ja dann auch positiv auf die Schule zurück, wenn einer ihrer Schüler in einem Film mitspielt, der dann in Cannes ausgezeichnet wird. Ich könnte mir jetzt aber nicht vorstellen die Filmarbeit vier Jahre lang auszusetzen. Mein Interesse liegt derzeit ganz klar mehr beim Film. Theater ist so eine Welt, die ich erst noch für mich entdecken muss.

Sebastian Urzendowsky, Jahrgang 1985, wurde bereits während seiner Schulzeit als Schauspieler entdeckt und spielte 1998 in Hendrik Handloegtens preisgekröntem Debütfilm "Paul Is Dead" die Hauptrolle des jungen Beatles-Fan "Tobias". Es folgten mehr

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