Stefan Lätzer: Sie haben heute noch einen DJ Auftritt in der Berliner Kalkscheune, angeblich. Ist das wahr?
Thomas Brussig: Ja das stimmt.
SL: Wie wird das werden?
Brussig: Wie das werden wird? Das weiß ich eigentlich erst hinterher. Aber ich denke, dass es gut wird, ich freue mich da sehr drauf. Es ist das erste Mal, dass ich als DJ auflege. Und ich habe mich in den letzten zwei Wochen ziemlich vorbereitet. Das hat großen Spaß gemacht, in der Musik noch mal zu stöbern und was richtig schönes rauszusuchen. Ich freue mich da wirklich drauf und ich glaube auch, dass es gut wird. Die Veranstaltung ist ausverkauft, und ich kenne den Saal. Ich bin da ziemlich zuversichtlich.
Tania Masi: Was für Musik werden sie dort spielen?
Brussig: Von der Zeit her liegt ein Schwerpunkt auf den achtziger Jahren…, sechziger Jahre auch ein Großteil. Und… naja das ist alles so Musik, wo schon irgendwie die Gitarren eine Rolle spielen. Das sind so größtenteils Bands, die sind heute – ich will nicht sagen „in Vergessenheit geraten“, aber… ich glaube, wenn man sie hört, wird man sich sofort wieder dran erinnern: „Klar, das hat’s ja damals gegeben.“ So was wie Philip Boa zum Beispiel, oder New Model Army, oder Suzan Vega, solche Leute eben.
SL: Ist DJ-sein dass, woran Sie im Moment arbeiten?
Brussig: Nein! Das war nur so ein Angebot mal für zwischendurch… das war eine Anfrage, den DJ zu machen – und da ich immer gern Sachen mache, die ich noch nie gemacht habe, da habe dann sofort Ja gesagt.
SL: Was sind abgesehen davon Ihre derzeitigen Projekte?
Brussig: Also das ist so, dass sich in den nächsten Wochen zeigen wird, wie es weitergeht. Im Moment ist eine Theaterstück von mir in Vorbereitung, da gehen in der nächsten Woche die Proben zur Uraufführung los, das wird in Mainz uraufgeführt, „Heimsuchung“ heißt das. Und ich werde auch in der nächsten Woche mit Edgar Reitz noch mal eine Runde arbeiten. Wir arbeiten ja an einer Fortsetzung von „Heimat 2“, das lief ja in Italien im Kino. Und da ist eine Fortsetzung geplant, und da sind wir auch schon recht weit gekommen, und nun werden wir über mehrere Wochen noch mal alles überarbeiten, noch den letzten Teil schreiben und so was. Und wie es dann weitergeht, weiß ich noch nicht so richtig. Aber ich denke, dass auch „Heimat“ schon mal ein hochinteressantes Projekt ist. Nur es ist einfach ein… wie soll ich sagen – für mich ist die Arbeit noch nicht abgeschlossen, aber es ist jetzt nicht mehr so, dass da wahnsinnige Überraschungen möglich sind mit diesem Projekt. Und wie es dann weitergeht, dass weiß ich noch nicht. Also ich habe da einerseits wieder einen sehr attraktiven Filmstoff mit einem namhaften Regisseur, wo wir noch so in der Schnupperphase sind, wo wir noch nicht so richtig wissen, ob wir das auch zusammen machen. Und wenn nicht, dann wird mir auch was einfallen. Ich hab schon wieder Ideen.
SL: Was halten Sie persönlich von der Rechtschreibreform?
Brussig: Ich schreibe weiter nach der alten. Also ich weiß gar nicht so richtig, was die neue ausmacht. Dass wohl jetzt ein paar Worte anders geschrieben werden, also dass die Schreibung selber logischer sein soll. Ich hatte mich nun an die alte gewöhnt, und insofern werde ich mich da nicht auf die neue umstellen. Mir war so, als ob die neue Rechtschreibung einem in der Getrennt- und Zusammenschreibung mehr Freiheiten gestattet, also dass die so sagt: „Wie du’s machst, ist es dann schon richtig“, aber ich weiß das nicht mal genau. Und das ist tatsächlich etwas wo ich unsicher bin, also in Getrennt- und Zusammenschreibung, Groß-, Kleinschreibung, und da würde ich eine Liberalisierung begrüßen. Aber ich schreibe weiter nach der alten. Weil ich das so gelernt habe, und weil ich da eben mit den Ausnahmen auch sicher war.
SL: Kennen Sie sich aus in der aktuellen deutschen Literaturszene? Was gefällt ihnen da, und was gefällt Ihnen überhaupt nicht?
Brussig: Nun ist es so, dass wenn man selber schreibt, dann ist man nicht mehr frei in seiner Wahl, oder in seinem Blick. Also man ist dann schon für Leute, die irgendwie was ganz Ähnliches machen. Und welche, die andere Wege gehen – und auch ganz konsequent andere Wege gehen – mit denen beschäftigt man sich dann gar nicht mehr, weil man an irgendeiner Stelle mal gesagt hat: „Also ich mach das jetzt so, und ich interessiere mich dafür“. Bei mir zum Beispiel ist es so, dass ich mich für experimentelle und avantgardistische Literatur überhaupt nicht interessiere. Weil es für mich einfach mal eine Entscheidung gewesen ist, dass ich mich gern verständlich, und gern auch populär, ausdrücken will. Also ich bin da keine unbefangene Instanz. Also was mir prinzipiell ganz gut gefällt – und da brauch ich gar nicht mal jetzt Namen nennen – an der jüngeren deutschen Gegenwartsliteratur, ist, dass es hier wieder Autoren gibt, denen klar ist, und wirklich auch eine Masse an Autoren gibt, denen klar ist, dass sie nicht von Preisen und Stipendien ihr Dasein fristen wollen, sondern dass sie wirklich von dem Verkauf ihrer Bücher leben wollen, und demzufolge auch Bücher schreiben, die für Publikum überhaupt erst mal lesbar sind. Also dass man sich nicht mehr verdächtig macht, wenn man unterhaltend schreibt. Das heißt ja nun nicht, dass man deshalb jeden Anspruch sausen lässt! Ich würde nicht sagen, dass „Helden wie wir“, nur weil es unterhaltsam ist, ein belangloses Buch ist – ganz im Gegenteil. Also das es da eine andere Stimmung gibt, mittlerweile, das finde ich gut, dass dieses dünkelhafte und künstlerische Getue, der vermeintliche Tiefsinn, dass der jetzt auch in der literarischen Szene nicht mehr so das Sagen hat. Also das Publikum hat jahrelang die junge deutsche Gegenwartsliteratur ignoriert, weil – das waren Bücher für Literaten, aber nicht Bücher für Leser. Und da hat es eine Trendwende gegeben, und das finde ich gut. Insofern freue ich mich über die Erfolge von anderen. Als gestern zum Beispiel im Literarischen Quartett das Buch von Julia Frank gut besprochen wurde, sehr gut besprochen wurde, habe ich mich sehr darüber gefreut. Ganz unabhängig davon, wie ich zu dem Buch stehe.
SL: Wie finden sie Heinrich Heine?
Brussig: [zögert]
SL: Ich frag das bloß, weil ich Fan bin.
Brussig: Ja. Ähm, wie finde ich Heinrich Heine… Ich bin nicht sattelfest was Heine angeht. Also, „Deutschland ein Wintermärchen“ ist mir nicht gegenwärtig. Ich finde diese romantischen Gedichte, die haben einen ganz außerordentlichen Liebreiz. Er hat ja dann auch irgendwann die romantische Periode hinter sich gelassen, aber was dann kam, ich weiß nicht, Enfant perdu, also was da so war, das… also mir gefällt der Romantiker besser. Aber ich kann nicht sagen, dass der Romantiker besser ist, als der Spätere, der Engagiertere. Ich will mal so sagen: wenn ich irgendwann mal den Heine-Preis kriegen sollte, dann hätte ich Schwierigkeiten bei der Preisrede, was Substanzielles über ihn zu sagen.
SL: Och, ich glaube, das wär doch gut: herausstreichen, dass der Romantiker zauberhaft war, und der Spätere nicht…
[Pause]
SL: Na das kann ja nicht mehr lang dauern mit dem Heine-Preis.
Brussig: Naja… [wir lachen alle nacheinander] – es gibt viele gute Autoren, es ist nun nicht so, dass…, nee, also diese Bemerkung jetzt eben, „kann nicht mehr lange dauern“, also – Wieso? Was gratifiziert mich dafür. Ich habe in der letzten Zeit nichts geschrieben, also dass man sagen muss: Heine Preis – her damit.
SL: Ich erinnere mich nur an andere Interviews mit Ihnen, die ich in den letzen Tagen gelesen habe, um mich auf dieses vorzubereiten. Da haben sie zwei Mal darauf hingewiesen, wie „Helden wie wir“ zum Beispiel einerseits keinen Preis gewonnen hat, andererseits nicht im Literarischen Quartett besprochen wurde. Und einmal auf die Frage, was Ihnen der Erfolg gebracht habe, meinten Sie, dass sie durch den Erfolg die Chance hatten, zu sagen, wie es überhaupt nicht wichtig ist, dass ein Buch zum Beispiel im Literarischen Quartett besprochen wird. Weil die da vielleicht einfach nicht rankommen.
Brussig: Ja, na klar, das ist etwas sehr schönes, am Literarischen Quartett vorbei so einen Erfolg zu machen. Und mittlerweile bin ich auch der Meinung, dass es dem Literarischen Quartett nicht gut zu Gesicht stand, dieses – und gerade dieses Buch – nicht besprochen zu haben. Es hätte bei dem Erfolg, den es hatte, besprochen werden müssen. Also da haben die ein wichtiges Buch, aus welchen Gründen auch immer, übergangen. Und das stutzt natürlich auch die Rolle vom Literarischen Quartett dann so ein bisschen wieder zurecht: es ist eben nicht so, dass es die Instanz ist, und wer da drin ist, der ist wer, und wer nicht, nicht.
TM: Wo kommt die her, die Motivation zu schreiben? Schreiben Sie regelmäßig jeden Tag etwas? Ich finde persönlich, es ist schwierig, in Berlin Zeit zu finden sich zu konzentrieren, und zu schreiben. Fahren Sie manchmal einfach raus aus der Stadt, oder…
Brussig: Teils, teils. Aber grundsätzlich muss ich schon sagen, dass ich wirklich sehr gerne schreibe, dass ich diesen Beruf wirklich liebe. Und dass es mir auch überhaupt nicht schwer fällt, mich hinzusetzen und zu schreiben. Auch zu den Zeiten, wo ich noch gearbeitet habe, oder als ich noch studiert habe, da habe ich immer Zeit fürs Schreiben gefunden. Auch mehrere Stunden am Tag. Und – das ist jetzt nicht anders.
TM: Also ist das eine regelmäßige Arbeit.
Brussig: Ziemlich. Ja.
TM: Oder kommt es auf die Idee an?
Brussig: Nein, also das ist regelmäßig. Das Schreiben gehört zum Tagesablauf. Es ist jetzt nicht so, dass ich sage, ich setze mich um 11 Uhr hin oder so, aber wenn ich drei Tage nichts gearbeitet habe, nicht als Schriftsteller gearbeitet habe – und das können ganz unterschiedliche Sachen sein, ob ich nun etwas Neues geschrieben habe, ob ich was überarbeitet habe, ob ich mit jemanden mich über einen Stoff unterhalten habe, was schon Bestehendes noch mal durchgegangen bin – aber wenn ich da drei Tage nichts gemacht habe, dann… äh…
[Es beginnt ein fürchterlicher Hagel, nachdem ein paar Minuten vorher ein fürchterliches Gewitter begonnen hatte. Wir müssen fünf Minuten Pause machen, weil das Geräusch der auf Dach und Fenster treffenden Eisklumpen lauter ist als wir.]
SL: Ziemlich viel Wasser da draußen.
TM: Ja, Berlin ist sehr inspirierend.
SL: So viel zum Thema.
Brussig: Ich mach mal den Ventilator wieder an.
SL: Haben Sie einen Zettelkasten, so wie alle anderen Schriftsteller?
Brussig: Nein. Was ist das, ein Zettelkasten?
SL: Das habe ich mal als Klischee gehört. Der klassische Schriftsteller hat einen Zettelkasten. Eine Sammlung von Ideen, auf die zurückgegriffen werden kann, wenn mal keine wirkliche echte Idee da ist.
Brussig: Ich habe so ein paar Einfälle, die ich mir in ein Büchlein geschrieben habe, die ich ganz putzig finde, und die ich bei Gelegenheit mal irgendwo unterbringen würde. Aber ansonsten, nein, also – das ist nicht so meine Arbeitsweise.
SL: Noch mal zur Inspiration: Ihre Zeit in der DDR, was daran speziell ist inspirierend für Sie gewesen? Und wie viel Brussig steckt in den Charakteren von „Helden wie wir“ und „Sonnenallee“?
Brussig: Beide Bücher sollte man nicht autobiografisch lesen. Und sie sind auch nicht mit einem autobiografischen Ansatz geschrieben worden. Bei dem ersten, „Wasserfarben“, da ist das was anderes. Das hatte einen autobiografischen Ansatz. Also ich fand an der DDR inspirierend, dass… wie soll ich’s sagen, also ich stand da mit meinen Fragen, und habe die Antworten, oder die Beschäftigung mit den Problemen mit denen ich mich beschäftigt habe, habe ich nicht in der Literatur gefunden, und so bin ich zum Schreiben gekommen. Also dass ich mir irgendwie sagte: wenn die nicht darüber schreiben, dann muss ich eben selber damit anfangen. Ich wäre bestimmt nicht Schriftsteller geworden, wenn die DDR-Literatur besser gewesen wäre.
SL: Können Sie den Tag genau bestimmen, an dem sie beschlossen haben, Schriftsteller zu werden?
Brussig: Das war im Mai 1988. Da hatte ich schon einige Zeit lang an meinem ersten Buch geschrieben, an „Wasserfarben“, ich war so ungefähr zu zwei Dritteln fertig… oder so mit der Hälfte ungefähr fertig, Und es war abzusehen, dass dieses Buch fertig wird, und dann ist einfach die Frage „Wie geht’s weiter?“. Das nächste wäre dann einfach, dass ich eine Veröffentlichung versuchen muss. Und so stand als Vorsatz plötzlich deutlich vor Augen, dass ich Schriftsteller werden will. Aber auch 1981, ’82, ’83 – da war Schriftsteller immer so ein Traumberuf, ja, da wäre ich das gerne geworden, und wusste aber auch gleichzeitig, dass ich das Zeug dazu nicht habe. Aber dann, als ich da so an meinem ersten Buch geschrieben habe, und ich merkte es ging vorwärts, und das gefiel mir auch, was ich da gemacht habe – im Mai ’88 – habe ich mir gesagt, ich will Schriftsteller werden. Ich wusste auch, dass ich noch meilenweit davon entfernt war. Aber da war es dann wirklich ein Ziel, und nicht mehr nur so eine Vorstellung.
SL: Und jetzt – wollen Sie manchmal etwas anderes sein, und kein berühmter Autor?
Brussig: Nein. Na ja also… So gut bin ich nun auch nicht, und dass ist auch nicht das Wichtige, ob ich berühmt bin oder nicht. Wichtig ist, dass ich vom Schreiben leben kann und dass mir immer wieder was einfällt, und dass ich es auch wirklich gerne mache. Und deshalb will ich auch nichts anderes sein.
TM: Welches Thema passt zu welcher Technik, beim Schreiben? In „Helden wie wir“ gibt es den internen Zuhörer, den Kitzelstein. Wählen Sie gern die passende Technik zu einem Thema?
Brussig: Die Erzählsituation ist schon eine wichtige Sache. Die Erzählsituation ist zum Beispiel in „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ etwas, was nicht gelöst ist. Da ist das einfach so drauflos. Da rettet dann dieses Buch, das die Episoden einfach eine gewisse Kurzweiligkeit haben, und auch eine Brillanz, eine Schönheit, eine Wärme und so. Aber es ist literarisch eben nicht so ein Hammer, weil die Erzählsituation nicht gelöst ist. Es ist wirklich immer wieder ein wunderbares Abenteuer, einen Roman zu schreiben, und dann immer zu schauen, wie sich Thema, und Stil, und Erzählsituation… – wie sich das dann so findet, und miteinander verheiratet. Und wie dann auch etwas ganz Unerwartetes entsteht. Das ist wirklich etwas sehr schönes am Romane schreiben. Das Schönste am Romane schreiben ist, glaube ich wirklich, dass es eine Entdeckungsreise ist, und dass man, wenn man anfängt zu arbeiten, nicht so richtig weiß wo das hingeht, und dass dann das Endergebnis eben das noch übertrifft, was man sich am Anfang gedacht hat. Das ist bei Filmen nicht so, oder nicht zwangsläufig so.
TM: Beim Filmen ist alles sehr organisiert.
Brussig: Ja, also bei Filmen hängt viel vom technischen Apparat ab. Film ist größtenteils auch wirklich Praxis. Da ist ein gewisser Budget-Druck und so was alles. Es ist immer so eine Frage, inwieweit Film wirklich auch Kunst sein darf, und zu originellen Lösungen kommt. Natürlich, wenn man einen guten Schauspieler hat, dann kann der Schauspieler ganz erstaunliche Sachen abliefern, oder auch der Kameramann.
TM: Ich finde es oft problematisch, einen ganz bestimmten Stil, eine Technik auszuwählen. Zum Beispiel denke ich: Für dieses und jenes Themen nehme ich am besten einen Erste-Person Erzähler. Oder eben einen Dritte-Person Erzähler. Wobei die dritte Person auch altmodisch klingen kann, so viktorianisch…
Brussig: Ja. Das ist mir auch aufgefallen. Also ich schreibe gern in der ersten Person. Denn die erste Person zwingt zu einer gewissen Ehrlichkeit. Also es muss jemanden geben, der das deckt, was da erzählt wird. So wie man nicht mit einem ungedeckten Scheck einkaufen kann, so kann man eben auch nicht mit einem ungedeckten Ich-Erzähler eine Geschichte erzählen. Er zwingt zu einer Ehrlichkeit, und zu Konzentration, dass ist das Schwierige, oder die Herausforderung. Das Schöne ist aber auch, dass man bei einer Dritten Person eben nicht mit so einem enzyklopädischen Wissen kommen muss, man muss nicht in irgendwelche unglaublichen literarischen Bilde reinsteigen, da hat man es da schon leichter. Das Problem ist natürlich auch, dass ein Ich-Erzähler auch nur das erzählen kann, was er sieht und was er weiß. In der dritten Person ist es nun genau umgekehrt. Da kann man schon eher mal – also stilistisch – irgendwie danebenhauen, aber man muss dann auch einfach mal Sachen machen, die man nicht kann. Ich kann zum Beispiel nicht besonders gut Landschaften beschreiben. Oder auch Menschen beschreiben, von ihrem Äußeren. Das liegt mir nicht so. Also charakteristische Handlungen, oder irgendwelche Macken, das kann ich. Aber jemanden von seinem Äußeren beschreiben, das liegt mir nicht. Und das muss ich aber machen, wenn ich in der dritten Person schreibe. Und da besteht dann eben doch leichter die Gefahr, dass man eben sieht, dass ich das nicht besonders kann. Und so hat das alles seine Vor- und seine Nachteile.
TM: Wenn sie ein Buch fertig haben, ändern Sie dann die ersten Seiten wieder?
Brussig: Ja, natürlich. Was zu meinem Stil gehört… oder zu meiner Arbeitsweise, ist, dass ich ein Manuskript immer wieder lese, dass ich mich immer wieder frage: „Wie geht’s mir als Leser damit?“ Also eigentlich sagen meine Bücher nicht so viel über den Menschen Thomas Brussig, also nach dem Motto „Hier spricht der Autor“, sondern „Hier ist der Leser Thomas Brussig, der einen ganz bestimmten Geschmack hat.“ Ich schreibe Bücher die ich auch selber gerne lesen würde. Demzufolge muss ich es auch immer lesen. Wenn ich dann merke „hier wird’s langweilig“, oder „hier kann man’s genauer sagen“, oder „hier hätte ich gerne noch mehr“, dann ändere ich das auch. Aber das ist wirklich so, dass ich dabei an mich als Leser denke. Nicht an den anonymen Leser, sondern wirklich an mich als Leser. Und dann einfach davon ausgehe, dass mein Leser-Geschmack von vielen geteilt wird.
TM: Sie denken an keine bestimmte Art Leser?
Brussig: Nein, keine bestimmte Art. Der Leser, an den ich denke, bin ich. Das Buch, das ich schreibe, gibt es noch nicht – aber ich gehe davon aus, dass es ein solches Buch geben, und ich es auf jeden Fall lesen würde. Demzufolge frage ich mich: „Warum würde ich das jetzt lesen? Was gefällt mir daran, und was gefällt mir daran nicht?“ Und was mir nicht daran gefällt, dass ändere ich, solange bis es mir gefällt. Also es geht wirklich nicht darum, dass ich mein Innerstes ausbreiten will. Sondern um: „Lese ich das gerne?“ Ja. Es geht ums Lesen, und lese ich es gerne.
SL: In ihren Büchern sind die Themen DDR und Wende behandelt. Vom Thema her. Denken Sie, dass es auch eine bestimmte Struktur gibt, die einen typischen DDR- oder Wende-Roman ausmacht, die sie vielleicht vertreten?
Brussig: Naja… „Thema DDR“… – also es ist der Schauplatz, ja. In „Wasserfarben“ ist das Thema Orientierungslosigkeit, in „Helden wie wir“ geht es um… ach mein Gott, da geht’s um so viel, also eigentlich ist „Helden wie wir“ eine Totalitarismusauseinandersetzung. Und „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“… gut, das ist so eine Mauerkomödie. Es spielt in der DDR, weil das einfach eine Welt ist, in der ich mich auskenne, und zu der mir auch was einfällt. Und wo ich auch, dass sage ich mal so unbescheiden, wirklich einen originellen Zugang gefunden habe. Also einer, der einen gewissen erlösenden Charakter hatte. Als „Helden wie wir“ rauskam, 1995, war ich davon überzeugt, dass ein Misserfolg wird, weil alle Bücher über die DDR und über die STASI Misserfolge gewesen sind. Dann kam eben dieses Buch raus, und plötzlich war klar, dass nicht DDR und STASI Ursachen für diese Misserfolge waren, sondern die Art und Weise, wie darüber geschrieben wurde. Das war es, was die Leute nicht hören wollten. Und nun war was neues, was anderes da. …aber – die Frage war doch eine andere, oder?
SL: Doch, doch, das war die Frage. Haben Sie das Gefühl, dass Sie einen neuartigen Stil begründet haben?
Brussig: Ich glaube tatsächlich, dass ich einen eigenen Ansatz gefunden habe, über die DDR zu schreiben, und dass dieser Ansatz auch von anderen aufgegriffen wurde – nicht kopiert wurde, aber aufgegriffen wurde. Die DDR an ihrem konkreten Interieur festzumachen, die DDR an ihren Absurditäten auch festzumachen; das ist ja so mein Herangehen. Und da bin ich mittlerweile nicht der einzige, also das haben auch andere gemacht. Durchaus auch mit eine anderen Tonfall. Aber ich denke… also ich habe schon einige Bücher gelesen, wo ich denke, dass es die ohne „Helden wie wir“ nicht gegeben hätte. Und das ist beim Film jetzt ähnlich. Bis „Sonnenallee“ kam, galt in der Branche: „Oststoffe loofen nich“. Jetzt ist Sonnenallee der erfolgreichste Film des letzten Jahres, ja und jetzt sind alle Produzenten plötzlich auf der Suche nach Oststoffen. Das hat natürlich was damit zu tun, dass „Sonnenallee“ so eingeschlagen ist. Und dass „Sonnenallee“ gemacht wurde. Es ist klar, es würde ohne mich diesen Film nicht geben. Ich habe ihn angestoßen, ich hatte dazu die Idee. Und dann kam natürlich noch die Inszenierung von Leander Haussmann – er hat ja diesem Film auch den Stempel aufgedrückt.
[Pause]
SL: …
Brussig: Ach so, Moment, die Frage war auch, ob es einen bestimmten Stil gibt, und die Frage muss ich also ganz vehement verneinen. Es ist nicht so, dass es den Stil gibt und das ich den gefunden habe. Ich habe einen gefunden. Und es gibt Autoren, die ganz anders arbeiten, und die auch mit ganz anderen Mitteln ganz ähnliche Ergebnisse erzielen. Ein halbes Jahr nachdem „Helden wie wir“ rauskam, hat Ingo Schramm ein Buch veröffentlicht, „Fitchers Blau“, und der ist mit literarisch ganz anderen Mitteln doch zu einem ganz ähnlichen Resümee über die DDR gekommen, also: es war die totale Erniedrigung. Und das finde ich interessant, dass die Wahrheit, die wir hochgeholt haben, dieselbe war, obwohl wir mit ganz anderen Schaufeln gebuddelt haben. Ich eben mit der Satire, mit der Groteske, und er mit dem sprachlich hochartistischen Buch, einem opulenten Roman mit vielen Handlungssträngen. Und er hatte den… wie nennt man das – er hatte den auktorialen Erzähler, und ich hatte den… subjektiven, oder? [lacht] Heißt das so?
SL: Na ich bin kein Schriftsteller.
TM: Und ich wüsste das nur auf italienisch.
[Lachen]
SL: Mit von wegen „Struktur“ wollte ich eigentlich darauf hinaus: Wenn ich mir jetzt mal 10 Romane nehme, die die DDR zum Thema haben, dann könnten die eventuell auch alle die gleiche Struktur haben. Oder wiederkehrende Themen. Viele „räumen auf“, oder versuchen zu zeigen, „wie es wirklich war“. Das würde ich als Thema bezeichnen.
Brussig: Also „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ erzählt ja nicht „Was war wirklich“, sondern erzählt ja das genaue Gegenteil. Es erzählt, wie die DDR heute erinnert wird, nämlich viel schöner als sie jemals war. Und natürlich erzählt das nicht, wie es wirklich war. Die Wahrhaftigkeit in diesem Buch liegt darin, dass Erinnerungen das Gewesene schön machen. Und damit auch verfälschen und verzerren. Und ich bin mir sicher, dass Ingo Schulze ganz anders arbeiten würde. Also Ingo Schulze sagt ja immer, er möchte über Dinge, die zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort spielen, etwas herausfinden. Und da will er auch genau sein, und da erinnert er sich wirklich genau. Da ist er dann präzise. Vielleicht wird er auch mal anders arbeiten. Und ich finde ihn auch hochinteressant, natürlich, und er kann’s ja auch richtig gut.
TM: Es gibt diese zwei Klischees über Sex in der DDR: zum anderen Prüderie und verklemmt sein, zum anderen FKK und abgeklärt sein.
Brussig: Für mich ist das kein Widerspruch. Mir ist aufgefallen, dass gerade die gerne zum FKK gegangen sind, die sexuell irgendwie doch nicht so sicher waren. Also am FKK kann man ja so tun „Ist ja nichts dabei“, und „Ich mach mir da nichts draus“ – das kann auch so was von Alibi gehabt haben. Ich will es jetzt nicht verallgemeinern, aber so leicht kann man sich das nicht machen. Und sagen, wenn da FKK war, hat’s keine Prüderie gegeben.
SL: Aber gerade die Prüderie wird in „Helden wie wir“ aufs Korn genommen.
Brussig: Na sie wird einfach erzählt, sie wird belegt. Mit Szenen, die man so noch nicht gelesen hat. „Aufs Korn genommen“ ist… – hm.
SL: Na Klaus‘ Wesensmerkmal ist – durch seine Erziehung hervorgerufene – Verklemmung.
Brussig: Ja, es… also ich habe mir einfach gedacht, dass man ein Milieu sehr effektiv erzählen kann, wenn man über Dinge spricht, über die man normalerweise nicht spricht. Nun muss ich aber allerdings auch sagen, dass gerade in den letzten Jahren eine solche Inflation von sexualem Material stattgefunden hat, ich glaube nicht, dass ich „Helden wie wir“ jetzt noch mal so schreiben würde. Es ist wirklich merkwürdig: als ich es geschrieben habe, war es wirklich noch etwas provokantes gewesen. Das war etwas, was ein Skandalerfolg werde sollte – also wo ich mir dachte: wenn das Buch zum Erfolg kommen sollte, dann vielleicht über den Skandal. Jetzt, also nur fünf Jahre später, ist das schon wieder… nivelliert – normal vielleicht auch nicht, aber es ist nicht mehr so, dass man sagt: „Hier, so was haste noch nicht gelesen.“
TM: Jetzt müssen Sie zur Kalkscheune, oder?
Brussig: Hmm.
TM: Aber wir wollen noch etwas über Musik fragen: Im Film „Sonnenallee“ spielt Musik eine große Rolle, und wie die Jugendlichen Musik hören. Welche Musik hören Sie selbst, wenn Sie zum Beispiel ein Buch schreiben? Gibt es einen Soundtrack Ihrer Ideen?
Brussig: In „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ ist ja von einigen Liedern und Platten die Rede, also wie man zum Film „Sonnenallee“ einen Soundtrack macht, könnte man zum Buch „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ auch einen Soundtrack machen, mit Edith Piaf, „Avanti populo“ wird auch gesungen, oder „Moskau, Moskau“, die „Exile on Mainstreet“ spielt ja da eine Rolle. Musik hat was sehr motivierendes, ich lebe auch immer mit Musik, ich kann mich an die Musik erinnern, die ich bei „Helden wie wir“ gehört habe, das waren einige Lieder von diesem Doppelalbum [zeigt ein Album hoch]. Als ich „Wasserfarben“ geschrieben habe, bin ich regelmäßig zu den Rockkonzerten…, also zu den Punkrockkonzerten gerannt, die in Berlin liefen, und wollte einfach die Energie, die ich da gespürt habe, mal irgendwie in Literatur übersetzen. Oder ich schreibe gerade an einem Drehbuch, und habe da auch eine dramatische Musik im Ohr, die mich irgendwie trägt… das ist nun allerdings eine klassische Musik. Aber die… also Rockmusik ist immer wichtig gewesen. Ich habe ein bisschen da den Überblick verloren. Es gibt so viel, und man kommt heutzutage viel leichter ran – und dass macht es auch schwerer, Liebhaber zu sein von etwas, wenn man an alles gleich rankommt. Und dadurch habe ich auch ein bisschen das Interesse verloren, immer aktuell und auf dem Stand zu bleiben. Ja ich weiß nicht… Also zum Beispiel wenn ich Rio Reiser höre, und Ton Steine Scherben, also das ist einfach… ja, das ist eine Künstlerseele, das ist jemand, der immer auf dem Teppich geblieben ist, der was sehr liebenswürdiges hat, aber auch was sehr wütendes, also das ganze Spektrum von menschlichen Eigenschaften begegnet mir da auch, und insofern ist für mich auch oft die Rockmusik wirklich inspirierender als die Literatur.
[Pause]
SL: Ich möchte noch eine Frage stellen, die ich immer gern stelle wenn es um Literatur geht: Beschäftigen Sie, als Autor, sich mit Hypertext?
Brussig: [Pause] Was ist das?
[Lachen]
SL: Text, der, wie im World Wide Web, mit Links versehen ist, weswegen eine Metastruktur entstehen kann und Texte miteinander verknüpft – und ich als Benutzer kann die Verknüpfungen verfolgen, zum Beispiel mit Klicks. Brussig: Da muss ich sagen: Das sind Sachen, an die ich nicht glaube. Also dieses ganze Interaktive, daran glaube ich nicht. Diese beiden Ursprünge, das Epische und das Dramatische, also das Epos oder das Drama, die gibt es schon seit der Antike – aber so wie in der Menschheitsgeschichte gibt es das auch in der Biografie. Also das eine ist das Geschichtenerzählen, dass das Kind am Abend sagt: „Erzähl mir eine Geschichte“, und dann will es eine Geschichte hören, und der folgt es, und manchmal stellt es Fragen, aber es kommt nie auf die Idee zu sagen „bleib jetzt hier stehen“, oder „erzähl da und da weiter“, sondern es folgt der Erzählung. Und das andere, das Dramatische, ist das Kasperle-Theater, wo so das Krokodil kommt, und dann schreit das Kind „Pass auf, Kasperle, das Krokodil!“. Und so funktionieren auch Filme, also der Böse hinter dem Vorhang, der das Messer hat, und die arglose Frau drückt noch eine Zigarette aus, und liest noch ein Zettelchen, und sie weiß gar nicht, dass die Bedrohung im Zimmer ist, und das Publikum will da auch am liebsten schreien, wie ein fünfjähriges Kind: „Pass auf, der Bösewicht steht da!“. Dieses Eigentümliche am Erzählen und am Dramatischen, das kann durch dieses Interaktive nicht vermittelt werden. Das Interaktive ist nicht Fisch und nicht Fleisch, also es ist nicht Erzählen, und es ist aber auch nicht wirklich das Schöpferische, also das was man gerne macht. Es hört sich immer total interessant an, aber ich weiß nicht: welches ewige Grundbedürfnis des Menschen steht dahinter? Vielleicht ist es so etwas wie ein Forschertrieb, Neuland zu betreten. Das ist ja heute so total interessant, Internet und Computerwelt und so was alles… so vor 15 Jahren, da stand ich da, so nach dem Motto: „na ja was soll ich denn bloß machen, es gibt doch irgendwie schon alles auf der Welt, ist doch alles schon erfunden…“ – das ist heute anders. Also heute sind die 20-, 23-jährigen die Stars, die gründen Firmen, oder die sind Millionäre, oder die sind dann pleite – also da gibt es einfach noch genügend weiße Flecken auf dem Atlas, die noch zu besiedeln sind, oder überhaupt zu entdecken. Aber mir ist noch nicht so richtig klar, welche ewigen Bedürfnisse dahinterstehen. Also es gibt ja auch so… „Filme“, also dass man dann da irgendwas anklickt und dann weiß man mehr über den und den – ich glaube da nicht dran. Also ich glaube wirklich, ich will ins Kino gehen und… … – und so wird es auch immer bleiben. Das ist jetzt sehr konservativ, so zu denken, aber: Also man geht ins Kino, und es wird dunkel, und dann denkst du „erzähl mir eine Geschichte“, und dann geht der Vorhang auf, und dann kriegst du eine Geschichte erzählt – und dann gehst du raus und bist happy, und was brauchst du denn dann noch?
´das is ja der absolute wahnsinn dass gleiche woll ich au grad schriebn
Yeeeaaah genau….
Ja aber hallo Dufte genau mein Meinung….dieser Brussinger des ist ein geiler Kerl der weiß wie man sich feiern lässt……
Dufte
Dieses kommentar spiegelt so ziemlich das aktuelle weltbild unserrer heutigen zivilisation wieder und den inbegriffenen zusammenhalt und andere aspekte des lebens wieder!
lange gesucht, jetzt die Antworten gefunden
man glaubt gar nicht, dass nie ein Interviewer mal auf die Ide kommt, was Interessantes zu fragen. Es ist immmer nur die selbe Soße: „Was halten sie von Ostalgie?“ und „Wie stehen sie zum Weltgeschehen?“ Nein, aber ich war hier zum ersten Mal positiv überrascht, wirklich mal Antworten auch auf meine Fragen zu finden, vielen Dank
Super Interview
Ich dacht ich lob euch mal !! *ggg* !! Das interview ist echt gelungen !!
Supa Tommi
klasse!