Frau Lücke, ernähren sich die Leute im Fernsehen gesund?
Lücke: Grundsätzlich eher nicht. In sämtlichen Formaten werden zu viele Süßigkeiten gegessen und zu wenig Obst und Gemüse. Fleisch wird sehr häufig verzehrt und es wird viel Alkohol getrunken. Bestimmte Standardlebensmittel, wie Kartoffeln oder Getreideprodukte kommen nicht so oft vor, wie sie eigentlich sollten.
Welche Normen für gesunde Ernährung haben Sie für Ihre Studie "Ernährung im Fernsehen" eigentlich als Grundlage genommen?
Lücke: Die Normen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), weil diese Institution für sich beansprucht, die Standards zu setzen, was man essen und trinken sollte. Die DGE sammelt weltweit wissenschaftliche Studien zum Thema Ernährung und gibt Leitlinien und Empfehlungen heraus. Die Ernährungspyramide ist ein Beispiel, das den meisten Leuten bekannt ist.
Gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Fernsehformaten?
Lücke: Ja. In der Werbung sind Süßigkeiten natürlich überrepräsentiert. Wer soll denn auch Werbung für Obst und Gemüse machen? Da gibt es ja nur ganz wenige Marken. Neben Süßigkeiten tauchen Milchprodukte in der Werbung besonders häufig auf. Interessant ist die Gattung der sogenannten „realitätsbezogenen Unterhaltungssendungen“, also in erster Linie Volksmusiksendungen. Dort wird extrem viel Alkohol getrunken. ARD und ZDF kommen da nicht besonders gut weg, weil diese Sendungen eher dort zu sehen sind.
Welche Formate sind Ihnen denn positiv aufgefallen?
Lücke: Vor allen Dingen Daily Soaps, wie „Verbotene Liebe“ oder „Gute Zeiten – Schlechte Zeiten“. Dort kommt Obst sehr häufig vor. Sei es in Form einer Obstschale oder durch einen Apfel in der Hand eines Schauspielers.
Also als Requisite?
Lücke: Genau. Vermutlich weil es gut aussieht. Diese Soaps müssen sich natürlich mit relativ geringen Mitteln ein schönes und einigermaßen realitätsnahes Umfeld schaffen. Da kommen die Leute vom Einkauf zurück und aus ihrer Tüte ragt ein Bund Möhren heraus.
Oder Porree.
Lücke: Das ist der Klassiker (lacht). Und wenn etwas oft im Fernsehen gezeigt wird, bleibt es in den Köpfen der Leute hängen.
In den letzten Jahren gab es einen Boom an Kochsendungen. Wie bewerten Sie das aus Ihrer Sicht?
Lücke: Positiv ist zu erwähnen, dass in nahezu allen Kochsendungen in erster Linie mit frischen Zutaten gekocht wird. Dort entsteht dann ein gutes Ernährungsbild, auch wenn oft ein eher ungesundes Dessert zubereitet wird. Ich finde Kochsendungen sinnvoll und praktisch.
Obwohl eigentlich immer das Bild vermittelt wird, dass zu einem Gericht auch ein Stück Fleisch gehört.
Lücke: Ich würde das nicht so kritisch sehen. Wenn gleichzeitig viel frisches Obst und Gemüse verwendet wird, finde ich das richtig, selbst wenn fast immer Fleisch dabei ist. Die Sendungen vermitteln den Eindruck, dass Kochen Spaß macht und das ist doch entscheidend.
Aber kochen die Leute dadurch auch öfter und vielleicht sogar besser oder ist das Gegenteil der Fall: man schaut sich die tollsten Kochsendungen an und zu Hause gibt es Tiefkühlpizza?
Lücke: Diese Frage wird immer wieder diskutiert. Ich kenne den Vorwurf auch, dass durch die Kochsendungen bestimmte Kochrituale verlottern und verrohen. Wolfram Siebeck von der „Zeit“ vertritt diese Ansicht. Aber dem muss ich ganz laut widersprechen. Ganz ohne Kochsendungen würden sich die Menschen wohl kaum gesünder ernähren. Vielleicht bleibt hin und wieder hängen, dass es statt der Tiefkühlpizza eben auch mal ein leckerer Salat sein kann. Ich glaube, die Sendungen bewirken entweder Lust aufs Kochen oder sie bewirken gar nichts. Zumindest bewirken sie aber nichts Negatives.
Sie sprechen in Ihrem Buch von einer „Verzerrung der Fernseh-Ernährungswelt gegenüber der realen Welt und offiziellen Normen.“ Was meinen Sie damit?
Lücke: Zunächst einmal werden die Empfehlungen der DGE in der Mehrzahl der Fälle von den Verbrauchern nicht umgesetzt. Ich habe mich gefragt, wie es denn mit diesen Empfehlungen in der Fernsehwelt aussieht.
Ich glaube, die Kochsendungen bewirken entweder Lust aufs Kochen oder sie bewirken gar nichts. Zumindest bewirken sie aber nichts Negatives.
Wie sieht es denn da aus?
Lücke: Nun, die DGE empfiehlt einen Getreideproduktanteil von 30 Prozent an der täglichen Ernährung. In Fernsehsendungen, in denen Lebensmittel auftauchen, machen Getreideprodukte jedoch nur einen Anteil von 15 Prozent aus. Ähnlich geringe Werte wurden bei Obst und Gemüse nachgewiesen. Obwohl Süßigkeiten überhaupt nicht empfohlen werden, machen sie rund 30 Prozent der Lebensmittelzusammensetzung im Fernsehen aus. Das hängt natürlich mit der Werbung zusammen.
Sollte das Fernsehen in bezug auf Ernährungsfragen denn eher Vorbild sein oder eher die Realität abbilden?
Lücke: Zunächst ist es ja interessant, dass im Fernsehen weder das reale Ernährungsverhalten abgebildet wird noch die Empfehlungen der DGE, sondern ein Bild, das es so gar nicht gibt.
Ich glaube, wenn man feststellen kann, dass das Fernsehen bestimme Verhaltensweisen beeinflusst, dann gibt es auch die Möglichkeit für Aufklärungsinstitutionen, ihre Botschaften unterzubringen und somit positiven Einfluss auszuüben. Lange Zeit wurde das in Deutschland nicht erkannt, während Pharmaunternehmen und große Lebensmittelkonzerne ihre Botschaften ständig mit großer Wirkung über das Fernsehen transportieren. Die, die eigentlich positive Botschaften hätten, nutzen das Fernsehen nicht, obwohl es ein Medium ist, das Millionen von Haushalte erreicht.
Aber wie schafft man es, gesunde Ernährung im Fernsehen zu vermitteln?
Lücke: Nun ja. Regisseure und Requisiteure müssen aus vorhandenen Mitteln schöpfen, um bestimmte Szenen auszustatten. Dafür haben sie in der Regel Warehouses, also Warenhäuser, in denen es das gibt, was man in jedem normalen Haushalt findet. Jede größere Produktionsgesellschaft hat solche Häuser auf ihrem Gelände. Obst- und Gemüsehändler könnten diese Warenhäuser stärker beliefern, in der Hoffnung, dass mehr Obst und Gemüse in den Sendungen auftaucht. Insgesamt sollte verstärkt darauf geachtet werden, dass gesunde Ernährung thematisiert wird. Ich weiß, dass Pharmafirmen zum Teil versuchen, bestimmte Krankheitsbilder in die Soaps zu integrieren. Wenn zum Beispiel ein Protagonist auf einmal Kalziummangel hat und dann eine Kalziumtablette einnimmt oder die Tochter sagt: „Denk an deine Knochen.“ Dafür wird natürlich Geld gezahlt. Gleichzeitig ist es schwierig, da im Einzelfall eine Schleichwerbung nachzuweisen. Es kann ja aus dem Leben gegriffen sein und Soaps wollen auch Realität darstellen. Aber genauso könnte man Regisseure bitten, positive Handlungsstränge um das Thema Ernährung zu integrieren.
Und schon leben die Deutschen gesünder?
Lücke: Ganz so einfach ist es nun nicht. Ich glaube man kann nur gezielt und punktuell positiv beeinflussen, indem eine Protagonistin zum Beispiel Obstsalat anstelle von Croissants isst. Ich glaube aber nicht, dass man das Gesamtbild von Essen und Trinken stark verändern kann, weil es sich aus so vielen Faktoren zusammensetzt.
Aber warum sollte sich ein Regisseur oder Produzent darauf einlassen? Sollen die DGE und andere Institutionen dafür bezahlen?
Lücke: Natürlich nicht, das wäre ja eindeutig Schleichwerbung, sprich illegal. Sie können nur an den Einfluss der Regisseure appellieren, damit die sich bewusst werden, welche Macht oder zumindest welchen Einfluss sie eigentlich auf die Zuschauer haben. Schauen Sie sich an, wie erfolgreich Jeanette Biedermann und Yvonne Catterfeld sind. Wenn 14-jährige Mädchen sich die gleichen Frisuren machen, dann haben sie eine Vorbildfunktion und die kann man eben auch auf andere Weise positiv nutzen.
Wird so etwas in Deutschland bereits gemacht?
Lücke: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung arbeitet bereits mit einigen TV-Sendern zusammen. Insgesamt ist es aber eher schwierig, weil die Regisseure in Deutschland die Notwendigkeit auch nicht erkennen. Anders als zum Beispiel in den USA, wo es Preise für gesundheitliche Aufklärung in Unterhaltungsprogrammen gibt.
Warum gibt es so etwas hierzulande nicht?
Lücke: Das ist mir auch ein Rätsel. Ich werde stattdessen gefragt, ob sich Aufklärungsinstitutionen nicht auf eine Ebene mit Pharmakonzernen begeben, wenn sie versuchen, die Verbraucher mit subtilen Methoden zu überzeugen.
Und was entgegnen Sie diesem Vorwurf?
Lücke: Wenn Unternehmen das Fernsehen für ihre Zwecke nutzen, die ja keinesfalls immer gute Zwecke sind, warum soll man das Fernsehen nicht auch für eindeutig positive Zwecke nutzen können?
Indem man beispielsweise die Gummibärchenschale bei „Wetten, dass..?“ durch eine Obstschale ersetzt?
Lücke: (lacht) Noch toller wäre es, wenn Thomas Gottschalk sich zwischendurch etwas aus dieser Schale nimmt und sagt: „Ich bin umgestiegen und seitdem geht es mir besser.“
Vielleicht bekommt er dann Probleme mit Haribo?
Lücke: Vermutlich. Aber daran sieht man doch auch, warum Haribo sich an Thomas Gottschalk gewandt hat. Er ist bekannt, Vorbild und Sympathieträger.
Was essen Sie eigentlich am liebsten?
Lücke: Ich bin Vegetarierin und esse eigentlich Obst und Süßigkeiten am liebsten. In der Zeit vor Ostern esse ich aber keine, weil ich mir beweisen will, dass ich auch ohne Schokolade auskommen kann.
Spannend und anregend
Ich bin durch eine Recherche für eine Hausarbeit im Fach Soziologie (Studienfach: Ökotrophologie) mit dem Thema „Stellenwert der Ernährung in Fernsehen, Radio und Printmedien“ auf dieses Interview gestoßen. Daraufhin habe ich sofort nachgeschaut, ob es das Buch in der Stadtbibliothek gibt – leider vergebens. Und 40 Euro sind mir als Studentin einfach zu viel Geld, um es für ein Buch auszugeben, das ich für eine Hausarbeit gebrauchen könnte.
Ich interessiere mich schon sehr lange für gesunde Ernährung und verfolge gespannt die Entwicklung in den Medien. „Gendheitsendungen“, wie z.B. „Besser essen“ oder auch „Der große Gesundheits-check“ sprießen nur so hervor, ebenso diverse Kochsendungen (wie bereits im Interview erwähnt). Durch das Interwiew bin ich auf die Idee gekommen, die Werbung stärker in die Hausarbeit miteinzubeziehen. Wirklich sehr spannendes Feld!
Im Übrigen gebe ich meinem Vorschreiber recht: Ich bin auch dafür, dass mehr Ökotrophologen zu Rate gezogen werden, wenn es um Gesundheit und Ernährung geht.
Super Thema
Man könnte auch mal die wissenschaftliche und ethische Qualität von sogenannten Ernährungsinformationssendungen prüfen oder die Qualifikation und Vorgehensweise bei Sendungen, in denen Menschen bei der Gewichtreduktion begleitet werden. Wenn zum Beispiel der gesamte Inhalt des Kühlschranks einer Familie weggeworfen wird. Darf man Heute so mit Lebensmitteln umgehen? Oder wenn die Menschen nur mit Schockwirkung motiviert, aber nur sehr wenig gelobt werden. Darf man Menschen mit Übergewicht im Fernsehen öffentlich bloß stellen? Eine Frau hat sogar mal einen Einlauf bekommen. Das sind keine Ernährungswissenschaftler. Dürfen diese Leute alles machen? Tragen sie nicht dazu bei, dass Menschen Angst vor echten Ernährungsberatungen bekommen und sich danach schlecht fühlen?
Stimmen die Aussagen und Empfehlungen immer mit der aktuellen wissenschaftlichen Meinung überein, die da getroffen werden? Beispiel: Zu viele Kartoffeln würden dick machen, stimmt nicht. Kartoffeln sind gesund, haben Ballaststoffe, machen satt und sind nährstoffreiche Lebensmittel. Zartbitterschokolade ist keinesfalls besser, als andere Schokolade. Das fettarme Produkte nichts bringen stimmt auch nicht. Wenn die gleiche Menge verzehrt wird, wird Fett eingespart, nur wenn mehr gegessen wird, hilft es nicht, sondern schadet eher.
Schlechte Vorbilder in den Medien sollten öffentlich angeprangert werden. Es sollte Werbung für gesunde Verhaltensweisen geben, die von der Bundesregierung finanziert wird. Das würde mehr bringen, als alles andere, weil die Modelfunktion von Vorbildern in den Medien meiner Meinung nach sehr mächtig ist.
ErnährungsberaterIn sollte sich nicht mehr jeder nennen dürfen. Es sollte verboten werden, wenn keine entsprechende Basis vorhanden ist (Ökotrophologie, Diätassistentin, Ernährungsmedizin).