Such a Surge

Wir machen keine Berieselungs-Musik.

Bass-Gitarrist Axel Horn von Such a Surge über das Album "Rotlicht", Popmusikhörer, treue Fans, den geringen Frauenanteil in der Metal-Szene und die Rückzugsmöglichkeit Fußballplatz

Such a Surge

© Sony Music

Axel, das aktuelle "Such A Surge"-Album habt ihr "Rotlicht" genannt. Wieso eigentlich "Rotlicht"?
Horn: Das hat keine besondere Bedeutung. Man erwartet von uns zwar immer große Bedeutungen, aber nicht alles aus dem Hause Surge hat immer eine große Bedeutung. Wir haben nach einem warmen Namen gesucht, weil wir bei diesem Album irgendwie ein warmes Gefühl hatten. Wir sind aber auch nach mehreren Wochen auf keinen passenden Ausdruck gekommen. Aber wir hatten schon den Kai Vöpel, der unser ganzes Artwork und auch viele Videos macht, gebeten, ein Bild für die Platte zu malen — was jetzt auch das Front-Cover ist. Eines Tages hatte er uns dieses Bild geschickt und weil Maler ihren Bildern gerne auch Namen geben, stand da rechts unten in der ecke "redlight" — das war genau das, was wir gesucht haben.

Hatte er sich die Musik vorher angehört?
Horn: Nein, zumindest ist das Front-Cover ohne musikalischen Eindruck entstanden. Aber im Booklet, da hat er dann zu jedem Song ein Bild gemalt.

Ich finde, das Cover passt zur Melancholie, die man auf dem Album raushört. Stimmst du mir da zu?
Horn: Ja, das Album hat schon eine gewisse düstere Grundstimmung, ob man das nun Melancholie nennen will, das lasse ich offen.

Wenn man eure Texte eins zu eins ernst nehmen würde, dann hätte man wahrscheinlich ein bisschen das Gefühl, ihr fühlt euch in der heutigen Gesellschaft nicht besonders wohl. Stimmt das?
Horn: Ja, ich denke schon. Wobei ich aber nicht glaube, dass dieses Gefühl bei uns ausgeprägt ist, als bei den meisten anderen Menschen in unserem Alter. Wir sind Menschen, die in ihrer Musik gerne ihre nachdenkliche und kritische Seite einbringen. Wir singen also ungern über schnelle Autos und dicke Titten, auch wenn wir die ab und zu interessant finden — aber das ist nicht unser Anspruch.
Dass man sich nicht wohlfühlt in dieser Gesellschaft, ich glaube, das hat es bei uns schon immer gegeben, das haben unsere Songs schon immer transportiert. Aber trotzdem denke ich, dass das bei mir jetzt nicht schlimmer ist, als vielleicht bei meinen Freunden. Ich mache aber Musik und kann meine Gefühle in der Musik ausdrücken. Freunde von mir arbeiten zum Beispiel bei VW, da haben die nicht die Möglichkeit, sich auszudrücken. Aber wenn du dich dann unter Freunden unterhältst kommen ja sehr oft diese Kritikpunkte. Dass man in einer Einkaufspassage eine Macke bekommt, dass einem die Zeit zu schnell ist und dass die gesamte Gesellschaft am verblöden ist und nur noch manipuliert wird von der Presse. All das, was heutzutage so abgeht ist ja nicht nur positiv, da gibt es viele Dinge, die sich für einen nachdenkenden Menschen, der ein gewisses Lebensintellekt mitbringt, nicht positiv darstellen können.

Wo sind dann eure Rückzugsmöglichkeiten?
Horn: Das ist auch wiederum wie bei allen Menschen: die Familien sind wichtig, die Freunde, die Homebase ist wichtig. Ich zum Beispiel bin früher teilweise sehr depressiv gewesen, weil ich mit der Welt nicht klargekommen bin. Aber irgendwann habe ich für mich gelernt, einzusehen, dass es so ist, dass ich die Welt nicht großartig ändern kann, aber dass man trotzdem Lebenswertes am Leben finden kann. Eben wenn man tolle Freunde hat oder eine tolle Familie. Ich habe meinen Familiennahmen sogar tätowiert.
Neben Familie und Freunden gibt es für mich aber noch eine zweite Rückzugmöglichkeit, das ist der Fußballplatz. Ich liebe es, Fußball zu spielen. Sobald ich auf dem Platz stehe, bin ich einfach rein im Kopf, das ist eine große Liebe.

Tretet ihr denn manchmal als Bands gegen eine andere an, also zum Beispiel "Such A Surge" gegen die "H-Blockx"?
Horn: Nein, so etwas gab’s noch nicht. Unser Sänger Michel und ich spielen seit Jahren in so einer Hobby-Truppe, mit der wir ab und zu auch ein paar Turniere spielen, zum Beispiel einmal im Jahr das Turnier von "Fury in the Slaughterhouse". Letztens habe ich auch mal mit Felse von den "Ärzten" (Dirk Felsenheimer alias Bela B, Anm. d. Red.) in einer Mannschaft gespielt. Man spielt also mal hier, mal da. Aber ein Spiel von zwei Bands gegeneinander, das gab es noch nicht. Das ist auch nicht so einfach, weil von uns fünf Musikern sind nur zwei fußballerisch aktiv. Antek ist großer Fußball Fan, Olli und Dennis interessieren sich aber null für Fußball.

Aber steht vielleicht doch hin und wieder "Such A Surge" auf dem Trikot?
Horn: Ja, wir haben manchmal einfach unsere Merchandise T-Shirts genommen. Trikots haben wir keine und normalerweise tragen wir weiße Feinripp Unterhemden, wo überhaupt nichts draufsteht.

Ich frage nur, weil mich das an DJ Hell erinnert. Der spielt in einem österreichischen Fußballclub, dem er irgendwann die Trikots gesponsert hat. Jetzt tragen die alle "Gigolo" Trikots, der Name seines Labels.
Horn: Das würden wir auch gerne machen, aber wir sind nicht DJ Hell, wir haben nicht die Plattenumsätze, um uns das leisten zu können. Wenn wir uns das leisten können, dann würden wir das sofort tun. Wir werden auch sehr oft gefragt, seit dem bekannt ist, dass wir Fans von Eintracht Braunschweig sind, ob wir nicht der Eintracht finanziell unter die Arme greifen könnten. Die "Toten Hosen" machen das ja bei Düsseldorf und "Die Ärzte" tun ab und zu was für St. Pauli. Aber da muss ich leider immer antworten: wir sind nicht die "Toten Hosen" und auch nicht "Die Ärzte". Wir haben nicht so eine große Portokasse, dass wir mal eben einen Spieler für die Eintracht kaufen können.

Ihr habt vor kurzem 500 eurer Fans, die euch per Bon bewiesen haben, dass sie das neue Album in der ersten Woche gekauft haben, den Video-Clip zu "Hypochonder" auf DVD gebrannt. Ging es bei der Aktion eigentlich mehr um die treuen Fans oder auch um die Ankurbelung des Verkaufs der neuen Platte?
Horn: Es geht schon um die Fans. Wir sind eine Band, die nicht wirklich viel aber auch nicht wirklich wenig verkauft — wenn wir also 500 DVDs verschicken ist das nicht so viel, das war eine reine Verschenkaktion und kein Marketing-Instrument. Die Aktion hatte auch damit zu tun, dass unsere Videos nicht auf Viva oder MTV laufen, weil wir für diese Sender zu alt sind.

Die zeigen absolut kein Video von "Such A Surge"?
Horn: Kaum, du wirst schon mal einen Einsatz in irgendeiner Spezialsendung sehen, aber viel mehr nicht. Und da wir mittlerweile auf sehr kunstvolle Videos setzen, also nicht die reine Kommerzmaschine, wollen wir auch diesen Teil der Kunst an die Leute bringen. Da bleibt nur die Frage, wie? Bei dem Video zu "Hypochonder" war es so, dass unsere Plattenfirma erst vorgeschlagen hat, gar kein Video zu drehen, weil wir ja auf den Kanälen nicht gespielt werden. Aber dann haben wir gesagt, wir nehmen das vorhandene Budget, produzieren damit einerseits den Clip und finanzieren damit auch ein Geschenk an unsere Fans. Das sind ja nach elf Jahren überhaupt diejenigen, die uns ermöglichen, Musik zu machen. Da sollte man also gucken, dass man an die auch etwas zurückführt.

Nun gibt es neben dem Musikfernsehen ja auch den Kanal Internet. Wie schätzt du heute die Möglichkeiten für Musiker im Internet ein?
Horn: Ich denke, man hat die Möglichkeiten des Internet noch nicht komplett ausgeschöpft. Ich glaube, es ist gut für eine Band, sich das Internet zunutze zu machen, auch um seine Musik zu verbreiten. Die Tauschbörsen sind natürlich nicht gut für die Großindustrie. Aber ich als Musiker würde sagen, Musik ist ein Gut, wenn das verbreitet wird, ist das schön, darum sollte man das Internet auch nutzen. Gerade kleinere Bands können sich über das Internet mit ihrer Musik behaupten und sich auch eine Fanbase aufbauen. Sicher muss man auch live spielen. Aber das Internet bietet einem zum Beispiel auch den Luxus, in sehr direktem Kontakt zu seiner Fangemeinde stehen zu können.

"Such A Surge" gibt es nun schon über zehn Jahre. Zeitweise seid ihr aber auch unter dem Namen "Pain in the Ass" aktiv gewesen. Wählt ihr so ein Seitenprojekt, um mehr experimentieren zu können?
Horn: Nein, also wir experimentieren überall, bei allem was wir machen. Wenn Surge nicht experimentieren würde, dann würde auch das neue Album genauso klingen, wie die alten Alben.

Wo liegt dann der Grund?
Horn: Wir hatten einfach mal Lust, unter anderer Flagge zu segeln, natürlich auch mit anderen Freiheiten. Bei Surge hatten wir immer einen sehr hohen künstlerischen Anspruch, dass sich alles weiter nach vorne entwickeln muss, dass alles immer komplett neu sein muss — eben ein sehr perfektionistischer Anspruch. Bei "Pain in the Ass" ist der Anspruch nur gewesen, so Musik zu machen, wie man früher Musik gemacht hat. Sprich, das erste Gefühl zählt und das erste Gefühl ist cool, auch wenn dieses erste Gefühl schon fünf mal auf der Welt war.
"Pain in the Ass" gab es bis jetzt zwei Mal, im Moment existiert das Projekt nicht. Es wir aber immer dann entstehen, wenn wir aufwachen und denken, wir müssen mal wieder ausbrechen, mal wieder etwas ganz anderes machen.

Gab es in den zehn Bandjahren Momente, wo ihr am liebsten aufhören wolltet — und was hat euch zusammengehalten?
Horn: Klar gab es solche Momente. Jemand der bei zehn Jahren behauptet, es gibt nicht einmal so einen Moment, der lügt. Ich vergleiche eine Band immer gerne mit einer Beziehung. Wenn du zehn Jahre mit einer Frau zusammen bist, dann gab es da sicher auch mal den Tag, wo du alles in Frage gestellt hast. Das ist ganz normal und bei Surge gab es so was über die Jahre natürlich auch. Aber weil das so eine große Liebe ist und eine Art Familie, für die wir leben, gingen diese Momente meistens sehr schnell vorbei. Zwischen uns gibt es auch eine besondere Chemie, wir sind fünf unterschiedliche Charaktere, das ist immer sehr interessant, wenn wir zusammen ins Studio gehen und Songs schreiben. Die Unterschiedlichkeit in der Band hat uns immer getrieben, sowieso ist ja die ständige Reiberei für Kreativität immer das Beste.

Wie haben euch die zehn Jahre verändert?
Horn: Vor zehn Jahren war ich gerade 17! Und das ist bei uns wie bei anderen Menschen auch, zwischen zehn Jahren liegt eine riesige Entwicklung, ob du jetzt Musiker bist, Drogendealer oder Arbeiter bei VW. Klar wurde meine Entwicklung von den Erlebnissen mit Surge sehr geprägt. Ich bin durch die Band sehr viel rumgekommen, haben andere Kulturen kennen gelernt, andere Menschen. Ich habe vielleicht in den zehn Jahren mehr gelebt als viele andere Menschen. Das ist ein Glück, ich will mich aber nicht über diese anderen Menschen stellen. Ich sehe mich selbst wesentlich älter als die 28 Jahre, die auf dem Papier stehen, weil ich in den letzten zehn Jahren echt viel erlebt und gesehen habe, positives wie negatives, das prägt einen Menschen.

Ich habe mal in das Gästebuch eurer Homepage geguckt, wobei mir aufgefallen ist, dass eure Fans oft lange, sehr kluge, durchdachte Kommentare schreiben. In Gästebüchern einer Popband kommt so etwas doch eher selten vor. Wo würdest du da die Unterschiede bei den Fans ausmachen?
Horn: Man darf nicht pauschalisieren und ich will jetzt auch keinem Pop-Hörer auf die Füße treten. Ich selbst denke aber manchmal, Pophörer hören Musik wie Fahrstuhlmusik, links rein, rechts raus, Musik ist für die eine Begleiterscheinung — ganz legitim.
Metal-Hörer, habe ich den Eindruck, hören die Musik halt anders, die hören Musik vor allem wegen des intensiven Gefühls, das die Musik in einem auslöst. Unser Sänger Olli hat das mal so formuliert: "Ich höre alles, was unter die Haut geht, egal aus welcher Schublade es kommt." Also das, was mich innerlich anregt, zum Nachdenken, was einem eine Gänsehaut bereitet, schlechte oder gute Gefühle et cetera. Ich glaube, Surge-Hörer sind anspruchsvolle Hörer. Die hören auf die Texte und ziehen aus einer Platte mehr raus, als nur "ich stehe jetzt im Fahrstuhl und lass mich berieseln". Wir machen ja keine Berieselungs-Musik.

Schlägt sich das auch in eurem Live-Publikum nieder?
Horn: Live ist das sehr interessant bei uns. Die Leute, die Surge mögen, saugen das beim Hören zu Hause richtig in sich rein, vielleicht sprechen wir mit unseren Texten dem ein oder anderen auch einfach aus der Seele. Wir machen aber eben sehr energetische Musik, weshalb gerade live sehr viel abgeht, da wird viel geschwitzt, viel Pogo getanzt, gedivt wird, auf der Bühne herumgesprungen. Viele Leute lassen bei unseren Konzerten einfach die Sau raus, die stehen nicht da und gucken uns alle nachdenklich an und sinnieren darüber, ob wir mit unserem Weltbild jetzt Recht oder Unrecht haben.

Der Männeranteil bei Metal und Hardcore geht ja auf der Musikerseite so ziemlich gegen 100 Prozent. Ist diese Musikrichtung also nur Männerdomäne, oder gibt es einfach keine Frauen, die solche Musik machen wollen?
Horn: Das ist eine gute Frage, über die ich mir bisher kaum Gedanken gemacht habe. Leider sind die Frauen ja fast in jedem Musiksegment in der Unterzahl. Im Hip Hop, da gibt es klar weniger Frauen als Männer, die MCs sind, und im Bereich Metal, Hardcore sind es noch viel weniger. Nur im Popsegment, da sind Männer und Frauen relativ gleich stark vertreten. Das finde ich schade, weil das Popsegment ja sehr stark durch das Aussehen der Musiker beeinflusst ist, es gilt also meistens: Sex sells. Im Metal-Bereich hingegen ist Sex eher unwichtig. Mir fallen aber gerade ein paar Bands ein, die auch Frauen haben, die "Guano Apes", "The Gathering" oder "Die Happy". Mittler Weile trauen sich schon ein paar Frauen harte Musik zu machen, und ich glaube, das ist eine Entwicklung, die sich in den nächsten Jahren auch noch fort setzen wird. Irgendwann wird es ausgeglichen sein, nur wird das noch eine Zeit dauern. Ich stelle mir das auch echt schwer vor als Frau, diesen Mut zu haben, sich in so starken Männerdomänen zu bewegen und zu behaupten. Gerade Metal ist ja so eine Männerdomäne, vor jeder Frau die den Schritt da reingeht ziehe ich ganz tief den Hut.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic, welche Figur bist du?
Horn: Oh, da muss ich erst mal nachdenken. Ich habe als Kind natürlich Comics gelesen. Und dann habe ich immer gesagt, ich wäre Dagobert Duck. Aber das sollte ich ja jetzt nach dieser Karriere nicht unbedingt sagen, sonst würde jeder denken, ich sitze hier in meinem Geldspeicher.
Nein, ich bin Pitje Puck, die Scheißhausfliege. Das ist diese Fliege mit dieser riesigen Sonnenbrille, die fand ich früher immer schweinecool. Und heute liebe ich es, Sonnenbrillen zu tragen. Eine Fliege ist außerdem immer unterwegs, immer am rotieren, immer am Stress machen, das entspricht schon meiner Person, ich bin auch immer am laufen, halte selten an. Und Scheißhaus passt eigentlich auch ganz gut. Ich spiele in einer Band, die eine Musik und Einstellungen vertritt, die ein Teil der Gesellschaft bestimmt ganz gerne aufs Scheißhaus verbannen würde, also wenn ich jetzt mal von der konservativen Ecke ausgehe. Aber ich provoziere sehr gerne — da passt die Scheißhausfliege doch ganz gut.

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