Sinèad O'Connor

Die Politik ist das Problem, nicht die Lösung.

Sinèad O`Connor über ihr Album "How About I Be Me (And You Be You)", den Arabischen Frühling und Musik als Medizin

Sinèad O'Connor

© One Little Indian Records

Sinéad O’Connor, auf dem Cover Ihres neuen Albums sieht man ein kleines Mädchen, vielleicht zwei Jahre alt, das auf einem Fensterbrett sitzt und nach draußen schaut, dazu hält es dem Betrachter die Hand entgegen, als würde es sich gegen fremde Blicke wehren wollen. Was hat es damit auf sich?
Ich mag das Bild, weil es mich so an den Titel der CD erinnert hat. Es stammt von einem irischen Maler namens Neil Condron und trägt den Titel "Upon small shoulders", ich habe es vor ein paar Monaten entdeckt, es ist das erste Bild das ich jemals gekauft habe. Ich mache so etwas sonst nicht.

Was sagt das Bild für Sie aus?
Ich glaube das Kind hat etwas gehört, dass von draußen, irgendwo aus der Luft kam und es will weiter zuhören. Mit seiner Geste wehrt es sich gegen alle, die es mit irgendwelchem Gequatsche zutexten wollen. Sie sagt so etwas wie: "Behaltet eure Meinungen für euch. Lenkt mich nicht ab. Shut the fuck up!".

Der Titel Ihrer CD heißt doch aber "How About I Be Me (And you be you)"…
Ja, für mich ist aber "Shut the fuck up!" seine wahre Bedeutung. Dieses Mädchen will ihre ganze Aufmerksamkeit dem schenken, was ihr wirklich wichtig ist, was in ihr selbst vorgeht, ihrer Musik zum Beispiel.

Haben Sie sich das Bild zuhause an die Wand gehängt?
Ich sollte das vielleicht nicht sagen, sonst kommt noch jemand vorbei und klaut es. (lacht) Aber ja, es hängt in meinem Schlafzimmer.

Sie beginnen das Album mit dem Song "4th & Vine", in dem sich eine äußerst gut gelaunte Braut für ihre Hochzeit aufhübscht…
Ich war nicht für die Reihenfolge der Titel auf der CD zuständig. Normalerweise kümmere ich auch darum, aber diesmal habe ich die Entscheidung dem Produzenten überlassen. Alle Songs auf dem Album wurden zwischen 2007 und 2009 geschrieben, also machen Sie bitte nicht den Fehler, jüngste Ereignisse in meinem Leben mit diesen Songs in Verbindung zu bringen.

Sie spielen auf Ihre vierte Ehe an, die im letzten Dezember für Schlagzeilen sorgte, weil Sie sich nach nur 16 Tagen wieder haben scheiden lassen. Auch "4th & Vine" klingt so, als hätten Sie zum Heiraten ein ähnliches spielerisches Verhältnis wie ein Kind zu einer Faschingsparty.
Ich glaube, das ist kompletter Quatsch, was Sie da sagen. Der Song ist einfach aus der Perspektive eines Mädchens geschrieben, das sich eine Hochzeit so vorstellt, wie sich Mädchen Hochzeiten eben vorstellen. Nächste Frage.

Okay, reden wir von etwas völlig Anderem. Als ich kürzlich in Tunis in einer Bar saß, die man wohl als "links" bezeichnen würde, voll von jungen Männern, die wie Che Guevara aussahen, lief dort zufällig Ihr zweites Album "I Do Not Want What I Haven’t Got".
Oh wirklich? Interessant.

Zitiert

Wir sind darauf geeicht, all unsere Probleme bei der Politik abzuladen. Das ist aber Zeitverschwendung. Ich bringe mich lieber spirituell ein.

Sinèad O'Connor

Haben Sie jemals Reaktionen von Hörern aus der arabischen Welt bekommen?
Nein. Aber möglicherweise haben die Menschen da einfach eine andere Art von Weisheit im Umgang mit Künstlern. Sie werden nicht zu Stalkern, zu verrückten Fans, die einen belagern oder ständig Fanpost schicken. Sie lassen einen in Ruhe.

Ich erwähne Tunis, weil dort 2010 der „Arabische Frühling“ begann. Sie singen nun "Ich wollte die Welt verändern, aber ich schaffe es nicht mal, meine Unterwäsche zu wechseln." Mit welchen Augen sehen Sie die Demonstrationen und Umwälzungen in der arabischen Welt?
In diesem Song, den John Grant geschrieben hat, "Queen Of Denmark", geht es um das, was wir gerne Luxusprobleme nennen. Die Menschen in den arabischen Ländern riskierten hingegen tatsächlich ihr Leben, nur um für sich selbst einstehen zu können. Sie befanden und befinden sich ja zum Teil noch in einer Lage, die viel unberechenbarer und gewalttätiger ist als alles, was ich, oder John Grant in unseren Leben durchmachen mussten. Wenn wir davon reden, die Welt zu verändern, hat das nicht dieselbe Dimension, wie in der arabischen Welt. Wir sind nur dumme kleine Sänger. (lacht)

In jener Kneipe in Tunis wurde außer Ihrer Platte noch Bob Marley gespielt.
Marley ist sicher jemand, der zur Symbolfigur für Revolutionen taugt. Aber was mich angeht – als Künstlerin geht es mir vor allem darum, Emotionen zu vermitteln, etwas auszudrücken, worüber die Menschen normalerweise nicht reden. Ich kann daher schon nachvollziehen, dass meine Musik überall auf der Welt Gehör findet, wo man nicht gewohnt ist, Gefühle öffentlich zu machen, egal, ob es sich nun um Schmerz oder Freude handelt. Ich bin eher für den Soundtrack zum Gefühlsleben der Menschen zuständig, aber auch nur auf dieselbe Art, wie es alle Musiker sind. Ich sehe mich daher selbst auch überhaupt nicht als politische Künstlerin.

Allerdings klingt es in Ihrem aktuellen Song "VIP" schon so, als würden Sie politisches Engagement einfordern, auch von Kollegen…
Ich würde das nicht "politisch" nennen. Ich glaube nicht, dass die Politik irgendetwas ändern kann, denn die Politik ist das Problem, nicht die Lösung. Kriege resultieren immer aus bestimmten geistigen Haltungen, man könnte auch sagen, wo es Krieg gibt, gibt es immer ein spirituelles Problem. Und das kann nicht durch die Politik gelöst werden, sondern nur über Spiritualität. Ein ganz banaler Beweis dafür ist, dass man niemals einen Politiker sieht, der das Wort "Liebe" in den Mund nehmen würde.Nicht mal Menschen, die sich für spirituell halten bringen das fertig.

Aber warum nicht?
Das Problem ist doch, dass die Liebe einfach nicht mehr im Bewusstsein der Menschen verankert ist. Wir sind eben darauf geeicht, all unsere Probleme bei der Politik abzuladen. Das ist aber Zeitverschwendung. Ich bringe mich lieber spirituell ein. Wenn ich also verfolge, was in der arabischen Welt passiert, dann sehe ich Menschen, die spirituell agieren, die um ihre Seelen kämpfen. Politisch mögen die bisher erreichten Veränderungen eher enttäuschend sein, aber spirituell ist der Arabische Frühling sehr inspirierend.

Sie singen in "VIP" von einer Zeit, in der Künstler die Funktion hatten, die Bedürfnisse der Menschen zu artikulieren. Heute gibt es für jeden die Möglichkeit, sich über Social-Media-Plattformen selbst zu artikulieren. Werden Künstler in dem Sinne noch gebraucht?
Auf jeden Fall und zwar dringend, schließlich steht die ganze Welt in Flammen. Ich selbst sehe mich allerdings eher als eine Art Ärztin. Meine Musik ist der Arzneikoffer, mit dem ich über das Schlachtfeld ziehe, um heilende Medizin dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wird.

Bob Dylan hat einmal gesagt, er würde keine Musik machen, wenn er nicht davon überzeugt wäre, dass sie einen "heilenden" Effekt habe…
Dazu ist sie da. Ich löse eine Blockade mit der Musik. Wenn ich Konzerte gebe, kann ich immer wieder hören, wie Männer im Publikum anfangen zu weinen. Das ist wie bei einem Doktor, der in einen Abszess hineinschneidet und mit einem Mal der ganze Eiter rauskommt. Das mache ich mich mit Musik; ich bringe die Gefühle der Menschen zum Vorschein, die guten und die schlechten. Allein, dass die Menschen weinen, ist ja schon ein heilsamer Prozess.

Sie haben unlängst in einem TV-Interview erzählt, Bob Dylan, Curtis Mayfield und Bob Marley wären für Sie der Beweis, dass es "einen Gott gibt". Haben Sie auch Heldinnen, die Sie zu dieser Reihe zählen würden?
Eigentlich nicht. Das heißt nicht, dass es da draußen nicht Frauen gebe, die ich für absolut großartig halte. Aber aus welchen Gründen auch immer neigen wir Frauen anscheinend nicht so sehr zur spirituellen Repräsentanz. Das muss auch nicht sein.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.