Frau Schmiedel, im April 2014 zeigte die ARD zur besten Sendezeit den ersten Spielfilm mit Daniela Katzenberger, die vor allem durch ihre Schönheits-OP für Aufsehen sorgte. Fanden Sie das bedenklich?
Schmiedel: Nein. Wenn jemand wie Daniela Katzenberger sagt „Ich kann mit meinem Aussehen Geld verdienen“, dann verteufeln wir das überhaupt nicht. Sie wird von vielen jungen Mädchen sowieso nicht besonders ernst genommen. Uns geht es um die Frauenbilder, die junge Mädchen und Frauen besonders intensiv konsumieren. Da stört uns eher eine Heidi Klum, die gezielt Mädchen anspricht.
Warum?
Schmiedel: Es wird in dem Moment schlimm, in dem so ein Frauenbild zum Ideal für Mädchen wird. Wenn die dann meinen: Wenn ich gut aussehe, heißt das gleichzeitig, ich bin erfolgreich und glücklich. Die aktuellen Statistiken zeigen: Über 50 Prozent der Mädchen in Deutschland fühlen sich nicht wohl mit ihrem Körper und ein Drittel zeigt Symptome einer Essstörung.
Und schuld daran ist Heidi Klum?
Schmiedel: Es hat auch stark mit dem Vorbild zu tun, das die Werbeindustrie präsentiert. Wo Medien sind, sind auch Essstörungen. Wo keine sind, gibt es meist auch keine Essstörungen – das zeigt die ethnologische Forschung. Und das Vorbild, das heute überall präsentiert wird, zeigt eine extrem schlanke Norm. So schlank sind normalerweise nur zwei Prozent der Mädchen.
Wenn junge Mädchen immer wieder mit „Beauty“ assoziiert werden, hauen sie im Arbeitsleben auch nicht mit der Faust auf den Tisch.
Meinen Sie mit dem Einfluss der Medien auch die zahlreichen Tipps in Zeitschriften und Foren, wie man sich schlank hält?
Schmiedel: Natürlich, es sind auch die Diät-Botschaften. In Magazinen wie InTouch, die viele junge Mädchen lesen, ist jede Celebrity entweder „zu dick“ oder „magersüchtig“. Es wird sich ständig am Körper abgearbeitet und mikroskopisch betrachtet, wie eine Frau aussieht. Bei den Mädchen, die das lesen, bildet das diesen unheimlich starken Körperfokus und Optimierungsdrang. Das fängt heute früher an als jemals zuvor. Mädchen bekommen schon mit drei Jahren Verschönerungsprodukte geschenkt, in Kinderläden kann man Push-Up-BHs und Tangas in Größe 128 kaufen. Es gibt „Topmodel“-Heftchen für Sechsjährige, die dann ein Model mit wahnsinnig zarten Maßen an- und auskleiden können. Diese Überziehung des Schönheitsideals nehmen Kinder ernst.
Sehen Sie jemand wie Miley Cyrus für ein selbstbewusstes Frauenbild dann als Fluch oder Segen?
Schmiedel: Das ist ein ganz schmaler Grad: Miley Cyrus zeigt zwar, dass sie mit ihrer Sexualität spielen kann, indem sie sich zum Beispiel im Video nackt auf eine Abrissbirne setzt, weil sie Lust darauf hat – und möglicherweise fühlt sie sich dabei tatsächlich nicht als Objekt behandelt. Das alles kann sie aber nur, weil sie aussieht wie die uns bekannte Schönheitsnorm, das heißt extrem schlank, jung und perfekt. Eine voluminösere junge Frau könnte sich das nicht leisten und würde dementsprechend nicht als Vorbild gelten. So gibt es eben auch dieses sehr dominante Bild einer limitierten Form weiblicher Sexualität, nämlich lasziv und verfügbar.
Aber auch Mütter, die als Vorbild für ihre Kinder fungieren, sind im Zweifelsfall ja dem Verschönerungsdruck ausgesetzt.
Schmiedel: Richtig. Nur wenige Leute können es sich erlauben, ungeschminkt und in Jogginghose zur Arbeit zu gehen. Der Druck, gut auszusehen, ist am Arbeitsplatz deutlich spürbar. Die meisten Frauen geben dem nach. So erlebt das Kind eine berufstätige Mutter, die schon morgens auf die Waage springt oder gestresst vor dem Kleiderschrank steht. Und es entsteht ein bestimmtes Bild bei jungen Mädchen; sie denken, dass sie auf eine bestimmte Weise gut aussehen müssen.
Was wäre die Alternative?
Schmiedel: Gerade, weil es diesen Druck gibt, erwarten wir nicht von allen Müttern, plötzlich ungeschminkt zur Arbeit zu gehen. Das wäre vermessen! Aber man kann sich zuhause abschminken und das Wochenende ungeschminkt genießen. Vielen Frauen fällt das nicht leicht, aber es ist wichtig, den Kindern die Brüche zwischen Arbeitslook und normalem Aussehen aufzuzeigen. Man kann auch mal schick und toll geschminkt auf eine Party gehen, aber muss dann auch wieder sagen können: „Heute geh ich einfach so.“ Für das Kind ist das Gold wert.
Sie kritisieren, dass Mädchen stets nur Mädchenspielzeug in rosa bekommen. Haben Sie einem fünfjährigen Jungen schon mal ein Puppenhaus geschenkt?
Schmiedel: Nein. Aber ich kenne Eltern, deren Junge wahnsinnig gern eine Puppe hätte, sich aber nicht traut, sich eine zu wünschen. Er meint, er würde dann im Kindergarten geärgert werden. In unserer Gesellschaft gibt es eine unglaubliche Angst davor, dass Jungs durch das unpassende Spielzeug „falsch sozialisiert“ werden könnten – sie gelten als weiblich, wenn sie mit Puppen spielen oder rosa Blümchen toll finden.
Was halten Sie von der Initiative der SPD in München, die im März 2014 „mädchengerechte“ Spielplätze forderte?
Schmiedel: Ein absoluter Alptraum! Mädchen haben genau die gleichen Interessen wie Jungen. Es gibt viele Mädchen, die gerne klettern und sich austoben. In der Welt, die uns heute prägt, ist es eine logische Konsequenz, dass Mädchen ihre eigenen Spielplätze brauchen. Letztlich ist es ein weiterer Meilenstein ins Gendermarketing, in die Gender-Apartheid, und irgendwann entsteht die Vorstellung, dass Mädchen, die wirklich auf dem „Jungen-Spielplatz“ spielen möchten, nicht ganz in Ordnung sind.
Greifen Mädchen beim Spielen von sich aus eher zur Puppe als zum Auto?
Schmiedel: Nein, denn das liegt ganz klar am Angebot und nicht an der Natur. Wir wissen heutzutage durch neurowissenschaftliche Studien, dass Kinder mit genau dem gleichen Gehirn auf die Welt kommen. Dies wird dann aber in den ersten Monaten extrem geprägt, weil wir unterschiedlich mit ihnen umgehen. Weil in unserer Welt, in den Spielwarenläden und Kindergärten, in unserer gesamten Umgebung alles zu stark in „männlich“ und „weiblich“ aufgeteilt wird. Deswegen will unsere Initiative Pinkstinks auch die Industrie ansprechen. Unser Ziel ist es, ein generelles Bewusstsein dafür in der Gesellschaft schaffen, das „typisch“ männliches und weibliches Verhalten nicht angeboren ist.
Sehen Sie es kritisch, wenn eine Frau sich gerne Röcke und Kleider anzieht, sich gerne schminkt?
Schmiedel: Natürlich nicht. Es gibt Frauen, die gerne auf traditionelle Weise feminin sind und damit auch glücklich. Aber dann gibt es auch Frauen, die überhaupt kein Bedürfnis danach empfinden. Es ist wichtig, diese Vielfalt zu erlauben – ohne dem ständig irgendwelche Labels aufzudrücken. Warum ist ein Junge, der gerne Röcke trägt, gleich „transgender“? Warum ist ein Mädchen, das gern auf Bäume klettert, ein „Tomboy“? Warum kann ein Kind nicht einfach selbst entscheiden, wie es sich definiert? Das liegt daran, dass wir seit Jahrtausenden feste Kategorien hatten und alle schrecklich Angst bekommen, wenn diese Kategorien ins Wanken geraten.
Wer hat Angst davor?
Schmiedel: Die größte Angst hat die Industrie. Dort haben wir eine klare Aufteilung in weibliche und männliche Eigenschaften: Jungs gelten als technikinteressiert und Mädchen als puppenverrückt – diese Aufteilung funktioniert für die Industrie hervorragend. Alles kann so doppelt verkauft und der Profit dadurch gesteigert werden: „Monopoly“ für Mädchen in rosa, mit Beautysalons, und andererseits mit Banken, was dann die Jungen interessiert. Wenn aber junge Mädchen immer wieder mit „Beauty“ assoziiert werden, dann hauen sie im Arbeitsleben auch nicht mit der Faust auf den Tisch und klagen ihr Gehalt ein – es gibt Studien, die das belegen.
Geht es bei Gendermarketing nur um den Profit oder auch um die Deckelung bzw. Unterdrückung der Frau?
Schmiedel: Das wäre natürlich eine schöne Story: In dem Moment, wo wir die Pille nehmen dürfen und es mit den Rechten und Jobs in Führungsetagen bergauf geht, da kommen die bösen Männer mit dieser Rosa-Phase und halten uns alle wieder am Herd. Aber so ist es ja nicht. Identitätsbildung ist differenzierter zu sehen. Auch wir Frauen fühlen uns von diesem nostalgischen Bild angezogen, weil es die Geschichten sind, die schon unsere Mütter und Großmütter erzählten: „Natürlich bleiben wir gern zuhause und sind die Hausfrauen, weil dafür werden wir ja auch geschätzt.“ Das sind Bilder mit denen wir groß geworden sind, die mit Kindheit und Sicherheit zu tun haben. Sie erinnern uns an eine festgeschriebene, klare Identität, in der wir uns nicht täglich zwischen Haushalt, Kindererziehung und dem Dasein als Betriebschefin abkämpfen müssten.
Balian Buschbaum, der eine Geschlechtsangleichung von Frau zu Mann vornehmen ließ, erzählte im Gespräch mit Planet Interview, dass er seit seiner Hormonbehandlung strukturierter und klarer denken könne und ihn das Östrogen-bedingte „Gedankenkarussell“ zuvor immer gestört hätte.
Schmiedel: Abgesehen von Simon Baron-Cohens älteren, bereits widerlegten Studien, gibt es keine Forschungen, die beweisen, dass Testosteron systematisierungsfähiger und Östrogen empathiefähiger macht. Buschbaum hat sich mit dieser Umwandlung auch zu einem „männlich“ denkenden Sein entschieden und bekannt. Man kann aber nicht von einem Fall darauf schließen, dass es bei allen Menschen so ist. Es gibt viele Jungen, die unglaublich empathiefähig sind und viele Mädchen, die sehr eigensinnig und systemisch denkend daher kommen. Nehmen wir als Beispiel mal das „Männer-Thema“ Fußball: Die meisten Jungen kicken mit ihrem Papa im Garten, sobald sie laufen können. Mädchen werden nicht so dazu animiert, sich auszutoben und fangen mit Fußball durchschnittlich erst mit zehn Jahren an. Ihnen fehlt also eine lange Trainingsphase, um das Niveau eines männlichen Fußballers zu erreichen.
Sehen Sie trotzdem einen Unterschied zwischen Mädchen und Jungen?
Schmiedel: Natürlich gibt es genitale Unterschiede, daran machen wir das ja in erster Linie fest, ob ein Kind Mädchen oder Junge ist. Darüber hinaus gibt es aber mehr Unterschiede innerhalb der Geschlechter als zwischen ihnen.
Es dürfte schwer festzustellen sein, ob sich eine Frau selbst das „klassische“ Rollenbild ausgesucht hat oder ob dies eine tief sitzende Prägung ist.
Schmiedel: Natürlich ist es eine Prägung. Wie wir uns identifizieren, liegt an dem, was uns die Umwelt an Möglichkeiten bereitstellt. Eine Daniela Katzenberger ist daher nicht das Problem, sondern eher bestimmte Privatsender, die mit der Unsicherheit der Mädchen unglaublich viel Geld verdienen. Viele Mädchen fühlen sich in ihrem Körper einfach nicht mehr wohl – wir erleben so frühe Einstiegsalter in Essstörungen wie noch nie. Depressionen und selbstverletzendes Verhalten im Teenager-Alter haben unglaublich zugenommen. Es ist nach wie vor so, dass zu viele Frauen sich nicht trauen, Raum einzunehmen. Und das liegt an dem Bild von Mädchen und Frauen als passive Wesen, das wir nach wie vor vermittelt bekommen.
Die Schauspielerin Josefine Preuß sagte uns kürzlich im Interview: „Ich kann nichts mit diesem metro-sexuellen Gelaber anfangen. Lasst mal die Frauen Frauen sein und die Männer Männer und dann ist gut. Es gibt ja Gleichberechtigung, wir Frauen sind heute ein Stück weiter.“ – Woher kommt diese Haltung?
Schmiedel: Josefine Preuß ist natürlich einen Tacken jünger als ich, und ich kann sie verstehen. Ich habe auch lange gebraucht, um Feministin zu werden. Konkret gibt es den Feminismus eigentlich erst seit den Sechzigern. Das ist gar nicht lang, wenn man sich eine Jahrtausende alte Kultur des Abendlandes vor Augen hält, die auf der Unterdrückung von Frauen aufgebaut ist. Bis 1997 durften Frauen in der Ehe noch vergewaltigt werden, wir haben noch immer eine unheimliche Gehaltsschere am Arbeitsplatz und hohe Zahlen sexualisierter Gewalt. Gleichberechtigung ist noch lange nicht erreicht. Aber Feminismus ist ein Wort, das einfach gehasst wird. Gerade die jüngeren Frauen in Deutschland wollen nichts mehr davon hören. Oft sind sie mit Müttern aufgewachsen, die viel verbissener kämpfen mussten als wir. Dadurch wurden sie in einer Rebellion bestärkt, zu sagen: „Wieso? Es ist doch alles gut, jetzt lasst mal die armen Männer!“ Eine Frau, die sich viel Raum nimmt und mit Kraft auftritt, wird schnell als „Kampflesbe“ bezeichnet. Darin liegt der Anspruch: Frauen müssen weich und süß sein. Pinkstinks ist Nutznießerin von einer Generation Frauen, die das Gröbste und Schlimmste aus dem Weg geräumt haben. Deshalb können wir jetzt mit Spaß, Humor und einem sehr lockeren Feminismus vorgehen, der auch Männer einschließt.
Wie aussichtsreich sehen Sie Ihren Kampf?
Schmiedel: Wir haben schon viel erreicht seit der Gründung von Pinkstinks in Deutschland. Wir sind auch nicht die einzige Initiative und es geht täglich voran. Gerade in Amerika und England, wo Gendermarketing schon länger existiert, entsteht viel Eigeninitiative. Zum Beispiel von Müttern, die ihre eigene Shorts-Linie für Kinder auf den Markt bringen, weil es für ihre Vier- bis Sechsjährigen nur Hotpants gibt. Auch in der Industrie merkt man eine Bewegung: Nickolay Lamm hat mit einem ehemaligen Vorstandsmitglied von Mattel eine Puppe mit durchschnittlichen Frauenmaßen entworfen, „Lammily“, die jetzt auf den Markt kommt. Der Umgang mit dem Thema verändert sich, etwa bei C&A und Axe, und europaweit wandeln sich die Blicke in der Unterwäsche-Werbung. Natürlich ist nach wie vor eine Frau in Dessous zu sehen, die sollen ja auch verkauft werden. Aber die Blicke sagen ganz klar: „Du kannst schauen, aber nicht anfassen.“ Das war im letzten Herbst beispielsweise bei Chantelle, Passionata und Triumph so.
Werden Sie für Ihr Engagement angefeindet?
Schmiedel: Täglich! Das ist ganz normal in unserer NGO-Welt. Den größten Protest hatten wir, gerade am Anfang, von evangelikalen und orthodoxen Christen, die wütend sind, dass wir die Welt durcheinander bringen, so wie Gott sie ihrer Meinung nach geschaffen hat. Auch die ein oder andere Frau versteht uns falsch und meint, wir wollen ihrer Tochter das Pink wegnehmen oder ihr verbieten, sich die Nägel zu lackieren. Deshalb trete ich auch bei jedem Vortrag feminin auf; um zu zeigen, dass wir traditionelle Weiblichkeit nicht komplett verteufeln, sondern verschiedene Möglichkeiten aufzeigen möchten.
Zuletzt noch eine Frage zur „geschlechtstypischen“ Berufswahl: Begrüßen Sie die Initiative Girl’s Day, in deren Rahmen einmal im Jahr Schülerinnen in Unternehmen eingeladen werden, die bislang eher für Jungs als attraktiv galten?
Schmiedel: Auf jeden Fall! Es ist wichtig, den Mädchen zu zeigen, dass auch sie diese Berufe ergreifen könnten. Trotzdem kommt es viel zu spät. Wenn man den Dreizehnjährigen sagt, sie könnten auch MINT-Berufe, also in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik ergreifen, haben die schon fest drauf, dass diese „voll unsexy“ sind. Bis dahin sind sie in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der Mädchensein assoziiert wird mit: rosa, niedlich, Puppen, soziales Verhalten und Tierliebe. Ebenso wichtig ist es, den Jungen einen Weg in die Erzieher- und Pflegeberufe zu eröffnen, indem wir sie etwa im frühen Spielverhalten auch mit Puppen spielen lassen. Wir müssten den Kindern schon im Kindergarten klarmachen, dass es völlig wurscht ist, ob sie von den Genitalien her Mädchen oder Jungen sind. Wichtig sind ihre Interessen.