Steve Reich und Beryl Korot

Jede Kunstform basiert auf Elementen der Populärkultur.

Komponist Steve Reich und Videokünstlerin Beryl Korot über ihr Werk "Three Tales" und das Genre Video-Oper

Steve Reich und Beryl Korot

© Didi Sattman

Mrs. Korot, Mr. Reich, zunächst die Frage – wie komponiert man eigentlich eine Video-Oper?
Korot: Also, ganz am Anfang steht natürlich der Inhalt, der uns beide zusammenbringt. Wir setzen uns zusammen, entwickeln Ideen – wir haben "Three Tales" nie von Anfang bis Ende gedacht, sondern jede Episode für sich. Als wir mit "Bikini" anfingen, haben wir uns Dokumentarfilme von damals angeschaut und festgelegt, dass wir diesen Teil der Oper mit dem Bomber B-29 beginnen würden. Steve hat sich den Bomber angehört, ich hab ihn mir angeguckt – und dann gingen wir in unsere Studios, Steve begann die Musik zu schreiben und ich fing an im Photoshop-Programm Bilder aneinander zu reihen. Sobald Steve dann einige Minuten komponiert hatte, schickte er sie mir und dazu eine Partitur, die mit einer Zeitleiste versehen ist. Parallel dazu habe ich dann meine Bilder animiert.

In der Aufführung Ihrer Oper beeindruckt vor allem die Synchronität zwischen den Bildern und der live gespielten Musik. Manchmal gewinnt man sogar den Eindruck, es gehe auf der Bühne ein wenig zu maschinell vor.
Reich: Die Menschen auf der Bühne spielen und singen ja live. Sie singen nicht wie Maschinen, sondern wie sehr gute Musiker. Sie singen natürlich genau synchron zu den Bildern.
Korot: Und zur Grundidee gehört, dass die Bilder der zentrale visuelle Aspekt so einer Oper sind. Die Musiker sind dann dazu da, diese Bilder zu begleiten. Natürlich als Menschen, aber eben nur mit möglichst zurückhaltenden Gesten.
Reich: Wenn sich die ganzen Musiker bewegen würden, wie sie wollen, dann würde man das Video kaum noch beachten. Sie sind auf der Bühne eben nur Musiker, die begleiten.
Ich erinnere mich, als ich vor 30 Jahren das erste Mal in Deutschland ein Werk von mir spielte, bezeichneten manche Kritiker meine Musik als "Musik am Fließband". Man hat mich beschuldigt, aus den Musikern Maschinen zu machen, obwohl die ganz klar diesen breiten Musikergestus hatten. Also, wenn man mir so etwas vorwirft, dann bitte Strawinsky oder Bach ebenso.
Wenn Musiker meine Werke spielen, klar, dann müssen sie auf vieles achten und sich vor allem an das Tempo halten. Aber trotzdem macht ihnen das deswegen nicht weniger Spaß und trotzdem sind sie deswegen nicht weniger Musiker.

Dennoch, viele Kritiker merken immer wieder an, dass sie bei Ihren Werken den Freiraum für den Interpreten vermissen.
Reich: Kennen Sie die Aufnahme vom Ensemble Modern meines "Music for 18 Musicians", und kennen Sie die Aufnahme, die ich mit meinem Ensemble davon gemacht habe? Die Aufnahmen sind total verschieden. Warum? Weil ein Konzert von John Coltrane eben anders ist, als das Konzert von John Coltrane am nächsten Tag. Verschiedene Musiker interpretieren verschieden, auch meine Werke. Wenn ich zum Beispiel forte schreibe. Was bedeutet forte, wie laut soll das sein? Das schreibt doch niemand vor. Mittwochs ist forte meinetwegen sehr laut, donnerstags etwas weniger laut. Das gehört zum Wesen der Musik dazu. Und weil es dazu gehört, mag ich keine elektronische Musik. Ich will und brauche keine perfekten, elektronischen Anfertigungen, sondern Musiker, die live spielen. Wenn dann ein Kritiker denkt, die Musiker spielen wie Maschinen, dann heißt das ja eigentlich nur, dass die ein sehr gutes Rhythmusgefühl haben müssen.

Würden Sie die Video-Oper, neben Theater, Oper und Ballett, als ein neues Genre bezeichnen?
Korot: Ja, auf jeden Fall, vor allem weil Video hier im Mittelpunkt steht. Video wird sich immer öfter in alle Formen von Theater einschleichen, mal als kleines Element am Rand, mal im Mittelpunkt. In unserem Fall ist Video das wichtigste Element, weil unser Material sehr viele Informationen bereithält.
Reich: Jede Kunstform basiert auf Elementen der Populärkultur. Jeder Mensch, jeder Künstler hat ja zu Hause seinen Fernseher und seinen Computer. Da wäre es doch sehr, sehr komisch, wenn Künstler diese Medien nicht in ihre Werke einbinden würden. Wir machen das, auf unsere ganz bestimmte Weise und so machen es andere, auf ihre ganz bestimmte Weise.

Haben Sie einen Fernseher?
Reich: Klar. Ok, der steht in meinem Zimmer rum, und ich schalte ihn nicht besonders oft ein.
Korot: Nachrichten gucken wir …
Reich: … und eben Videos.

Ist "Three Tales" in gewisser Weise eine Reaktion auf die Massenmedien?
Korot: Künstler nehmen die Medien in ihre eigenen Hände und arbeiten damit. Diese Arbeit ist völlig unabhängig von den Massenmedien, sie ist sogar ein wenig gegen die Massenmedien. Wir berichten ja über die "Hindenburg"-Katastrophe nicht wie es CNN tun würde, sondern wir nehmen das Material und transformieren es auf unsere Weise.

Zitiert

Was bedeutet forte, wie laut soll das sein? Das schreibt doch niemand vor. Mittwochs ist forte meinetwegen sehr laut, donnerstags etwas weniger laut. Das gehört zum Wesen der Musik dazu.

Steve Reich und Beryl Korot

Die Explosion der Hindenburg war ja die erste Katastrophe überhaupt, die Menschen im Fernsehen sehen konnten.
Reich: Ja, und wenn man sich den entsetzten Kommentator von damals anhört, dann spürt man noch Emotionen. Er hat damals die Landung eines großen, schönen Luftschiffes erwartet, aber dann kommt es zu dieser fürchterlichen Explosion und er reagiert völlig verwirrt – menschlich. Heutzutage können sich die Leute Massenmorde angucken, ohne auch nur ein bisschen schockiert zu sein. Es gibt keine emotionale Reaktion mehr, die Leute sehen jeden Abend Katastrophen-Bilder, sind aber dabei wie unter Narkose, sie fühlen nicht die eigentliche Intensität dieser Ereignisse.

Welches Thema hätte denn möglicherweise eine vierte Episode?
Reich: Das wissen wir nicht, da gäbe es sicher viele Möglichkeiten. Worum es uns bei "Three Tales" geht, ist hauptsächlich der menschliche Charakter. Man fragt sich, wieso passierte das mit der Hindenburg? Weil die Deutschen kein Helium hatten, aber trotzdem meinten, sie schaffen das. Doch es musste anders kommen. Dann die Amerikaner mit ihren Atom-Versuchen auf dem Bikini-Atoll. 127 Menschen wurden einfach umgesiedelt, das Atoll, Ihr Lebensraum, kurze Zeit später völlig zerstört. Genauso wie bei der Hindenburg war das menschliche Kurzsichtigkeit. In "Dolly" beschäftigen wir uns dann damit, was die Leute heute über das Klonen denken.

Haben Sie Dolly schon einmal live gesehen?
Reich: Nein, da habe ich auch kein großes Interesse dran. Wir zeigen das Tier in der Oper ja auch nur wenige Minuten.
Korot: Das war nur eine faszinierende Möglichkeit, diesen Teil der Oper zu beginnen, in dem es um vieles mehr geht.
Reich: Es geht um die Frage, wie an der menschlichen Spezies herum experimentiert wird und ob wir es moralisch und geistig rechtfertigen können, auch im Hinblick auf positive Effekte, wenn etwa einzelne Organe gezüchtet werden, für Menschen, die diese benötigen. Dolly ist da nur das Icon, auf das man klickt und sich dahinter ein ganzer Komplex auftut.

Mr. Reich, Ihr Kollege John Adams hat im Gedenken an die Opfer des 11. September ein Auftragswerk für die New Yorker Philharmoniker komponiert, welches im letzten Jahr uraufgeführt wurde. Hätten Sie es ihm gleich getan, wenn man Sie beauftragt hätte?
Reich: Ob ich mich solchen Fragen des Zeitgeschehens in meiner Musik annehmen werde, weiß ich im Moment nicht, es könnte schon sein. Der 11. September hat natürlich auch mein Leben beeinflusst, ich lebe nur vier Blöcke vom ehemaligen World Trade Center entfernt.

Abschließend, Mr. Reich, Sie malten bei unserem letzten Gespräch vor über zwei Jahren ein eher düsteres Bild, was die Situation des Komponisten-Nachwuchs in den USA anbelangt. Hat sich etwas getan?
Reich: Es ist höchstens schlimmer geworden, leider. Trotzdem, da erwähne ich gerne meine Freunde Julia Wolfe, David Lang, and Michael Gordon beim Ensemble "Bang on a Can", denen es sehr gut geht – und das liegt an ihrer "do-it-yourself"-Haltung. Sie organisieren sich vollständig selbst, tun was sie für richtig halten und erhalten mittlerweile Aufträge aus der ganzen Welt.
In den USA haben es Komponisten auf jeden Fall sehr schwer, aber alle, die wirklich Musik machen wollen – die haben das bisher immer auch irgendwie durchgezogen. Wenn nicht, dann werden sie Professoren. Und leider muss ich sagen, dass die meisten als Professoren dann sehr, sehr langweilig werden.
Aber wie gesagt, dann gibt es gibt eben ein paar Leute wie "Bang on a Can", die sind da draußen in der Realität, versuchen zu überleben und finden immer einen Weg.

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