Stephen Frears

Das monarchische System ist widersprüchlich – doch es funktioniert.

Regisseur Stephen Frears über Monarchie und Machtspiele in Großbritannien und seinen Film "Die Queen"

Stephen Frears

© Concorde Filmverleih GmbH

Mr. Frears, Ihr Film “Die Queen” wurde kontrovers diskutiert: “Schlüsselloch-Doku”, “Familiendrama”, “Königliche Karikatur”…Was beschreibt Ihren Film besser: Karikatur oder Close-Up?
Frears: (lacht) Oh, um ehrlich zu sein, beides: Der Film ist eine sensible Nahaufnahme, mit einer distanzierten Perspektive, die ein sehr unterkühltes Königshaus Windsor–Mountbatten in einem Konflikt zwischen traditionellem Protokoll und Wandel der Werte karikiert.

Wann und warum haben Sie sich entscheiden, diesen Film zu drehen?
Frears: Nun, zunächst war ich einfach von dem wunderbaren Drehbuch von Peter Morgan begeistert, der hier eine außerordentlich stringente, gut recherchierte Story und gleichzeitig exzellente Dialog–Dramaturgie geliefert hat: Peter schreibt wirklich bittersüß, seine Pointen entstehen zwischen den Zeilen. Dann war natürlich der Zeitpunkt maßgebend: Es ist bald zehn Jahre her, dass Lady Diana so tragisch ums Leben kam. Und: Großbritannien ging durch seine schwierigste Dekade in der jüngsten Geschichte. Einen weiteren Aspekt boten die dargestellten Charaktere: Alle Hauptfiguren sind bereits Teil der britischen Geschichte, obwohl sie immer noch im Amtsgeschäft und an der Macht sind. Premierminister Blair ist immer noch im Amt und die Queen – ja, die war schon immer da, seit ich denken kann. Das ist wie ein Möbelstück in deinem Zimmer, das sich nie verändert hat. Sie ist im Fernsehen, auf Bildern, ja sogar auf Briefmarken zu sehen, zu meiner visuellen Wahrnehmung gehört sie genauso wie die Tower-Bridge in London oder der Union Jack.

Hatten Sie und Ihr Team Angst, es würde seitens der königlichen Familie, Familie Blair oder der Regierung gegen Ihren Film interveniert werden?
Frears: Ach nein, nicht wirklich. Helen Mirren war etwas besorgt, weil alle im Film dargestellten Personen noch leben und vor allem amtieren würden – mit Ausnahme von Lady Diana Spencer natürlich – was für einen Schauspieler natürlich eine weit sensiblere Situation und höhere Herausforderung bedeutet, als eine tote historische Person wie z.B. Henry V. zu spielen. Andererseits sind diese Leute, die Politiker wie die Royals so weit oben an der Macht, fern der täglichen bürgerlichen Befindlichkeiten – was sollten sie sich mit einem gewöhnlichen Filmemacher rumplagen? Was würden sie gewinnen? Nein, das ist so wie wir es im Film zeigen: sie bleiben souverän auf Distanz.

Wie war nun die Reaktion der königlichen Familie auf Ihren Film?
Frears: Das kann ich nicht sagen, ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie den Film überhaupt gesehen haben. Es gab zu keinem Zeitpunkt irgendeinen Kontakt mit ihnen.

Es wurde berichtet, dass Drehbuchautor Informationen direkt aus dem Buckingham Palace erhalten hat, um ein präzises Drehbuch schreiben zu können…
Frears: Ein guter Autor oder ein guter Journalist braucht Kontakte. Ich weiß nicht, wie weit die nun in den Buckingham-Palast hineinreichen, aber es gibt doch immer Blätter, die der Wind über den Zaun weht.

In Ihrem Film spricht Blairs Berater Alastair Campbell von einem Wertewandel, als die Briten auf die königliche Familie schimpfen und dem Premier applaudieren. Glauben Sie, da verändert sich gerade etwas in Großbritannien?
Frears: Großbritannien hat sich in den letzten zehn Jahren sehr verändert. Tony Blair hat gut angefangen, er hat mehr saniert als jeder andere Premier vor ihm, er war sogar radikaler als Thatcher. Aber in den letzten fünf Jahren hat er uns auch viel geschadet: er hat uns belogen, er hat unsere Truppen in den Irak geschickt um unsere Werte zu „verteidigen“… Welche Werte frage ich mich? Geld? Lügen? Kontrolle? Ich könnte da jetzt noch mehr zu sagen, aber es regt mich wirklich auf, was die Regierung mit unserem Land gemacht hat.

Der Film entwickelt sich zum Ende hin weniger zu einer Kritik gegenüber der Queen als vielmehr gegenüber Premierminister Tony Blair…
Frears: Ich will mit diesem Film niemand beschuldigen, sondern ich will zeigen, wie diese Leute mit ihrer Macht umgehen und ihre Werte behaupten: Die Queen beweist, dass alle Werte immer gleich sind und gleich bleiben, während Tony Blair davon überzeugt ist, dass sich Werte wie Moral oder Loyalität wandeln. Er ändert seine Standpunkte mit zunehmender Macht als Premier – seine Parteifreunde und vor allem seine Frau Cherie halten dagegen an ihren Labour-Idealen fest. Elizabeth führt Blair in wenigen Worten vor, dass es die wahre Macht der Krone ist, über Jahrhunderte hinweg Traditionen und Transitionen zu verbinden, Moden und Innovationen in einem bewährten Gefüge zu integrieren. Darum werden schrille Rockmusiker wie Mick Jagger oder Elton John zum Sir geadelt und passionierte Hirschjäger wie Prinz Phillip initiieren den World Wildlife Fund zum Artenschutz. Das ist kein Witz, das ist die Wahrheit. Das gesamte monarchische System ist widersprüchlich, doch es funktioniert – ich glaube gerade wegen seiner Widersprüchlichkeit, wegen seines einzigartigen Systems, das über Jahrhunderte hinweg funktioniert hat, sich über jede Mode, jeden Zeitgeist und jede Entwicklung hinwegsetzt.

Gut, aber was meinen Sie, sind die Mechanismen, die diese und andere Monarchien am Leben halten: Gute Berater? Macht und Reichtum? Politischer Instinkt?
Frears: Instinkt, auf jeden Fall! Und Berater? Nun, die Royals sind nicht dumm, ganz im Gegenteil: Sie brauchen politische Berater weniger mangels eigener Intelligenz, sondern vielmehr aus Gründen des Zeitmanagements. Was das Königshaus aber wirklich in jeder Epoche überleben lässt, sind die Gesetze der geteilten Macht, unserer parlamentarischen Monarchie: Divide et impera! Oder auch Macht durch Schwäche! Sehen Sie, die Königin besitzt im Grunde keine wirkliche Macht, denn die Exekutive ist an das Parlament gegeben. Der Premier führt die exekutive und legislative Macht. Diese Macht muss er sich erkämpfen, genauso verliert er sie im Kampf, denn er wird bekämpft: Der Mächtige muss kämpfen, rennen und sich schützen. Am Ende besitzt er keine Macht, sondern wird von ihr besessen – und gefressen. Siehe Blair. Die Königin dagegen ist nicht in der Exekutive, sie braucht nicht agieren, sie lässt agieren. Viel bequemer. Und keiner drängelt sich auf den Thron. Sie steht ein bisschen außerhalb des Geschehens und dennoch an der Spitze des Landes. Es ist die vermeintliche Schwäche und Handlungslosigkeit der Monarchie, die sie so machtvoll macht. Wieder eine Widersprüchlichkeit, aber sehen Sie: Premierminister kommen und gehen – die Krone bleibt. Die Krone und der Thron sind stark weil sie nicht kämpfen müssen.

Doch nach dem tragischen Tod von Lady Diana hatte die Queen plötzlich einen Kampf auszutragen: Sie musste eben jene Herzen ihrer Untertanen zurück erobern.
Frears: Oh, ja: Das war wirklich das aller erste Mal seit Urzeiten, dass die britische Monarchie schwer beschädigt wurde. Die Menschen äußerten das erste Mal und vor laufender Kamera, dass sie die Monarchie satt haben. Das war sicherlich nicht die überwiegende Meinung der Bevölkerung und ich meine, dass der Thron trotz der Unruhen niemals gestürzt worden wäre, aber…hm, wer weiß, was noch alles passiert wäre, wenn Elizabeth nicht nach Buckingham zurückgekehrt und noch ein paar Tage länger in ihrer Sommerresidenz auf Schloss Balmoral geblieben wäre. Sie hätte sicherlich für längere Zeit den das Vertrauen der Menschen in die Monarchie zerstört. Wichtig hierbei ist, dass ihre Majestät Elizabeth II nicht nur die Königin ist, sondern auch das Oberhaupt der Anglikanischen Kirche in Personalunion bildet. “Defender of the Faith”, Verteidiger des Glaubens ist ein elementarer Teil ihres offiziellen Titels. Was Elizabeth II fast zu spät begriff: Sie hatte die Situation völlig falsch eingeschätzt und schlitterte selbstverschuldet in die einzige und gleichzeitig schwerste Krise in ihrem politischen Leben seit Amtsantritt als Monarchin. Das war eine außergewöhnliche Situation und das war es, was uns dazu bewog, diesen Film zu produzieren.

Trotz aller Kritik scheint es, als entwickeln Sie im Verlauf des Films Sympathie für Queen Elizabeth II, jedenfalls taucht sie später in besserem Licht auf, als zu Beginn – eine versöhnliche Note?
Frears: Moment, einerseits kann ich nicht abstreiten, dass ich die Queen und die Royals von einem sehr kritischen Blickwinkel aus betrachte, doch andererseits sollten die Zuschauer auch sehen, dass Elizabeth II vor allem auch ein Mensch ist: Sie hat Gefühle, Emotionen und Sehnsüchte, die jeder Mensch besitzt. Jeder Mensch muss Rollen spielen, der eine mehr, der andere weniger, das ist es auch, was diese Geschichte so einfach macht: ”Die Queen” zeigt ein Familiendrama, nicht mehr, nicht weniger. Die Royals sind zwar eine besondere Familie, aber eben auch nur eine Familie.

Und wie würden Sie nun den Mensch Queen Elizabeth II. beschreiben?
Frears: Hm…Rückblick: Elizabeth II. erwartete nicht, Königin zu werden und ich glaube sie wollte es auch nicht sein, als sie 1952 den Thron bestieg, nachdem ihr Vater, König Georg VI, starb. Sie war sehr jung, als sie gekrönt wurde und die Krone im Nachkriegsbritannien zu tragen hatte. Sie wurde in eine raue Militär- und Männerwelt hineingeboren und lernte neben ihrer akademischen Ausbildung den Beruf der KFZ – Mechanikerin. Als Schrauberin diente sie als Mitglied der heimatlichen Hilfstruppen während des 2. Weltkriegs. Sie lernte sich als Mann durchzusetzen und zeigte niemals, niemals irgendwelche Schwächen. Sie hatte das Commonwealth zu führen, während das British Empire gerade unterging und seine Kolonien nach und nach in die Unabhängigkeit entließ – und musste dennoch das Gesicht vor ihren Leuten wahren. Britannien gewann den Krieg, doch den Kuchen verleibten sich die Amerikaner ein. Dennoch: Keine Schwächen. Motto: “Duty First, Self Second!” Das war es, was ihrer Meinung nach ihre Untertanen von ihr erwarteten – und bis in die Achtziger Jahre hinein war dieses Profil auch in der Tat gefordert. Doch mit Dianas Tod brach das ganze Gerüst zusammen: Die Medien und die Menschen beschimpfen Elizabeth erst recht als kaltherzig, mürrisch und arrogant. Dabei reagierte sie doch nur so, wie sie schon immer war: Distanziert. Was war bloß los? Nun, die Zeiten haben sich doch geändert, die Menschen mögen menschliche Monarchen, so wie Diana. Schlimm für die Queen: Ausgerechnet ein junger Emporkömmling aus der unteren Mittelschicht wie Tony Blair muss ihr, Elizabeth, erzählen, was die Menschen von ihren Machthabern verlangen sollten. Und viel schlimmer noch: Eine tote Diana vermag mehr Menschen zu gewinnen als eine lebende Queen. Das alles muss ein echter Schock für Elizabeth gewesen sein… Im Gegensatz zur Medienmaschinerie in London scheint die zeitlose und friedliche Atmosphäre der schottischen Highlands der einzige Ort der Welt zu sein wo sie sich frei fühlt. Ihren Tiere, seien es Hunde oder Hirsche, akzeptieren sie als das, was sie vor allem ist: Eine Frau!

Sie wurden in England dafür kritisiert, dass Sie die Gerüchte um Dianas Tod und die fehlerhafte Arbeit der Untersuchungskommission vollkommen in ihrem Film ignoriert haben.
Frears: Ja, das stimmt, doch wäre ich darauf eingegangen, wäre “Die Queen” ein vollkommen anderer Film geworden. Vielleicht sollte jemand wie Oliver Stone da weitermachen, wo ich aufgehört habe, aber diese Gerüchte sind nicht mein Thema.

Oliver Cromwell spielt Prinz Phillip – bravourös – als einen bärbeißigen, zynischen und übellaunigen Ehemann von Elizabeth II. Warum haben sie solch eine Karikatur aus Prinz Phillip gemacht?
Frears: Habe ich? Mein Gott, Prinz Phillip macht doch ständig eine Karikatur von sich selbst: ER ist ein Running Gag, seitdem ich denken kann: Das ganze Land lacht über ihn – ständig sagt er die falschen Dinge zur falschen Zeit. Ein Elefant im Porzellanladen. Es ist schier unmöglich, ihn als etwas anderes zu zeigen, als was er ist: Eine Karikatur!

Würden Sie “Die Queen” als politischen Film zu betiteln?
Frears: Oh, ja! Das britische Kino hat sich insgesamt in der letzten Dekade zu einem sehr politischen und sozialkritischen Kino entwickelt und das ist gut so! Meiner Meinung nach sollten junge Filmemacher gerade heute viel mehr politisches Kino zeigen, nicht nur in Großbritannien, auch in Deutschland oder anderswo. In den letzten zehn Jahren ist alles schlechter geworden, die Leute haben ihre Hoffnung und Freude verloren. Und solange es keine Veränderungen gibt, hin zu einem besseren Weg zu leben, brauchen wir mehr kritische Filme, die unsere Augen öffnen!

Das heißt also, Sie drehen nun weitere politische Filme?
Frears: Ach, das weiß ich noch nicht so genau, vielleicht drehe ich auch etwas völlig anderes, Komödie, Krimi, etwas unterhaltsameres, hm…aber im Moment bin ich noch arbeitslos!

Wie bitte?
Frears: Ja, sicher! Vielleicht bleibe ich für eine Weile in Berlin…ich habe gehört, dass hier viele Arbeitslose leben , also sollte man mich willkommen heißen (lacht).

Vielleicht sollten Sie besser Job–Anzeigen wie “Filmregisseur gesucht” in Los Angeles oder New York lesen, denn die Angebote dort sind bestimmt reichhaltiger als hier…
Frears: Ja, aber da habe ich schon gearbeitet. Berlin ist wirklich weit moderner als viele andere Städte, die ich kenne. Ich mag Berlin sehr und kann mir gut vorstellen, hier zu arbeiten. Das ist eine wahrhaft kraftvolle Stadt, die in naher Zukunft sicherlich eine noch bedeutendere Rolle spielen wird. Ganz ehrlich, wir Briten fordern geradezu, dass Deutschland in jeder Hinsicht stärker wird und diese Stärke zeigt. Irgendwie fehlt ein Kraftzentrum in der Mitte Europas und das schwächt auch Großbritannien.

Ist es nicht so, dass gerade die Briten ein starkes Deutschland fürchten?
Frears: Tun wir das? Ach, Sie meinen das “Kraut Bashing”? Mein Gott, wir scherzen doch bloß, hey, Humor vermeidet Angst!

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