Thees Uhlmann

Wie kann Heidi Klum nachts noch ruhig schlafen?

Im Herbst 2015 erschien der erste Roman von Songwriter und Tomte-Sänger Thees Uhlmann, „Sophia, der Tod und ich“. Im Interview spricht Uhlmann über die Arbeit an seinem literarischen Debüt, Reisen mit dem Tod, eine Mercedes-Werbung des Kollegen Cro, Soldaten auf dem Laufsteg und warum er in seinem Buch Marken- und Städtenamen vermeidet.

Thees Uhlmann

© Ingo Pertramer

Herr Uhlmann, Sie haben im Herbst 2015 Ihren ersten Roman veröffentlicht. Wann war der eigentlich fertig geworden?
Thees Uhlmann: Im Endeffekt ist das Buch dreimal fertig geworden. Ich habe im Februar 2015 den letzten Satz geschrieben. Dann haben wir im Zwischenlektorat alles nochmal von vorne durchgenommen, jede Seite: Das finde ich gut, das finde ich schlecht. Im Mai hat meine Lektorin Kerstin Gleba dann gesagt: So, Thees, das Buch ist jetzt fertig.

Kerstin Gleba ist nicht nur die Cheflektorin sondern auch die stellvertretende Geschäftsführerin Ihres Verlags Kiepenheuer & Witsch. Wenn sie das sagt, muss das wohl stimmen, oder?
Uhlmann: Dann kamen aber die ersten Korrekturabzüge, auch Druckfahnen genannt und wir haben nochmal Supervollgas gegeben: Die Seite ist doch kacke! Das macht doch da überhaupt keinen Sinn! Zum dritten Mal fertig geworden ist es dann am 31. Juli, da haben wir nochmal von morgens um zehn bis nachts um halb zwei dran gearbeitet.

Fällt es Ihnen generell schwer, loszulassen oder waren Sie sich noch unsicher auf dem neuen Terrain?
Uhlmann: Mit dem Loslassen hatte ich nie so große Probleme. Aber irgendwann wird man so akribisch und denkt: Warum stört mich Seite 42 so doll? Dann sagt Kerstin auch: Seite 42, irgendwas ist da. Und dann glaube ich eben an die Magie der Zweisamkeit: Ich schreibe dann nur für Kerstin. Ich möchte einfach nur, dass sie zufrieden ist mit Seite 42.

Im Sinne des Stephen-King-Zitats, „Zu schreiben ist menschlich, Editieren ist göttlich“ wurden Sie sozusagen aus Gottgefälligkeit zum Perfektionisten?
Uhlmann: Ganz genau. „To write is human, to edit is divine,“ das habe ich in dem Buch „Stephen King On Writing“ entdeckt. Das passte natürlich ganz krass zu mir und dem Verhältnis zu meiner Lektorin. Ich hatte ja auch noch nie ein Buch geschrieben. Ein Buch zu schreiben ist auch ganz schön viel Arbeit. Kerstin Gleba hat mich da wahnsinnig toll durchgebracht. Deshalb steht diese King-Zitat jetzt auch im Buch.

Ist Stephen King für Sie literarisch ein ähnlich großes Vorbild, wie es Bruce Springsteen für Sie musikalisch ist?
Uhlmann: Ich bin ein riesen Stephen-King-Fan. Irgendwann habe ich mal durchgeguckt, was ich von ihm eigentlich noch nicht gelesen habe. Und da habe ich „Stephen King On Writing“ entdeckt. Das habe ich als Hörbuch gehört, durch Berlin gehend, auf dem Weg zum Schülerladen, um meine Tochter abzuholen. Es ist eines der drei schönsten Sachen, die King jemals geschrieben hat. Es ist wahnsinnig devot der Kunst gegenüber und unglaublich ehrlich.

Wie äußert sich das?
Uhlmann: Er schreibt zum Beispiel, wie sehr er noch immer in seine Frau verliebt ist: „Meine Frau ist das Größte, was mir je passiert ist.“ In der ersten Hälfte des Buchs geht’s dann nur darum: Wie bin ich zum Schreiben gekommen. Allein das ist schon megasüß, interessant. Und dann erzählt er halt ohne Gnade: Unten haben meine Kinder gespielt und ich saß da und schrieb, mit zwei Tampons in der Nase, weil die so geblutet hat vom Koksziehen. Um mich herum: alles voller Bierdosen. Dann kam die Intervention seiner Frau: Noch zwei Wochen, wenn sich nichts ändert, wenn du nicht aufhörst zu trinken, ziehst du aus, oder wir gehen weg! Im zweiten Teil erklärt er dann, wie er schreibt und was für ihn dabei gut funktioniert. Ich gar nicht so viel davon übernommen. Aber es gibt da eben tolle Sätze, die man auch schon kennt, wie „Vergleiche sind so dumm, wie Vögel ohne Flügel.“

Zitiert

Ich mach doch keine Werbung für irgendwelche Arschlöcher.

Thees Uhlmann

Haben Sie Ihren Roman nun wegen Stephen King geschrieben oder weil es von Frank Spilker bis Jochen Distelmeyer gerade im Trend liegt, dass deutsche Musiker Bücher schreiben? Oder hätten Sie gerne Ihre Memoiren geschrieben, haben aber gedacht: dafür ist es noch zu früh?
Uhlmann:(Lacht) Die Frage ist also: Warum gibt es dieses Buch? Wir haben das mal ausgerechnet: Den Vertrag mit meinem Verlag, auch KiWi genannt, gibt es seit 12 Jahren. Es gab mal eine Platte meiner Band Tomte, „Hinter all den Fenstern“. Da hatte ich zu allen Songs Liner-Notes geschrieben. Das kam daher, dass ich immer gerne anders sein wollte, als andere und es ist ja so wahnsinnig gängig unter Künstlern zu sagen: Ich sage nichts dazu, wie ich den Song geschrieben habe; was der bedeutet sage ich auch nicht. Also habe ich gedacht: Ich treibe das jetzt bis zum Exzess und erkläre genau, worum es da geht. Reininterpretieren kann man dann immer noch genug. Kerstin Gleba hatte das gelesen und gesagt: Ich möchte gerne, dass du ein Buch schreibst und dass du das für KiWi machst. Du kriegst einen Vorschuss von 2000 Euro. Ich dachte: 2000 Euro! Schuldenfrei! Das war eine Zeit, wo ich keine Krankenversicherung hatte und null Pfennig. Ich habe den Vertrag direkt unterschrieben.

Das muss nicht viel heißen. Auch das Buch „Anfänger beim Rocken“ des Musikers Kristof Schreuf wird von Suhrkamp seit Jahren angekündigt. Keiner weiß, ob es jemals erscheint.
Uhlmann: Bei mir ist auch erstmal nichts hinterhergekommen. Mir war aber immer klar, dass ich einen Roman schreiben will und nichts über Musik. Aber es hat einfach immer gedauert und gedauert. Immer wenn ich in Köln auf Tour war, bin ich bei KiWi vorbei: Hallo, Kerstin! Ja, nein. Immer noch nichts. Doof gesagt: Mir ist nichts eingefallen. Freunde aus meiner Band haben dann nach der letzten Tour zu mir gesagt: So, du schreibst jetzt das Buch! Und ich so: Jetzt? Ja, jetzt!

Nach dem Motto: Vorher gibt’s keine Musik mehr?
Uhlmann: Ganz genau. Ich wurde erpresst. Das war wirklich süß. Ich wurde von einem nächsten Umfeld dazu gezwungen, über dieses Buch konkret nachzudenken. Nach einem Vierteljahr hatte ich drei Ideen und bei der Idee mit dem Ich-Erzähler und dem Tod haben alle die Hand gehoben. So kam es dann zu dem Buch.

Wie lange hat das Schreiben gedauert?
Uhlmann: Ich glaube, ein Jahr und ein viertel. Dann hat mir Oliver Polak, der Stand-Up-Comedian, gesagt: Ich gehe auf Tour, hast du nicht Bock, das Vorprogramm zu machen? Ich habe gesagt: Ja. Das war die Initialzündung. Wann geht’s los? In einem Monat. Also habe ich halt das erste Kapitel geschrieben und dann unterm Radar in dem Vorprogramm das erste Kapitel gelesen.

Ich muss zugeben, dass ich nicht damit gerechnet hätte, beim Lesen Ihres Buches so viel zu lachen. Hat da das Touren mit Oliver Polak auf Sie abgefärbt? Man kommt ja auf anderen Wellenlängen, je nachdem, mit welchen Menschen man sich umgibt…
Uhlmann: Das auf jeden Fall. Ich war erst Fan, dann Freund von Oli. Und es war halt auch einfach geil, mal ohne Gitarre auf die Bühne zu gehen. Ganz schön aufregend. Dann hat mir Oli auch noch so ein paar Tipps gegeben. Er hat das live vortragen von Texten natürlich von der Pike auf gelernt. Das war natürlich super. Das auszuprobieren hat mir auch viel Mut gemacht, weiter zu schreiben.

uhlmann coverWarum wurde es ein Roman über den Tod? Man möchte fast sagen: Sie sind doch noch so jung, Herr Uhlmann…
Uhlmann: Also ehrlich gesagt: Homer, Shakespeare, irgendeiner von den Manns… Der Tod ist ja etwas, was viele Künstler umtreibt. Blöd gesagt, ist das auch irgendwie meine Baustelle. Familien und Tod, das ist in meinen Texten immer schon vorgekommen: In „Schreit den Namen meiner Mutter“ heißt es „Lass‘ mich gehen, lass mich vor dir sterben“. Der Beruf des Künstler ist ja ein komischer. Man sitzt da unschuldig großmäulig und sagt: Ich schreib jetzt mal was auf, ihr könnt das dann alle lesen. Und ich hatte einfach Lust, über den Tod zu schreiben und ihm so eine Honkigkeit zu verliehen.

Das Wikiwörterbuch trifft es ganz gut, wenn es „Honk“ als umgangssprachlichen Begriff bezeichnet, für einen Menschen, „der sich nicht besonders klug anstellt.“
Uhlmann: Genau. Und der Tod wird ja sonst eher mit Zombies in Verbindung gebracht, mit Vampiren, mit Abschlachtungen, wie in „Herr der Ringe.“ Bei mir ist der der Tod eben eher so ein Honk, der genießt, das erste Mal besoffen zu sein. Der kann gar nicht glauben, wie witzig das ist, oder dass es ICE-Türen gibt, die von selbst auf- und zugehen.

Sie sind eher auf dem Land groß geworden, wo sich die Subkultur des Heavy Metals bekanntlich besonders großer Beliebtheit erfreut. Typisch sind da beispielsweise Platten-Cover, die den Tod als Comic-Figur sehr drastisch abbilden. Haben Sie als Jugendlicher dadurch vielleicht einen spielerischen Umgang mit dem Tod erlernt?
Uhlmann: Das… (überlegt) ist eine steile These. Aber sie ist richtig. Ich würde dann noch 250 Horror-und Actionfilme dazu packen, die ich damals geguckt habe. Aber was mir aufgefallen ist: Als ich so 7, 8, 9, 10 Jahre alt war, hatte ich noch Angst vor dem Tod, vor Monstern. Der Satz: „Hol mal ein Glas Marmelade aus dem Keller“ war für mich die absolute Hölle. Das ist bei der Generation, die jetzt groß wird, anders. Ich kenne nun auch ein paar Kinder, die haben alle keine Angst vor Monstern, eher vor anderen Sachen.

Vor dem Alleinsein?
Uhlmann: Sowas in die Richtung. Das ist wirklich komisch, dass sich in einer Generation sowas total verändern kann. Ich sage nur: Monster, Mumien, Mutationen…

Am Anfang Ihres Buchs klopft der Tod ganz klassisch an die Tür und will Ihren Ich-Erzähler mitnehmen. Das klappt nicht so richtig, der Erzähler begibt sich mit dem Tod auf Reisen und wird im Umgang mit ihm zunehmend entspannter.
Uhlmann: Auf jeden Fall. Dieser Erzähler eigentlich ein großer Haderer. Ein Haderer und Vermeider. Aber irgendwann wird er auf diese Reise zurückblicken und sagen: Das war das geilste, was ich jemals gemacht habe. Es geht schon in die Richtung: Lebe jeden Tag so, als wäre das dein letzter. Ich hoffe natürlich, dass ich weit weg bin von diesen Kalendersprüchen, die sich so auf Umsonst-Postkarten in Studenten-WGs finden. Aber ich werde eben richtig heiß bei Sachen, die universell sind. Das interessiert mich, da glüht mein Hirn. Und so gehört es in diesem Buch einfach dazu, dass die Geschichte auch künstlerisch möglichst universell gestaltet ist. Es gibt zum Beispiel fast keine Marken, es gibt keine Städtenamen und es gibt nur Norden und Süden.

Ist das auch als kleinstädtische Antithese zur großstädtischen, sogenannte Pop-Literatur gedacht, deren Autoren das Zitieren von Markennamen und konkreten Orten geradezu als identitätsstiftenden Sport betrieben haben?
Uhlmann: Am Anfang hat mich das erstens vor allem künstlerisch interessiert, dass in meinem Buch zum Beispiel das Wort „Euro“ nicht erwähnt wird. Ich glaube, Lidl und Deutsche Grammophon sind die beiden einzigen Marken die mal kurz vorkommen. Ich habe auch einfach gedacht: Ich mach doch keine Werbung für irgendwelche Arschlöcher.

Viele Ihrer Musikerkollegen haben da weniger Berührungsängste.
Uhlmann: Ich habe neulich gesehen, dass Cro Werbung für Mercedes Benz macht. Er stellt sich hin und fängt an, einen fetten Mercedes mit Spraydosen zu bemalen. Dann hat er ihn unter seinen Fans verlost. Und die so: Oh geil, Alter! Ein Mercedes! Und wir kriegen den geschenkt! Cro, du bist echt der geilste auf der ganzen Welt! Und ich habe zurückgedacht: 1994 hätten wir erst dem Künstler ein paar auf die Schnauze gehauen, dann dem Mercedes. Ich habe eigentlich nichts gegen Cro, aber ich finde ganz schön krass, dass er damit durchkommt und dann dafür noch sozusagen Streetart missbraucht, die ja immer noch subversives Potential hat. Das ist eine krasse Entwicklung. Früher war geiler. (lacht) Das kann man Cro einfach mal so sagen.

Wird sich in 15 Jahren auch die nächste Generation so wehmütig an 2015 zurückerinnern?
Uhlmann: Das werden dann die nächsten Punks sein, die zum Beispiel sagen: Scheiß aufs Internet. Und die Eltern so: Aber du brauchst doch dein Handy! Du musst das doch mitnehmen. Und die dann: Ne, mach ich nicht. Kein Bock drauf. Dann flippen die Eltern aus: Mein Sohn will sein Handy nicht, was ist da los? Das werden dann Anti-Technik-Punks.

© Ingo Pertramer

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Weiterhin auffällig ist, dass Ihr Protagonist seine alte Freundin Sophia in einem Altenheim kennengelernt hat. Kommen da persönliche Erinnerungen an Ihre Zivildienstzeit durch?

Uhlmann: Nicht ganz. Ich habe als Zivi mit behinderten Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Da habe ich meine pflegerischen Fähigkeiten erlernt, die ich danach im mobilen Altenpflegebereich eingesetzt habe. Ich kenne das Altersheim aber auch aus familiären Zusammenhängen und habe gedacht: Über die kann man auch mal schreiben.

Was verbinden Sie noch heute mit Ihrer Zeit in der Altenpflege?
Uhlmann: In der simpelsten Form: Es ist sehr harte Arbeit für Kopf und Körper, für viel zu zu wenig Geld. Unsere Gesellschaft muss sich auf jeden Fall in die Richtung bewegen, dass diese Arbeit mehr respektiert wird. Und Respekt funktioniert häufig einfach dadurch, dass man nicht noch einen zweiten Job nebenbei haben muss, um sich über Wasser zu halten. Außerdem bringt es mir einfach Spaß, über Sachen zu schreiben, auf die man bis jetzt noch nicht so richtig geguckt hat.

In den letzten Jahren erfreut sich das Thema Alter und Pflegebedürftigkeit aber durchaus eigener medialer Aufmerksamkeit, in Talkshows bis hin zu Altenheim-Komödien.
Uhlmann: Trotzdem geht es in der westlichen Kultur doch zu 80 Prozent um irgendwelche Topmodel-Scheiße, „Wie bekomme ich ’ne Rolex?“ und: „Oh, guck mal: Unterwäsche!“ Aber das ist ja nicht die Lebensrealität. Das ist der Eskapismus in der Kultur. Ich fand es mal geil, mir vorzustellen, dass man sich beim Rauchen draußen vor der Tür über mein Buch unterhält und einer sagt: Da ist auch was mit Altenheim drin und ein anderer sagt: Waaas? Weil ich einfach ein bisschen an Solidarität und Respekt glaube und daran, dass so ein Buch eine ganze kleine Möglichkeit ist, ein Licht in diese Richtung zu schmeißen.

Es gibt in dem Buch weiterhin die schöne Beobachtung, dass sich „Topmodels wie Soldaten über den Laufsteg bewegen.“ Heißt das umgekehrt, dass auch Soldaten in unserer Gesellschaft bald wieder als sexy gelten könnten?
Uhlmann: Nach dem Motto: Wahre Liebe gibt es nur im Schützengraben, oder was? Ich weiß nicht, mehr genau, wo ich diesen Spruch gehört habe, wahrscheinlich in Rosa von Praunheims Doku „Schwule Nazis“. Alter Schwede, ist das abgefahren. Richtig krank. Da stehen so Hardcore-Nazis, rechte Skinheads vor der Kamera, die so richtig frauenverachtend raushauen: „Frauen sind das schwache Geschlecht! Bring mir die Männer! Man kann sich nur lieben, wenn man weiß, dass man sterben kann, jede Sekunde.“ Krass!

Militante Ideologie kann auch eine Art sein, mit Sterblichkeit umzugehen.
Uhlmann: Auf jeden Fall. Bernd Begemann hat ja die Theorie, dass sich manche Leute bis zum Exzess piercen und tätowieren lassen, weil sie keine Kriegserfahrung haben. Als würden sie auf diesem Weg ihr Leben radikalisieren wollen. Aber was das Topmodel-Ding angeht, auch wenn ich mich da schon zum zweiten Mal in diesem Interview in die Rolle eines Alten Sacks begebe: Ich kann dazu nur sagen, dass ich diese Bewertung von Menschen, so öffentlich und so perfide durchgezogen, einfach verachtenswert finde. Dann wird gesagt: Ja, die machend das aber alle freiwillig. Man sollte denen mal einen netten Brief schreiben und fragen: Wissen Sie eigentlich, wie viele Leben von jungen Mädchen sie zerstören?

Sie spielen auf Umfragen unter Mädchen mit Essstörungen an, wo zwei Drittel der Befragten Klums „Germany’s Next Top Model“ einen Einfluss auf die Ausprägung ihres Krankheitsbildes zuschreiben.
Uhlmann: Ich frage mich: Wie kann Heidi Klum nachts noch ruhig schlafen? Sie hat so viel Geld, die könnte irgendwas anderes machen.

Nun zeichnet sich Sophia, die weibliche Titelheldin Ihres Romans auch dadurch aus, dass sie ihre Mitmenschen gerne – und zumeist schlecht bewertet. Unterscheidet sie etwas von Heidi Klum?
Uhlmann: Sophia ist eine im Leben stehende Frau, die aufgrund ihrer Biografie zum Ballern neigt – im Gegensatz zu ihrem Typen, dem Ich-Erzähler, der sich wie eine Schildkröte in sich zurück zieht und in Schockstarre verfällt, sobald irgendwas passiert. Sophia bewertet, um ihrem Leben Struktur zu verleihen. Sie genießt das. Sie sagt: „Es ist nett, dass ich immer auf dir rumhacken muss. Dann weiß ich, dass ich nicht die Schlechteste bin.“ Wenn Leute austeilen, steckt dahinter ja häufig eine große Form von Unsicherheit.

Sie meinen, es macht Sophie sympathischer, dass sie aus Unsicherheit von unten auf Menschen einhackt, während Heidi Klum das zu Unterhaltungszwecken und aus kommerziellem Kalkül von oben herab macht?
Uhlmann: Erstmal geht es Sophia eher nicht um Körpermaße. Und in Sophias Biografie ist es einfach so, dass sie als Kind aus Polen nach Deutschland kam. Ihre Eltern dachten, es ist besser für sie, wenn sie in Deutschland aufwächst. Und am 18. Geburtstag sagte ihre Mutter: Ich gehe zurück, ich bin heimatlos, ich halte das hier nicht mehr aus. Plötzlich weiß Sofia, dass ihre Mutter nur wegen ihr dageblieben ist. Das macht ja auch was mit dem Gehirn. Ist man da dankbar oder traurig? Verflucht man das? Wie kannst du mir sowas mitgeben für den Rest meines Lebens? Da kann ich mir schon vorstellen, dass das psychologisch relativ stringent ist, wenn sie Menschen oft wegbeißt, vor allem, wenn die so ein bisschen honkig rüberkommen.

Gegen Ende nochmal zurück zum Anfang. Sie erwähnten, dass sie noch als Zehnjähriger eher Angst vor dem Tod hatten. Hört das dann später, wenn man sich in der Pubertät automatisch auch mit anderen Dingen beschäftigt?
Uhlmann: Da kann man wirklich nicht für andere sprechen. Aufgrund meiner Biografie, weil mein Vater schon lange lange krank ist, hat sich der Tod bei uns eben immer so rumgeschlichen. Aber es gab auch eine Zeit, so zwischen 21 und 28, da habe ich mich wirklich im wörtlichen Sinn unsterblich gefühlt. Ich war überzeugt: Wenn du in der Mitte vom Atlantik aus dem Flugzeug geschmissen wirst, auch wenn es da 100 Meter tief ist, egal. Ist doch nur Wasser! Und klar kann ich 48 Stunden schwimmen! Das ist wohl der süße Vogel Jugend, die letzte Sonne vor dem Beginn des Schattens…. Da habe ich mich auf jeden Fall unsterblich gefühlt und trotzdem viel über den Tod nachgedacht.

Gibt es schon Anfragen für eine Verfilmung des Romans? Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass ein Schauspieler die Rolle Ihres Todes spielen könnte, ohne ihm seinen Charme zu nehmen…
Uhlmann: Also, ich war erstmal überwältigt, dass ich ein Buch fertig habe. Es war sogar Buch des Monats beim NDR. Als ich das meiner Mutter erzählte „Mein Buch wird übrigens Buch des Monats beim NDR“, meinte sie so: Warum das denn? (lacht) Ich dachte nur: Hier, das sind zwei Hände, mit denen hat dein Sohn Sachen gemacht, über die haben sich Menschen gefreut. Kannst du dir das nicht vorstellen? (lacht) An alles weitere habe ich wirklich überhaupt noch nicht gedacht, schon gar nicht an eine Verfilmung. Und wenn, dann ist doch klar: Der Protagonist ist Brad Pitt, Sophia ist Angelina Jolie und der Tod ist Keanu Reeves. Dann könnten die zu dritt auch mal wieder was machen. Die freuen sich doch bestimmt…

Letzte Frage: Ihre Band Tomte wurde nach Tomte Tummetott benannte, einem freundlichen Hausgeist, den auch Astrid Lindgren eine Geschichte gewidmet hat. Jetzt haben Sie dem Tod ein literarisches Denkmal gesetzt. Sind Sie eigentlich abergläubisch?
Uhlmann: Ähm, ich habe da noch nie drüber nachgedacht. Aber ich mache schon so Sachen… Zum Beispiel, dass hier auf diesem Tisch, an dem wir gerade sitzen, die Deckchen auf Kante liegen. Das ist kein Zufall. Besser, man macht manche Sachen, als dass man sie nicht macht.

Würden Sie auch Warzen besprechen lassen, wie man das auf dem Land angeblich tut?
Uhlmann: Auf jeden Fall. Ich habe mir jetzt allerdings gerade eine rausschneiden lassen. Die musste raus, die ist auch ziemlich schnell ziemlich groß geworden. Das war schon wieder interessant: Zum ersten mal in der Schönheitschirurgie gewesen. Schon verrückt, was man mit Betäubungsmitteln alles so hinbekommen kann. Der Mann hat geschnitten, verödet mit Feuer, zugenäht und die Fäden abgeschnitten. Nach einer Minute war’s vorbei und ich habe nichts gemerkt. Ich dachte: Wie wird das, wenn die Betäubung irgendwann aufhört? Aber es hat nie weh getan.

[Das Interview entstand im Herbst 2015.]

Thees Uhlmann auf Lesereise:
08.03. Bielefeld, Ringlokschuppen
09.03. Saarbrücken, Camera Zwo
10.03. Darmstadt, Centralstation
11.03. Aachen, Kulturfestival X
12.03. Koblenz, Koblenzer Literaturtage „ganzOhr“
13.03. Köln, lit.COLOGNE
18.03. Augsburg, Musikkantine
19.03. Weissenburg, Wildbadsaal
20.03. CH – Chur, Werkstatt
22.03. Stuttgart, Im Wizemann
10.04. Husum, Husum Harbour
20.05. Berlin, Columbia Theater
21.05. Hamburg, Große Freiheit 36
28.05. A – Oslip, C’est La Mü Festival

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