Sophie, wir sitzen hier im Gebäude der Plattenfirma Universal Music, die vor kurzem dein Album „Monday’s Ghost“ veröffentlicht hat. Was bedeutet so ein Plattenvertrag für dich?
Hunger: Es gibt natürlich die Klischees, dass ein Plattenvertrag dazu führt, dass die Musiker alle ihre Rechte aufgeben usw. Aber die gelebte Realität sieht meistens ein bisschen anders aus. Ich bin bei Universal Jazz, die erwarten von mir glaube ich nicht, dass ich viel Geld verdiene. Ich wüsste auch nicht, was sich bei mir durch einen Plattenvertrag ändern sollte. Ich mache das, was ich mache.
Was ist schweizerisch an dir?
Hunger: Ich bin Schweizerin, aber ich war auch oft im Ausland wohnhaft und habe mir das Land sozusagen von außen angeschaut. Es ist ein zwiespältiges Verhältnis.
Wie siehst du die schweizer Musiklandschaft, ist es einfach bekannt zu werden?
Hunger: Wir haben in den letzten zwei Jahren viel in der Schweiz gespielt, das war eigentlich immer einfach. Wir waren physisch sehr präsent, jetzt ist auch die CD sehr präsent. Aber die andere Seite, das ganze Mediale, das ist in der Schweiz sehr klein und kein Vergleich zu Deutschland. Es gibt im Fernsehen zum Beispiel keine Sendung, wo es um Musik geht.
Und Radio?
Hunger: Das Radio funktioniert in der Schweiz glaube ich ähnlich wie in Deutschland, amerikanisches Hit-Radio halt, es wird nicht viel schweizer oder europäische Musik gespielt. Der Sound ist sehr dicht, es gibt keine Stücke wo man nur eine Gitarre und eine Stimme hat, alles ist sehr laut aufgenommen, laut abgemischt, zwei Minuten – da kann man zwischendurch kein Lied von Tom Waits von den „Early Recordings“ spielen. 20-jährige zwangseuphorische Menschen, das ist schweizer Radio.
Kommerziell.
Hunger: Aber alle Musik ist kommerziell, was heißt das? Weil man es verkauft ist es kommerzielle Musik. Ich mache auch kommerzielle Musik.
…und du wirst inzwischen auch im Radio gespielt.
Hunger: In Frankreich werde ich gespielt, auf der A-Liste. Im Welschland auch. In der Deutsch-Schweiz im nationalen Radio.
Aber ich selbst höre kein Radio, ich habe auch kein Auto mehr. Wenn überhaupt höre ich France Inter.
Wie entscheidest du, ob du einen Song auf Englisch, Französisch oder Schweizer-Deutsch singst?
Hunger: Wenn ich anfange ist es meistens automatisch klar, das ergibt sich durch das Spiel. Ich fange an und dann ergeben sich einfach Worte, die passen. Sätze. Und dann geht das weiter.
Und die Musik kommt auch einfach so?
Hunger: Ja, bisher schon.
Wird die aufgeschrieben?
Hunger: Nein, ich nehme einen Song zuerst mit Garageband (Musiksoftware) auf. Wenn es etwas komplizierter ist und ich mehrere Instrumente einspielen muss, nehme ich es mit Logic (Musiksoftware) auf, mit Mikrophon. Wenn ich damit fertig bin, sende ich das Material an meine Mitmusiker und wir suchen eine Version, die wir zusammen spielen können.
Die Arrangements auf deinem Album „Monday’s Ghost“ sind vielschichtig – das ist alles nicht notiert?
Hunger: Nein. Ich wüsste auch nicht, wie. Das könnte ich nicht. Es ist aber auch nicht nötig, die Musik ist nicht so schwierig, als dass man sie aufschreiben müsste.
Wie war das denn bei dir mit der Musikausbildung?
Hunger: Ich habe als Kind ein paar Jahre Klavierunterricht gehabt. Davon ist mir aber nicht viel geblieben, das merke ich in der Kommunikation mit meinen Musikern. Die unterhalten sich sehr technisch untereinander – das kann ich nicht. Ich spiele es ihnen dann einfach vor. Wobei ich meistens nicht so genau weiß, was ich eigentlich spiele. Aber sie können es dann benennen. Ich höre ihnen auch gerne zu, wie sie darüber reden, „da gibt es einen Tonartwechsel“ – ich dann: „Ach so, einen Tonartwechsel, okay…“ Sie sind sich darüber im Klaren, was sie tun.
Du nicht?
Hunger: Nicht so wie sie. Ich mache es und bin mir im Klaren darüber, dass es passiert, ich höre es ja – aber ich weiß nicht genau, was es ist.
Bei „Mondays Ghost“ stand dir ein Produzent zur Seite.
Hunger: Ja, Marcello Guiliani, er war der Bassist von Erik Truffaz, ich habe mit ihm schon vorher gespielt – das war super. Es gibt vieles, was ich überhaupt nicht gut kann oder nicht weiß, zum Beispiel, welches Mikrofon man wo über das Klavier hängen muss, damit es so klingt, wie ein Klavier wirklich klingt. Dafür ist ein Produzent da, er weiß diese Dinge, weil er sie schon oft gemacht hat. Er muss nicht erst zehn Möglichkeiten ausprobieren, sondern er weiß: Wenn wir diese Gitarre nehmen, dann klingt das genau so.
20-jährige zwangseuphorische Menschen - das ist schweizer Radio.
Wie spontan ist die Musik auf dem Album entstanden?
Hunger: Aufnehmen ist in gewisser Weise das Gegenteil von Improvisation. Man legt sich – das ist eigentlich sehr absolutistisch und dumm – auf eine Version fest. Und sagt: Das ist jetzt das Lied. Und das ist dann für immer so.
Improvisation bedeutet ja, alles zu verändern, ohne Vorgabe, im Moment. Es gab schon Dinge, die wir erst im Studio entwickelt haben, es war nicht alles von vornherein klar.
Ist es ein Konzept-Album?
Hunger: Nein. Ich habe einfach 19 Stücke gehabt und die aufgenommen. Und am Schluss habe ich eine Auswahl getroffen.
Welche Songs passen ins Radio?
Hunger: Die, die laut sind und eine gewisse Dichte und Kürze haben, die sind wahrscheinlich passend für das heutige Radio. Aber eigentlich wäre das nur eine Anpassung. Dabei ist Radio ein Medium, das etwas übermitteln sollte, nicht ein Medium, das eine Auswahl trifft.
Was für Musik hast du in deiner Jugend gehört?
Hunger: Ich habe viel HipHop gehört, Tupac, Nas, A Tribe Called Quest, Fugees, alles von Lauryn Hill, ich habe nur schwarze Musik gehört, auch R’n’B der 90er. Ich hatte breite Hosen an und De La Soul war meine Lieblingsgruppe.
Mit 16 habe ich dann angefangen Rock zu hören, eine Zeitlang nur Gitarrenmusik, dann Bands wie Radiohead und Kashmir. Und als ich 21 war hat in Zürich ein kleiner Club aufgemacht, wo eine Band Musik aus den 40er Jahren gespielt hat, Country, Bluegrass, Folk – da habe ich die ganze Zeit nur Country gehört. Und ich habe dann selbst angefangen zu singen, mit dieser Band.
Woher kommen die Jazz-Einflüsse in deinen Songs?
Hunger: Mein Vater hat viel Jazz gehört, das war wahrscheinlich in meiner Kindheit…
Und heute ist der Jazz zufällig in deiner Musik.
Hunger: Ja.
Was ist denn nicht zufällig an deiner Musik?
Hunger: (lange Pause) Ich weiß nicht, ich glaube, das Ganze ist ein Zufall. Was wäre denn das Gegenteil?
Ein Plan.
Hunger: Ein Plan? Nein, dann ist das alles ein Zufall.
Du lebst auch spontan in den Tag hinein?
Hunger: Ich habe keine direkten Verpflichtungen. Aber ich muss mich immer beschäftigen. Ich kann zum Beispiel keine Ferien machen, das ist nicht gut für mich. Ich muss immer etwas machen.
Was denn?
Hunger: Ich schreibe Dinge auf, zum Beispiel wie ich mir einen neuen Videoclip vorstelle. Oder ich habe so ein Generalabonnement für die Bahn. Damit kann ich alle Züge nehmen, die ich will. Umsonst. Also, ich zahle 2000 Franken im Jahr. Für alle Züge, alle Busse, alle Trams – in der ganzen Schweiz. Das mache ich oft.
Du fährst einfach Zug.
Hunger: Ja, und dann wieder zurück.
Und am anderen Ende triffst du niemand?
Hunger: Manchmal, aber eigentlich nicht.
Ich mache eigentlich nicht wirklich viel. Manchmal interessiert mich etwas Bestimmtes. Zum Beispiel habe ich neulich eine Aufnahme gehört von einer dänischen Dichterin, die heißt Inger Christensen. Sie hat ein Gedicht geschrieben, in dem sie alle möglichen Beeren aufzählt, Brombeere, Heidelbeere… – das habe ich gehört und das war wirklich sagenhaft. Ich habe mir danach ein Dänisch-Deutsch-Wörterbuch gekauft und versucht, das nachzusprechen.
Oder kennen Sie Pippiloti Rist? Eine Schweizer Künstlerin, die im MoMa in New York ausgestellt hat. Solche Sachen finde ich auch toll, das muss ich mir dann auch alles angucken, den ganzen Tag.
Und was über dich geschrieben wird, die Rezensionen, Kommentare, liest du das auch durch?
Hunger: Ja, nicht alles, aber ein paar Sachen schon. Vor allem, wenn sie direkte Rede benutzen, dann gucke ich mir an, wie sie das verändert haben. Rezensionen sind ja auch künstlerische Produktionen, und ich finde es interessant, zu sehen, was die für ein Werk geschaffen haben.
Die meisten versuchen wahrscheinlich, deine Musik einzuordnen, zu kategorisieren.
Hunger: Absolut. Aber das machen eigentlich auch nur Journalisten, normale Leute machen das nicht. Die meisten Leute, die in Konzerte gehen, tun das aus ganz einfachen Gründen: weil sie das einfach gerne hören. Für uns Musiker ist das eigentlich auch fast nur das. Man spielt Musik, weil man es gerne tut, weil man es gerne hört. Es ist….ich weiß nicht was, aber es ist etwas Einfaches. Im Grunde ist Musikmachen etwas sehr einfaches.
Welche Kunstform würdest du wählen um dich auszudrücken, wenn nicht die Musik?
Hunger: Stabhochsprung? Nein…. Ich würde wahrscheinlich schreiben. Das mache ich ja auch jetzt schon.
Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Hunger : Ich glaube, ich bin Struppi.
Warum der?
Hunger: Weil er keine Eigenschaften hat.