Mrs. Jones, vor 15 Jahren haben Sie sich mit Ihrer Band, den Dap Kings, zusammengetan, und Ihr Label Daptone Records feiert bereits sein 10-jähriges Bestehen. Inwiefern hat sich Ihre Musik mit der Zeit verändert?
Verändert haben sich vor allem die Umstände, unter denen wir unsere Musik machen. Unser erstes Album „Dap Dippin’“ haben wir in einem einfachen kleinen Raum bei uns im Keller aufgenommen, der war höchstens sechs Quadratmeter groß. Das zweite Album haben wir dann bereits in dem Gebäude aufgenommen, dass wir jetzt in New York gemietet haben. Da haben wir unten unser Studio eingerichtet, und das hat auch einen Einfluss auf den Sound gehabt. Musikalisch geht und ging es bei uns aber immer um Funk, R’n’B und Soul. Und wie der Titel „Soul Music!“ bereits verdeutlicht, liegt der Fokus bei der neuen Platte auf Letzterem.
Sind die heutigen Zeiten denn gute Zeiten für Soul-Musik?
Natürlich. Soul-Musik passt in jede Zeit. Das ist ja das Schöne an ihr.
Wie groß ist die Soul-Szene in Amerika denn heutzutage?
Die ist im Zuge des großen Hypes vor einigen Jahren wieder riesig gewachsen, und das tut sie auch heute noch. Durch diese ganzen jungen Leute, die jetzt versuchen, auch mal ein bisschen Soul und R’n’B zu singen und sich damit brüsten, die Oldschool zurück ins Spiel zu bringen, ist sie immer größer geworden. Man sollte aber nicht vergessen: wir machen diese Musik schon seit vielen Jahren. Trotzdem ist es toll, wenn sich auch weiterhin junge Leute dafür begeistern. Und man muss sich ja nur mal ansehen, wen wir unterwegs alles aufgegabelt haben: Amy Winehouse war brillant.
Wie hoch schätzen Sie den Einfluss ein, den Sie selbst musikalisch auf Amy Winehouse gehabt haben?
Ich habe sie inspiriert, und die Dap Kings haben sie sogar live begleitet. Dieser ganze Hype war und ist ein eindeutiges Resultat unserer unnachgiebigen Arbeit. Alle Acts der letzten Jahre haben wie direkt oder indirekt mit unseren Songs beeinflusst: Adele, Mark Ronson und wie sie alle heißen. Selbst Jay-Z hat die Dap Kings gefragt, ob sie ihm was einspielen. Al Greene hat mit uns gearbeitet. Boyz II Men wollten die Horn-Section haben. Die Leute kommen von überall her, um die Dap Kings anzuheuern und den Sound zu bekommen, den wir nun seit mehr als 15 Jahren etabliert haben.
Wie stehen Sie denn zum kommerziellen Comeback von Funk und Soul? Finden Sie das gut oder haben Sie Angst vor dem Ausverkauf Ihrer Musik?
Ach, das ist schon eine gute Sache. Wir haben immer an unsere Musik geglaubt, deswegen haben wir ja auch unser eigenes Label gegründet. Die großen Plattenfirmen haben sich nämlich anfangs nicht getraut, solche Musik zu veröffentlichen. Die haben erst bei uns gesehen, dass das funktioniert. Die haben das Potenzial vorher nicht erkannt und wollten ihr Geld lieber durch kurzfristige Trends mit halbnackten Minderjährigen verdienen.
Sie sind also bei einigen Plattenfirmen vorstellig geworden und wurden abgelehnt?
Natürlich. Angefangen mit der Musik habe ich bereits in den späten 70ern. Das ist über 30 Jahre her und ich bin immer noch da. Ich war ja schon fast 40, als ich angefangen habe, mit den Dap Kings diese Funk- und Soul-Geschichten zu machen. Als ich in meinen 20ern war, haben mir die Leute bei den Plattenfirmen überall gesagt, ich wäre zu dunkelhäutig, sähe nicht gut genug aus, wäre zu klein und zu fett. Und als ich dann die 25 überschritten hatte, war ich auf einmal zu alt. Aber heute stehe ich immer noch regelmäßig auf der Bühne und veröffentliche Platten, bin immer noch dunkelhäutig, klein und angenehm rund und noch viel älter – es ist also immer noch dasselbe. Ich habe nun mal diese Stimme, mit der Gott mich gesegnet hat. Und mittlerweile haben wir auch schon seit 10 Jahren unser eigenes Label, mit dem ich meiner Ehrfurcht vor der Musik auf ehrliche Art und Weise ausleben kann.
Verspüren Sie eine Genugtuung darüber, all die Zweifler durch Ihren Erfolg eines Besseren belehrt zu haben? Oder sind Sie einfach bloß stolz?
Natürlich bin ich stolz auf das, was wir erreicht haben. Aber eine Befriedigung darüber, es den Zweiflern gezeigt zu haben, verspüre ich nicht. Mich interessiert deren Meinung überhaupt nicht. Es hat immer Leute gegeben, die nicht an mich geglaubt haben, aber daran verschwende ich keine Gedanken. Ihre miesepetrigen Kommentare können die Leute gerne woanders loswerden, aber nicht bei mir. Ich habe immer mein Ding durchgezogen, und das werde ich auch weiterhin tun. If you got it, you got it – und das kann dir niemand wegnehmen.
Die Leute kommen von überall her, um die Dap Kings anzuheuern und den Sound zu bekommen, den wir nun seit mehr als 15 Jahren etabliert haben.
Was wäre Sharon Jones denn ohne die Dap Kings?
Sharon Jones wäre immer noch Sharon Jones, aber ihr würde definitiv etwas fehlen. Denn mit den Dap Kings habe ich Leute getroffen, die als Band genau meiner Vorstellung von einer Band entsprechen und die, genau wie ich, mit einem Talent, einer Gabe und einem Gefühl für diese Musik gesegnet sind. Und guck Dir die Jungs an: die Hälfte davon ist weiß, die kommen von überall her. Aber sie haben allesamt den Soul in sich. Viele Schwarze sehen die weißen Jungs dazwischen und schon ist es für sie kein Soul mehr. Meine Definition ist allerdings eine andere: wenn der Soul direkt aus dem Herzen kommt, dann berührt er auch andere. Und das tut er, wenn die Dap Kings auf der Bühne stehen. Die geben nicht vor, jemand zu sein, der sie nicht sind. Wenn die ihre Instrumente in die Hand nehmen und loslegen, dann fühlst du es einfach.
Über Sie wurde einmal geschrieben, dass Sie auf der Bühne stets das Tier rauslassen würden. In Deutschland gibt es eine Band namens Safarisounds, deren letztes Album mit „Funkanimal“ betitelt wurde. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie dieses Funkanimal aussehen könnte?
Eine spannende Frage, auf die ich allerdings keine Antwort weiß. Ich weiß nur, dass ich mich vollends gehen lasse, sobald ich die Bühne betrete. Das sind immer Momente der Wahrheit, denn darum geht es. Ich singe von Herzen und versuche, mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Ich verwandele mich wirklich. Es ist definitiv ein Unterschied, ob ich ein Interview mit Ihnen führe oder auf der Bühne stehe. Meine Schwester hat mich vor ein paar Jahren mal im Apollo in New York auf der Bühne gesehen, und ihr erster Satz war: „Das ist nicht Sharon, das ist jemand anderes.“ Da findet wirklich eine Verwandlung statt von der langweiligen Sharon Jones in die großartige Sharon Jones (lacht). Ich öffne meinen Mund und wundere mich selbst manchmal, was da herauskommt. Und das ist wohl dieses Tier, mit dem erst einmal niemand rechnet.
Sie haben gerade von Momenten der Wahrheit gesprochen. Wie wichtig sind solche Begriffe wie Wahrheit und Ehrlichkeit in einem Genre wie der Soul-Musik?
Sehr wichtig, denn das ist ihre Essenz. Leute sagen mir oft, dass sie meine Songs fühlen würden, weil sie merken, wie viel von meiner Persönlichkeit darin steckt. Ich schreibe die Stücke zwar nicht, aber ich bringe sie zum Leben. Ich bin eine Geschichtenerzählerin und sorge dafür, dass die Leute meine Geschichten nachempfinden können. Das ist meine Herangehensweise, so interpretiere ich. Und wenn ich auf der Bühne stehe und singe, dann tue ich das immer mit reinem Herzen und vollem Einsatz. Ich performe jeden Abend als wäre es meine letzte Show. Ich sehe das als essenziellen Bestandteils meines Jobs, denn die Leute bezahlen schließlich Geld, um mich und meine Band live zu sehen. Viele Bands glauben, es gehe in ihren Shows um sie, aber das stimmt nicht: es geht um die Fans.
Dann nehmen sich andere Bands also selbst zu wichtig?
Ich möchte das natürlich nicht verallgemeinern, aber viele Bands tun das, ja. Stattdessen sollten sie die Bedürfnisse ihrer Fans ernster nehmen, denn das ist man seinen Fans schuldig. Viele junge Sänger und Sängerinnen versuchen sich aber zu sehr an alten Idolen zu orientieren, anstatt sie selbst zu sein. Ich bin hingegen, wer ich bin. Ich brauche nicht so zu tun, als wäre ich Soul. Das habe ich nicht nötig. Ich bin Soul.
In den vergangenen 10 Jahren haben Sie mit Daptone Records knapp 25 Platten veröffentlicht. Gibt es eine, die für Sie besonders wichtig ist?
Nein. Jeder einzelne Song, den ich mit Daptone aufgenommen habe, ist wichtig für mich, weil jeder einzelne dazu beigetragen hat, mich als Künstlerin weiterzuentwickeln, zu etablieren und bekannt zu machen. Ich könnte natürlich auch “I Learned The Hard Way” nennen, weil das die letzte Platte ist, die wir gemacht haben, und die bisher am besten gelaufen ist. Ich glaube, von unserem allerersten Album “Dap Dippin’” haben wir damals in der ersten Woche gerade mal 50 Stück verkauft (lacht). Aber das ist eben ein Produkt seiner Zeit, das man daher nur schwer mit unserem letzten Album vergleichen kann. Wir versuchen auf jeder Platte, die bestmögliche Musik zu machen. Das haben wir immer schon getan, und das werden wir auch weiterhin tun.
Ihre Musik ist bereits einige Male von HipHop-Künstlern wie den Jurassic 5, Kanye West oder Ghostface Killah gesamplet worden. Empfinden Sie das als eine Art Respektsbekundung?
Auf jeden Fall, und wissen Sie auch warum? Weil sie meine Musik hören und das Gefühl haben, dass sie schon drei Dekaden auf dem Buckel hat. Das ist für uns natürlich ein Kompliment. Außerdem heißt das, das wir etwas geschaffen haben, mit dem die jungen Kids auch etwas anfangen und sich kreativ auseinandersetzen können. Das ist doch toll.
Interessiert Sie Rap-Musik, deren Wurzeln ja häufig im Funk und Soul liegen?
Um ehrlich zu sein: Nein. Aber wenn sie etwas von uns samplen wollen, dann sollen sie das ruhig tun. Allerdings ist mir auch da der respektvolle Umgang wichtig. Die Leute sollen wenigstens so höflich sein und uns um Erlaubnis fragen, das gehört sich einfach so. Und wenn sie Geld damit verdienen, sollten sie uns auch etwas davon abgeben – alles andere wäre einfach respektlos. Oft ist es ja so, dass die Leute, je mehr Geld sie verdienen, sich umso weniger um die Leute scheren, denen sie das zu verdanken haben – und das kann einfach nicht sein.
Sie haben mal erwähnt, dass Sie gerne mal mit Justin Timberlake zusammenarbeiten würden, weil er ein talentierter junger Kerl wäre, der den nötigen Respekt gegenüber der Soul-Musik mitbringen würde. Steht dieser Wunsch noch?
Auf jeden Fall! Ich habe verschiedene Shows mit ihm gesehen, und ich glaube, er ist ein wirklich netter, junger Mann. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Sollten Sie ihn vor mir treffen, dürfen Sie ihm jedenfalls gerne von mir ausrichten, dass er mich mal anrufen soll (lacht).