Shirin Neshat, „Women without men“ ist ein politischer Film mit starken Frauen als Protagonisten. In der Weltöffentlichkeit überwiegt das Bild von iranischen Frauen als entrechtet, weggesperrt und wehrlos. Wie passt das zusammen?
Neshat: Iranische Frauen haben das Image des Opfers. Aber wie wir 2009 gesehen haben, ist das eine unzutreffende Vereinfachung. Sie sind nicht wehrlos, weder die Frauen noch die Männer. Die Menschen, die im vergangenen Sommer auf die Straße gegangen sind und ebenso die Frauen in meinem Film kamen in eine repressive Situation und haben sie extrem couragiert gemeistert. Sie nahmen ihr Leben in die eigene Hand.
„Women without Men“ spielt in Teheran im Sommer 1953, als der erste demokratisch gewählte Präsident Mohammed Mossadegh durch einen von USA und Großbritannien unterstützen Staatsstreich gestürzt wurde und der Schah wieder Macht erlangte. Sie sind 1975 geboren, leben inzwischen 35 Jahre in den USA. Wie kamen Sie dazu, einen Film über diese Zeit zu machen?
Neshat: Ich denke, dass das eine sehr, sehr interessante Zeit war, nicht nur politisch. Es war eine fortschrittliche, weltoffene Periode, künstlerisch, kulturell, gesellschaftlich. Ich möchte meinem Publikum zeigen, wie Iran vor der Revolution war: eine traditionelle, auch patriotische aber auch kosmopolitische Gesellschaft, mit einem prallen kulturellen und gesellschaftlichen Leben.
Warum hat das heute eine Bedeutung?
Neshat: Es gab etwas Wunderbares in dieser Zeit, was den Iranern heute fehlt: Mehr Freiheit des Einzelnen, darüber zu entscheiden, wie er sein Leben gestalten möchte.
Deshalb schauen Iraner gerne auf diese Zeit, deshalb wollte ich diesen Film machen. Denn nicht nur die Welt hat vergessen, wie wir mal waren. Wir hatten es selbst fast vergessen.
Als Sie Ihren Film im vergangenen Jahr in Cannes präsentierten, lagen die Proteste der „Grünen Bewegung“ in Iran nur wenige Wochen zurück.
Neshat: Das war ein absolut merkwürdiger Zufall, wie eine Ironie des Schicksals. Wir waren in den letzten Zügen mit der Arbeit an dem Film. Wir sahen uns diese Massenszenen an, in denen Menschen Schulter an Schulter durch die Straßen laufen und „Freiheit“ skandieren. Und dann sehen wir genau die gleichen Bilder im Fernsehen.
Welche Parallelen haben Sie entdeckt?
Neshat: Männer und Frauen haben Seite an Seite protestiert, dann, leider, die Gewalt des Staates gegen diese Widerständigen. Im Nachhinein erschien mir sogar die Figur der politischen Aktivistin Munis im Film wie eine Reminiszenz an Neda aus dem wirklichen Leben. Die Geschichte wiederholte sich.
Die während der Proteste mutmaßlich von iranischen Sicherheitskräften getötete junge Frau ist zur Ikone des Protestes geworden. Wie denken Sie darüber?
Neshat: Neda und die Art wie sie starb sind ein wichtiges Symbol der „Grünen Bewegung“.
Sie leben in New York, wie haben Sie dort die Proteste in Iran erlebt?
Neshat: In der Kunstszene ist es verpönt, ein „Aktivist“ zu sein. Mein Mann und ich scheuen diese Bezeichnung aber nicht. Wir sehen es als unsere moralische Pflicht, diese nicht gewalttätige, demokratische Bewegung zu unterstützen – mit den geringen Möglichkeiten, die wir aus der Ferne haben.
Was konnten sie tun?
Neshat: Wir haben einen Hungerstreik organisiert, Briefe an Gefangene geschrieben, mit den Medien geredet, um auf Iran aufmerksam zu machen.
Sie sind 1979 in die USA gegangen, um Kunst zu studieren, in dem Jahr verließ der Schah das Land, Chomeini übernahm nach der islamischen Revolution die Macht. Welche Rolle haben die politischen Ereignisse bei ihrer Entscheidung gespielt, wegzugehen?
Neshat: Ich bin einfach nur zum Studieren weggegangen. Auch so ein Zufall. Aber wegen der Islamischen Revolution bin ich nicht zurückgekommen.
Sie kehrten erst 1990, ein Jahr nach Chomeinis Tod, zurück. Was fanden Sie vor, wie verändert war das Land?
Neshat: Es war ein Schock. Dieses neue Regime war so ideologisch, so komplett anders, alles wurde in schwarz und weiß geteilt, dazwischen gab es nichts. Für mich war diese Erfahrung beängstigend, aber auch interessant.
Inwiefern interessant?
Neshat: Zuvor hatte ich eine eher romantische Vorstellung von der Islamischen Revolution. Erst nach meinem Besuch habe ich verstanden wie schrecklich dieses „Gefängnis Iran“ für die Menschen war, was es bedeutete.
Deshalb wollte ich immer mehr wissen, sprach mit vielen Menschen, begann zu lesen und mich zu interessieren.
Iranische Frauen haben das Image des Opfers. Aber wie wir 2009 gesehen haben, ist das eine unzutreffende Vereinfachung. Die sind nicht wehrlos.
Eines Ihrer bekanntesten Werke entstand auch aus dieser Erfahrung. Die Fotoserie „Women oft Allah“ zeigt größtenteils verhüllte, bewaffnete Musliminnen, die je ein Körperteil entblößen, auf dem Verse zu lesen sind.
Neshat: Mich mit Iran zu beschäftigen wurde irgendwann fast zu einer Obsession. Ich trage aber nicht nur Kritik in mir. Mir gefällt dieses Land auch.
Was genau gefällt Ihnen?
Neshat: Das, was den Unterschied zum Westen ausmachte. Natürlich nicht die Regierung, aber die Menschen.
In den USA fühlte ich mich oft isoliert. Erst im Iran habe ich gemerkt, dass man sich auch als Teil einer Gemeinschaft fühlen kann. Es ist schwer, das auszudrücken. Individualismus hat dort nicht so einen hohen Stellenwert, dafür sind sich die Menschen ihrer Wurzeln stärker bewusst. Es scheint, als ob das Leben in diesem Land, das einem Gefängnis gleicht, sie irgendwie stärker macht.
Dieses Bild von Iran transportieren Sie auch in Ihrem Film. Warum ist er gerade jetzt entstanden?
Neshat: Vorher war ich noch nicht reif für dieses Medium. Für mich machte es Sinn, erst die Erfahrung mit Foto und Video zu machen.
Eine Film zu drehen war eine wunderbare Erfahrung für mich, aber auch sehr schwierig. Es besteht immer die Gefahr, den Zuschauer zu langweilen.
Sie haben sechs Jahre an „Women without men“ gearbeitet. Warum hat das so lange gedauert?
Neshat: Die Arbeit war einfach noch nicht beendet, der Film noch nicht fertig. Es ist wie ein Baby. Das kommt auch erst raus, wenn es fertig ist. Und das Filmemachen ist genauso schmerzhaft wie eine Geburt.
Der Film basiert auf einem Roman, der im Iran verboten ist. Wie wurden Sie darauf aufmerksam?
Neshat: Sharnush Parsipur ist eine sehr bekannte Schriftstellerin im Iran, ich hatte ihre Bücher als junge Frau gelesen. Ihre Vorstellungskraft, ihr surrealer Stil haben mir schon immer gefallen. Trotzdem kam ich erst durch den Wink eines Bekannten auf die Idee, „Women without men“ zu verfilmen.
Die Autorin war oft im Gefängnis, ist dann in die USA emigriert.
Neshat: Es ist eine sehr traurige Geschichte, sie saß gemeinsam mit ihrer Mutter im Gefängnis, einmal fünf Jahre lang und das, als ihr Kind noch sehr klein war.
Sie haben Sie aufgespürt?
Neshat: Ja, und sie hat mich sehr beeindruckt. Trotz allem, was sie erlebt hat und trotz einer schweren Krankheit, die sie hat, hat sie immer noch eine kraftvolle, positive Ausstrahlung. Sie legt keinen Wert darauf, Karriere zu machen, berühmt zu sein. Sie ist einfach optimistisch. Dafür liebe ich sie. Ich denke, vor allem die junge Generation sollte an Sharnush Parsipur und ihr Werk erinnert werden.
Haben Sie manchmal überlegt, wie Ihr eigenes Leben verlaufen wäre, wenn Sie in Iran geblieben wären?
Neshat: Gute Frage. Es hätte wohl nicht viele Möglichkeiten gegeben. Wahrscheinlich wäre ich entweder Hausfrau geworden – woran ich so meine Zweifel habe – oder politische Aktivistin.
Was wünschen Sie dem Land, in dem Sie geboren wurden?
Neshat: Ich wünsche mir Demokratie für Iran. Dass die Energie dieser Menschen, die auf die Straße gegangen sind, sich bald auszahlt, bald Freiheit und Gerechtigkeit bringt.
Also haben Sie die Hoffnung auf einen Wandel noch nicht aufgegeben?
Neshat: Nein, Hoffnung ist sehr wichtig in diesen Zeiten.
Haben Sie schon ein neues Projekt?
Neshat: Ja, ich habe gerade den Vertrag unterschrieben. Ich drehe noch einen Film, nach dem Roman „Der Palast der Träume“ des albanischen Schriftstellers Ismail Kadare.
Ein Buch, das im stalinistischen Albanien der 70er Jahre entstanden ist und in dem die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verschwimmen.
Neshat: Ja, es gibt Parallelen zu „Women without men“.
Werden wir den Film in sechs Jahren sehen können?
Neshat: Ich denke, diesmal geht es ein bisschen schneller.