The Streets

Unser Alptraum ist bereits wahr geworden.

Mike Skinner alias The Streets über Finanzen, Sponsoren, Texte und das Ende seiner Band

The Streets

© Katie Kaars/Warner Music

Mike, eure neue CD stand eine Woche nach der Veröffentlichung nur auf Platz 16 der britischen Charts. Bist du enttäuscht?
Skinner: Ach, das macht mir nicht besonders viel aus. In erster Linie zählt für mich das Werk. Das muss den Test der Zeit erst noch bestehen.

Auf Platz 15 und 17 wart ihr von Best-Of-Platten von Stevie Wonder und ABBA umgeben. Sind The Streets jetzt schon ein Klassiker?
Skinner: Nein. Was gerade populär ist, ist ja nicht unbedingt das, was überdauern wird.

Kann es für eure Kollegen von der Band Kings of Leon also auch ein schlechtes Zeichen sein, dass sie gerade auf Platz 1 waren?
Skinner: Ich mag ihr neues Album, zumindest die erste Hälfte. Und offensichtlich läuft ihre Single auch ziemlich gut, allerdings klingt sie für mich so, als würde sie vom Top Gun-Soundtrack kommen. (lacht)

Coldplay, eine andere britische Erfolgsband, hat erst vor wenigen Wochen einen Song herausgebracht, der „The Escapist“ heißt. Der letzte Song deines neuen Albums heißt genauso. Ist Eskapismus, also Realitätsflucht, in England gerade in Mode?
Skinner: Das ist ein Zufall. Ich habe „The Escapist“ eigentlich für einen Film geschrieben, der im Gefängnis spielt. Aber sie konnten den Song wohl nicht gebrauchen, also habe ich ihn mit auf das Album gepackt. In ihm stelle ich mir eher vor, was im Kopf von jemandem vor sich geht, der im Gefängnis sitzt.

Aber im Video zu dem Song fliehst du selbst von der Insel, quer durch Europa zum Mittelmeer, und das auch noch zu Fuß…
Skinner: Das hat sich so ergeben. Wir machen zu jedem Song des Albums ein eigenes Video. In dem Video zu „The Escapist“ wollte ich einfach etwas möglichst authentisches machen. 

Am Mittelmeerstrand triffst du dann einen Mann im Strickpullover. Wer ist das?
Skinner: Ich vermute, da treffe ich nur mich selbst.

„Everything is just borrowed“  – Alles ist nur geliehen, dieser Albumtitel klingt wie ein Kommentar zur aktuellen Finanzkrise.
Skinner. Das war wirklich nicht geplant. Der Titel hat sich nach und nach entwickelt. Ich dachte jedenfalls nicht an Geld oder Ähnliches. Nach drei Alben, die das moderne Leben aus verschiedenen Perspektiven zum Thema hatten, wollte ich mich bewusst vom modernen Leben abwenden, hin zu eher klassischen Geschichten. Dass der Plattentitel jetzt so gut passt, ist reines Glück – oder besser gesagt: Pech.

Wie ist dein eigenes Verhältnis zum Geld?
Skinner: Als ich jünger war, habe ich so gut wie kein Geld ausgegeben, außer für meinen Musikkram. Ich war also sehr geizig. Als ich erfolgreich wurde, habe ich das Geld eher verschwendet, aus Gleichgültigkeit. Obwohl ich ein paar ziemlich materialistische Songs geschrieben habe, war mir immer alles egal, solange ich mich mit Musik beschäftigen konnte.

Vor einiger Zeit habe ich in Berlin auf der Straße einen Flyer gefunden. Auf ihm stand: „The Streets, live und umsonst, heute auf der Baustelle der O2-Arena“. Ich bin nicht hingegangen, weil ich keine Lust hatte, auf einer Werbeveranstaltung für einen Handy-Anbieter zu tanzen. Wie stehst du dazu?
Skinner: Es klingt gut, zu sagen: Musik sollte frei und unabhängig sein. Aber allein der physikalische Akt, eine Band von England nach Deutschland zu transportieren, kostet sehr viel Geld. Das ist nicht mit ein paar hundert Eintrittskarten zu finanzieren. Es war mal die Aufgabe der Plattenfirmen, diese Kosten zu übernehmen, aber die CD-Verkäufe sind geradezu irrelevant geworden. Die Plattenfirmen finanzieren kaum noch Tourneen, also macht es eben O2. Es ist eine sehr heuchlerische Haltung, vor allem von Konsumenten aus der Mittelschicht, diese Tatsachen außer Acht zu lassen.

Zitiert

Als ich erfolgreich wurde, habe ich das Geld eher verschwendet - aus Gleichgültigkeit.

The Streets

Machst du dir Sorgen über die derzeitige Wirtschaftskrise?
Skinner: Nicht wirklich, denn die Musikindustrie hat ihren Kollaps schon hinter sich. Unser Alptraum ist bereits wahr geworden. Niemand verkauft mehr Platten, deswegen habe ich auch mein eigenes Label letztes Jahr verloren. Unsere Industrie hat akzeptiert, dass wir vor zehn Jahren eine unrealistisch erfolgreiche Zeit hatten, die irgendwann zu Ende gehen musste.
Heute sind die Spielräume eben enger, die Leute sind gezwungen, sich mehr auf das Wesentliche zu konzentrieren und auch wirkliche Veränderungen voranzutreiben. Auch Musik hängt nicht von der äußeren Verpackung ab. Für mich muss Musik kein physisches Ding sein. Mir reichen MP3s. Aber für die Show muss irgendjemand bezahlen.

Also ist es der konsequente, moderne Weg, sich Musik von Sponsoren bezahlen zu lassen?
Skinner: Ja. Zum Beispiel.

Welche Veränderungen bringt die neue wirtschaftliche Situation für dich als Musiker?
Skinner: Man muss sich einfach auf das konzentrieren, was einem am Wichtigsten ist. Wenn ich in irgendeinem anderen Job so hart gearbeitet hätte, wie ich es seit fast 15 Jahren für meine Musik mache, wäre ich jetzt wahrscheinlich sehr, sehr reich. Aber Musik zu machen, ist das Einzige, was für mich zählt, nicht das Geld und auch nicht die Chartplatzierungen. Wenn ich irgendwann von Musik nicht mehr leben könnte, müsste ich wohl auch einen normalen Job akzeptieren. Aber das ist das Einzige, was ich wirklich zu vermeiden versuche.

Würdest du dann auch noch Musik machen, ohne Publikum?
Skinner: Ja, das würde ich wohl. Aber das ist dann wieder der große Vorteil des Internets: du kannst deine Musik sehr schnell weltweit verbreiten. Ein Publikum zu haben oder nicht, ist also nicht das Problem.

Hat sich deine Art, Songs zu schreiben weiter entwickelt?
Skinner: Naja, ich brauche mittlerweile lange, um mich für einzelne Worte zu entscheiden. Aber im Grunde ist der Prozess gleich geblieben.

Hast du jetzt mehr Freude daran, im Detail an deinen Texten zu arbeiten?
Skinner: Ja, schon. Und vor allem bin ich viel ausgeglichener als früher. Ich habe akzeptiert, dass Ideen nicht immer so schnell und gleich in der Qualität kommen, wie ich das gerne hätte.

Wo kommen dir die Ideen?
Skinner: Zum Beispiel beim Spazieren. Meine Songs kommen mir ein bisschen wie ein Puzzle vor und wenn ich spazieren gehe, kann ich dieses Puzzle besser lösen. Auf einem Spaziergang, kann man besser und freier denken. Es hilft, nicht zu sehr ins Grübeln zu kommen.

Ändern sich die Songs auch noch in deiner Live-Performance?
Skinner: Das kommt vor, aber sobald sie auf Platte veröffentlicht wurden, ändere ich sie nicht mehr. Ich experimentiere zwar live, aber eher mit dem Publikum, nicht mit den Songs.

Siehst du dich eher als Poeten und Songwriter, statt als Rapper?
Skinner: Als Songwriter auf jeden Fall. Ich würde nicht sagen, dass ich ein Poet bin. Das ist eine andere Disziplin.

Die neue Platte ist zum Teil recht ungewöhnlich instrumentiert. Ist der Einsatz von Orgeln eine Bewerbung für die „Last Night of the Proms“ in der Royal Albert Hall?
Skinner: (lacht)  Nein, ich fühle mich nicht speziell beeinflusst auf dem neuen Album, schon gar nicht von den „Proms.“ Natürlich steht man in gewissen Traditionen, aber diese Einflüsse sind eher unterbewusst. Der Stil des Albums hat sich eher zufällig ergeben. Ich hatte mir Musiker im Internet angehört, dann jene gebucht, die mir passend zu sein schienen und sie mit ihren Instrumenten ins Studio geladen.

Letzte Frage: Du hast angekündigt, dass du mit deiner nächsten Platte das Projekt The Streets beenden willst. Steckt dahinter ein Konzept? Wolltest du von Anfang an im verflixten siebten Jahr Schluss machen?
Skinner: Nein. Ich möchte einfach neue Sachen ausprobieren, Musik machen, die auch für mich neu und aufregend ist und auch für das Publikum soll es ja nicht langweilig werden.

Mike Skinner, 1978 in London geboren, landete unter dem Namen "The Streets" seinen ersten Erfolg 2001 mit der Single "Has It Come to This". Charakteristisch ist sein zwischen Pop und Rap angesiedelter Sprechgesang, mit dem er zunächst Geschichten mehr

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