+++ Das folgende Interview entstand im Sommer 2020 und ist in gekürzter Form in der Wochenzeitung „Der Freitag“ erschienen. +++
Herr Plöger, Ihr Buch „Zieht euch warm an, es wird heiß“ stand in diesem Jahr bereits auf Platz eins der Bestsellerliste. Haben Sie ein schlechtes Gewissen?
Plöger: Weil man mir unterstellen könnte, ich sei jetzt eine Art Krisen-Gewinnler beim Thema Klimawandel?
Nein, aufgrund der verbrauchten Ressourcen für die vielen gedruckten Buchseiten.
Plöger: Da habe ich kein schlechtes Gewissen. Sicher wird dafür eine Ressource verwendet und die sauberste Lösung wäre, dass man gar nichts veröffentlicht. Dann haben Sie aber auch keinen Menschen informiert über ein wichtiges Thema. Und Sie kommen in einen Konflikt, was am Ende besser ist: Wenn man davon ausgeht, dass Menschen aufgrund der Lektüre vielleicht ihr eigenes Verhalten ändern, könnte das am Ende mehr CO2 einsparen als wenn ich auf den Druck verzichte.
Ein E-Book wäre 2020 keine Alternative?
Plöger: Würde ich es nur online veröffentlichen, habe ich die gleiche Problematik, dann hätte ich das Buch auf einem Server stehen, es müsste immer wieder zu den Menschen gelangen, muss dafür gespeichert und immer wieder runtergeladen werden. Bei diesem ständigen Datentransfer kommt dann der Stromverbrauch ins Spiel.
Sprechen wir da von einer ähnlichen Größenordnung?
Plöger: Für ein einzelnes Ebook habe ich das noch nicht ausgerechnet, allerdings für Video-Dateien. Und dort ist völlig klar, dass sich das Streamen zu einem großen Stromschlucker und gewichtigen Klimafaktor entwickelt hat.
Was gedruckte Bücher anbelangt: Die werden von vielen Menschen, trotz der elektronischen Möglichkeiten, immer noch bevorzugt. Wer aber tatsächlich auf die Papierseiten verzichten will, bekommt mein Buch natürlich auch als Ebook. Und ich habe es zusätzlich als Hörbuch eingelesen.
Gucken Sie selbst noch Katzenvideos?
Plöger: Habe ich noch nie. Ich bin tatsächlich jemand, der sehr wenig streamt. Am Rechner schreibe ich hauptsächlich und bereite Vorträge vor. Mein Austausch mit Menschen findet in den meisten Fällen vis-à-vis statt, da bin ich noch sehr oldschool.
Geld kann etwas Gutes bewirken, wenn man es in die richtige Richtung lenkt. Es muss nicht immer derjenige der Reichste werden, der die Umwelt am meisten verschmutzt.
Können Sie sich erinnern, wann Sie selbst angefangen haben, in Ihrem Alltag Dinge zu ändern, um etwas gegen den Klimawandel zu tun?
Plöger: Das war ein längerer Prozess. Am Anfang stand für mich der Orkan Lothar, 1999. Damals war ich in einem Wetterstudio auf 1100m Höhe in der Schweiz und vor unserer Tür hat es ein Drittel des Waldes umgefegt. Da habe ich mir intensiv Gedanken gemacht, warum dieser Sturm so kräftig werden konnte. Der Sturm selbst war zwar ein Wettergeschehen, aber es hat bei mir eine intensive Beschäftigung mit dem Klimawandel – also dem langfristigen Trend des Wettergeschehens – ausgelöst und mich zu dem Gedanken gebracht: Wir sind Täter und Opfer zugleich.
Und seit diesem Tag leben Sie klimabewusster?
Plöger: Ich habe von Berufswegen her und weil ich viel in der Natur unterwegs bin, immer schon auf die Umwelt geachtet und versucht, einigermaßen vernünftig zu leben. Besonders weil ich sie als Gleitschirmflieger oft von oben gesehen und sehr genossen habe. Aber auch nach Lothar hat es noch Jahre gedauert, bis ich die meisten Autofahrten durch Zugfahrten ersetzt habe. Deswegen sage ich heute oft, ich fahre elektrisch. Auch wenn der Kauf eines E-Fahrzeugs noch ansteht. In die Stadt fahre ich eigentlich nur noch mit Fahrrad oder Straßenbahn und ich gehe auch mehr zu Fuß, was übrigens gut tut. Mittlerweile mache ich auch keine Inlandsflüge mehr, der Zug ist immer fast genauso schnell. 2013 habe ich die energetische Versorgung meines Hauses komplett umgestellt, sprich Solarzellen, Wärmepumpe und eine Infrarot-Heizung, die die Wärmesteuerung vornimmt. – Aber auch wenn ich mein Verhalten immer mehr verändert habe, komme ich mit Abstand noch nicht auf die zwei Tonnen CO2, die jeder maximal ausstoßen kann, wenn wir das 2°-Grad Ziel bis zum Jahr 2100 erreichen wollen. Das ist bei uns in Deutschland derzeit praktisch unmöglich.
Auch nicht mit Ihrem Energie-Sparhaus?
Plöger: Jein. Mit den Solarzellen auf dem Dach habe ich seit 2013 etwa 36 Megawattstunden Strom produziert. Wenn ich mir die anrechne, liege ich schon nah bei den 2 Tonnen. Aber dennoch, es ist ein langer Prozess, bis wir alle – und das schließt mich ein – die eigenen Einsichten ins alltägliche Handeln umsetzen.
Was sagen Sie zu dem Ruf nach einem Verbot von Inlandsflügen?
Plöger: Ich bin kein Freund von Verboten, bin aber sehr dafür, dass man sich genau überlegt, wie oft man noch wohin fliegen muss. Welche Geschäftsreisen sind nötig, welche kann man anders lösen? Aber vor allem: Warum kostet eine Taxifahrt vom Zentrum Münchens zum Flughafen mitunter mehr als ein Flugticket nach Hamburg? Warum darf ein Flugkilometer billiger sein, als ein Taxikilometer? So eine falsche Preisbildung muss korrigiert werden. Dafür braucht es einen politischen Willen, und wenn man den hat, könnte ein 600km-Flug, mal 1,50€ pro km, 900 Euro kosten – dann würde es definitiv weniger Inlandsflüge geben und die Preispolitik wäre dem Klimaschutz angemessen. Gleichzeitig müssen wir technisch innovativ denken: Es wird derzeit zum Beispiel an Elektroantrieb für die Kurzstrecke gedacht – das Flugzeug also mit grünem Wasserstoff betanken und dann mit einer Brennstoffzelle Strom erzeugen. Gelingt das, wären Inlandsflüge nicht nur CO2-, sondern zusätzlich auch noch lärmfrei.
Nun nimmt die Politik die Unternehmen in Klimafragen bislang selten in die Pflicht, nicht zuletzt aufgrund von Lobbydruck….
Plöger: Ja, das ist ein Problem, das wir tatsächlich ändern müssen. Die Lobbygruppen sind ständig im Einsatz und wir trauen uns politisch oft nicht, dringend notwendige Dinge durchzusetzen. Ich erinnere mich, wie die Autolobby in den 80ern gegen den Katalysator gewettert hat mit dem Argument, die Autoindustrie würde daran zugrunde gehen. 1993 wurde er Pflicht – und die Autoindustrie überlebte mühelos und machte weiterhin prima Geschäfte.
Ein kleiner Erfolg wurde errungen, als man auch bei Corona reflexartig nach Geldern rief, doch die Regierung klar beschlossen hat, dass Rettungsmaßnahmen an ein klimafreundlicheres Verhalten gekoppelt werden müssten.
Wenn es dort geht, warum nicht Inlandsflüge verbieten, bis man sie mit grünem Wasserstoff antreibt?
Plöger: Verbieten ist ein sehr tiefer Einschnitt und vernichtet auf einen Schlag Arbeitsplätze und zerstört Fluggesellschaften. Besser ist es, ihnen eine gewisse Zeit einzuräumen, sich umzustrukturieren. Aber absurde Ramschpreise verbieten, das könnte man sofort.
Bevor Corona kam, war das Klima-Thema ja schon sehr groß, u.a. durch Fridays for Future. Die Europawahl 2019 hat zudem gezeigt, dass Parteien, die den Klimaschutz nach vorne stellen, die auch für Einschränkungen plädieren, erstmals Wählerstimmen gewinnen, weil das Klimabewusstsein gerade durch die Dürren und das Waldsterben der letzten Jahre deutlich gewachsen ist. Früher haben sie damit nur Stimmen verloren.
Wir müssen uns im demokratischen Diskurs Regeln auferlegen, nach denen wir klimafreundlicher verfahren und diese dann ernsthaft umsetzen und durchhalten. Nur mit Freiwilligkeit und Selbstverpflichtung wird es nicht gehen, dadurch werden wir uns nicht ändern, da mache ich mir keine Illusionen. Zusätzlich muss man über den Preis gehen und uns auch überlisten, in dem man finanzielle Anreize schafft. Geld kann etwas Gutes bewirken, wenn man es in die richtige Richtung lenkt. Es muss nicht immer derjenige der Reichste werden, der die Umwelt am meisten verschmutzt. Ja, wir sind gierige Wesen, werden es leider auch bleiben. Doch wenn wir es schaffen, unsere Gier und die Ströme der Finanzwelt an die richtige Stelle zu lenken, können wir viel erreichen.
Aber entstehen müssen neue Regeln im politischen Prozess…
Plöger: Natürlich. Wir müssen die Erkenntnisse, die uns die Klimaforschung seit 30, 40 Jahren liefert, endlich ernst nehmen und daraus politischen Mut entwickeln. Den haben wir bisher noch nicht. Wir trauen uns noch nicht, politisch klare Vorgaben zu machen, sondern es wird immer wieder herumlaviert, um irgendwelchen Lobbygruppen aus irgendwelchen Interessengründen gewisse Freiheiten zu geben. Damit müssen wir aufhören, denn wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen, das tun wir intensiv und immer weiter.
Haben Sie Verständnis für Leute, die keine Geduld mehr haben mit dem politischen Prozess, die, wie Extinction Rebellion (ER), jetzt Straßen blockieren?
Plöger: Ja, habe ich. Auf der anderen Seite muss man aber berücksichtigen, dass eine Gesellschaft viele unterschiedliche Interessen hat. Wenn jeder protestiert und sagt ‚meins muss ich durchsetzen‘, kommen wir auch nicht weiter.
Wir sollten besser intelligent und offen diskutieren und weiter Druck machen auf die Politik. Und wir müssen diejenigen, die unsicher sind, besser informieren. Ich beobachte, dass aufgrund der medialen Schnipselwelt, in der jeden Tag irgendwo eine Information zum Klimawandel erscheint, aber dann selten richtig eingeordnet wird, in den Köpfen vieler Menschen ein fürchterliches Durcheinander und eine große Unsicherheit herrscht. Auch manche Politiker sind verunsichert. Dem müssen wir begegnen, sonst haben wir am Ende eine Gesellschaft, die so verunsichert ist, dass sie sich nicht traut, neue Regeln wirklich umzusetzen.
Ein Land wie Deutschland, das bei Emissionen von 194 Ländern auf Platz 6 liegt, hat eine Verpflichtung, Vorreiter zu sein. Und die Politik muss sich entsprechend positionieren. Das versucht sie, aber das geht viel zu langsam.
Dass es zu langsam geht, sagt ja auch ER.
Plöger: Aber sich auf die Straße zu stellen, genügt dauerhaft nicht. Natürlich ist Fridays for Future wichtig, zu ER kann man stehen, wie man will… Der Gedanke ist bisher „ich gehe auf die Straße, weil ich möchte, dass es andere für mich richten“ – also die Politik. Nachhaltiger ist in einer Demokratie aber der Gang in die Institutionen. Sprich, Aktivisten, wenn sie nicht gerade erst 12 sind, müssten eigentlich selbst in die Politik gehen, dort ihren politischen Willen äußern und andere überstimmen. Das ist das Prinzip der Demokratie. Kurzfristig mal auf die Straße zu gehen und zu sagen: „Mensch Leute, werdet doch endlich mal aufmerksam!“ – ja, ist richtig. Zudem glaube auch nicht, dass sich durch Radikalisierung zwingend eine Beschleunigung erzeugen lässt, sondern es gibt dann eher viel mehr Streit – und keine Lösung in der Sache.
Die Lösung, die wir anstreben sollten, ist, dass gut informierte Leute intelligent handeln. Wenn ein Politiker jetzt mit Verboten und Regeln in einen Wahlkampf geht, werden viele Leute sagen: ‚Den wähle ich nicht, ich will meine Freiheit behalten‘. Gewählt wird er erst dann, wenn eine informierte Gesellschaft versteht, warum dieser Politiker das einfordert.
Haben wir denn noch genug Zeit für den langwierigen politischen Prozess, um den Klimawandel aufzuhalten?
Plöger: Wenn wir, rein physikalisch, die Menge an CO2 betrachten, die wir noch in die Atmosphäre pusten können, um unsere gesetzten Ziele nicht zu reißen, haben wir, je nach Schätzung, noch zwischen acht und 15 Jahren Zeit. Dann können wir Kipppunkte im Klimasystem, die zu einem neuen und für Fauna, Flora und uns Menschen selbst kaum noch händelbaren Zustand führen, vermeiden. Tun wir das nicht, ist das nicht das Ende der Welt, aber die Schäden an Leib und Leben nehmen dann drastisch zu und es verursacht Kosten, die wir irgendwann nicht mehr tragen können.
15 Jahre ist nicht besonders viel.
Plöger: Nein. Und wenn man jetzt einen Kohleausstieg für 2038 beschließt, ist das auch einfach viel zu spät. Das heißt, der politische Mut fehlt uns immer noch, obwohl wir all die Folgen des Klimawandels weltweit immer drastischer sehen. Deshalb braucht die Gesellschaft immer mehr kollektiven Sachverstand, um die Vorgänge ernsthaft und nicht mit selbstgebastelten Narrativen, die das eigene Verhalten rechtfertigen, einordnen zu können. Die Politik, die ja in einer Demokratie ein Teil von uns allen ist oder sein soll, dazu zu bringen, zügig und vernünftig zu agieren, muss das Ziel sein. Radikalisierung geht für mich – der ich auch ein friedvoller Mensch bin – an der Sache vorbei, dann streiten sich nur ganz viele. Die Physik interessiert sich aber nicht dafür, ob wir uns einig sind oder nicht. Die Physik geschieht einfach und wir müssen sie verstehen und auf sie reagieren, alles andere ist Zeitverschwendung.
Was ist Ihre Reaktion, wenn Sie im Jahr 2020 hören, dass das Steinkohlekraftwerk Datteln IV ans Netz geht?
Plöger: Da fasse ich mir natürlich an den Kopf. Genauso wenig verstehe ich, wie man den Tagebau jetzt noch weiter ausbaut, weil man das mal in den 70er Jahren so beschlossen hat. Klar, so ein Energiekonzern braucht Planbarkeit, aber die Zeiten wandeln sich, gerade über vier, fünf Jahrzehnte. Dann muss man Entscheidungen möglicherweise auch ändern. Wenn eine Gesellschaft diese Bereitschaft nicht hat, fährt sie gegen die Wand.
Eine Frage zum Energie-Mix in Deutschland. Sie haben Ihr Abitur im Jahr der Katastrophe von Tschernobyl 1986 gemacht. Wie hat Sie das geprägt? Und sollte die Atomkraft im Energiemix langfristig vorkommen?
Plöger: Unsere Gesellschaft hat sich mit der Kernkraft wirklich schwer getan, die Politik hat den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg vollzogen, es stand ja bereits 2002 auf dem Papier, was man dann nach Fukushima 2011 beschlossen hat.
Wir sind da uneins und das ist verständlich. Die Atomkraft hat nun mal ihre Vorteile in Sachen Emission, deswegen muss man über sie nachdenken und hat das ja auch getan.
Meine Haltung dazu ist Folgende: Wenn wir Kernfusion könnten, also das, was die Sonne macht, Kerne verschmelzen, dann hätten wir eine unglaubliche Energie zur Verfügung. Grandios. Aber davon sind wir technisch noch weit entfernt. Kernspaltung dagegen hat das bekannte Problem der Abfälle, das an keinem Ort dieser Welt gelöst ist. In Deutschland haben wir lange nach Aufbewahrungsorten wie der Asse gesucht, wo dann aber Untersuchungen gezeigt haben, dass das sehr unsicher ist.
Außerdem haben wir das Risiko von technischen Schäden oder menschlichem Versagen beim Betrieb. Die Kraftwerke werden ja auch nicht jünger, insofern besteht immer wieder die Gefahr, dass irgendein Unglück passiert. Und nehmen wir jetzt mal an, ein Atomkraftwerk in der Mitte Deutschlands geht in die Luft – das würde nicht nur zu vielen Schäden und Todesopfern führen, sondern die Gesellschaft würde sich im Nachhinein fragen, warum man so etwas je gemacht hat.
In unseren Nachbarländern ist man nicht überall dieser Ansicht.
Plöger: Klar. Aber wenn man so argumentiert, mit dem Hinweis auf andere, kann man natürlich jedes Verhalten rechtfertigen. Dann ignoriert man alle Risiken und rennt irgendwann blauäugig gegen die Wand. Finde ich nicht besonders intelligent.
Nein, wir haben ja die erneuerbaren Energien, wenn wir die intelligent fördern und nutzen, brauchen wir keine Kernspaltung. Der Ausstieg ist aus meiner Sicht richtig, wenn man alle Argumente abwägt. Sich auf die Erneuerbaren zu konzentrieren bedeutet ja außerdem, dass man an der Kernfusion und ihren Möglichkeiten weiterforschen kann.
Greta Thunberg sagte Anfang 2020 in Davos: „Es geht nicht um rechts oder links, eure Parteipolitik ist uns egal, in puncto Nachhaltigkeit habt ihr alle versagt.“ („This is not about right or left. We couldn’t care less about your party politics. From a sustainability perspective, the right, the left, as well as the center, have all failed.“) Sehen Sie das ähnlich?
Plöger: Ja, ich würde das auch nicht an rechts oder links koppeln. Ich denke, man kann grundsätzlich sagen, dass an allen Stellen zu wenig getan wurde. Den Grünen würde ich es vielleicht etwas weniger vorwerfen, weil sie lange nicht an der Regierung beteiligt waren. Aber es ist richtig: Alle haben zu wenig gemacht und machen immer noch zu wenig, angesichts der Zahlen, die wir längst auf dem Tisch haben. Nötig wären robuste Einschnitte. Und auf diese Einschnitte muss sich die Gesellschaft einlassen. Irgendwann wird sie das auch tun, da habe ich gar keine Zweifel, nur womöglich viel zu spät.
Warum?
Plöger: Weil es sich so verhält wie in einem spannenden Blockbuster: Als Zuschauer sieht man bereits die dramatische Lage, nur die Protagonisten noch nicht – was die Spannung des Films aufbaut. Bis dann auf einmal die Filmfiguren aufwachen, die Gefahr bemerken und oft in großer Dramatik oder sogar Panik versuchen, das Problem gemeinsam zu lösen. Und dann schaffen sie es am Ende gerade noch in der letzten Sekunde, die Katastrophe zu verhindern.
Beim Film dauert das zwei Stunden, beim Klimawandel 30, 50 oder 100 Jahre. Und darin besteht das Problem, dass der Wandel in Zeitlupe stattfindet, wir ihn deshalb kaum wahrnehmen und absolut nicht angemessen reagieren. Wenn wir unser Verhalten nicht schneller ändern, weckt uns irgendwann die Atmosphäre. Den Weckruf dann zu ignorieren, wäre ein völlig aussichtsloses Unterfangen, da der Klimawandel dadurch immer extremer zuschlagen würde. Und ab einem bestimmten Punkt lässt sich so ein träger Tanker wie das Klimasystem nicht mehr umsteuern. Dann sind wir nur noch der reagierende Teil und die Natur macht was sie will.
Von Corona könnten wir jetzt lernen: Da hat die Politik auf die Warnungen der Wissenschaft sehr schnell reagiert.
Was sagen Sie zum Parteiprogramm der AfD, nach dem sämtliche Vorhaben und Gesetze zum Klimaschutz zurückgerollt werden sollen?
Plöger: Ich denke, die haben ihre Kinder nicht lieb. Die Mehrheit der Bevölkerung hat es glaube ich längst eingesehen, dass wir ein Klimaproblem haben. Warum andere das ignorieren? – Das hat etwas mit kognitiver Dissonanz zu tun. Manche Leute wollen das nicht wahrhaben, es passt nicht in ihr Konzept. Wenn man sich mit Physik schlecht oder gar nicht auskennt, baut man sich ziemlich leicht ein wildes Fantasie-Konstrukt, ein Narrativ, mit dem man Wissenschaftler ins Abseits stellt und sein eigenes Verhalten rechtfertigt. Sinnvoll ist das alles nicht, denn der Planet braucht uns nicht, wir brauchen ihn. Das sollten wir erkennen und danach handeln.
Sind AfD-Politiker, die sich so ein Parteiprogramm ausdenken, dann verblendet? Opfer von Verschwörungstheorien?
Plöger: Das weiß ich nicht. Ich vermute, bei der AfD gibt es parteipolitische Zielsetzungen, die besser erreicht werden können, wenn man das Thema Klimawandel einfach ignoriert. Aber dadurch wird’s nicht richtiger. Natürlich versuchen sie damit auch Wähler zu gewinnen. Ich kann nur raten, dass man sich physikalisch weiterbildet. Wenn man die Physik versteht, lassen sich die Erkenntnisse über den menschengemachten Klimawandel nicht negieren.
Sehen Sie Ihre Verantwortung auch darin, Leute ‚einzufangen‘, die Sie in Ihrem Buch mitunter als „Leugner“ bezeichnen?
Plöger: Erfreulicherweise gibt es relativ wenig Leugner des menschengemachten Klimawandels, allerdings sind sie sehr lautstark und werden auch gehört. Die sagen dann, sie sind „gegen den Mainstream“ – ja, das kann bei manchen Themen hilfreich sein, beim Klimawandel folgt der Mainstream aber sinnvollerweise der physikalischen Erkenntnis.
Ich bin gerne bereit, mit Leuten, die diese Erkenntnisse negieren, zu sprechen. Ich habe aber auch schon die Erfahrung gemacht, dass das bei den wirklich eingefleischten Leugnern nicht funktioniert. Die sind resistent gegen jeden wissenschaftlichen Beitrag. Bei denen habe ich etwa soviel Erfolg als würde ich meiner Wand im Wohnzimmer die Zusammenhänge erläutern. Das ist Zeitverschwendung. Und ich lasse mich nicht gerne persönlich unterhalb jeglicher Gürtellinie – und ich halte viel aus – beleidigen. Solche Beiträge landen dann schlicht in der Ablage P, also dem Papierkorb. Ich sehe mich nicht als Missionar, sondern als Übersetzer eines komplexen Themas für Jedermann. Ich versuche, mit Büchern, Filmen oder Vorträgen, zu informieren und überlasse die Schlüsse daraus jedem Einzelnen.
Der Deutschlandfunk hat Anfang 2020 seine Verkehrsnachrichten abgeschafft. Wie zukunftssicher ist der Beruf Wettermoderator?
Plöger: Wenn wir unseren Job gut machen, geht es ihn vielleicht noch eine Weile. (lacht) Natürlich werden die Handy-Apps immer besser und immer mehr Leute nutzen sie. Doch da ist es ähnlich wie beim Klima-Thema: Die App liefert einem alle möglichen Werte, oft fehlt jedoch die Einordnung. Und die kann ich als Wetter-Moderator liefern, Wetterlagen beschreiben, Strömungen zeigen usw. Mir schreiben immer wieder Zuschauer, dass sie sich über diese Einordnung freuen. Mit dem Wissen verstehen sie dann auch die App besser. Insofern denke ich, dass sich App und Wetter-Moderatoren gut ergänzen.
Bis wann können Sie Wetter gut vorhersagen, ab wann beginnt die Kaffeesatzleserei?
Plöger: Das kommt auf den Parameter an. Die Temperatur lässt sich durchaus für zwei Wochen vorhersagen, wenn man die Spannbreite der Unsicherheit mit angibt. Beim Niederschlag dagegen ist es ganz anders, das ist ein physikalisch viel kleinräumigerer und anders ablaufender Prozess, da ist es manchmal schon für den morgigen Tag schwer, vorherzusagen, wo genau der Regen runterkommt.
Insofern: Eine gute solide Vorhersage für den morgigen Tag ist absolut möglich, da liegen wir mit über 90%-Wahrscheinlichkeit richtig und drei Tage sind statistisch signifikant vorhersagbar. Das finde ich akzeptabel – denn mehr kann sich eh keiner merken. (lacht) Bei sieben Tagen liegt die Wahrscheinlichkeit für eine richtige Vorhersage nur bei 60-70%, da kommen wir dann schon in den Bereich Zufall.
Hat sich die Vorhersagbarkeit des Wetters in den letzten zwei Jahrzehnten noch ausgedehnt – oder ist da keine Luft mehr nach oben?
Plöger: Irgendwo ist immer Luft nach oben, zum Beispiel dadurch, dass sich die Rechenleistung ständig erhöht. Aber zum Beispiel bei Gewittervorhersagen, da werden wir glaube ich auch in 20 oder 30 Jahren noch nicht sagen können: „im Süden von Frankfurt wird es in fünf Tagen um 13 Uhr ein Gewitter geben“. Das macht die Atmosphäre nicht mit. Sie ist einfach zu komplex und sie lässt uns nicht immer in ihre Karten schauen.
Verbesserungspotenzial sehe ich bei Langzeitprognosen, weil bestimmte Zusammenhänge
immer weiter erforscht werden, etwa die Wechselwirkung des Ozeans mit der Atmosphäre. Dadurch könnten statistische Prognosen besser werden, sprich, dass man sagt: Die Wahrscheinlichkeit, dass der kommende Sommer ein wärmerer wird, ist sehr hoch.
Insgesamt sind die Prognosen in den letzten 20-30 Jahren deutlich besser geworden. Aber wir haben auch kleine Rückschritte, mit denen wir umgehen müssen.
Zum Beispiel?
Plöger: Die Messdaten von Schiffen auf dem Ozean werden, ebenso wie bemannte Wetterstationen, immer weniger genutzt. Das bedeutet, man geht auf Automatisieren oder Satelliten zurück. Ein Satellit kann zwar in der Fläche viel, doch eine regionale Messung vor Ort kann er nicht ersetzen. Da fahren wir uns ein kleines Minus ein, ähnlich wie jetzt in der Corona-Zeit, wo Daten aus den Flugzeugen gefehlt haben. Das führte zeitweise dazu, dass Prognosen, die ansonsten für sieben Tage im Voraus gemacht wurden, nur noch für sechs Tage möglich waren. Bei einigen Details gab es sogar eine Reduktion der Vorhersage für den Folgetag. Normalerweise liefert ein Airliner etwa alle 20 Sekunden Atmosphären-Daten, das ist schon eine wichtige Quelle. Trotzdem ist es natürlich grundsätzlich zu begrüßen, wenn weniger Airliner in der Luft sind.
Fliegen Sie eigentlich noch Langstrecke, um Urlaub zu machen?
Plöger: Hin und wieder schon, zum Beispiel zum Tauchen. Ich versuche, das alles nicht im Übermaß zu machen, aber es kommt schon mal vor.
Ich habe gelesen, Sie fahren gerne Ski. Wie lange können Sie das noch?
Plöger: Das kommt auf die Höhe an. Ich versuche schon in höhere Regionen zu gehen, wobei mittlerweile ja selbst in manchen Skigebieten auf 3000m die Pisten künstlich beschneit werden. Man kann sich das ungefähr ausrechnen: Pro Temperaturanstieg von 0,65 Grad erhöht sich die Schneefallgrenze im Schnitt um 100 Meter. Wenn wir jetzt also von zwei Grad bis zum Jahr 2100 sprechen, hat sich die Schneefall-Grenze bis dahin um 300 Meter nach oben verlegt. Und wenn wir bis dahin eine Erwärmung um vier Grad haben, sind es schon 600 Meter.
In Mittelgebirgsregionen ist es schon jetzt schwierig mit dem Ski-Fahren. Ich bin als Meteorologe häufig in Höhenlagen um die 1000m Höhe unterwegs, früher hatten wir regelmäßig von November bis April Schnee vor der Tür, jetzt gibt es manchmal Dezember- oder Januar-Monate, die komplett schneefrei sind.
Hier und da ist natürlich auch mal ein schneereicher Winter möglich: Wenn sich eine bestimmte Wetterlage einstellt, längere Zeit Nordostlage mit feuchter Luft, dann ist auch zu Zeiten des Klimawandels ein kaltes und schneereiches Jahr möglich. Nur die Häufung solcher Winter nimmt ab
Achtung, ein Flugkilometer ist natürlich weitaus teurer als ein Taxikilometer. Weil allerdings in einem Flugzeug wesentlich mehr Personen sitzen und pro Fluggast weniger Personal benötigt wird als in einem Taxi, sind die Kosten pro Personenkilometer(!) viel geringer.
Und übrigens auch die CO2-Emissionen. Moderne Flugzeuge verbrauchen pro Person und 100 Kilometer nur noch rund 3-4 Liter Treibstoff.
Wer also mit möglichst geringen CO2-Emissionen von München nach Hamburg möchte und sich nur zwischen Taxi und Flugzeug entscheiden kann, sollte das Flugzeug wählen.
Die eigentliche Frage ist, zu welchen Zwecken solche Touren heute noch unbedingt nötig sind.