+++ Das folgende Interview ist der zweite Teil eines Gesprächs, das ich im Sommer mit Stephan Anpalagan führte und von dem der erste Teil bereits auf WEB.de erschienen ist. Aus der dortigen Veröffentlichung wurde die letzte Antwort als inhaltliche Einleitung übernommen.
Stephan Anpalagan ist Geschäftsführer von „Demokratie in Arbeit“ sowie Journalist für verschiedene Publikationen, darunter die Tageszeitung „Neues Deutschland“, in der ich ebenfalls publiziert habe. +++
Stephan Anpalagan: (…) Ich denke, der Debattenkanal und die Gästeauswahl in den Talkshows wurden über lange Zeit sehr verengt, viele kluge Stimmen wurden vernachlässigt. Wenn Sie immer nur die ausgetretenen Pfade gehen, dann fallen Ihnen andere wichtige Perspektiven irgendwann nicht mehr auf. Ich würde an die Sender appellieren, sich mehr auf neue Stimmen einzulassen – und vielleicht auch mal das Risiko einzugehen, das jemand ins Studio kommt, der nicht so berechenbar ist.
Hat für Sie der öffentlich-rechtliche Rundfunk eher die Aufgabe, aktuelle Stimmungen in der Gesellschaft abzubilden – oder sollte er in einer Vorbildfunktion auch Impulse geben, etwa durch eine bestimmte Gästeauswahl?
Anpalagan: Die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender hat zwei Aufgaben: guten Journalismus machen und positiv auf das gesellschaftliche Zusammenleben hinwirken. Positiv in die Gesellschaft hineinwirken tun sie, in dem sie eine vielfältige, inklusive, weltoffene Geschichte erzählen, in dem sie Vorbilder zeigen, darstellen und selbst Vorbilder sind.
Und es muss klug debattiert werden. Talkshows bieten ja die Möglichkeit, zu zeigen, dass Menschen, die unterschiedlicher Meinung sind, verschiedenen Parteien angehören, konstruktiv über ein Thema diskutieren können, auch um der Sache willen. Und ich bin der Meinung, dass eine konstruktive Diskussion eher möglich ist, wenn wir eine vielfältige Gästebesetzung haben, also nicht nur immer wieder die Spitzen von CDU, FDP und SPD einladen, sondern auch mal eine andere Option auswählen.
Was ist nun mit der Einladung von AfD-Politikern, ist das Ihrer Meinung der richtige oder der falsche Weg?
Anpalagan: Wissen Sie, was ich interessant finde: Dass wir uns diese Frage nie gestellt haben, als die NPD im Parlament saß. Da gab es immer einen klaren politischen gesellschaftlichen Konsens, dass man mit Nazis nicht spricht.
Nun saß die NPD nicht mit einem Wahlergebnis von 12% im Bundestag…
Anpalagan: … aber mit 9,2% im Landtag von Sachsen. Sie saß auch im Europaparlament und sie ist in zahlreichen Stadt- und Kommunalparlamenten vertreten. Trotzdem wurde nie auch nur in Erwägung gezogen, dass man einem Holger Apfel eine Plattform gibt.
Damit ich Sie richtig verstehe: Sie sehen programmatisch keinen Unterschied zwischen NPD und AfD?
Anpalagan: Ich sehe nur den Unterschied, dass die AfD sich mehr um konservative Stimmen und Kreise bemüht, als die NPD es getan hat. Inhaltlich sehe ich aber keinen großen Unterschied, sowohl bei der NPD als auch bei der AfD hat sich eine klar rechtsradikale, faschistische, antisemitische Programmatik bahngebrochen. Die AfD hat es nur ein wenig umlackiert und versucht, konservative Milieus anzusprechen und sie der CDU abspenstig zu machen. Und weil ich programmatisch keinen Unterschied sehe, wundert es mich um so mehr, dass Sender und Sendeanstalten die AfD so anders behandeln als die NPD.
Man sollte nicht vergessen: Es war der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, der „Menschen in Anatolien entsorgen“ und der nicht neben Jérôme Boateng wohnen will. Wie viel Rassismus und Rechtsradikalismus muss der noch von sich geben, bis man anerkennt, dass wir es hier nicht einfach mit einem bürgerlich-konservativen Politiker zu tun haben?
Ich sprach dazu u.a. mit dem Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen. Er ist der Ansicht, dass das Öffentlichwerden dieser Meinung von Gauland über den (fiktiven) Nachbarn Boateng eine „sehr heilsame Debatte ausgelöst“ hat.
Anpalagan: Oh, nein, dieser Ansicht bin ich überhaupt nicht. Ich muss doch die Tat und das Wort bewerten – und nicht was daraus folgt. Ich kann nicht auf dem Marktplatz Bücher verbrennen und dann sagen, im Anschluss sei eine „heilsame Debatte“ über faschistische Methoden entstanden.
Das ist auch eine Verumdrehung dessen, was dort passiert: Ein Mann äußert sich menschenfeindlich, es gibt einen großen Aufschrei, weil es ein Spitzenpolitiker ist – das ist doch nicht etwas Gutes, sondern zeigt, wie sehr solches Gedankengut in der gesellschaftlichen Mitte anschlussfähig geworden ist.
Die meistgelesene Zeitung in Deutschland ist die „Bild“ und das meistgegessene Essen McDonalds. Das bedeutet aber nicht, dass ich mit „Bild“ über Journalismus und mit McDonalds über Schulspeisungen diskutieren muss.
Angenommen Sie sind Redakteur bei einem öffentlich-rechtlichen Sender: Würden Sie die AfD ausschließen?
Anpalagan: Ja und Nein. Zum einen sehe ich keinen Sinn darin, wenn etwa nach dem Anschlag von Hanau Journalisten zu Alexander Gauland gehen und ihn fragen, was er davon hält. So etwas finde ich absurd.
Andererseits schätze ich zum Beispiel die Interviews von Theo Koll, auch die Sommerinterviews mit der AfD, wo dann endlich mal inhaltlich gefragt wird, wo dargestellt wird, was diese Partei inhaltlich zu bieten hat. Sind sie für die Rente oder nicht? Was sagen sie zum Thema Digitalisierung, Wohnungsmarkt, Gesundheitspolitik – dort aufzuzeigen, dass diese Herrschaften nichts zu liefern haben, finde ich gut, weil man sie dann tatsächlich entlarvt. Ich erinnere mich auch an Interviews mit NPD-Kadern, wo das geschehen ist. Wo man auch nach der Devise verfahren ist: Wir nehmen ihnen das Mikrofon in dem Moment wieder weg, wo sie nur wild und antisemitisch drauf los schimpfen.
Wenn man diese Leute jedoch in eine Talkshow setzt, normalisiert man ihr Gedankengut. Man hebt sie damit auf ein Podest, das ihnen nicht zusteht.
Nun gibt es das Argument, dass der AfD, als stärkste Oppositionspartei im Bundestag, dieses Podest tatsächlich zusteht. Was sagen Sie AfD-Wählern, die finden, dass ihre Partei auch in Talkshows vorkommen sollte, weil sie ja im Parlament sitzt?
Anpalagan: Nichts sage ich denen. Die AfD ist im Kern eine faschistische Partei, was soll ich daran noch rumargumentieren? Und warum muss ich jede obskure Meinung, die irgendwelche Anhänger gewinnt, über öffentliche Plattformen legitimieren? In Hessen konnten die Menschen 2018 darüber abstimmen, ob der Passus der Todesstrafe, der bis dahin in der Hessischen Landesverfassung war, gestrichen wird oder nicht – und ein unfassbar hoher Anteil war gegen die Abschaffung dieses Passus. Es gibt in Umfragen immer wieder sehr viele Menschen, die die Wiedereinführung der Todesstrafe befürworten. Trotzdem ist nicht die Schlussfolgerung: ‚Wir müssen neu über die Todesstrafe nachdenken.‘ Nur weil viele Menschen etwas wollen, heißt es nicht, dass ich darauf eingehen muss. Die meistgelesene Zeitung in Deutschland ist die „Bild“ und das meistgegessene Essen McDonalds. Das bedeutet aber nicht, dass ich mit „Bild“ über Journalismus und mit McDonalds über Schulspeisungen diskutieren muss.
Und was die politische Meinungsbildung angeht, muss man klar sagen: Wir bewegen uns im Rahmen der freien, demokratischen Grundordnung. Und Parteien, die das nicht akzeptieren, disqualifizieren sich vom Diskurs, ganz egal wie viele Wählerinnen und Wähler die haben.
Ich höre dann als Widerrede oft, „du kannst doch nicht sechs Millionen Deutsche zu Nazis erklären“, wo ich mich dann frage: Warum fehlt uns die Phantasie, uns vorzustellen, dass sechs Millionen Deutsche dem Faschismus anhängen wollen? Dafür brauche ich nur das Geschichtsbuch aufzuschlagen.
Wir brauchen politischen Wettbewerb – und wir kriegen politischen Wettbewerb. Parteien wie die Grünen, Linke, FDP oder die Piraten bewegen sich innerhalb des demokratischen Spektrums und bekommen deshalb auch Platz, Ressourcen und Öffentlichkeit. Parteien wie die AfD und die NPD halt nicht. Letztere im Übrigen existiert kaum noch. Allerdings nicht weil wir als Demokratie so einen tollen Job gemacht hätten, oder der Verfassungsschutz oder die Gerichtsbarkeit. Sondern weil die AfD die NPD kopiert hat und es jetzt ‚besser‘ macht.
Wenn wir in Deutschland über Migration und Flüchtlingspolitik diskutieren, ist die AfD da für Sie ein Gesprächspartner?
Anpalagan: Wenn über Migration debattiert wird, ist es wichtig, dass ich unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen lasse. Es ist unglaublich wichtig, dass Menschen auch sagen können: „Ich möchte keine Migration“ oder „ich möchte bestimmte Formen der Migration nicht“ oder „ich möchte nicht, dass so viele Ausländer hier leben“ etc. Es ist völlig in Ordnung, wenn die Leute das sagen und wenn Parteien das repräsentieren. Wenn sich jedoch eine Politikerin vorne hinstellt und sinngemäß sagt ‚ich möchte, dass an der Grenze Frauen und Kinder abgeknallt werden‘, dann ist das kein Diskurs, den ich weiter tragen kann.
Das gilt im Übrigen auch für Teile der CSU, wenn sie angesichts von ertrinkenden Menschen die Seenotrettung als „Shuttleservice“ bezeichnen. Oder wenn ein grüner Oberbürgermeister ernsthaft über „Menschenrechtsfundamentalismus“ redet. Da frage ich mich als Journalist auch, wie das geht, das wir so etwas überhaupt publizieren, anstatt es in den Giftschrank zu stecken. So etwas Menschenverachtendes können wir doch nicht einfach drucken.
Wenn Sie die AfD als „im Kern faschistisch“ bezeichnen, was denken Sie dann über den Zusammenschluss „Juden in der AfD“?
Anpalagan: Für mich ist das absurd. Es ist ja kein realer Interessenverband in der AfD, er hat keinerlei programmatische Funktion, sondern seine einzige Funktion ist die des Feigenblatts.
Wenn Sie Jüdinnen und Juden fragen, was sie von dieser Vereinigung halten, werden die Ihnen antworten: ‚Ja, warum soll es nicht auch Idioten unter den Jüdinnen und Juden geben?‘ Und wenn ich mir anschaue, wie sich der Zentralrat der Juden, das Auschwitz-Komitee und 43 andere jüdische Organisationen zur AfD positioniert haben (PDF), ist das sehr eindeutig: Die AfD ist keine Partei, die jüdisches Leben in Deutschland schützt, sondern im Gegenteil Antisemitismus eher befördert.
Bernd Wagner von der Aussteiger-Organisation EXIT sagt, er würde zum Beispiel Beatrix von Storch „nicht von vornherein als Faschistin abtun“ und die Ausgrenzung der AfD sei „kein guter Beitrag gegen Rechtsextremismus“.
Anpalagan: Zunächst einmal: Bernd Wagner hat meine allergrößte Hochachtung. Er ist ein profunder Kenner und weiß vermutlich besser als alle anderen, was man beim Thema Rechtsextremismus tun kann. Dennoch sehe ich es ein bisschen anders:
Zum einen muss der Staat bei rechtsradikalen Taten, bei der Äußerung solches Gedankenguts und bei volksverhetzenden Straftaten bis zu den Zähnen bewaffnet sicherstellen, dass es eine Grenze gibt und dass wir bereit sind, diese zu verteidigen. Das passiert in Deutschland schon mal nicht.
Zweitens muss gesellschaftlicher Konsens sein, dass Demonstranten wie bei Pegida nicht für die Mehrheit sprechen. Wir müssen denen etwas entgegenstellen, ihnen mit Gegendemonstrationen das Leben schwermachen. Wir müssen auch deutlich machen, dass die AfD nicht einfach irgendeine konventionelle politische Partei ist, sondern eine im Kern ideologisch gefärbte menschenfeindliche Interessengemeinschaft.
Gleichzeitig müssen wir Einzelnen, die unsicher sind, die man noch erreichen kann, die in der Lage sind auszusteigen, denen muss man die Hand reichen. So wie es zum Beispiel EXIT macht.
Also wo genau sehen Sie die Sache anders?
Anpalagan: Wenn wir etwas weiter zurückschauen, nach Rostock-Lichtenhagen 1992: Da standen hunderte Menschen und applaudierten, während das Haus der Gastarbeiter in Flammen aufging. Dasselbe Bild sehe ich in den letzten Jahren bei den Ereignissen in Bautzen, Clausnitz, Freital und anderen. Ich sehe es teilweise bei Pegida-Demonstrationen und ich habe es auch gesehen bei den ‚Trauermärschen‘ in Chemnitz, wo sich Stephan Ernst radikalisierte, der spätere Mörder von Walter Lübcke. – Tatsache ist: Wir haben lange mit diesen Leuten geredet. Wir haben Verständnis gehabt, wir haben versucht, mit denen ins Gespräch zu kommen, sie nicht alle zu Nazis zu deklarieren, sie nicht in die rechte Ecke zu stellen usw. usf. Heute muss ich sagen, dass ich keine Lust mehr habe, diesem „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber…“ noch weiter zuzuhören. Dieses Entgegenkommen bringt nichts, es führt zu nichts. Ist die rechte Gefahr, nach 30 Jahren Untätigkeit und Handreichung, etwa kleiner geworden? Nein, das ist sie nicht.
Was Bernd Wagner macht ist fantastisch, er hilft einzelnen Menschen, aus der Szene auszusteigen. Das ist aber eine ganz andere Ebene, als die Frage, wie wir als Gesellschaft und als Staat mit solchen Bewegungen und Politikern umgehen. Und dort sage ich: Straftaten müssen knallhart verfolgt werden. Und den Mitläufern muss man klarmachen, dass wenn sie, zum Beispiel auf einer Corona-Demo, Leute mit einem aufgenähten Judenstern sehen, oder mit einem Pappschild „Wir sind alle Anne Frank“, dass sie dann drei Möglichkeiten haben: Entweder sie nehmen dem Typen das Pappschild weg, sie gehen nach hause, weil sie nicht mit Nazis marschieren wollen oder sie laufen gemeinsam mit diesen Leuten weiter. Wenn sie sich allerdings für Option 3 entscheiden, müssen sie damit leben, dass man sie in die gleiche Schublade einsortiert, wie den Typen mit dem Anne Frank-Schild.
Das war ja ein Tenor in den Kommentaren zu Querdenken: Wer mitdemonstriert, wenn eine Reichsflagge zu sehen ist, macht sich mit Nazi-Gedankengut gemein.
Anpalagan: Es sind nicht alles Nazis. Aber das grundsätzliche Problem, das wir schon 100 Jahre in diesem Land haben, ist, dass es deutlich zu viele Mitläufer gibt. Die stellen sich vielleicht am Ende hin und sagen ‚ich bin in Wirklichkeit ganz anders‘, aber sie sind da mitgelaufen. Es sind eben auch genau diese Mitläufer, die so eine Bewegung groß und stark machen. Und das ist ein Problem, gegen das man sich wehren und sagen muss: Nein, wir lassen das nicht zu.
Wir haben in Deutschland noch immer nicht das Verständnis dafür, dass es ein Richtig gibt und ein Falsch. Stattdessen kommen die Leute dann mit dieser komischen ‚false balance‘: ‚Der eine hat ein bisschen Recht, der andere auch, dann muss die Wahrheit ja in der Mitte liegen.‘ – Nein, es gibt Themen, wo die Wahrheit nicht in der Mitte liegt, dazu zählt Corona genauso wie Pegida. Denn wenn sich dann am Ende einer hinstellt und behauptet: „Ja, stimmt, der Islam gehört nicht zu Deutschland“ – dann haben wir ein veritables Demokratieproblem in diesem Land. Insofern sage ich: Ja, ein Zugehen auf Aussteiger, auf Menschen, die auf der Kippe sind, ist wichtig. Aber genauso müssen wir ganz klar anzeigen, wo die Grenze ist – und das hat mir in den letzten Jahren stark gefehlt.
Wenn man nun beispielsweise Pegida-Anhänger aus dem Diskurs ausschließt, wo gehen die dann hin? Oder ändern sie durch die Ausgrenzung ihre Meinung?
Anpalagan: Für mich ist erst mal die Frage: Werden und wurden diese Menschen in den letzten 30 Jahren vom Diskurs ausgegrenzt? Hat die „Bild“ jemals auf ihrer Seite 1 geschrieben: „Wer da mitläuft ist ein Arschloch“? Nein. Im Gegenteil: Es gab immer nur Verständnis, immer nur Handreichung, immer nur warme Worte, Politiker stellen sich hin und sagen: ‚Das sind ja auch nicht alles Nazis.‘ Und wenn ich mir die Jahre 2015, 2016, 2017 anschaue, da gab es keine Ausgrenzung, sondern die AfD saß immer wieder in den Talkshows. Guido Reil war zu Gast bei Markus Lanz, wo ich mich gefragt habe: Was ist da kaputt?
In Bezug auf die AfD oder auch die Bewegung Querdenken lässt sich aber zumindest im Moment feststellen, dass sie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Gesprächspartner so gut wie nicht vorkommen. Wo gehen die Leute dann hin mit ihrer Meinung? Oder werden sie die durch die dortige Ausgrenzung ändern?
Anpalagan: Ich möchte die Frage umkehren: Wäre es besser, wenn ich diese Leute in den Diskurs hineinhole? Und dann darüber spreche ob Bill Gates vielleicht wirklich vorhat, uns einen Microchip einzupflanzen?
Welche Alternative gibt es denn zu der Devise, ‚ich lasse bestimmte Meinungen im öffentlich-rechtlichen Rahmen nicht zu, weil es keine Meinungen sind sondern schlicht menschenfeindliche Propaganda oder Hetze‘?
Michel Friedman hat Horst Mahler interviewt und ich behaupte mal, dass es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk viele Top-JournalistInnen gibt, die mit Verschwörungstheoretikern umgehen können. Vielleicht wäre auch das Corona-Buch von Sucharit Bhakdi kein Bestseller geworden, wenn er von Profis kritisch befragt worden wäre.
Anpalagan: Da bin ich anderer Meinung. Das meistverkaufte Sachbuch der vergangenen Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, ist „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin. Und der hat sein Gesicht in jede Kamera gehalten, die es in Deutschland gibt. Er wurde in jede Talkshow eingeladen, es gab Vorabdrucke in Spiegel und FAZ, er war ständig bei der „Bild“, es gab Einordnung, Nachordnung, Analysen seiner Fußnoten – aber am Ende bringt das nichts. Das Ergebnis ist viel mehr, dass er durch den Auftritt auf den großen Plattformen normalisiert wird. Er kann seinen Kram erzählen, seine Erzählung mit Reichweite stark vermarkten, das hat Sarrazin nur geholfen. Da wurde auch nichts bloßgestellt, sondern es wurden einfach nur die Auflagen in die Höhe getrieben. Und das ist das, was grundsätzlich immer passiert.
Wie gesagt: Ich finde es gut, wenn jemand wie Theo Koll in Interviews demaskiert, dass die AfD keine politischen Inhalte hat. Ich denke allerdings auch, dass das im Prinzip keinen Einfluss darauf hat, ob die Leute AfD wählen oder nicht. Ich glaube, es gibt niemanden, der die AfD deshalb nicht gewählt hat, weil er so ein Interview gesehen hat.
Mitte Mai gab es einen Antifa-Angriff auf drei Besucher einer Querdenken-Demonstration, darunter ein Mitglied einer „AfD-nahen“ (BNN) Gewerkschaft, das daraufhin im Koma lag. Auf Indymedia war anschließend zu lesen: „Es geht uns mit körperlichen Angriffen darum, das öffentliche Auftreten der Faschisten soweit wie möglich zu unterbinden. … Sie sollen mit Schmerzen, Stress und Sachschaden rechnen und dadurch möglichst isoliert, gehemmt, desorganisiert und abgeschreckt werden.“ Wie beurteilen Sie so einen Angriff?
Anpalagan: Gewalt ist kein Mittel der politischen Auseinandersetzung. Wobei ich auch immer ein bisschen zurückhaltend bin, was Meldungen der AfD in Sachen Gewaltanwendung gegen ihre Mitglieder oder Plakate angeht. Wenn tatsächlich körperliche Gewalt vorliegt, muss man es ernst nehmen, das ist dann ein Fall für die Sicherheitsbehörden und den Staatsanwalt. Das Beispiel Frank Magnitz und ein halbes Dutzend anderer Fälle haben jedoch auch gezeigt, dass die Bereitschaft zum Opfertum bei der AfD durchaus gegeben ist, sprich man schrickt nicht davor zurück, Geschehnisse umzudeuten, damit sie zu der eigenen Erzählung passen.
Bis wohin geht Ihre Sympathie für Aktionen der sogenannten „Antifa“?
Anpalagan: In dem Augenblick, wo Menschen körperlich angegriffen werden ist Schluss. Es ist aber wichtig, körperliche Präsenz zu zeigen, in Gestalt von Gegendemonstrationen.
Was ist mit Gewalt gegen Dinge?
Anpalagan: Nein, auch Sachbeschädigung geht nicht. Zumal, wenn Sie ein Auto anzünden, können Sie nicht sicherstellen, dass dabei keine Menschen zu Schaden kommen.
Was ist, wenn Nazis im Netz geoutet werden, sprich mit Wohnadresse, Hausnummer etc.?
Anpalagan: Nein, das lehne ich natürlich ebenso ab. Das gefährdet Menschen. Und jeder Mensch hat ein Recht auf Privatsphäre.
Was ich wiederum als einen wichtigen Teil der Antifa-Arbeit sehe, ist die Aufdeckung von politischen Verbindungen, etwa zwischen Konservativen und Neonazis. Wir wüssten deutlich weniger über viele Terrororganisationen, über die Verstrickungen von Björn Höcke mit seiner Kunstfigur Landolf Ladig oder mit dem Neonazi Thorsten Heise, wenn das nicht „die“ Antifa herausgefunden hätte. Aber auf einer Karte aufzuzeigen wo Björn Höcke wohnt oder wo seine Kinder zur Schule gehen ist für mich genauso eine Straftat, wie wenn es Rechtsextreme mit Linken machen würden.
Nun gibt es das im Grundgesetz-Paragraphen 20, Abs. 4 formulierte Widerstandsrecht („Gegen jeden, der es unternimmt, diese (verfassungsmäßige) Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“). Kann das einen Angriff, wie den gerade erwähnten, legitimieren?
Anpalagan: Es ist ja die Frage, ab welchem Punkt man anzeigen kann, dass die Verfassungsordnung in Gefahr ist.
Ist sie in Gefahr, Ihrer Meinung nach?
Anpalagan: Nein, ich sehe unsere Verfassung nicht in Gefahr. Wenn ich hingegen in die USA schaue, wo der Präsident eine verlorene Wahl nicht anerkennen will, würde ich dort schon eher von so einem Zustand sprechen.
In Deutschland habe ich mir aber zuletzt in einer anderen Situation die Frage gestellt, ob körperliches Eingreifen legitim wäre: Und zwar als im August in Düsseldorf ein Polizist mit dem Knie den Kopf eines Tatverdächtigen herunterdrückte. Das ist keine Sache von Art. 20/4, doch wenn man sieht, wie ein Polizist sozusagen ‚George Floyd-artig‘ auf einer festgenommenen Person kniet, somit – zumindest augenscheinlich – den Tod eines Menschen billigend inkauf nimmt – darf ich dann einschreiten? Einerseits stelle ich damit das staatliche Gewaltmonopol infrage, andererseits könnte unterlassenes Eingreifen dazu führen, dass die Person stirbt. Das ist eine durchaus spannende Frage mit der man sich auch auseinandersetzen muss. Und was den erwähnten Fall angeht: Selbst der Innenminister des Landes NRW war angesichts der Bilder schockiert, wie also soll ein Zivilist innerhalb von Bruchteilen einschätzen können, dass hier kein Fall von Polizeigewalt vorliegt?
Der deutsch-iranische Regisseur Faraz Shariat beklagte 2019 bei einer Preisverleihung im Hinblick auf Menschen mit Migrationshintergrund, dass sie – obwohl Deutschland seit Jahrzehnten von Einwanderung geprägt ist – „nicht Teil des nationalen Narrativ sind“. (Quelle) Wie lange wird es Ihrer Ansicht nach noch dauern, bis sich das ändert?
Anpalagan: Das weiß ich nicht. Wenn ich sehe, dass sich die USA auch 155 Jahre nach Ende der Sklaverei schwer damit tun, schwarze Amerikaner gleichberechtigt zu behandeln, gehe ich nicht davon aus, dass wir beide das noch erleben werden. Ich weiß auch nicht, ob unsere Kinder das noch erleben werden.
Ich glaube, wenn wir gesellschaftlich nicht noch zwei, drei echt große Schritte nach vorne machen, wird es noch sehr lange dauern, bis man einerseits das Deutschsein nicht an der Hautfarbe fest macht und andererseits diejenigen, die nicht deutsche Staatsangehörige aber trotzdem Teil dieses Landes sind, nicht als Menschen zweiter Klasse bewertet. Das ist eine Perspektive, bei der ich sogar skeptisch bin, ob wir sie jemals erreichen werden. – Und trotzdem ist es sehr wichtig, sich dafür einzusetzen.
Sie setzen sich dafür auch mit Ihrer Unternehmensberatung „Demokratie in Arbeit“ ein…
Anpalagan: Ja, wir beraten dort mehrere Kunden, wir sprechen zum Beispiel mit Nachrichtenagenturen über Verwendung von nicht-rassistischer Sprache oder wir überlegen mit Firmen, wie eine Unternehmenskultur gelingen kann, die inklusiv ist und nicht bestimmte Gruppen ausgrenzt. Wir entwickeln auch mit Städten und Gemeinden Handlungskonzepte gegen Rechtsextremismus.
Sie schreiben als Journalist über Rassismus, werden zu diesem Thema auch in Talkshows eingeladen. Was sind die Themen, mit denen Sie sich eigentlich viel lieber beschäftigten würden, anstatt immer wieder zu Ausländerfeindlichkeit befragt zu werden?
Anpalagan: Tatsächlich geht es mir oft genug so, dass ich diese Themen gar nicht behandeln will, weil es ja nicht unbedingt etwas ist, was sich positiv aufs Gemüt auswirkt. Wenn Sie nächtelang Videos von ertrinkenden Menschen schauen oder tief in rechtsextreme Netzwerke hineinrecherchieren, dann ist das sehr schlecht für die Psycho-Hygiene.
Ich selber fahre sehr gerne Motorrad und finde daher das Thema Mobilität in Deutschland sehr spannend. Auch Bildung und Klimaschutz sind Themen, mit denen ich mich in Zukunft gerne mehr auseinandersetzen würde.
Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich wohl am liebsten Restaurantkritiker werden und über gastronomische Entwicklungen und Speisekreationen schreiben. Ich beschäftige mich wirklich gerne damit, was in der Kulinarik passiert, welche neuen Trends es gibt, wie die Molekularküche funktioniert, gesünderes Essen, vegan, regional… – mit solchen Dingen würde ich mich schon lieber auseinandersetzen als mit Rassismus und der AfD.
Es gab – wie es im Interview auch an klang – schon immer zu viele Mitläufer. Und wer will es den Leuten verdenken? Selbst „traditionelle“ Medien weiten die Grenzen des Möglichen / Erlaubten / Ertragbaren immer weiter aus, um weiter gefasste Extreme und damit leichter in Quote und Auflage umsetzbare Aufreger zu erzeugen.
Und andererseits treibt die meisten Menschen nicht die gesamtgesellschaftliche Sorge, sondern die Sorge um ihren „Stamm“ (Familie / Freundeskreis) an. Also möglichst wenig auffallen, dann ist das eigene Rudel halbwegs sicher. So viel Höhlenmensch steckt noch in uns.
Ich bin da mal ehrlich: Ich habe keine Ahnung, wie ich mich im Dritten Reich (und während seiner Entstehung) verhalten hätte. Aus heutiger Sicht ist das leicht: Natürlich wäre ich dagegen. Aber damals? Hätte ich aus Angst um die Leute, die mir lieb und wichtig sind, nicht einfach die Schnauze gehalten?
Dazu kommt, dass die meisten Menschen den Eindruck haben, sowieso nichts ändern zu können. Und in gesamtgesellschaftlicher Perspektive können die meisten von uns das auch nicht. Wir können im Zweifelsfall nur versuchen, in unserem Umfeld für Besserung zu sorgen.
Ich bin auch kein Freund vom NetzDG (weil es im Grunde ein missbrauchbares Zensurgesetz ist), sondern eher davon, den Menschen beizubringen, sind gerade zu machen und Hass und Lügen entgegen zu treten. Mit Fakten und damit, Leute zu unterstützen, die Hass und Beleidigungen ausgesetzt sind.