Stefan Gwildis

Mich auszudrücken ist mir auf Deutsch immer am besten gelungen

Sänger Stefan Gwildis über seine Übetragung bekannter Jazz-Standards ins Deutsche, Kleinstädte in großen Texten, Musik mit Seele und warum er das Rauchen aufgab

Stefan Gwildis

© Manni Otto

Herr Gwildis, Sie haben mit der NDR Bigband ein Album mit dem Titel „Das mit dem Glücklichsein“ aufgenommen, mit bekannten Jazz-Standards und deutschen Texten. Haben Sie früher schon Standards gesungen?
Stefan Gwildis: Eher selten, vielleicht mal „Autumn Leaves“ mit eigener Bass-Begleitung. Auch wenn ich schon lange ein großer Verehrer dieser Stücke bin, letztendlich habe ich nie den richtigen Zugang dazu gehabt. Weil ich den Ausdruck in der englischen Sprache für mich nicht richtig gebacken kriege. Ich bin ja im deutschen Sprachraum aufgewachsen, sich selber auszudrücken, ist mir in der deutschen Sprache immer am besten gelungen. Wenn ich amerikanische Klassiker auf Englisch gesungen habe, hatte ich immer so ein Gefühl, dass ich gar nicht weiß, wovon ich rede.

Wie lange hat es denn gedauert, so einen Songtext ins Deutsche zu übertragen?
Gwildis: Das war ganz unterschiedlich. Bei „My Funny Valentine“ ging es ganz schnell, das war ein Wurf, den man so kurz nach dem Aufstehen hingelegt hat. Bei den anderen Songs war es zum Teil ein unheimlicher Kampf und eine lange Prozedur. Es war aber auch viel Freude dabei, weil ich zum einen mit meinem alten Schulkumpel Rolf Claussen daran gearbeitet habe, mit dem ich auch schon Straßenmusik gemacht habe, und mit Michy Reincke, der bereits an meinen anderen Alben mitgeschrieben hat.

Haben Sie dabei auch über einen respektvollen Umgang mit den Original diskutiert?
Gwildis: Diesen Respekt setzen wir mal voraus. Wenn es gelingt, dem Original geschmacklich und sprachlich nahezukommen, dann ist es gut. Wenn nicht, wenn wir sehen, das ist alles nur Hühnermist und wir werden dem Original nicht gerecht, dann haben wir so eine freiwillige Selbstkontrolle und lassen die Finger davon.

An welchen Songs haben Sie sich denn schon die Zähne ausgebissen?
Gwildis: Bei meinen Soul-Alben gab es zwei, drei, wo wir uns echt die Zähne dran ausgebissen haben. Zum Beispiel bei „Light My Fire“, da haben wir lange dran rumgeorgelt, aber es wurde einfach nichts. (lacht)
Manchmal war aber auch das Problem, dass man eine Übersetzung nicht genehmigt bekommen hat, die Verlage stellen sich da zum Teil ganz schön zickig an. Für das Projekt mit der NDR Bigband haben wir zum Beispiel an „One For My Baby“ gearbeitet, ein Song den Frank Sinatra gesungen hat. Aber wir bekamen keine Genehmigung, mit der Begründung, dass es bereits eine genehmigte Übersetzung gibt, aus dem Jahr 1960. Dieser Text ist allerdings so antiquiert und altbacken, dass wir den nicht nehmen konnten.

Etwas älter ist ja ein Text von Heinz Erhardt, den Sie ebenfalls auf dem Album singen.
Gwildis: Ja, diesen Song zu Erhardts Gedicht „Der Einsame“ gab es so noch gar nicht. Da ist die Enkelin von Heinz Erhardt, Nicola Tyszkiewicz, auf mich und meinen Pianisten Tobi Neumann zugekommen und hat uns gefragt, ob wir nicht Lust hätten, einige Gedichte zu vertonen, die er selbst nicht mit Kompositionen versehen hat. Wir haben dann mit diebischer Freude in den ganzen Manuskripten von Heinz Erhardt gestöbert und schließlich eine Sache erwischt, die überhaupt nicht Heinz Erhardt-typisch ist. Er ist ja eigentlich ein Mann der leichten Schulter, doch bei diesem Text hält er sich ein bisschen mehr auf der bluesigen und schwarzen Seite auf.

Sie haben schon zahlreiche Soul-Klassiker ins Deutsche übertragen, wie bezeichnen Sie eigentlich Ihr Handwerk: Übersetzung, Adaption…?
Gwildis: Ich sage dazu Interpretation. Da bin ich zum Beispiel nahe bei den Italienern, wenn die von Übersetzung sprechen, sagen sie „interpretare“, d.h. sie interpretieren etwas. Das ist für mich treffender, weil es bedeutet: In dem Moment, in dem ich etwas in einen anderen Sprach- und Kulturbereich übersetze, muss ich es interpretieren, sonst macht es keinen Sinn. Wenn ich einen Text aus Amerika nehme und den eins zu eins übersetze, versteht ihn hier kein Mensch. Man muss den soziokulturellen Kontext beachten, sonst hört sich das Ergebnis ganz grausam an. Ich muss da immer an Marvin Gaye denken, der manche Songs auch in deutscher Übersetzung gesungen hat. Die sind ganz schlimm gewesen, richtig skurril (lacht). Auch die Beatles haben das gemacht. Dahinter standen damals die Plattenfirmen, die wollten, dass ihre Künstler in den den deutschen Markt reinkommen.

Wie genau wollen Sie bei einer Interpretation sein? Bei „My One and Only Love“ fällt auf, dass der Originaltext von einer Beziehung handelt, die noch intakt ist, während Sie in „Wir haben uns mal geliebt“ bereits den Scheidungsanwalt erwähnen.
Gwildis: Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man Dinge interpretiert. Für mich war „My One and Only Love“ nie eine Hommage an eine große Liebe, sondern für mich beschreibt der Song den Punkt, dass es diese Liebe nicht mehr gibt. Von meinem Gefühl her. Die Zeile „Wir haben uns mal geliebt“ hatte ich für „My One and Only Love“ auch schon lange im Kopf, einfach weil das für mich die Stimmung des Songs am besten trifft.

Zitiert

Jazz und Soul sind mehr als nur ein Genre, es ist auch eine Haltung zum Leben.

Stefan Gwildis

In „Nature Boy“, einst ein Hit von Nat King Cole, singen Sie u.a. die Zeile „Ganz egal ob Flensburg oder Wuppertal…“. Da denkt man einerseits an den großen Jazz-Sänger, andererseits singen Sie von der deutschen Kleinstadt. Passt das?
Gwildis: Über diese Zeile haben wir tatsächlich auch diskutiert, weil meine Kollegen meinten, dass es durch die Nennung solcher Orte zu klein wird. Ich fand das aber eigentlich ganz schön, weil es in dem Moment jeden betreffen kann. Da fühlte ich mich erinnert an eine Reportage über einen Soldaten, der aus Afghanistan zurückkam nach Bad Oldesloe (Kleinstadt bei Hamburg, Anm. d. Red.). Denn in dem Moment, wo man so einen Ort konkret benennt, denkt man: „Ach, dieser Mensch wohnt ja gleich hier nebenan.“ Es kriegt in dem Moment eine Intimität, die ich ganz wichtig finde, die vielleicht ein bisschen doof klingt, für mich aber eine große Gültigkeit hat.

Wenn Sie früher aus „Papa was a Rollin‘ Stone“ „Papa will da nicht mehr wohn’“ gemacht haben oder aus „I Heard It Through The Grapevine“ „Das Kann Doch Nicht Dein Ernst Sein“ – haben Sich dann eigentlich auch Puristen bei Ihnen gemeldet und gesagt: „Das darf man nicht“?
Gwildis: Ja, natürlich. Es gab welche, die gesagt haben: „Das ist schwarze Musik, das gehört dort hin.“ Das kann ich auch verstehen. Auf der anderen Seite haben auch Weiße… Zum Beispiel jemand wie Dave Brubeck, der war ein großer Duke Ellington-Fan und hat mit Leib und Seele diese musikalischen Ideen und Gedanken fortgeführt. Daran sieht man, wie länderübergreifend dieses musikalische Leben ist. Du hörst ja erstmal gar nicht, ob das Musik von einem Schwarzen oder einem Weißen ist. Du hörst nur, ob diese Musik dich mitnimmt, auf eine Reise. Ist es eine Musik, zu der du Bilder entwickelst? Und was für Bilder sind es? – Das ist für mich das Interessante. Und ich nehme mir einfach frecherweise das Recht heraus, die eigenen Eindrücke, die ich zu diesen Stücken habe, mit allem Respekt zu verarbeiten.

Aber die Kritik lautete tatsächlich, ‚Soul ist schwarze Musik, aber Sie sind weiß‘?
Gwildis: Genau. Aber selbst da gibt es bei mir in gewisser Hinsicht Parallelen. Ich selbst bin zwar Hamburger, aber meine Vorfahren – auch wenn sie jetzt nicht in Schiffen von Kontinent zu Kontinent verschleppt wurden – sind Migranten gewesen. Meine Familie kommt aus Litauen, davor waren sie in Griechenland, die haben eine Reise durch ganz Europa gemacht. Dieses Thema von-hier-nach-da zu gehen, gab es bei uns genauso. Diese Wanderung gibt es überall, wobei es für mich niemand stärker ausdrückt, in der ganzen Zerrissenheit und Tragik, als schwarze Musiker. Es gibt auch bei den Russen oder Griechen ähnliche Formen, die haben auch eine Art von Blues entwickelt, aber bei den Schwarzen ist es diese ganze Vielfalt von Gospel, Blues, Spiritual, Soul und natürlich Jazz. Die haben das am besten drauf, damit umzugehen.

Verbindet sich für Sie mit Jazz/Soul auch eine bestimmte Lebenseinstellung?
Gwildis: Ja, ich denke, Jazz und Soul sind mehr als nur ein Genre, es ist auch eine Haltung zum Leben. Diese Musik hat immer etwas mit Seele zu tun, da kommt es auch drauf an: Was hast du als Einzelner zu sagen? Vor denjenigen, denen das am besten gelang, ziehen wir heute den Hut, Musiker, die einfach unverwechselbar daher kommen. Damit meine ich einen Bill Withers, einen Marvin Gaye oder Miles Davis – das sind alles Künstler, die auf ihre Art und Weise eigen sind und mit ihrer Musik auch eine Haltung ausdrücken.

Entdecken Sie solche Musiker auch heute noch? Oder haben Sie den Eindruck, dass das vergangenen Zeiten angehört?
Gwildis: Nein, wenn ich mir einen Jamie Cullum anschaue und anhöre, sehe ich auch da so eine ungestüme Experimentierfreude, im Spiel wie in der Interpretation – also das gibt es heute genauso. Und ich merke, dass sich heute wieder ganz viele Menschen zu den 70er Jahren hinwenden, zu den ganzen Soul-Geschichten, wo die Leute auch mal wieder ein Fender Rhodes hören wollen. Viele junge Menschen entdecken das gerade, auch den Jazz. Das hat natürlich auch mit Leuten wie Robbie Williams zu tun. Was immer man von seinem Swing-Album halten mag, er hat als bekannter Popkünstler vielen jungen Leuten den Jazz ein bisschen näher gebracht hat.
Mir ist es übrigens auch schon passiert, dass mir Leute geschrieben haben: „Toll, über dich habe ich Marvin Gaye kennengelernt.“ Also, dass ein weißer, deutscher Bursche aus Hamburg jemandem Marvin Gaye nahebringen kann, das finde ich toll.

Wie halten Sie Ihre Stimme in Schuss, haben Sie da ein bestimmtes Rezept?
Gwildis: Ein Schal ist wichtig, das hat mir schon mein Vater beigebracht. Und was mir stimmlich oft den Arsch gerettet hat: Thymian-Tee. Das ist das Beste was man haben kann, gegen sämtliche Infektionen und Krankheiten. Thymian und Honig.

Ihre Stimme klingt ja oft ein bisschen rau…
Gwildis: Ich habe früher stark geraucht, das klingt wohl noch ein bisschen nach. Bis Mitte 30 habe ich pro Tag ein Paket Tabak weggehauen – aber dann hatte ich ein prägendes Erlebnis. Ich traf einen alten Bekannten wieder, der immer witzige Geschichten erzählt hat und eine ganz klasse Stimme hatte. Doch dann hatte er eine Kehlkopfoperation und als ich ihn zum ersten Mal mit so einer Roboter-Stimme sprechen hörte – da ist mir das Herz in die Hose gerutscht. So ein geiler Typ, der immer so lustig daherkam, muss sich jetzt mit so einem scheiß Sprechgerät rumschlagen! Das war mir eine so fette Warnung, dass ich wenig später meine ganzen Tabak-Pakete weggeworfen habe. Ich habe seit dem auch nie wieder geraucht.
Das Singen ist ja ein Geschenk, was man bekommen hat, sich teilweise auch erarbeitet hat. Es ist so eine tolle Möglichkeit, sich zu öffnen, eine Luke zu finden wo der ganze Schmodder raus kann, der einem auf der Seele liegt. Für mich ist das immer wie eine Therapie-Stunde.

Und Sie werden dabei auch in Zukunft bei der deutschen Sprache bleiben?
Gwildis: Ja, ich bleib beim Deutschen. Mich in dieser Sprache auszudrücken ist sogar ein Grund für mich gewesen, einen Traum aufzugeben. Ich wollte ja mal in die USA auswandern. Ich hatte dort Freunde kennengelernt, es gab ein Haus und ein Grundstück… Aber ich bin letztendlich wieder hierher gekommen, weil ich gemerkt habe: Diese Sprache wird für mich immer das Wichtige sein. Heimat hat für mich sehr viel mit Sprache zu tun. Und ich gehöre hierher, nach Hamburg. Das ist mir in der Ferne ganz klar geworden.

Stefan Gwildis wird 1958 in Hamburg als Sohn eines Reifenhändlers und einer Hutmacherin geboren. Vor seiner Musikkarriere arbeitete er drei Jahre am Hamburger Thalia Theater, wo er nach einer Ausbildung in Fecht- und Stuntszenen u.a. in "Die Drei mehr

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