Sibel, du bist vor drei Jahren durch ein Casting zum Film gekommen und mit „Gegen die Wand“ über Nacht zur bekannten Schauspielerin geworden. Wie würdest du heute den Beruf beschreiben?
Kekilli: Interessant, spannend, vielseitig. Man kann sich ziemlich viel austoben, überall arbeiten – und man lernt einfach viel. Man muss ja nichts richtig können. Wenn man als Schauspieler eine Rolle als Arzt hat, muss man dafür kein Arzt sein, man muss nicht Lehrer sein, um einen Lehrer spielen zu können. Man muss nur so tun als ob man es kann.
Würdest du sagen, man braucht als Schauspieler eine Ausbildung?
Kekilli: Viele Schauspieler wie Daniel Brühl oder auch Julia Roberts sind nicht zur Schauspielschule gegangen und üben trotzdem den Beruf aus. Es kommt halt drauf an: Man muss sich immer weiter entwickeln und dafür braucht man nicht nur Technik und Ausbildung, sondern vor allem Erfahrung.
Ich hatte schon mal Einblick in eine Schauspielschule, aber das war nicht das Richtige für mich. Ich habe vor jedem Dreh ein Coaching, das heißt, da arbeitet man an der Stimme und mit dem jeweiligen Drehbuch. Die Schauspielschule sehe ich eher als eine Vorbereitung auf das Theater und ich möchte im Moment nicht Theater spielen. Wahrscheinlich könnte ich das auch gar nicht.
Du hast früher diverse Jobs gehabt, warst Türsteherin, Kellnerin etc. – hattest du damals eine klare Vorstellung von dem, was du im Leben machen willst?
Kekilli: Nein. Nur eins wollte ich zumindest: Ich wollte immer frei sein. Das war mein einziges Ziel, das ist es auch immer noch. Frei zu leben, so wie ich möchte, mein eigenes Leben leben. Aber was den Rest anbelangt, den Beruf, da hatte ich keine besonderen Vorstellungen.
Auch nicht als Kind mal einen Traumberuf gehabt?
Kekilli: Ich glaube, ich wollte als sechsjähriges Kind mal Model werden.
Heute bist du Schauspielerin – welchen Vorteil siehst du gegenüber deinem ‚früheren’ Leben?
Kekilli: Ich kann meine selbstzerstörerische Energie, die ganze Rebellion und Verrücktheit jetzt in meinen Rollen ausleben und muss das nicht mehr in meinem richtigen Leben tun.
Nachteile?
Kekilli: Man steht in der Öffentlichkeit. Allerdings denke ich, dass wenn man das nicht will, dann kann man das auch vermeiden, man kann sich zurückziehen.
In dem Film „Winterreise“ spielst du die junge Kurdin Leyla, die einem deutschen Geschäftsmann auf eine Reise nach Kenia folgt. Was reizt sie daran?
Kekilli: Sie ist auf der Suche nach etwas. Und sie hat ihren Vater noch nicht losgelassen, der in der Türkei durch Folter gestorben ist. Sie ist für ihr Alter andererseits sehr, sehr reif, in ihrem Alter ist es ja nicht normal, sich auf so einen Mann einzulassen, der sie auch von Anfang an beleidigt. Dazu gehört schon eine gewisse Reife. Es gibt aber auch ein großes Vertrauen zwischen den beiden, er ist für sie wie eine Vaterfigur. Und da sie sich in Deutschland auch fremd fühlt, treffen da sozusagen zwei Außenseiter aufeinander.
War dieser Film für dich einfacher als „Gegen die Wand“, weil du jetzt eine Kurdin spielst, die ‚normal’ in Deutschland lebt, also eine Figur, die im tagespolitischen Sinne nicht polarisiert?
Kekilli: Ich wurde zu „Winterreise“ auch schon gefragt: Warum spielst du eine Kurdin? Das ist für mich als Türkin auch in diesem Film keine ‚normale’ Rolle. Leyla sagt mit Stolz: Ich bin Kurdin. Das sind kleine Sätze, aber die sind wichtig. Oder dass sie sagt, sie will Ethnologie studieren, weil sie wissen will, was passiert, wenn ein Volk ausstirbt und verschwindet. Da steckt für mich auch etwas Politisches drin, und jeder Türke, der das sieht, wird genau wissen, was damit gemeint ist.
Spielst du eigentlich gerne eine Türkin bzw. Kurdin, oder fühlst du dich damit zu sehr in eine Schublade gedrängt?
Kekilli: Mir hat Hanna Schygulla mal gesagt, dass ich eigentlich froh sein sollte, dass ich eine Türkin spielen kann, weil diese Rollen einfach reicher an Geschichten sind. Wenn jemand aus der Türkei hierher gekommen ist, zum Beispiel als Migrantenkind, dann hat das mehr Hintergrund, mehr Geschichte – da hat Hanna Schygulla vollkommen recht. Deswegen ist es mir eigentlich egal, solang es keine klischee-türkischen Rollen sind. Frauen wie in „Gegen die Wand“ oder „Winterreise“ spiele ich gerne, das stört mich nicht.
Vor nicht langer Zeit lief im deutschen Fernsehen der Film „Wut“, in deren Mittelpunkt eine aggressive türkische Jugendgang stand. Wie stehst du zu so einem Film, kann so ein Film helfen, über reale Verhältnisse aufzuklären?
Kekilli: Ich habe „Wut“ noch nicht gesehen. Aber wenn er die Türken nur schlecht darstellt und die Deutschen nur als Opfer, dann ist es kein Aufklärungsfilm. Es gibt immer zwei Seiten. Ich weiß zwar, dass meine Generation gerade einen Schritt zurück macht, traditionell türkischer wird, aber das liegt nicht nur an den Türken sondern auch an den Deutschen. Weil sie die Türken einfach nicht akzeptieren. Leute wie Fatih Akin, Birol Ünel und ich werden hier immer noch so abgetan „Ja ja, die Türken…“
Dieser Rückschritt den du beschreibst, welche Ursachen hat der, hat es etwas mit dem 11. September zu tun…
Kekilli: Das hat mit vielen Dingen zu tun. Mit dem 11. September, mit den Ehrenmorden in Deutschland… Der Ehrenmord hier auf der Straße in Berlin, das war wahrscheinlich deswegen so ein riesiger Aufschrei, weil es auf offener Straße passiert ist, weil es eine Mutter war von einem Kind. Vorher wurden aber auch schon Mädchen getötet, hier in Deutschland. Aber es muss wahrscheinlich zum 100. Mal passieren, damit die Leute aufwachen. Wir sind viel zu spät aufgewacht.
Siehst du Film als wichtiges Instrument dafür, zwischen Kulturen zu vermitteln?
Kekilli: Ein Film wie „Gegen die Wand“ kann das auf jeden Fall. Da bekommt man glaube ich ein bisschen einen Einblick, wie die Türken hier leben. Nicht nur die Deutschen, auch die Türken in der Türkei kriegen durch den Film diesen Einblick.
In „Winterreise“ spielt auch die „Nigeria-Connection“ eine wichtige Rolle, die für ihre betrügerischen E-Mails bekannt ist. Bekommst du auch solche Mails?
Kekilli: Ja.
Schon mal beantwortet?
Kekilli: Nein.
Guckst du eigentlich viel ins Internet, was man dort über dich schreibt?
Kekilli: Nein. Ich habe ganz am Anfang den Fehler gemacht, oft ins Internet zu gucken. Irgendwann habe ich mich gefragt, warum. Das sind Menschen, die ich nicht kenne, die da über mich schreiben.
Ich bin für Kritik gerne offen, wenn sie fair ist – und die kommt meistens von Menschen, die ich kenne. Die sagen mir dann: „So geht es nicht, mach’s lieber so.“
Ich würde mich sonst doch nur aufregen. Auch wenn gute Sachen im Netz stehen, da stehen genau so viel schlechte Sachen. Und mich interessiert das nicht. Sich damit zu beschäftigen wäre Zeitverschwendung.