Suzanne Vega

Ich weiß nicht, wie die Leute darauf gekommen sind, dass Musik keinen Wert hat.

Suzanne Vega über Technologie, ihre Stimme, MP3, Festplattenchrashs und einen großen Hit

Suzanne Vega

© Blue Note Records

Frau Vega, Sie haben im vergangenen Jahr ein Konzert in der Online-Welt „Second Life“ gegeben, dieses Jahr haben Sie dort eine „Listening Session“ veranstaltet und Ihr Song „Tom’s Diner“ war der erste Song, den das Fraunhofer-Institut ins MP3-Format komprimiert hat. Daher die Frage: Sind Sie selbst ein Technologie-Fan?
Vega: Ja, ich bin ein Technologie-Fan, damit bin ich aufgewachsen. Meine Mutter war Computersystem-Beraterin ist und das schon in den 70ern, als noch niemand einen Computer hatte. Wir hatten einen in der Küche stehen, der war riesig, der ging mir bis zur Taille, damals waren das eben noch sehr große Apparaturen.
Also, die Technologie um mich zu haben, damit bin ich vertraut. Aber mein Instrument ist heute die Akustik-Gitarre…

…eigentlich ein ziemlicher Gegensatz zur Technologie.
Vega: Ja, aber für mich war es schon immer spannend, beide Seiten einzubeziehen. Ich versuche Alben zu machen, die einerseits modern sind und andererseits immer noch ein Gefühl von etwas Altem vermitteln. Von meinem ersten Album denken zum Beispiel viele, es sei ein reines Folk-Album, dabei haben wir dafür schon Synthesizer benutzt.

Wie sehr ist denn Ihr aktuelles Album „Beauty & Crime“ von der Technologie beeinflusst?
Vega: Ich hätte gern mehr benutzt. Wenn ich Zeit dafür gehabt hätte, hätte ich ein paar Remixe gemacht, um diese Komponente noch offensichtlicher zu machen.
Gerry Lennard, der die E-Gitarre spielt, interessiert sich sehr für Effekte wie Hall usw. Vieles was auf dem Album elektronisch klingt, ist seine E-Gitarre. Und wir haben die Technologie insofern benutzt, als dass unser Produzent Jimmy Hogarth viele Stücke analog aufgenommen und dann in digitales Format umgewandelt hat, damit wir mit denen arbeiten konnten. Das machen ja viele Leute so. Weil so hast du die Wärme der alten Aufnahmetechnik dabei, und auf der anderen Seite genießt du die Bequemlichkeit der neuen Technologie.

Wobei die heutigen Möglichkeiten, Sounds digital zu bearbeiten, zu schneiden etc. einen auch dazu verleiten, ständig irgendetwas nachzubessern…
Vega: Ja, ich könnte manchmal noch ein oder zwei weitere Jahre an einem Song arbeiten, damit alles genauso wird, wie ich es gerne hätte.

Aber verliert ein Song da nicht seine Ursprünglichkeit durch die Technologie?
Vega: Also, die Musiktechnologie ist ein Werkzeug, dass du verwenden kannst, wie jedes andere Werkzeug auch, wie Papier und Bleistift zum Beispiel. Du musst dir halt überlegen, ob du eine Bleistiftzeichnung machen willst oder ein Ölgemälde. Das hängt davon ab, welche Vorstellung du hast, was du ausdrücken willst. Und natürlich sollte das Werkzeug der wahren Inspiration nicht im Weg stehen.

Setzen Sie die Technologie auch ein, um Ihre Stimme zu verändern?
Vega: Ja, wir benutzen Effekte wie Delay, Hall oder Echo. Und früher, als ich noch mit Mitchell (Mitchell Froom; früherer Produzent und Ehemann von Vega; Anm. d. Red.) zusammengearbeitet habe, da haben wir zum Beispiel ein Megafon benutzt um die Stimme zu verzerren. Fakt ist allerdings, dass meine Stimme sehr einfach und markant ist, sie klingt immer nach mir, der Charakter der Stimme wird durch solche Effekte nicht verändert.
Es kommt aber auch darauf an, über was man singt. Der Song mit dem Megaphon hieß „Blood Makes Noise“, und bei dem machte es Sinn, die Stimme mit einem verzerrenden Effekt zu belegen. Wenn du dann aber zum Beispiel über deine eigene Tochter singst, dann willst du das nicht in ein Megaphon brüllen. Das hängt wirklich davon ab, was du mit einem Song ausdrücken willst.

Haben Sie über die Jahre gemerkt, dass sich Ihre Stimme verändert?
Vega: Sie ist heute definitiv ein bisschen tiefer als früher, doch das ist glaube ich normal wenn man älter wird. Ich muss mich bei den hohen Tönen inzwischen etwas mehr anstrengen, aber ansonsten ist die Stimme nahezu gleich geblieben. Und um ehrlich zu sein: ich verstehe dieses Organ nicht. Weil manchmal singe ich wirklich mit meinem ganzen Herzen – aber von dieser Emotion höre ich dann nichts auf der Platte, es klingt wie immer; egal ob ich aus voller Kehle oder mit flüsternder Stimme singe… Also, das habe ich bis heute nicht verstanden. Aber ich bin glücklich mit dem, was ich habe und ich versuche es zu nutzen, so gut ich kann.

Treffen Sie bestimmte Vorkehrungen, um Ihre Stimme zu schützen?
Vega: Nein, ich bin sehr rücksichtslos mit meiner Stimme, ich schütze sie nicht. Ich trinke auch keine spezielle Medizin oder so, ich mache keine Tonleitern, ich nehme keine Gesangsstunden, ich mache keine Atemübungen vorher und ich lege auch keinen Schal um meinen Hals. Ich lutsche manchmal Hustenbonbons bevor ich auf die Bühne gehe, aber das ist auch schon alles.

Sie haben vor kurzem in Erlangen den MP3-Erfinder Karlheinz Brandenburg getroffen. Welches Verhältnis haben Sie denn heute zu seiner Erfindung? Welche Vorteile und Nachteile sehen Sie?
Vega: Das Gute an MP3 ist, dass es Musik tragbar und handlich macht. Du kannst deinen Ipod überall mit hinnehmen, deine ganze Musiksammlung – ich finde das wirklich bemerkenswert, auch gegenüber dem Walkman oder tragbaren CD-Spielern.
Das Schlechte ist natürlich, dass sich die Leute Musik in so guter Qualität umsonst runterladen können. Wobei die Erfindung an sich eine ganz neutrale Sache ist. Nur hat es die Gesellschaft verpasst, ihren Kindern beizubringen, dass Klauen eine schlechte Sache ist, egal ob du etwas aus einem Geschäft klaust oder online Musik. Ich weiß auch nicht, wie die Leute darauf gekommen sind, dass Musik keinen Wert hat und dass man durch das Stehlen von Musik nur den Großen Konzernen vor den Karren fährt. Fakt ist, dass am Ende die Künstler Schaden nehmen.

Haben Sie denn auch Schaden genommen?
Vega: Ja, ich denke, dass ich, wie viele andere Musiker auch, dadurch weniger CDs verkauft habe.

Die Industrie versucht mit digitalen Wasserzeichen bzw. Kopierschutz zu kontrollieren, wie die Konsumenten ihre MP3s und CDs benutzen. Was halten Sie von dieser Strategie?
Vega: Ich kann es verstehen, wobei ich nicht weiß, wie effektiv das ist. Weil letztendlich kann man jeden Schutz irgendwie umgehen.
Ich finde aber, dass die Gesetze, besonders die Copyright-Gesetze auf jeden Fall respektiert werden müssen. Es ist das Eine zu sagen: Ok, ich gebe einen meiner Songs frei, für einen Remix zum Beispiel. Aber es ist etwas Anderes zu sagen: jeder kann damit machen, was er will. Das ist so eine Art Wilder Westen, wo sich die Leute einfach nehmen, was sie wollen und damit machen, was sie wollen. Musik hat aber einen Wert! Musiker wollen sich nicht nur gegenüber dem Universum mitteilen. Wenn ein Bäcker seine Brötchen backt und verkauft, warum sollte dann nicht auch die Arbeit eines Musikers einen Wert haben?

Zitiert

Wenn du über deine eigene Tochter singst, dann willst du das nicht in ein Megaphon brüllen.

Suzanne Vega

Früher hat man sich ganze Alben gekauft, heute laden sich die Leute im Internet oft nur einen Song eines Interpreten herunter. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Vega: Als jemand, der mit Vinyl aufgewachsen ist, muss ich sagen, dass ich immer noch das Album-Konzept mag, als eine Zusammenstellung von Songs die zusammen ein Statement ergeben.
Aber es stimmt natürlich, dass sich die meisten Leute nur ein, zwei Songs von einem Künstler herunterladen. Und meine Tochter zum Beispiel ist schockiert, wenn wir zuhause ein Album von vorne bis hinten durchhören wollen. Sie findet das total langweilig und fragt uns: Warum wollt ihr euch eine halbe Stunde einen einzigen Musiker anhören?
Ich mache meine CDs aber immer noch so, dass man sie von Anfang bis Ende durchhören kann. Auch wenn ich weiß, dass die Zuhörer inzwischen alles mögliche damit machen können, die Reihenfolge ändern, in Playlists mit Songs von anderen Künstlern zusammenstellen usw.

Haben Konzept-Alben da überhaupt noch Zukunft?
Vega: Also, das hoffe ich. Ich weiß es aber nicht und ich will auch keine Vorhersagen machen. Ich kann nur sagen, dass mir das etwas bedeutet. Und ich vermute, wenn es mir so geht, dann gibt es vielleicht auch eine gewisse Anzahl anderer Leute, die das genauso sehen. Für die Musiker bedeutet diese Entwicklung jedenfalls, dass jeder Song selbstständig funktionieren und aussagekräftig sein muss, weil du weißt, dass das Album später zerhackt und auf Itunes jeder Song einzeln verkauft wird. Das ist natürlich auch eine Herausforderung, dafür zu sorgen, dass jeder deiner Songs dieser Prüfung standhält.

Zu Zeiten von Napster haben sich ja viele Hörer genau darüber beklagt: dass die Industrie Alben mit zwei, drei guten Songs produziere und der Rest nur musikalisches Füllmaterial sei.
Vega: Ja, aber ich weiß nicht, ob es Musiker gibt, die bewusst so arbeiten. Ich weiß auch nicht, ob jeder Musiker denkt „Ich habe wirklich mein Bestes gegeben“. Aber ich glaube, niemand produziert absichtlich Füllmaterial für den Rest seines Albums.
Heute ist es einfach so, dass die Leute viel wählerischer sein können. Sie laden erst mal nur einen Song herunter … Aber dann gibt es eben bestimmte Künstler, wo du eine Single hörst, die gut findest, dann hörst du dir noch einen Song an und noch einen und irgendwann stellst du fest, dass das ganze Album diese Qualität hat. Und dann hole ich mir auch das ganze Album.

Laden Sie auch viel Musik aus dem Netz herunter?
Vega: Ja, ich mache beides. Ich lade mir Songs herunter und wenn mich ein Album dann wirklich interessiert kaufe ich mir die CD bei Amazon. Auch weil ich ständig meine Festplatte verliere… Ich vergesse Backups zu machen, dann passiert irgendwas mit dem Computer – das ist mir jetzt schon zwei, drei mal passiert, dass ich meine komplette Musik-Bibliothek verloren habe. Vielleicht war ich einfach zu ruppig mit meinem Computer.
Aber das ist dann auch wieder ein Manko dieser Technik, dass sie die Musik zu so einem flüchtigen Gut macht. Du hast 2000 Songs auf deiner Festplatte und eines Tages – Peng! – sind alle futsch.

Aber wenn man 2000 Songs auf seiner Festplatte hat…
Vega: …sollte man Backups machen, ich weiß.

Das sicher auch, aber 2000 Songs – ich kenne viele Menschen, die Massen von MP3-Dateien auf ihren Festplatten herumtragen, aber am Ende…
Vega: …hören sie in der Woche vielleicht 20? Ja, das gibt es sicher. Ich habe aber zum Teil auch eigenes Material verloren, Live-Mitschnitte meiner Konzerte, die ich als MP3s gespeichert hatte. Naja, momentan habe ich gerade mal 20 Songs auf meiner Festplatte und muss die ganze Bibliothek wieder von Neuem aufbauen.

Wie und wo hören Sie Musik?
Vega: Vor allem wenn ich reise, im Tourbus höre ich viel Musik. Und im Hotelzimmer, manchmal ganz spät in der Nacht. Aber ich höre zum Beispiel keine Musik, wenn ich in der Stadt herumlaufe, weil ich das sehr gefährlich finde. Ich denke, es ist wichtig, dass du deine Umwelt wahrnimmst. Wenn ich in der U-Bahn Leute mit ihren Ipods sehe, dann verstehe ich das nicht, weil ich finde, dass man immer wachsam sein sollte, auch in der U-Bahn.

Viele Leute wollen sich offenbar von ihrer Umgebung ausklinken…
Vega: Sicher, ich habe das auch von Zeit zu Zeit gemacht. Allerdings habe ich mein Gerät dann auf leise gestellt, damit ich noch mitkriege, was um mich herum passiert.

Ihr bisher erfolgreichster Song war „Tom’s Diner“. Ich habe mich gefragt, was es wohl für Sie bedeutet, dass viele Leute Sie nur mit diesem einen Song identifizieren? Ärgert Sie das manchmal?
Vega: Nein, mich ärgert das überhaupt nicht. Weil wenn ich nicht diesen großen Hit gehabt hätte, wäre mein Publikum heute viel kleiner. Und es ist schon durchaus aufregend in ein Land wie Südkorea zu gehen oder andere Regionen der Welt, und zu wissen, dass die Leute dort meine Musik gehört haben.
Der Erfolg war für mich ja sowieso eine Überraschung, ich habe mit „Tom’s Diner“ sicher nicht versucht, einen Hit zu schreiben. Und die Art, wie der Song dann von den Leuten aufgenommen wurde, das fand ich irgendwie lustig.

Aber es gibt Musiker, die sich später von ihren großen Hits distanzieren, Bobby McFerrin zum Beispiel sagt, er würde nie wieder „Don’t Worry, Be Happy“ singen…
Vega: …ich weiß, viele Leute haben so eine Einstellung, Lou Reed singt auch nie „Walk On The Wild Side“. Aber ich finde es irgendwie auch gemein gegenüber dem Publikum, das nicht zu tun. Das ist so, wie wenn ich in ein Konzert von Leonard Cohen gehe…

…dann wollen sie auch die ganz bekannten Sachen hören?
Vega: Ja, das will ich.
Und wissen Sie, ich selbst habe meine ersten Songs meinen Geschwistern vorgesungen, so fing ich an zu singen, für Kinder. Und Kinder wollen immer die gleichen Songs hören, denen ist das neue Material egal. Ich denke, im Herzen sind wir alle irgendwie Kinder, wir wollen hören, was wir kennen und mögen. Insofern würde ich das meinem Publikum auch nie zum Vorwurf machen.

Sie haben sich vor kurzem bei einem Konzert in Deutschland sogar bei ihrem Publikum dafür entschuldigt, dass sie auch neue Songs spielen werden.
Vega: Ja, da habe ich ein bisschen gescherzt. Das hatte auch damit zu tun, dass vorher das Publikum bei Konzerten in England dem neuen Material so kritisch gegenüber stand. Dort konnte man richtig die Beunruhigung im Publikum spüren. Irgendwann habe ich dann „Marlene On The Wall“ gesungen, aber bis zu dem Zeitpunkt hatte man das Gefühl, dass die Leute im Raum ihr Geld im Portemonnaie zählen, in der Sorge, sie würden für ihr Geld nicht das bekommen, was sie wollten.

Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist eine Comic – welche Figur sind Sie?
Vega: Also, meine Lieblingsfigur war immer Bugs Bunny, weil der so lässig und raffiniert ist und seine Gegner immer überlistet. Also, so ganz spontan würde ich sagen ich bin Bugs Bunny.

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