Stefan Kretzschmar

Das war wie eine Therapie.

Ex-Handball-Star Stefan Kretzschmar über seine vor kurzem erschienene Biografie "Anders als erwartet", sein Leben nach dem Sport und die Kommerzialisierung des Handballs.

Stefan Kretzschmar

© Eichborn Verlag

Herr Kretzschmar, auch Sie sind nun unter die Autoren gegangen und haben mit „Anders als erwartet“ Ihre Biografie veröffentlicht. Welche Intention steckt hinter dem Titel?
Kretzschmar: Ich stelle mich selbst dar und gebe einiges von mir preis. Vieles von dem, was ich geschrieben habe, ist halt anders als erwartet. Ich glaube, dass eine Menge Leute gewisse Assoziationen mit meinem Äußeren haben und dass man in der Medienwelt immer in gewisse Schubladen gesteckt wird, in denen ich mich auch nicht ganz unwohl fühle. Das gebe ich ganz ehrlich zu.

Inwieweit unterscheidet sich der Sportler Kretzsche vom Menschen Stefan Kretzschmar?
Kretzschmar: Das geht beides ineinander über. Es ist ja nicht so, dass der Sportler ein ganz anderer Typ war als der Mensch. Es geht im Buch aber eigentlich fast nur um den Menschen Stefan Kretzschmar. Der Sportler wird zwar auch beschrieben, aber es ist eine Biografie die sich um mein Leben im Allgemeinen dreht.

Sie veröffentlichen mit 35 Jahren Ihre Biografie. Warum zu diesem Zeitpunkt?
Kretzschmar: Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist es so, dass ich damit begonnen habe, mich im Jahr nach meinem Rücktritt (2007, d. Red.) mich mit Sven Beckedahl und seiner Frau (die beiden Co-Autoren des Werks, d. Red.) zu treffen und alles aufzuarbeiten. Das dauerte eine gewisse Zeit bis das Buch fertig war. Das war wie eine Therapie, ein Abschluss für mich von dem Leben als Sportler. Damit ist mir der Cut nun endgültig gelungen und nun kann ich ins Berufsleben übergehen.

Sie plaudern über viele private Details. Hatten Sie Probleme, so offen zu sein?
Kretzschmar: Sicherlich sind ziemlich viele Sachen brisant, wo man im Nachhinein drüber nachdenkt ob es richtig war, das alles preiszugeben. Vieles ist auch sehr persönlich. Doch man will und erwartet, dass die Leute einen verstehen. Dann muss man gewisse Sachen von sich preisgeben, die auch privater Natur sind. Deswegen stehe ich zum heutigen Tag zu einhundert Prozent hinter dem, was ich geschrieben habe.

Im Buch sprechen Sie des Öfteren über die DDR und wie toll es Ihnen dort, nicht zuletzt aufgrund des Gemeinschaftsgefühls, gefallen hat. Vermissen Sie dieses Land heute?
Kretzschmar: Ich kann nicht sagen, dass ich es vermisse. Es ist eine schöne Erinnerung, die ich habe. Ich habe an die DDR nur gute Erinnerungen. Das äußert sich auch in dem, was ich schreibe. Vermissen kann ich das überhaupt nicht, weil ich auch nach der Wiedervereinigung ganz tolle Bedingungen vorgefunden habe. Ich bin dann nach Gummersbach gekommen, wo ich eine schöne Zeit hatte. Und auch zurück im Osten, in Magdeburg, hatte und habe ich eine tolle Zeit. Mir war das Schicksal immer relativ wohlgesonnen und deswegen wäre es für mich völlig fehl am Platze mir da irgendwas zurückzuwünschen. Da bin ich auch weit von entfernt. Ich wünschte mir jedoch, die Welt wäre manchmal etwas menschlicher.

1996 sind Sie aus Gummersbach wieder in den Osten, nach Magdeburg, gegangen. Hatte der Westen schnell an Attraktivität verloren oder warum kamen Sie nach drei Jahren zurück?
Kretzschmar: Das ist erstens eine Mentalitätsfrage, hängt aber auch damit zusammen, dass meine Freunde und Familie im Osten leben. Mich hat es schon immer fasziniert in den Osten zurückzukehren und was aufzubauen. Weil alles mehr oder weniger kaputt gemacht wurde. Magdeburg war der einzige Verein, der überlebt hatte und – durch welche Methoden auch immer – es wieder zu alter Stärke geschafft hat und sich gegen die ganzen westdeutschen Mannschaften behauptet hat. Und das Projekt, was damals in Magdeburg starten sollte, mit dem Aufbau einer Mannschaft, die irgendwann mal die Champions League gewinnen kann, hat mich eben sehr gereizt. Aber gleichzeitig ist es für mich auch eine Mentalitätsfrage. Ich will nicht verheimlichen, dass der Osten mir schon immer mehr lag als die westdeutsche Seite.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Magdeburg mittlerweile Berlin als ihre Lieblingsstadt abgelöst hat. Wie kommt es dazu?
Kretzschmar: Das Leben in Magdeburg ist das entspannteste überhaupt für mich. Ich kann abends in die Kneipe gehen und werde erkannt, jedoch trotzdem in Ruhe gelassen. Ich habe einen gewissen Status und kenne alle Leute, ob Mediziner oder Kindergärtnerinnen. Nach zwölf Jahren habe ich mir ein Netzwerk geschaffen, das wichtig ist und das Leben enorm erleichtert. Es ist sehr angenehm in dieser Stadt zu leben. Man darf auch nicht vergessen, dass der SC Magdeburg immer noch mein absoluter Lieblingsklub ist. Für mich ist der SCM einfach, mit der Geschichte und mit allem was dazu gehört, auch heute der beste Klub der Welt.

Und wie ist es in ihrer Heimatstadt Berlin?
Kretzschmar: Berlin ist die aufregendste Stadt Deutschlands und meine zweite Heimat. Berlin ist kulturell der wesentlich größere Hot-Spot. Was da passiert, ist ja unmöglich und deshalb bin ich mindestens einmal in der Woche dort. In Berlin werde ich schon häufiger angesprochen, weil es nicht so alltäglich ist, wenn man mich dort sieht.

Sie beschreiben in Ihrer Biografie, dass die Kinder- und Jugend Sportschule, die Sie in Berlin besucht haben, Ihren Ehrgeiz sehr geprägt habe. Inwieweit?
Kretzschmar: Diese Ausbildung ist mein absoluter Vorteil im Vergleich zu vielen anderen Spielern. Dort durfte ich damals schon zweimal am Tag trainieren. Das konnten viele andere in der Jugend nicht mehr aufholen. Die Sportschule war die Wiege alles Guten für mich.

Welchen Einfluss haben ihre Eltern, beides Weltklasse-Handballer in der DDR, in Bezug auf Ihre handballerische Karriere genommen?
Kretzschmar: Meine Eltern sind in dem Sinne für meine Karriere verantwortlich, indem sie die Sportschule ermöglicht haben. Ich wäre damals durch das elitäre Raster der Sportschule einfach durchgefallen, weil ich überhaupt nicht gut genug dafür war. Doch meine Eltern haben mein Talent damals erkannt und mir diese Chance ermöglicht.

Welche Niederlage würden Sie als die Schlimmste Ihrer Karriere charakterisieren? Das verlorene Olympia-Viertelfinale gegen Spanien in Sydney 2000, als Sie den entscheidenden Wurf vergaben? Oder doch ein anderes Spiel?
Kretzschmar: Nein, das gab es nicht. Die Viertelfinal-Pleite gegen die Spanier war die schlimmste Niederlage, die ich erlebt habe. Danach war ich ziemlich fertig.

Zitiert

Die Sportschule war die Wiege alles Guten für mich.

Stefan Kretzschmar

In Ihrem Buch sprechen Sie an, dass "prominent sein" nicht so spannend sei, wie von vielen angenommen. Wie darf man das interpretieren?
Kretzschmar: Viele Leute streben das ja an und meinen sie hätten ein tolles Leben, wenn Sie prominent wären. Wenn man prominent ist, bleiben der Mensch und der Charakter gleich. Das hat zwar auch positive Seiten, doch man verliert, umso prominenter man wird, immer mehr ein Stück Freiheit. Das steht manchmal in keinem realistischen Verhältnis. In meinem Leben will ich mich nicht beschweren, weil es immer in Ordnung war, was passierte. Ich hab damit kein Problem.

Sind sie selbst gern prominent oder wären Sie lieber ein Mensch von vielen?
Kretzschmar: Das ist unterschiedlich. Klar, wenn ich jetzt beim Essen bin und ein wichtiges Gespräch habe, dann will ich nach Möglichkeit nicht gestört werden. Wenn dann Leute ankommen und nach einem Autogramm fragen, dann ist das manchmal unangenehm. Aber im Grunde ist es so, dass man mehr Vor- als Nachteile hat.

Fehlt Ihnen 15 Monate nach ihrem Rücktritt als aktiver Handballer bereits das Sportler-Leben?
Kretzschmar: Das Sportlerleben vermisse ich mittlerweile gar nicht mehr. Es ist völlig in Ordnung, dass ich diesen Abschnitt nun hinter mir gelassen habe. Am Anfang war der Übergang schon nicht so einfach. Obwohl man als Spieler ausscheidet, hängt man immer noch mit den Jungs zusammen, auch wenn man die ganzen Veranstaltungen nicht mehr mitmachen kann, bei denen man vorher mit dabei war. Das nervt schon. Aber mittlerweile habe ich es kapiert und nun ist es in Ordnung.

Sie sind ebenfalls bei der Model-Agentur „Rockstars“ beschäftigt. Welche Funktion führen Sie dort aus?
Kretzschmar: Dort bin ich für die Außendarstellung und das Marketing zuständig. Dafür, dass die Agentur publik und bekannt gemacht wird.

Haben Sie sowohl beruflich, als auch privat, noch Träume?
Kretzschmar: Man hat immer Träume. Jedoch steht erstmal der Verein absolut im Vordergrund. Ich hoffe, dass das hier wieder auf soliden Beinen steht und dass wir finanziell wieder in andere Sphären vorstoßen können und auch mal wieder oben in der Tabelle mitspielen. Das ist mein Traum, was den SC Magdeburg betrifft. Privat hoffe ich, dass alle Lieben um mich herum gesund bleiben und es ihnen gut geht. Ich möchte mit meiner Familie noch viele tolle Momente erleben.

Sie sagten, Sie würden gerne einmal mit einer Musik-Band auf Tour gehen.
Kretzschmar: Das ist momentan einfach ein Traum. Wenn sich die Zeit ergibt, müsste man sehen. Ich kann ja schließlich nicht einfach aus der Arbeit raus.

Kann man im heutigen Handball die Spaltung der Liga in Arm und Reich noch aufhalten? Vor allem potente Geldgeber pumpen Massen von Geld in einzelne Klubs.
Kretzschmar: Ich weiß nicht, ob man das aufhalten muss. Es gibt halt diese Mäzene, die da das Geld reinpumpen. Wenn die da aufhören, dann wäre das ein Skandal. Ich wünsche das keinem Verein. Nicht dem Hamburger SV und auch nicht den Rhein-Neckar-Löwen. Das wäre für die Sportart extrem schlimm. Es bleibt abzuwarten, ob die kleinen Vereine das aufholen können. Das geht nur, wenn mal selbst so einen Sponsor findet. Aber das ist eine ganz schwierige Angelegenheit. In Magdeburg haben wir zurzeit ein geiles Team. Aber aufgrund der finanziellen Lage ist klar, dass wir im Kampf um die Meisterschaft gegen die Mannschaften mit höheren Etats nicht mithalten können.

Geht es in Zukunft gar nicht mehr ohne Mäzene?
Kretzschmar: Ich denke schon. Wenn man ganz oben angreifen will, braucht man diese Geldgeber.

Haben Sie Verständnis für die Spieler, die nur noch aufs Geld fokussiert sind?
Kretzschmar: Ich kann nicht sagen, dass ich das nicht verstehen könnte. Man spielt halt nur für einen begrenzten Zeitraum Handball. Da muss man das Beste für seine Familie rausholen. Aber das Söldnertum breitet sich immer mehr aus. Verwerflich ist, dass Spieler einen Vertrag unterschreiben und gleichzeitig schon einen Vertrag bei einem anderen Verein für die nächsten zwei Jahre unterschreiben. Das muss man unterbinden. Deswegen halte ich Transferregeln für wichtig. Das geht zwar nicht von heute auf morgen, ist jedoch unumgänglich.

Sie orientieren sich mit den Transferregeln an der nordamerikanischen Basketball-Liga NBA?
Kretzschmar: Bei den Fußballern gibt es das ja auch. Ein halbes Jahr bevor der Vertrag ausläuft, sollte man erst mit Verhandlungen beginnen dürfen.

Wie hat sich der Handball im Vergleich zum Beginn Ihrer Kariere verändert?
Kretzschmar: Der Handball ist in die Großstädte und die großen Hallen gegangen. Handball hat ein ganz anderes Gehaltsniveau. Er ist schneller und athletischer geworden. Der Handball hat in allen Bereichen wahnsinnige Fortschritte in Siebenmeilenstiefeln gemacht.

Und wie würden Sie die heutige Generation „Handballer“ charakterisieren?
Kretzschmar: Teilweise sind das ziemlich cleane Vollprofis.

Wird sich der Handball auf Dauer hinter dem Fußball als Mannschaftssportart Nummer zwei festbeißen können?
Kretzschmar: Das ist möglich. Wir sind Weltmeister und haben genug Spieler mit Starpotential. Deshalb ist Handball ganz klar Mannschaftssportart Nummer zwei hinter Fußball.

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