Skin und Ace, ihr habt vor kurzem ein eigenes Label gegründet, auf dem nun eure neue Platte „Black Traffic“ erschienen ist. Empfehlt ihr diesen Schritt auch anderen Bands?
Skin: Wenn du als Musiker ein bestimmtes Level erreicht hast, ist das eine gute Sache, das gibt dir mehr Macht und Kontrolle. In vielen anderen Genres ist es ja durchaus üblich, ein eigenes Label zu gründen. Zum Beispiel R’n’B-Musiker oder Rapper, mit das Erste, was die machen: sie gründen ein eigenes Label, auch wenn sie oft gar nicht wissen, wie man so ein Label managt, das ist für die eher eine Art Status-Symbol.
Wir sind nun eine international bekannte Rockband, da ist ein eigenes Label schon eine komplizierte Angelegenheit. Aber wir haben zuletzt genug Geld verdient, auch auf den Festivals letztes Jahr, weshalb wir in der Lage waren, unser neues Album erst selbst zu finanzieren, um es dann an verschiedene Plattenfirmen zu lizenzieren.
Aber selbst wenn ihr es selbst in der Hand habt dürften die Erlöse aus Plattenverkäufen nicht so groß sein, wie noch in den 90er Jahren.
Skin: Ich denke angesichts der sinkenden CD-Verkäufe, dass gerade eine neue Ära beginnt, die Leute probieren jetzt andere Lösungen aus. Wenn wir zurückschauen: die Musiker wurden in der Vergangenheit ja immer von den Plattenfirmen ausgenommen. Das begann schon in den 40er und 50er Jahren, als Blues-Musiker für Aufnahmen ins Studio geholt und mit fünf Dollar abgespeist wurden. Wenn man sich heute einen gängigen Plattenvertrag anguckt: das ist alles so falsch, unfair und gegen die Interessen des Musikers.
Hattet ihr mit Skunk Anansie denn unfaire Verträge?
Skin: Ja, ich rede von einem Plattenvertrag, wie er in der Musikindustrie Standard ist und den du unterschreiben musst. Von einer verkauften CD bekommst du dann nur einen winzigen Anteil.
Ace: 17 Prozent sind es normalerweise. Dann fordert die Plattenfirma aber noch das Geld ein, das sie dir für die Albumproduktion zur Verfügung gestellt haben, so bleiben dir am Ende vielleicht 14 Prozent. Das heißt, wenn eine CD früher 10 britische Pfund kostete, hast du davon ein bisschen mehr als einen Pfund bekommen.
Skin: Das Finanzielle ist das eine, dann kommt auch noch die Rechteangelegenheit hinzu. Du gibst mit so einem Vertrag ja die Rechte an deiner Musik für immer ab, du besitzt nie deine eigene Musik.
Ihr habt keine Rechte an euren früheren Alben?
Skin: Ja und nein.
Ace: An den ersten beiden Alben haben wir sie nicht. Wir könnten die Songs allerdings neu aufnehmen und wiederveröffentlichen, daran hätten wir dann die Rechte – aber dazu müssten wir sie definitiv nochmal neu einspielen.
Skin: Ich denke, diese Dinge müssen und können sich heute ändern. Wir als Urheber haben jetzt die Möglichkeit, einer Plattenfirma zu sagen: „Ich gebe dir meine Rechte nicht für die Ewigkeit, sondern nur für fünf oder zehn Jahre. In der Zeit kannst du die Rechte auswerten und danach liegen sie wieder bei uns.“ Das würde ich fair finden. Es ist jetzt einfach an der Zeit, dass das Verhältnis zwischen Musikern und Plattenfirma neu definiert wird.
Werden Major-Plattenfirmen in, sagen wir, fünf Jahren noch benötigt?
Skin: Was das System insgesamt und die Lizenzierung betrifft, denke ich schon. Die haben ihr Netzwerk auf der ganzen Welt und das funktioniert.
Aber ich sehe auch, dass die Plattenfirmen zurückgeblieben sind. Die versuchen immer noch Kinder wegen illegaler Downloads ins Gefängnis zu stecken, das ist so lächerlich. Im Grunde ist das ein Haufen alter Leute, die nie einen Computer auf dem Tisch hatten – und als die ersten Computer angeschafft wurden haben sie andere Leute eingestellt, diese zu bedienen, weil sie Computer und das Internet nicht verstanden haben. Die haben auch nicht verstanden, dass eines der grundlegenden Dinge im Internet die Community und das Teilen von Inhalten ist. Aber sie wollen nicht teilen, in ihren Firmenköpfen gibt es nur den Wettbewerb. Während es für Jugendliche heute wichtig ist, Informationen im Netz zu teilen, besteht die Firmen-Mentalität darin, zu konkurrieren.
Aber die werden auch irgendwann alt werden, in Rente gehen und sterben – und dann verändern wir das. Dann werden die neuen Chefs Leute sein, die mit dem Internet aufgewachsen sind, und die werden neue Wege ausarbeiten, um Geld zu verdienen, aber auch, damit Musiker von ihrer Musik leben können.
Habt ihr denn eine konkrete Vorstellung, wie das Musikgeschäft in fünf bis zehn Jahren aussieht?
Skin: Ich könnte mir vorstellen, dass du in Zukunft so eine Box in deinem Haus hast, mit der du Musik direkt von den Künstlern kaufen kannst, von ihrer Website. Es wird eine Suchmaschine geben, über die du das Album direkt vom Künstler kaufen kannst.
Auf eurem neuen Album „Black Traffic“ geht es auch um politische Themen. Nigel Kennedy schimpfte im Gespräch mit Planet Interview über englische Politiker, keinem von ihnen könne man vertrauen. Welches Bild habt ihr im Moment von englischen Politikern?
Skin: Das politische Klima in England ist fürchterlich. Es gab diesen entscheidenden Moment in unserer Geschichte, 1994, als der Labour-Vorsitzende John Smith starb und Tony Blair seinen Platz einnahm. Das war ein trauriger Moment, weil Don Smith so viel besser gewesen wäre.
Und dann, etwas später, als David Miliband für den Vorsitz nominiert wurde, hat sich hinter seinem Rücken sein Bruder Ed reingeschlichen. Die Leute, die an die Macht kommen, scheinen oft hinterhältig und böse zu sein, sie schrecken auch nicht davor zurück, den eigenen Bruder oder die eigene Großmutter zu hintergehen.
Damit hat vermutlich auch euer Song „I Believed In You“ zu tun.
Skin: Ja, da geht es um die Versprechen, die die Politiker machen, wenn sie gewählt werden wollen. Dann kommen sie mit allen möglichen Arten von Versprechen daher, sie werden im Wahlkampf so aufgebauscht, dass du glaubst, sie sind Superman und Gott, sie werden die Welt retten und alles verändern, „yes we can“. Und dann kommen sie an die Macht, können aber nichts ändern, weil sie die Fäden gar nicht in der Hand haben. Die Mächtigen sind schließlich die, denen das Geld, der Pfund und der Dollar gehört.
Ich finde, man sollte solche Wahlkampagnen stoppen. In den USA geht es momentan ja nur darum, welcher Kandidat mehr Spenden zusammenbekommt, um die die größere Wahlkampagne zu starten. Wenn die Höhe der Spenden am Ende darüber entscheidet, wer unsere politischen Führer sind, dann haben wir verloren.
Wie erlebt ihr die Jugendlichen in Großbritannien, sind die an Politik interessiert?
Skin: Ich denke, da war die Occupy-Bewegung fantastisch und hat geholfen, junge Leute für eine sehr komplexe Thematik zu interessieren. Vorher haben die Leute nicht verstanden, was Hypotheken sind, was Rezession bedeutet und wie wir wirtschaftlich in diese Situation geraten sind. Insofern fand ich es großartig, dass sich wieder junge Leute in die Politik einmischen, auf die Straße gehen anstatt nur in Clubs abzuhängen und eine Menge Drogen zu konsumieren. Ich selbst habe so auch viele Dinge gelernt, weil ich verstehen wollte, wie wir in dieses Chaos geschlittert sind. Vor zwei, drei Jahren hätte das noch niemand verstanden, wie sehr wir von Unternehmen und Finanzströmen abhängig sind.
Skin, lebst du eigentlich wieder in England?
Skin: Ja, ich bin vor zwei Monaten wieder nach England zurückgezogen. Aber ich habe immer noch ein Haus auf Ibiza.
Könnte man eure neuen Songs „This Is Not A Game“ oder „I Believed In You“ als Protestsongs bezeichnen?
Wir als Urheber haben jetzt die Möglichkeit, einer Plattenfirma zu sagen: Ich gebe dir meine Rechte nicht für die Ewigkeit, sondern nur für fünf oder zehn Jahre.
Skin: Die Art und Weise wie wir über Politik reden ist eine persönlich-politische, ich schaue dem Politiker ins Auge und sage „Ich habe an dich geglaubt, aber ich habe mich in dir getäuscht“. Wenn ich heute Tony Blair oder David Cameron begegnen würde, ich würde ich ihnen genau das ins Gesicht sagen. Und ich habe Blair tatsächlich gewählt.
Ich denke, so ist es eindringlicher, als wenn ich nur sagen würde: „Bekämpft den Staat!“ Wir sind da persönlicher und beschreiben, wie wir uns in dieser Welt fühlen, wie unser Leben davon beeinflusst wird, was es mit uns Bandmitgliedern macht.
Wie reagiert ihr, wenn andere Bands politische Botschaften verbreiten?
Skin: Das kümmert uns eigentlich kaum, höchstens lernen wir von deren Fehlern. Wenn du singst: „Lehnt euch auf, bekämpft den Staat, zerstört das System“ – was würde das bringen? Schließlich braucht man ein System, man muss Anführer auswählen. Du brauchst auch ein Finanzsystem, das kannst du nicht einfach abschaffen, ansonsten würde alles kollabieren und du würdest sterben, weil du nichts zu essen bekommst. Der Staat übernimmt viele Dinge, er kümmert sich auch um die Gemeinde, um deine Großmutter, Essen auf Rädern usw. – wenn ich dann solche Texte höre, finde ich das armselig, weil es leere politische Botschaften sind, die nichts bedeuten und niemanden helfen.
Ihr habt einst erwähnt, dass ihr in den Anfängen von den Sex Pistols beeinflusst wart…
Skin: Was den Sound anbelangt, ja.
Und was die politische Aussage betrifft? Wie rebellisch wart ihr damals eingestellt?
Skin: Wir haben damals den Song „Yes It’s Fucking Political“ geschrieben, in einer Zeit,wo eigentlich niemand etwas mit Politik zu tun haben wollte. Aber Politik ist in allem was du tust, in jeder Entscheidung, die du triffst. Wenn du Müll auf die Straße wirfst, dann ist das politisch, du missachtest die Umwelt.
Also, wir haben schon früh in unserer Musik sehr persönliche Kommentare abgegeben, aber immer in dem Wissen, dass wir das politische System, das wir haben, auch brauchen. Es sind nur die Menschen, die dem System schaden: es kommen nicht die richtigen Politiker an die Macht, die etwas Gutes bewirken könnten. Es sind ja schließlich nicht alle Politiker böse. Und Politik ist für jedes System ein notwendiger Grundpfeiler. Alles andere wäre wohl eine Diktatur.
Gibt es dennoch etwas, wo ihr so etwas wie eine Punk-Attitüde habt?
Ace: Wir haben dieses Feuer, Musik zu kreieren.
Skin: Also, „Punk-Attitüde“, damit hätte ich jetzt ein Problem, das klingt so wie ein „Eau de Punk“, das man überall raufsprüht. Ich denke, wir haben keine Punk-Attitüde, weil wir nie so unrealistisch gedacht haben. Wir haben eine wilde, direkte, ein bisschen aggressive Art, das ja. Aber Punk in den 70ern – da wollten die Kids ihre Individualität ausdrücken, doch das ist sehr lange her.
Ace: Wenn „Punk-Attitüde“ bedeuten würde, wahrzunehmen, was um dich herum passiert, es zu kommentieren, sich darüber vielleicht auch zu beklagen… Das hat Punk ja durchaus gemacht hat, vorher hat jeder über „Smoke on the water“ gesungen, über Fantasy und „Ziggy Stardust“, dann kamen die Punks und sagten: Dies und das gefällt uns nicht, wir wollen anders sein, die Leute haben Dinge über ihre soziale Umgebung gesagt, die sie wirklich gedacht haben. Und wenn das Punk ist, ja, dann besitzen wir so eine Haltung. Wir sind uns Dingen bewusst, bringen sie zum Ausdruck.
Etwas anderes ist es, wenn die Leute jetzt auch Blink182 Punk nennen,
Skin: …oder Green Day. (lacht)
Ace: Da ist die Musik vielleicht Punk, aber nicht die Texte.
Skin: Ich denke, dieses Wort ist einfach auch aus einer anderen Zeit, es steht in keinem Verhältnis zu Skunk Anansie im Jahr 2012, um ehrlich zu sein. Wir haben eher eine Brixton-Haltung, eine Londoner Art. Musikalisch war Punk für uns ein ganz wesentlicher Einfluss, aber nicht was den Inhalt anbelangt. Und wir haben unser Leben auch nie wie Punks gelebt. Ich will auch nicht in einem besetzten Haus leben. Und wenn sich heute jemand so sehr auf Punk bezieht finde ich das immer auch ein bisschen albern.
Skin, seit es Skunk Anansie gibt, bist du als starke Frontfrau in Erscheinung getreten. Bist du auch der Boss in der Band?
Skin: Nein, wir haben keinen Boss. Wir sind vier sehr willensstarke Individuen. Ich bin sehr gut darin, den Überblick zu behalten, ich bin diejenige, die mal aussteigt und sich das alles von außen anschaut.
Klar, weil ich die Texte singe, habe ich eine wichtige Funktion, aber es gibt keinen Boss, das würde auch nicht funktionieren, dafür sind unsere Egos zu groß. Wenn ich mir vorstelle, Ace wäre jetzt mein Boss, dann wäre ich niemals mit ihm zusammen in einer Band. Denn letzten Endes sind wir ja deswegen in einer Band, weil wir nicht wollen, dass irgendjemand über uns bestimmt.
Ace: Ich finde, das ist auch ein Zeichen von Intelligenz und Reife, die Leute sein zu lassen, wie sie sind, Räume für jeden zu haben, damit es für alle funktioniert. Wir erfüllen in der Band alle unterschiedliche Funktionen und wir wissen genau, wann wir nach vorne gehen und wann wir einen Schritt zurücktreten, denn zu viele Köche verderben nun mal den Brei.
Was für Eigenschaften braucht man als Frontfrau?
Skin: Man muss schon sehr gut darin sein, die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen. Das ist etwas, was ich ein- und ausschalten kann. Wenn du auf die Bühne kommst musst du etwas haben, was jeden dazu bringt, dich anzugucken. Ein Teil davon lässt sich erklären – du kannst bestimmte Reaktionen mit deiner Gestik erreichen, mit der Stimme, mit Klamotten – und der andere Teil ist unerklärlich, manche Leute haben es und manche nicht.
Und deine unverwechselbare Stimme, war die schon immer so?
Skin: Anders als bei Instrumenten, ist es mit der Stimme doch so, dass du sie entweder hast, oder nicht. Du wirst damit geboren, du kannst das nicht lernen. Du kannst versuchen, deine Stimme zu verbessern, sie trainieren und entwickeln – aber wenn du nicht singen kannst, dann kann dir das auch niemand beibringen.
Hast du Unterricht genommen?
Skin: Ja, in den Anfängen hatte ich Stimmtraining, um zu lernen, wie ich meine Stimme benutze und schütze. Aber der Ton und all das – das ist einfach da, das kannst du nicht ändern. Du kannst nur lernen, wie du mit deiner Stimme umgehst, sie trainieren, wie ein Muskel, der kräftiger wird.
Und wie schützt du deine Stimme?
Skin: Schlaf ist wichtig, nicht zu viel trinken, keine Drogen, gesund bleiben, sich gesund ernähren… Wenn du dich um deinen Körper kümmerst dann ist das natürlich auch gut für deine Stimme, sie ist ein Teil deines Körpers.
Du hast sogar einmal mit einem der größten Opernsänger auf der Bühne gestanden…
Skin: Mit Pavarotti, ja. Aber ich habe sehr schlecht gesungen, ich konnte mich auf der Bühne nicht hören.
Du und er haben gemeinsam ein Duett gesungen, keine Opernarie sondern einen Song von Skunk Anansie. Hat dich das stolz gemacht?
Skin: Ja, auf jeden Fall. Ich hätte mir nur gewünscht, dass ich besser gesungen hätte, ich fand mich wirklich ein bisschen schwach.
Wenn man sich den Videoclip anschaut wirkt es fast so, als sei Pavarotti ein wenig scheu gewesen…
Skin: Oh, es ist lange her, dass ich mir den Clip angeguckt habe.
Ace: Ich würde nicht sagen, dass er scheu guckt, im Gegenteil, er ist so gewaltig, seine Aura ist noch größer als er selbst, diese Eindringlichkeit, der Ruhm, seine lange Karriere…
Skin: Ich würde auch nicht sagen, dass er scheu war. Nein, Pavarotti hat sich vielleicht etwas zurückgenommen – um mir zu helfen (lacht).