Sylvester Groth

Sie werden mich hassen.

Sylvester Groth ist neuer Kommissar im "Polizeiruf 110" des MDR. Ralf Krämer sprach mit ihm über die neue Rolle, seine Karriere, sein Desinteresse an Talkshows und das Recht, sich im Ton vergreifen zu dürfen.

Sylvester Groth

© MDR/Julia Terjung

Herr Groth, in Ihrem letzten Kinofilm „Zum Geburtstag“ werden die Protagonisten von einem zu Jugendzeiten geschlossenen Pakt eingeholt. Welchen Pakt haben Sie persönlich zuletzt geschlossen?
Sylvester Groth: Den, dass ich jetzt ganz schnell in den Urlaub fahren muss. Ich habe sehr viel gearbeitet und ab morgen erstmal frei. Also saß ich vorhin zuhause und habe mich gefragt: Was machste? Bleibste zuhaus? Aber das ist ja nicht wirklich erholsam. Dann habe ich beschlossen, auf meine Ayurveda-Kur zu fahren, mich zu entgiften vom Rauchen, das ich so sehr liebe.

Sie könnten auf ayurvedische Zigaretten umsteigen.
Groth: Die schmecken aber scheußlich. Ich rauche auf der Kur einfach weniger, weil da zwischen den ganzen Anwendungen gar nicht so viel Zeit bleibt. Ich mache das seit ein paar Jahren so alle sechs Monate. Je öfter man das macht, desto eher springt der Körper auf diese Anwendungen an. Er erinnert sich. Die Batterie lädt dann schneller wieder auf.

Wenn sich Ihre Batterien von Mal zu Mal schneller aufladen, wie wird das dann sein, wenn Sie zum Beispiel 70 sind?
Groth: Da würde die Wirkung wohl eher wieder abnehmen. Der Körper wird ja langsamer, auch im Aufnehmen von Giften. Ich weiß aber nicht, ob ich so ein Kur noch mit 70 machen werde.

Wollen Sie mit 70 noch schauspielern?
Groth: Das weiß ich auch nicht. Man muss ja Angebote haben. Insofern entscheide ich das nicht alleine. Man ist ja so fremdbestimmt in diesem Beruf.

Sie sagen das etwas verstimmt.
Groth: Es ist ja leider so. Es sei denn, man führt selbst irgendwann Regie. Da muss man aber auch Begabung und Interesse für haben, das ist bei mir noch nicht der Fall.

Sie könnten ja wieder zu singen anfangen.
Grothe: Aha, Sie lesen im Internet! (lacht) Singen ist schon was Schönes. Ich hatte auch eine gute Ausbildung. Aber es hat nie dazu geführt, dass ich mal einen Liederabend oder so gemacht hätte. Die Überwindung, zum ersten Mal richtig auf der Bühne zu singen, wäre sehr groß. Trällern können ja viele.

Ihre erste Hauptrolle spielten Sie 1982 in „Der Aufenthalt“ von Frank Beyer, der sich dafür zwischen Ihnen und dem damals ebenfalls noch unbekannten Ulrich Mühe entscheiden musste.
Groth: Ach, da gab es noch einige Kandidaten mehr.

So ist es jedenfalls in Beyers Autobiografie zu lesen.
Groth: Ja ja, das ist als Anekdote ganz nett. Aber für die Rolle standen alle Schlange. Ich wusste das damals aber nicht. Ich war noch Student und hatte keine Ahnung von dem Beruf, ich habe Schauspielerei ja auch nur studiert, weil sich das so ergeben hat. Das Studium war dann ganz witzig, dann nicht mehr so witzig, dann wieder witzig… Und das Drehbuch zu „Der Aufenthalt“ fand ich toll, also bin ich irgendwann hin zu diesen Probeaufnahmen, das waren die ersten meines Lebens. Und dann bekam ich später tatsächlich das Telegramm von dem Produktionsleiter Herbert Ehler: „Sie haben die Rolle, herzlichen Glückwunsch!“ Toll. Ich habe den Film gemacht, ganz jungfräulich. Da musste ich nur „sein“. Und weil ich da noch nicht so versaut im Kopf war, hat das auch funktioniert. „Ich will was“ gab es bei mir gar nicht. Frank Beyer saß da und sagte: Mach mal so. Dann machte ich das.

Was war denn „nicht so witzig“ an Ihrem Studium, wie Sie gerade sagten?
Groth: Auf der Schauspielschule? Na, Herr Minetti, dieses Arschloch. Dieser Sohn von dem alten Schauspieler im Westen.

Hans-Peter Minetti, zu Ihrer Zeit Direktor der Staatlichen Schauspielschule Berlin, war zugleich Präsident des Verbandes der Theaterschaffenden der DDR. Er wurde wegen seiner Staatsnähe stark kritisiert – wie schon sein Vater Bernhard, der auch zur Nazi-Zeit ein erfolgreicher Schauspieler war.
Groth: Dieses Ranwanzen an die Mächtigen, das gibt es doch heute noch genauso. Etwas subtiler vielleicht. Gucken sie doch mal, welche Schauspieler und Produzenten sich bei öffentlichen Anlässen mit Frau Angela Merkel ins Bild drängen und blöde grinsen. Darunter sind auch viele DDR-Kollegen. Dann denke ich: Habt ihr nichts begriffen? Die Merkel soll ihr Zeug machen, aber warum lasst ihr euch benutzen für diesen Scheiß?

Die politische und gesellschaftliche Situation ist heute doch eine völlig andere.
Groth: Ja, natürlich. Historisch betrachtet, hat das ein völlig anderes Gewicht. Aber damals haben auch viele nicht überblickt, was sie taten, als sie die Nähe zur Macht suchten.

Sie plädieren also für die Trennung von Politik und Kunst?
Groth: Ja, total.

Was ist mit der Trennung von Kunst und Leben?
Groth: Kunst ist Kunst und das Leben ist was ganz anderes. Sonst wäre Künstler ja kein Beruf, sondern eine Soap.

Zitiert

Gucken sie doch mal, welche Schauspieler und Produzenten sich bei öffentlichen Anlässen mit Frau Angela Merkel ins Bild drängen und blöde grinsen. Darunter sind viele DDR-Kollegen. Dann denke ich: Habt ihr nichts begriffen?

Sylvester Groth

Das Magazin Cicero hat Sie als den „Bekanntesten der Unbekannten“ beschrieben und das damit begründet, dass Sie am „Talkshowgetingel“ nicht interessiert seien. Warum ist das so?
Groth: Würden Sie mich in einer Talkshow sehen wollen?

Wenn sie gut ist, warum nicht?
Groth: Aber das funktioniert doch nur, wenn man so eine Show an sich reißt und einen guten Eindruck hinterlässt. Dann macht das Sinn. Aber dazu bin ich viel zu abhängig von meiner Tagesform.

Sie könnten den guten Talkshowgast doch einfach spielen?
Groth: Ja, das muss man dann auch. Aber das wäre mit sehr viel Aufwand verbunden. Wenn ich meine Freundin Katrin Sass in den Talkshows sehe… Ich muss sagen, das wäre mir zu anstrengend. Sie sagt dann immer: „Ja, das muss man aber machen!“ Dann sag ich „Nein, das muss man nicht.“ Mir sind solche Auftritte zu doof.

Sie könnten aber durch Talkshow-Auftritte prominenter werden.
Groth: Warum soll ich denn prominent sein?

Sind Geld und Ruhm kein Antrieb für Sie?
Groth: (hustet) Geld verdienen ist ganz gut, das finde ich auch wichtig.

Verbessert ein großer Bekanntheitsgrad nicht die Chancen auf große Rollen?
Groth: Ich weiß nicht. Ich möchte ja Rollen, die mich in irgendeiner Weise schauspielerisch befriedigen. Meine merkwürdige Rolle in „Unsere Mütter, unsere Väter“, die am Anfang mal vorkommt, dann am Schluss noch mal – bei der hast du gemerkt, dass sie für den Film wichtig ist, dass sie in sich funktioniert. Diesen SS-Mann ohne Wertung zu spielen, einfach so, das fand ich schauspielerisch interessant. Aber an so eine Rolle kommt man nicht durch eine Talkshow, oder eine Party.

Vielleicht durch eine Homestory in der Super-Illu?
Groth: Ach ja, habe ich ganz vergessen, die mache ich morgen. – Nein, zuhause kommt mir keiner rein.

Letzter Versuch: Wie wär’s mit einer Kochshow?
Groth: Furchtbar. Da schwingen Prominente ihren Löffel im Kochtopf und erzählen derweil noch von ihrem Privatleben. Das ist doch nur anstrengend und uninteressant.

Trotzdem ein paar Fragen, wie man Sie Ihnen möglicherweise in einer deutschen Talkshow stellen würde: Haben Sie Ihre Stasi-Akten gelesen?
Groth: Nein. Habe ich auch nicht vor. Ich bin nicht so rückwärtsgewandt. Ich kann’s ja nicht mehr ändern. Mich würde schon interessieren, ob ein paar Menschen darin vorkommen, von denen ich das niemals erwartet hätte. Von anderen habe ich so was schon mal erfahren. Da hatte einer zu mir gesagt: „Ich bin jetzt geschieden, muss zuhause ausziehen…“ Ich bin ja ein freundlicher Mensch und hab dann gesagt: „Dann ziehst du zu mir! Du nimmst das Zimmer, ich zieh in das Zimmer.“ Ist ja wurscht. Und dann höre ich später von Kollegen: Du, der war aber voll bei der Firma. Und ich denke: Aha? Interessant. Ich war wahrscheinlich gut überwacht, weil ich so leutselig bin.

Warum heißen Sie eigentlich Sylvester?
Groth: Weil ich das letzte Kind sein sollte. Ich hatte vier Geschwister. Ein Bruder ist schon gestorben. Mein Vater auch. Alle mit 40. Als ich so 39, 40 war, dachte ich: Was passiert jetzt mit dir? Obwohl ich so alkoholmäßig gar nicht gefährdet war. Ich trinke jetzt eher mal ganz gerne. Um den Stress loszuwerden ist das schon ganz gut. Drogen sind nicht so mein Ding. Jedenfalls hatte meine Mutter einen Bruder, der hieß Sylvester, der war Maler, den haben sie alle sehr geliebt in Polen, damals.

Ihre Mutter war Polin?
Groth: Ja, so halb. Ich habe meine meisten Verwandten in Polen.

„Der Aufenthalt“ und „Unsere Mütter, unsere Väter“ waren zwei Filme, denen in Polen vorgeworfen wurde, antipolnische Ressentiments zu schüren.
Groth: Ja, ich weiß auch nicht, was da schief gelaufen ist. Dabei liebe ich doch die Polen so. Ich wäre wirklich selbst gerne ein Pole. Jedenfalls hat meine Schwester dann wohl damals zu meiner Mutter gesagt: Nenn‘ den Kleinen doch Sylvester. Für ein Kind ist das natürlich eine Katastrophe. Man wird gehänselt, Weihnachten und Ostern genannt und so. Ich habe mich schließlich nur noch mit meinem Zweitnamen ansprechen lassen, bis ich dann auf die Schauspielschule kam. Für einen Schauspieler fand ich den Namen Sylvester dann ganz gut.

Es hätte ja auch ein Künstlername sein können, eine Hommage an Sylvester Stallone, der schon ein großer Star war, als Sie mit der Schauspielerei begannen.
Groth: Nein, im Osten war er das überhaupt nicht. Auch Arnold Schwarzenegger nicht. Diese eigenartigen Karrieren. Da musst du ja körperlich immer so fit sein. Das ist doch anstrengend. Warum machen die das? Sind die so?

Hinter derart modellierten Körpern muss zumindest ein starker Wille stehen. Man muss ein genaues Ziel vor Augen haben.

Groth: Das muss man dann wohl. So war ich nie. Ich mag nicht so strategisch vorgehen. Ich bin ja sehr intuitiv.

Also so ziemlich das Gegenteil von dem fiesen Strategen Georg, den Sie in „Zum Geburtstag“ spielten.
Groth: Ja, aber die Leute sehen dieses Strategische in mir. Ich weiß auch nicht, warum ich diese Wirkung habe. Die ist ja fatal.

Was ist so schlimm daran?
Groth: Ach, dass alles so festgefahren ist. Man nimmt sich in dieser Branche nur noch einzelne Zutaten, wie Bausteine, die sich schon mal bewährt haben oder sonst wie erfolgversprechend sind. Die schiebt man dann zusammen und sagt: Das ist aber ein schönes buntes Bild. Aber dabei entsteht eben nicht das, was Gerhard Richter im Kölner Dom gemacht hat. Das Fenster dort finde ich toll, wahnsinnig schön, überirdisch. Und dann guckst du dir die kleinen Fenster-Bildchen daneben an. Die hängen da bunt rum, sind wirklich schön gemacht, aber du denkst: Nee, das will ich nicht.

Sie werden am 13. Oktober zum ersten Mal im Magdeburger „Polizeiruf 110“ als Kommissar zu sehen sein. Warum sind Krimis im Fernsehen wahnsinnig beliebt, während der Polizistenberuf ein eher schlechtes Ansehen hat?
Groth: Gute Frage. Ein Krimi ist eben so ein bisschen wie ein Kreuzworträtsel. Und die Polizei hindert mich an meinem Sein. Die kann auch nicht unterscheiden zwischen Spaß und Ernst. Die kommt ja auch nicht, wenn man sie wirklich mal braucht. Ich habe da in Magdeburg natürlich auch ein paar wirklich nette Polizisten kennengelernt. Aber die sind schlecht ausgerüstet, schlecht angesehen… Ich will ja auch in keinem Polizeistaat leben, wo ständig draußen patrouilliert wird, damit man sich irgendwie sicher fühlt. Vor lauter Sicherheitsbedürfnis beginnen wir ja schon uns selbst zu überwachen.

Wie meinen Sie das?
Groth: Jeder will wissen, was der andere macht, weil man erstmal davon ausgeht, dass der andere einem was Böses will. Gleichzeitig können wir gar nicht mehr kritisch miteinander reden. Man bestätigt sich nur noch gegenseitig. Man muss diese gegenseitige Bestätigungskultur entmerkeln. Man muss sich auch mal im Ton vergreifen können. „Der Ton macht die Musik“ – noch so ein deutsches Sprichwort. Nein, der Inhalt macht die Musik. Wenn jemand sich mal im Ton vergreift, kann man doch abstrahieren und erstmal sagen: Okay, der ist gerade wohl etwas aufgebracht, aber der will wohl irgendwas. Sag doch mal. Damit kann ich besser umgehen, als mit Ignoranz, mit dieser ständigen Nettigkeit, oder dass die Türen gleich zugehen.

© MDR/Julia Terjung

© MDR/Julia Terjung

Wie werden die Zuschauer auf Jochen Drexler, Ihren Polizeiruf-Kommissar, reagieren?
Groth: Sie werden mich hassen. (lacht) Weil ich eine Figur spiele, die ist nicht nett, die ist ganz seltsam. Claudia Michelsen übernimmt den Part, den man lieben wird. Das ist ja okay. Das ist die Verabredung. Ich bin das Arschloch. Und dann sieht man weiter, was man mit der Figur noch so alles machen kann. Bei so einer Reihe muss man die Figuren ja ein bisschen offen halten, die sollen ja über einen längeren Zeitraum spannend bleiben.

Vielleicht werden Sie von den Zuschauern überrascht und plötzlich sehr beliebt?
Groth: Wenn es ein paar mögen, ist mir das schon recht. Und wenn’s nicht funktioniert, gehe ich weg, dann kommt eben ein anderer. Deswegen muss ich ja kein netter Kommissar sein. Nett ist ja auch keine künstlerische Kategorie.

2 Kommentare zu “Sie werden mich hassen.”

  1. Erhan |

    Von wem ist denn nun das Interview? Oben steht Jakob Buhre, im Text der Name des geschätzten Ralf Krämer. Von wem ist es?

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    1. Jakob Buhre |

      Danke für den Hinweis, Autorenkennung wurde korrigiert.

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