Sophie Hunger

Ich bin nicht so ein Heulsusentyp

Sophie Hunger über Popularität, kreative Journalisten, wenig Schlaf und warum Deutschland die neue Türkei ist

Sophie Hunger

© Augustin Rebetez

Sophie, wir sitzen hier wenige Meter entfernt von der Zentrale von Universal Music, wo 2009 dein Album „Monday’s Ghost“ erschien. Danach bist du wieder zum Independent-Label Two Gentleman Records zurückgekehrt. Was denkst du, wenn du heute am Universal-Gebäude vorbeikommst?
Sophie Hunger: Ich frage mich, wie lange das Gebäude noch bestehen wird. Also, das Gebäude wird noch stehen, aber man weiß ja nicht wie lange es noch so etwas wie Plattenfirmen gibt.

Deswegen bist du vorzeitig bei Universal ausgezogen?
Hunger: Unter anderem, das war nicht der Hauptgrund. Ehrlich gesagt weiß ich das auch nicht so genau, weil ich das nicht selber mache.

Du kümmerst dich nicht darum, wo deine Platten erscheinen?
Hunger: Ich habe jemanden, der sich auskennt und der schaut, was die beste Situation für mich ist. Ich entscheide es dann schon, ich sage „Ja“ oder „Nein“. Wir machen nie längere Verträge – immer nur für eine Platte – damit wir sofort gehen können, wenn es uns dort nicht mehr gefällt. Ich weiß nicht, ob man das schon immer machen konnte, aber heute geht so etwas.

Warum bist du eigentlich Musikerin geworden?
Hunger: Ich weiß noch nicht einmal, ob ich es geworden bin. Das hat eigentlich ganz früh angefangen. Ich habe viel zu Hause gespielt und als Kind schon Lieder geschrieben. Ich kann nicht genau sagen, wo und wann das angefangen hat.

Gäbe es für dich heute eine Alternative?
Hunger: Ich denke nicht. Irgendwie fühlt es sich so an, als musste es so kommen.

In Berlin hast du zuletzt sechs Konzerte hintereinander in verschiedenen Konzertsälen gespielt. Warum nicht ein Konzert in einer großen Halle?
Hunger: Mir macht es viel mehr Spaß mehrere Konzerte zu spielen, denn am liebsten mache ich einmal am Tag zwei Stunden Musik. Insofern sehe ich auch keinen Sinn darin, das absichtlich auf ein Konzert zu reduzieren, wo dann alle auf einmal kommen.

Aber würdest du theoretisch auch in einer großen Halle vor zum Beispiel 10.000 Leuten spielen?
Hunger: Ich würde es sicherlich mal probieren, um zu sehen, wie es ist. Ich habe schon gemerkt, dass es ab 1000 Leute eine gewisse Distanz gibt, dass die Leute in den hinteren Reihen und ich nicht mehr zusammen sind. Ich mag das Gefühl, jeden im Raum festhalten zu können.
Dann muss man aber auch sehr bekannt sein, um vor 10.000 Leuten zu spielen.

Im Moment hat man schon den Eindruck, dass deine Popularität zunimmt. Welchen Preis zahlt man, wenn man so bekannt wird?
Hunger: Ich bin nicht so ein Heulsusentyp, ich bezahle keinen Preis! Ich würde mich schämen, wenn ich mich über meine Situation beklagen würde. Ich mache Musik und kann davon leben – das ist schonmal ein halbes Wunder. Die meisten Menschen in meinem Alter in Südeuropa zum Beispiel haben derzeit keine Arbeit, obwohl sie vielleicht etwas ganz Unglaubliches studiert haben. Es regt mich voll auf, wenn sich arbeitende Künstler beklagen und erzählen „Ich schlafe zu wenig“ oder so. Ja klar, ich schlafe nicht viel!

Wie lang denn?
Hunger: Am liebsten natürlich lange, aber das geht meistens nicht, weil ich immer so aufgeregt bin.
Am Stück schlafe ich so um die zwei Stunden. Dann schlaf ich nicht, und danach wieder zwei Stunden und so weiter.

Wir reden jetzt aber von nachts.
Hunger: Ja, oder auch tagsüber. Gleich habe ich noch ein Interview und dann habe ich vor, zwei Stunden zu schlafen. Weil gestern waren wir noch bis fünf Uhr in einer Bar und heute morgen um 10 Uhr kam eine Frau von der „Bild am Sonntag“ für ein Gespräch. (lacht)

Wie war das Gespräch?
Hunger: Gut. Nur weiß ich nicht, ob sie wirklich diese Fragen stellen wollte oder ob sie am Ende etwas ganz Anderes daraus macht.

Wie reagierst du, wenn aus einem Gespräch später in der Zeitung etwas ganz Anderes wird? Spielt das eine Rolle für dich?
Hunger: Hmm, da gibt es wahrscheinlich schon Grenzen, doch eigentlich sollte es mir egal sein. Ich habe nicht so ein elitäres Verständnis von Medien. Ich kenne ganz schlechte Journalisten, die bei der FAZ arbeiten, und super Leute, die bei sogenannten ’schlechten Medien‘ arbeiten.

Du sagtest mal, Journalisten machen eigentlich dieselbe Arbeit wie Künstler. Wie meinst du das?
Hunger: Es ist genau dasselbe: Sachen erfinden. Also nicht komplett, der Grundstock ist real – aber dann kreiert ihr etwas, es ist eine kreative Arbeit, genauso wie bei uns Musikern.

Zitiert

Ich mache Musik und kann davon leben – das ist schonmal ein halbes Wunder. Ich würde mich schämen, wenn ich mich über meine Situation beklagen würde.

Sophie Hunger

Für die Entstehung deines aktuellen Albums „The Danger of Light“ bist du weit gereist, es gab Studio-Sessions in Frankreich, USA und Kanada. Verbirgt sich bei dir hinter dem kreativen Prozess eine Art Suche?
Hunger: Nein, es ist eher ein Finden. In diesem Fall habe ich Musiker an diesen Orten getroffen, ihnen die Lieder gezeigt, dann haben wir gespielt und dann ergab sich alles. Ich wusste vorher nicht genau, wie es klingen sollte.

Strebst du als Künstlerin viel nach Veränderung oder geht es dir auch um Kontinuität?
Hunger: Ich glaube, dass verschiebt sich immer. Momentan gibt es viele Veränderungen bei mir – neue Band, neue Platte. Dafür habe ich meinen Wohnort aufgegeben und bin wie in der Luft. Ich merke schon, dass es eine Grenze gibt, wo das nicht mehr gut ist, wo man eigentlich wieder mehr Halt braucht.

Wenn du dich selbst mit anderen, zum Beispiel mit Freunden vergleichst, beobachtest du dann vielleicht auch Stillstand im eigenen Umfeld?
Hunger: Nein, im Gegenteil. Ich finde es eher schön zu sehen, wie sich die anderen drehen. Eine Freundin hat jetzt ein Kind und hat geheiratet, ich war Brautjungfer, durfte die Party organisieren und das haben wir Alles ganz traditionell gemacht. Nun lebt sie mit ihrem Mann in einer Wohnung, das Kind kommt in die Kindergrippe und so….Ich weiß nicht wie so was geht oder wie man so was macht.

Um einen deiner Songtexte aufzugreifen, was würdest du sagen: „Familie ist das neue…“
Hunger: Weiß ich nicht. Man könnte es mit allem kombinieren. In diesem Lied geht es nicht darum, was etwas ist, sondern zu sagen, dass Wörter nichts bedeuten, dass sich die Bedeutung von Wörtern immer wieder verändert. Das ist für mich der Hauptpunkt, das Spiel mit den Bedeutungen. Und nicht die Aussage, dass 30 jetzt das neue 20 ist.

Im Song „Das Neue“ heißt es weiter: „Frei zum Bestehlen ist neu Sophie Hunger“. Was kann man dir stehlen?
Hunger: Vieles. Meine Jacke, mein Portemonnaie, mein Haus… Also ich habe jetzt kein Haus, aber die Wohnung, in der ich wohne. Deswegen schließe ich ja auch die Tür ab.

Also verbirgt sich hinter dieser Aussage eine bestimmte Wahrheit.
Hunger: Ja.

Dann noch zu einer anderen Zeile: Woran merkst du, dass „Deutschland die neue Türkei“ ist?
Hunger: Ich weiß nicht, ob das stimmt. Es ist mir einfach so eingefallen. Ich habe mich gefragt: Was bedeutet das Wort Deutschland und was das Wort Türkei? Und wenn Deutschland aus Türken besteht, dann ist Deutschland nicht mehr Deutschland sondern die Türkei.

Gab es ein Erlebnis, welches dir den Impuls für diese Zeile gab?
Hunger: Es gab mal eine Ausstellung in der Schweiz, die hieß „Niemand war schon immer hier“. Es ging um die schweizerische Geschichte, auch darum, was man damit meint, wenn man von den „Schweizern“ spricht. Das Gebiet war ja lange Zeit unter römischer Herrschaft. „Niemand war schon immer hier“, das ist ein super Satz. In Deutschland gibt es viele Türken, wieso kann man dann nicht Türkei zu Deutschland sagen?

Die Songzeile könnte auch von Thilo Sarrazin stammen, von jemandem, der vor Überfremdung warnt.
Hunger: Nein, so meine ich das nicht. Thilo Sarrazin hat ja nicht allein ein Recht auf diesen Satz oder auf diese ganze Diskussion. Da gibt es viele andere Sichtweisen. Nur weil Thilo Sarrazin etwas über die Türkei sagt, heißt das nicht, dass jeder andere, der etwas über die Türkei sagt, damit einen Kommentar zu Thilo Sarrazin abgibt. Er ist ja völlig unwichtig, dieser Mann.
Vor allen Dingen meine ich ja genau das Gegenteil von Sarrazin. Deutschland wird irgendwann die Türkei sein. Es passiert ja die ganze Zeit, dass sich Völker verändern, einst bestanden sie aus diesen Ethnien, dann aus anderen… Niemand war schon immer da. Wenn zum Beispiel die Deutschen keine Kinder mehr kriegen und die ganzen türkischen Einwanderer ganz viele, dann werden in 200 Jahren die Türken die Deutschen sein. Das ist doch wunderbar! Warum sollte das etwas Schlechtes sein? Das ist ein ganz normaler Vorgang in der Geschichte. Es gibt Völker, die sich nicht vermehren, welche, die sich vermehren… Ich freue mich sehr auf das türkische Deutschland, auch auf die jugoslawische Schweiz, auf die freue ich mich ganz besonders.

Wie ernst sollen die Zuhörer denn deine Texte nehmen?
Hunger: Ich würde es vorziehen, wenn sie sie nicht so ernst nehmen. Wenn ich beispielsweise ein Lied von jemand anderem höre, dann passiert irgendetwas mit mir. Und ehrlich gesagt frage ich mich nie, warum er das geschrieben hat und was er damit meint. Es passiert einfach irgendwas mit mir und das ist das, was es ist, das Lied!

Wie siehst du dann zum Beispiel Bob Dylan und die Protestsongbewegung, wo die Texte ja durchaus ernst gemeint sind?
Hunger: Das ist etwas, was mich nicht so interessiert. Mit Bob Dylan kenne ich mich wirklich sehr gut aus, ich weiß, dass er überhaupt nicht Teil der Protestsonggeneration ist. Dann eher schon Joan Baez. Aber genau das ist Musik, die mich ganz und gar nicht interessiert, weil sie so direkt ist und einen Plan verfolgt. Das ist so, wie wenn man eine Rede hält, wenn man die Musik nur benutzt, um etwas zu übertragen. Das ist nichts für mich.

Zum Abschluss noch ein kleines Frage-Ping-Pong: Popmusik ist das neue…
Hunger: …Massengrab!

Internet ist das neue…
Hunger: …der neue Marktplatz.

Facebook ist das neue…
Hunger: …Klamotten.

Die Schweiz ist das neue…
Hunger: …Jugoslawien.

Peer Steinbrück ist der neue…
Hunger: …Wahlkampfverlierer. Er wird wohl eher nicht gewählt.

Sophie Hunger ist der/die/das neue…
Hunger: Keine Ahnung, ich habe keine Beziehung zu mir selbst (kichert).

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